Das japanische Wort san entspricht im Deutschen „drei“ oder
„dreifach“, und gai heißt „Welt“. Sangai bedeutet daher „drei Welten“ oder
„dreifache Welt“. In der alten, traditionellen buddhistischen Theorie, die
schon in Indien entwickelt wurde, gibt es drei Bereiche der insgesamt jedoch einheitlichen Welt:
1) Denken und Ideen,
2) Fühlen, sinnliche Wahrnehmung und
Materielles,
3) Handeln (Nicht-Materie).
Der Wille zählt dabei zur
Ideenwelt, und in der Tat besteht hier eine ganz enge Verbindung. Der Bereich
des Handelns wird auch als Nicht-Materie bezeichnet.
Dōgen versteht den Begriff
der dreifachen Welt oft als die wirkliche Welt
des Hier und Jetzt, also als die ganze Welt, so wie sie ist. Diese enthält
dann das Denken, das Fühlen, die Materie und nicht zuletzt das Handeln, und die
Welt wird immer als real und einheitlich erfahren. Die Gliederung in die drei
oben genannten Bereiche hat im Grunde genommen lediglich erklärenden und
pädagogischen Charakter und ist keine Unterteilung und Trennung der
Wirklichkeit selbst, wie es im gewöhnlichen Verständnis durch das subjektive
Denken suggeriert wird.
Das japanische Wort yui bedeutet „nur“ oder „allein“, und shin heißt „Geist“. Daraus ergibt sich
als Übersetzung des Titels „Die dreifache
Welt ist der umfassende Geist“ oder auch: „Die dreifache Welt ist der Geist
allein“. Die Formulierung „Die dreifache Welt ist nur der Geist“, die ebenfalls
gebräuchlich ist, kann zu schwerwiegenden Irrtümern führen. In idealistisch dominierten buddhistischen
Gruppen wird daraus nämlich gefolgert, dass es überhaupt keine wirkliche Welt
gibt, also keine Materie und kein
Handeln, sondern dass es nur den Geist als Ideen gibt. Alles sei allein im
Denken und im menschlichen Geist real vorhanden, und dieser abgegrenzte und auf
das Gehirn beschränkte Geist sei die einzige Realität. Daher sei die Materie
unwirklich, nur ein Schatten und etwas Nicht-Existentes.
Ein solches Verständnis
bezeichnet Dōgen als schweren Fehler.
Schon unter logischen Gesichtspunkten ist es absurd anzunehmen, dass es keine
materielle Wirklichkeit gibt. Nach Dōgens tiefer Erkenntnis ist die wirkliche
Welt überhaupt nicht vom Geist getrennt und bildet eine unauflösbare Einheit
mit ihm. Dabei sind insbesondere die subjektiven Bereiche des Denkens sowie die
objektiven Bereiche des Wahrgenommenen eine Einheit, und die Wirklichkeit ist
Handeln im Schnittpunkt von Subjekt und Objekt.
Auch die Materie gehört zum Geist
In diesem Kapitel des Shōbōgenzō wird vor allem die Einheit der materiellen Welt mit dem Geist
analysiert. Das ist für das westliche Denken sicher erstaunlich, da wir gerade
zwischen dem Denken und dem Materiellen streng unterscheiden und diesem
Gegensatz kaum entkommen können. Vier Kapitel im Shōbōgenzō haben speziell den Materialismus beziehungsweise die
materialistische Lebensphilosophie, wie Nishijima Roshi diese Weltsicht
bezeichnet, zum Inhalt. Dazu gehören außer diesem Kapitel auch drei weitere.[i]
Dōgen macht in ihnen deutlich,
dass er alle buddhistischen Ideologien ablehnt, die behaupten, dass es keine
Wirklichkeit und insbesondere keine materielle Wirklichkeit gebe. Allerdings
handelt es sich bei Dōgen nicht um den Materialismus im westlichen Sinne, der
nur die Materie als alleinige Wirklichkeit anerkennt. Dieses Kapitel ist also
eine radikale Kritik an idealistischen Interpretationen des Buddhismus, die
sich häufig auf den Begriff der Leerheit (shunyata)
stützen und sagen, dass alle Materie leer sei.
Ein solches Verständnis der
Leerheit ist nach Nishijima und Warner auch für den Mittleren Weg bei Meister Nāgārjuna
ein tiefgreifender Irrtum. Hierbei wird
die idealistische Lebensphilosophie mit dem höchsten Zustand der Wirklichkeit
verwechselt, für den dieser Begriff der Leerheit ursprünglich geprägt wurde.
[i] ZEN Schatzkammer, Bd. 3, S. 42 ff., Kap. 63: „Die
Buddha-Augen (Ganzei)“; Bd. 3, S. 59
ff., Kap. 65: „Die Drachen singen in den kahlen Bäumen (Ryūgin)“ und Bd. 3, S.
162 ff., Kap. 77: „Die Wirklichkeit des Raumes (Kokū)“