Die Fesseln der falschen Ideen und
Vorstellungen des Geistes wurden im
alten China mit den Schlingpflanzen verglichen, die sich um einen Baum ranken
und ihn einschnüren. Erst wenn man die Axt an
den Baum legt und ihn zu Fall bringt, sterben
auch die Schlingpflanzen ab; in vergleichbarer Weise können wir Menschen uns
von unseren Fesseln – den endlosen Gedankenketten – befreien. Aber wir sollten
„den Baum fällen“, der die Schlingpflanzen stützt und sie erst ermöglicht. Der Baum
entspricht der falsche unklare Lebensweise und Lebensideologie. Er ist die
Stütze der Schlingen, die uns einengen oder sogar erwürgen!
Wenn die ignorante Sichtweise und die darauf
gründende Lebensphilosophie wie ein Baum gefällt werden, vertrocknen die
Fesseln, die uns von der Freiheit ferngehalten haben. Ohne das reine Handeln
bleiben wir jedoch in falschen Vorstellungen und im ideologischen Denken
gefangen. Und obgleich wir uns mit aller Kraft gedanklich
bemühen, können wir diesen dunklen „Höhlen“ nicht entkommen, die
außerhalb der buddhistischen Lehre liegen.
Nach Dōgen kann eine solche unklare Ideologie „weder
die Krankheit des Dharma-Körpers noch die Entbehrung des Freuden-Körpers
erkennen.“ Aufgrund solcher „Denknester“ und „Denkhöhlen“ leiden und verkümmern
wir spirituell und entbehren sogar die wirklichen körperlichen Freuden. Wenn
der Materialismus also körperliche Genüsse verspricht, das auf Vorteilsdenken beruht,
kann die Erwartung des „wunderbaren Genusses“ niemals eingelöst werden. Die
angekündigten sinnlichen Freuden geben uns dann nicht einmal eine schale
körperliche Befriedigung.
Wir müssen deshalb zum reinen klaren Handeln
zurückkommen und uns von den gedanklichen
Schlingpflanzen befreien.
Sogar unter den Theoretikern, also den Lehrern der
Sūtras und Kommentare, und anderen Menschen, die den
Buddha-Dharma nur von Weitem kennen, ist bekannt, dass eindimensionale Ignoranz
unzureichend ist, um die wahre Dharma-Natur zu erkennen.
Allerdings sind sich diese Theoretiker nicht bewusst,
dass schon ihr theoretischer Begriff „Dharma-Natur“ eine Fessel darstellt, welche
die Sicht der vielfältigen Dharma-Natur gewaltig
einengt. Genau durch diese Fixierung auf die Vorstellung und den Begriff
erzeugen sie genau ihre eingeengte Sichtweise, ohne sich jedoch darüber im
Klaren zu sein. Wenn sich ein solcher Theoretiker bewusst
wäre, dass er gerade durch seiner eingeengten Sichtweise in Wirklichkeit ganz unwissend
ist, könnte diese Erkenntnis vielleicht zu einem fruchtbaren Samen „für das
Erwecken des Bodhi-Geistes (des Erwachens)“ werden. Er müsste sich also seiner
eigenen Unwissenheit bewusst werden, sonst hat er keine Chance.
Ein handelnder Buddha wurde
niemals durch theoretische Vorstellungen und die eigene Unwissenheit
gefesselt und eingeengt. Er handelt fortwährend und ist nicht auf einen einzigen
Zustand im Bewusstsein fixiert:
„Die Lebenszeit, die ich durch meine ursprüngliche Praxis des Bodhisattva-Weges verwirklicht habe, ist auch jetzt nicht ausgeschöpft, sondern wird noch zweimal so lang sein wie die vorherige Anzahl (von Zeitaltern).“
Dieses
Zitat aus dem Lotos-Sūtra sagt nicht mehr oder weniger, als dass Buddha immer
weiter handeln wird, obgleich er nach der Vollendung des Bodhisattva-Weges das große
Erwachen eines Buddhas erfahren hat. Dabei darf die Lebenszeit eines
Bodhisattva nicht als Zeitstrecke verstanden werden, denn es geht nicht um die
lineare Zeit, die von der Vergangenheit in die Zukunft reicht, sondern
entscheidend ist jeder existenzielle
Augenblick des Handelns genau in der jeweiligen Gegenwart. „Die Lebenszeit, die ich durch meine ursprüngliche Praxis des Bodhisattva-Weges verwirklicht habe, ist auch jetzt nicht ausgeschöpft, sondern wird noch zweimal so lang sein wie die vorherige Anzahl (von Zeitaltern).“