Das Wesentliche der Buddha-Lehre ist unauflösbar mit dem Handeln
verbunden. Die Wirklichkeit gibt es nicht allein im Geist, wie sogar einige
buddhistische Schulen behaupten, sondern im Handeln von Körper-und-Geist. Wir
dürfen aber nicht nur die materiellen und körperlichen Dimensionen beim Handeln
als wesentlich erachten. Zusammengefasst kann man sagen, dass es keine Zeit,
keine Himmelsrichtungen, keinen Buddha und keine Aktionen ohne dieses reine,
ausgezeichnete Handeln gibt, das natürlich ist, aber keinesfalls banal, und
eine schwer zu erklärende Ausstrahlung besitzt. Wer so handelt, hat tiefe
innere Freude und Ruhe!
Durch das Handeln befreien wir uns von einengenden Begriffen und
Vorstellungen, auch wenn sie so heilig erscheinen wie „Buddha“ oder „Dharma“.
Wer an ihnen haftet und an sie gekettet ist, wird von Dōgen sogar als Dämon
bezeichnet! Besonders der Begriff Bodhi-Wahrheit
für das Erwachen zum höchsten Zustand kann uns fesseln, wenn wir nicht rein und
wahrhaftig handeln. Die sinnliche Wahrnehmung des Sehens und das Denken können
uns in ganz besonderer Weise in Fesseln legen. Dōgen formuliert es so:
„Wir gehen durch die Zeit einer
Vorstellung (Scheinwelt) hindurch, (sind) genau im Augenblick und erhoffen
nicht, dass es die Zeit der Befreiung (und Erleuchtung) ist. Wir würden (sonst das
Bodhi-Erwachen gründlich) missverstehen.“
Dieser Satz bedarf der Erläuterung. Ich interpretiere ihn so, dass wir
durch das Handeln die Zeit des Denkens, der Vorstellungen und des Bewusstseins über die Wahrheit ohne Schwierigkeiten durchlaufen und
hinter uns lassen. Würden wir darin stecken bleiben, dann würden wir das
Erwachen verfehlen. Nur im Augenblick selbst und nicht in einer Zeitstrecke der
Ideen und Vorstellungen gibt es Klarheit und Erwachen. Das hängt auch damit
zusammen, dass wir uns nicht vollständig darüber bewusst sind, dass der
Augenblick genau die Wirklichkeit und Befreiung ist. Diese übersteigt das
Denken und die Wahrnehmung, die zu langsam sind und die volle Wirklichkeit
niemals erfassen können.
Es kommt laut Dōgen darauf an, dass wir das Erwachen in
intuitiver Klarheit als unmittelbare Wirklichkeit erfahren, nicht mehr und
nicht weniger. Begriffe und Vorstellungen – nicht zuletzt diejenigen über die
Erleuchtung – können dabei sogar erheblich schaden. Das direkte klare Handeln
kann jedoch keine falsche Sichtweise und falsche Lebensphilosophie sein. Dōgen
schildert dann seinen eigenen Lernprozess:
„Ich erinnere mich (an
meine eigenen früheren Vorstellungen und Sichtweisen) genau: Ich habe mich
selbst ohne einen Strick gefesselt! Dies sind Fesselungen, die immer
wirksam waren und sich endlos fortsetzten.“
Das heißt, dass in unserem Leben ohne das Handeln im Augenblick ständig
falsche Ideen, Ideologien und Sichtweisen als schmerzhafte Fesselungen wirksam
sind, aus denen wir uns nicht ohne Weiteres befreien können. Es gibt dann keine
intuitive Klarheit und es gelingt uns überhaupt nicht, diese Vorstellungen und
diesen unklaren Geist durch Denken selbst zu verändern - noch nicht einmal zu
erkennen, dass reines Handeln im Augenblick Erwachen und Befreiung ist.
Das sind in der Tat radikale Aussagen, die in ihrer Eindeutigkeit nichts zu wünschen übriglassen. Dōgen stellt das reine, ungekünstelte Handeln des Menschen als Königsweg zur Wirklichkeit und Befreiung vor. In erster Linie meint er damit sicher die Zazen-Praxis, sie ist intuitive Klarheit und "Tiefen-Sanierung" des Selbst.