Ohne
eigene Erfahrung und Praxis ist es nach Dōgen nicht möglich, den höchsten Zustand, den man als Erwachen bezeichnet, zu erreichen. Heute
bezeichnen wir dies als Primär-Erfahrung.
Wer zum Beispiel in einem buddhistischen Land keine unverstellte Erfahrung der
Wirklichkeit hat, weil er schon alles durch die Brille einer buddhistischen
Dogmatik sieht, kann nicht erwachen; auch wenn er verbal fast alles über
Erwachen sagen kann. Dōgen empfindet tiefes Mitleid mit solchen fehlgeleiteten
Schülern, die diesem Irrglauben ohne Primär-Erfahrung anhängen, und er bedauert
besonders ihren negativen Einfluss auf andere Menschen:
„Die Wurzeln
des falschen Handelns dieser Menschen sind (leider) tief und fest.“
Die
schwere Last und Bürde, die diese Menschen tragen, haben sie allerdings leider
selbst erzeugt. Dōgen rät ihnen, diese Last fallen zu lassen und mit neuen Augen die Wirklichkeit des Lebens
anzuschauen. Denn wenn sie einfach in ihrem Raster weitermachen wie bisher,
besteht keine Chance zur Veränderung: Zen-Geist ist und Anfänger-Geist. Auch
die buddhistische Dogmatik ist dann ein Gefängnis und muss durch direktes Handeln im Gleichgewicht
geknackt werden!
Dōgen
bringt seine Ausführungen über die handelnden Buddhas auf den Punkt:
„Der
ungehinderte Zustand der Gegenwart des wahren und reinen Verhaltens des
handelnden Buddhas ist (nur) auf den Zustand
des Buddhas selbst fokussiert. In (diesem
Zustand) gibt es keinerlei Beschränkung, weil der kraftvolle Weg (im Alltag)
gemeistert worden ist, sich durch den Schlamm zu schleppen und im Wasser zu
stehen.“
Im
alten chinesischen Sprachgebrauch redet man stellvertretend für die
Schwierigkeiten des Alltags vom Waten durch den Schlamm und Stehen im Wasser.
Gleichzeitig beschreibt diese Redewendung das Handeln und die Bewegung. Es geht
also nicht um einen statischen Zustand, den manche fälschlicherweise mit
buddhistischen Begriffen assoziieren. Das kraftvolle Handeln der Buddhas und
erwachten Menschen wird nicht durch irgendwelche Blockaden behindert.
Insbesondere
wird es nicht durch Gedankenfixierungen, Ideologien und emotionale Barrieren
eingeschränkt. Der Zustand des handelnden Buddhas erfährt auch von außen keine
Einschränkung, sondern lebt aus sich selbst in voller Freiheit:
„Die handelnden Buddhas sind nur auf
sich selbst fokussiert.“
Etwas überraschend ist in diesem Zitat von „Fokussierung“ die
Rede. Wie ist das gemeint? Da dieses Selbst das große, geöffnete, unbegrenzte
Selbst und nicht das kleine isolierte Ich oder Ego ist, bedeutet die Aussage,
dass der ganze Kosmos, die anderen Menschen und das gesamte Universum
einbezogen werden. Es handelt sich also nicht um eine Abgrenzung im üblichen Sinne, sondern gerade um eine
Erweiterung, die weder durch innere Hindernisse und Grenzen noch durch äußere
einengende Einflüsse gefesselt wird. Fokussiert
heißt also, dass es keine verfälschenden Einflüsse gibt.
„(Das
Handeln der Buddhas) hat die Tugend der sich öffnenden Blumen.“
Dieser
Vergleich stellt einen Bezug zum Lotos-Sūtra her und wird im Zen-Buddhismus
vielfach als Symbol verwendet, um sowohl die Verbindung zu den konkreten Dingen
und Phänomenen wie Blumen und Pflanzen aufzubauen, als auch auf die Schönheit
dieser Welt hinzuweisen. Dōgen ergänzt hierzu, dass das Handeln
„die Tugend des Erscheinens der Welt
hat, ohne irgendeinen Abstand zwischen allen Dingen, Phänomenen und der
Wahrheit.“
Damit
weist er auf die in der Welt vorliegenden Fakten hin, die ein wesentlicher
Bestandteil des buddhistischen Handelns sind und nicht vernachlässigt werden
dürfen. Ein träumerischer Idealismus, der sich von Tatsachen und Fakten
verabschiedet hat, ist laut Dōgen ungeeignet, wenn man den buddhistischen Weg
gehen möchte. Der Dualismus, die Trennung von Subjekt und Objekt, muss
überwunden werden und dies vollzieht sich genau im reinen, wahren Handeln.