Montag, 1. Oktober 2012

Die handelnden Buddhas und das Universum



„Jene (Menschen), die sagen, dass die Buddhas sich nur im menschlichen Bereich manifestieren, sind von der äußeren Peripherie der großen Meister aus (nicht weit in den Buddha-Dharma) hineingekommen.“

Damit möchte Dōgen ausdrücken, dass die Buddhas nicht auf die menschliche Welt beschränkt sind, sondern die Natur und das ganze Universum einbeziehen. Die großen Meister, die diese Tatsache erfasst haben, haben also eine fundamentale Grenze und Schwelle weit hinter sich gelassen, welche die gewöhnlichen Menschen nur teilweise und nur ein kleines Stück überschreiten. In einem anderen Kapitel führt Dōgen aus, dass die Natur selbst den Dharma lehrt, also selbst die Wirklichkeit ist.

Dann zitiert Dōgen seinen eigenen Meister Tendō Nyojō:
„Shākyamuni Buddha ging in den Tushita-Himmel, um die Götter von Tushita zu lehren, nachdem er die Übertragung des wahren Dharma vom Kāshyapa Buddha empfangen hat, und er ist jetzt noch dort.“

Vorab ein paar Hinweise zu den im Zitat genannten Namen: Kāshyapa Buddha ist ein legendärer Buddha, der vor der Zeit von Shākyamuni Buddha in der Welt war. Tushita ist nach alter indischer Legende ein Himmel, in dem die Götter leben. Aber diese Götter sind nicht auf Ewigkeit dort, sondern müssen wiedergeboren werden, wenn sie ihr gutes Karma aufgebraucht haben. Dōgen verwendet dieses Gleichnis, um herauszuarbeiten, dass Shākyamuni Buddha nicht auf die Menschenwelt beschränkt ist und durch sein Lehren immer weiter tätig bleibt. Sein Handeln findet also niemals ein Ende.

Die Lehre, dass Gautama Buddha nach seinem Dahinscheiden in das Nirvāna eingegangen ist, wird im Lotos-Sūtra als „geschicktes Mittel“ verwendet, um die Menschen zu lehren. Dōgen betont, dass für die buddhistischen Schüler Buddhas Sprache, sein Handeln und sein Lehren in der menschlichen Welt nur eine bestimmte Dimension seines umfassenden Wirkens darstellen. Dies gilt für die unzähligen Veränderungen und Verwandlungen seines Lehrens. Das Handeln der Buddhas überschreitet alle Lehren und Theorien über die Zeit, also zum Beispiel über die lineare Zeit. Aber das Handeln überschreitet auch die Lehre vom Augenblick, denn ohne Tun und Handeln ist auch dies nur eine theoretische Lehre, über die das reale Handeln als direkte Wirklichkeit weit hinausgeht. Diese Wahrheit ist laut Dōgen im Buddhismus authentisch übermittelt, aber sie ist leider für viele Menschen eine völlig unbekannte Qualität.

„An den Orten, an denen der handelnde Buddha die Lehre erweckt, existieren Lebewesen jenseits von (der Aussage) ‚der vier Arten der Geburt‘ und es mögen Orte jenseits von den Begriffen ‚Himmel über uns‘; menschlicher Bereich’; Welt des Dharma‘ und Ähnlichen existieren.“

Mit dieser Aufzählung sind Formulierungen und Ideen gemeint, die lediglich auf der Begriffs- und Denkebene des Buddhismus stehen bleiben und die Wirklichkeit des Handelns nicht erreichen können. Laut Dōgen kann man mit den Augen der Götter im Himmel und noch weniger mit den menschlichen Augen kaum einen Eindruck vom reinen, wahren Handeln der Buddhas bekommen – vor allem aber nicht mit emotionsgesteuertem Denken: „Habt nicht das Ziel, (das wahre Handeln) mit solchen Mitteln auszuloten.“

Diese Mittel seien ungeeignete „Werkzeuge“ und selbst die Bodhisattvas seien dazu nicht in der Lage, stellt Dōgen fest und ergänzt: „Wie viel weniger kann der berechnende Verstand der menschlichen Welt und des Himmels, der über (uns ist), das erreichen.“ Das menschliche, angesammelte Wissen sei kurz und schmal, genau wie die menschliche Überlegung. Außerdem sei unsere Lebensdauer begrenzt, wie zusammengepresst, und dies gelte auch für den Intellekt. Damit könne das Verhalten der handelnden Buddhas unmöglich erfasst werden. Dōgen warnt uns davor, dass wir die menschliche Welt mit dem Buddha-Dharma gleichsetzen und dass wir gewöhnliche „menschliche Methoden“ so betrachten, als ob sie der Buddha-Dharma seien. Menschen, die das glauben, sind durch ihr eigenes Verhalten und ihr Karma gefangen und können sich nicht befreien. Dōgen drückt es folgendermaßen aus:

„Sie haben niemals das Hören des Buddha-Dharma durch Körper-und-Geist erfahren und sie haben niemals einen Körper-und-Geist besessen, der die Wahrheit praktizierte.“