Dōgen
eröffnet einen radikal neuen Aspekt des Handelns: Der Zustand des handelnden Buddhas „lehrt die
menschlichen Wesen“. Mit dieser interessanten Formulierung sagt Dōgen nicht,
dass Gautama Buddha als eine bestimmte historische Person die Menschen lehrt, sondern dass sein Handeln, sein wahres, reines Handeln uns lehrt. Dieses Handeln ist gleichzeitig die Tugend und die Wirklichkeit, und diese sind die
Tatsachen der Welt und unseres Lebens. Genau bei diesem Buddha-Handeln gibt es keine Trennung zwischen der Wirklichkeit und
uns und es besteht nach Dōgen keine Abtrennung zwischen uns selbst und anderen Menschen, zwischen
Subjekt und Objekt. Und dieses Handeln als Befreiung
ist unser natürlicher Zustand und steht uns daher allen offen.
Das
Lotus-Sūtra vergleicht diesen Zustand mit den „sich
öffnenden Blumen“, sodass sich auch die Schönheit genau dann ereignet
und verwirklicht. Damit werden die Worte überschritten, wie es auch Meister Ungo Doyo ausdrückt: „Dann sind viele
Worte nicht nützlich.“ Obgleich Dōgen ohne Zweifel geschriebenes und
gesprochenes Wort des Buddha-Dharma sehr hoch schätzt, kennt er sehr wohl die
Grenzen und Möglichkeiten der Sprache und schätzt das wahre, reine Handeln als
Kern des Buddhismus höher ein. Der Mensch ist sozusagen vor Allem der Träger
des Handelns und der Handlungen, das Handeln selbst ist die Hauptsache und es
ist die Wirklichkeit. Nach meiner festen Überzeugung ist dies die tiefe
Bedeutung des Sanskrit-Wortes Karma. Das
Karma prägt unser Leben ganz entscheidend.
Dabei ist falsches Handeln unnatürlich und hat negative Folgen für das
nachfolgende Leben. Wahres Handeln ist Freiheit und Einheit.
Eine
solche Lebensphilosophie des Handelns als Wirklichkeit und Befreiung ist im
Westen kaum bekannt. Hier steht der Mensch als physische und psychische Einheit
im Mittelpunkt, fast wie ein „Ding mit Geist“ und Bewusstsein. Man betrachtet
ihn als Individuum, das bestimmte Gefühlen und Ideen besitzt und sich mehr oder
minder bewusst entscheiden kann. Der Mensch ist danach eine genau definierte
und abgegrenzte Person, er ist da und
handelt dann. Seit den Anfängen der griechischen Philosophie sind zudem das
Handeln und philosophische Denken
voneinander weitgehend getrennt. Bei den
antiken Griechen wird das Handeln grundsätzlich geringer geschätzt als Denken
und Reden, sie stehen – vor allem im Dialog – wie bei Platon im Mittelpunkt.
Bei Dōgen wird die Trennung zwischen dem Ich und den anderen aber gerade durch
das Handeln aufgehoben, im Handeln finden wir die ersehnte Einheit wieder:
„Genau hier und jetzt kommt (das wahre Handeln) vom Tushita-Himmel. Genau hier und jetzt geht es (das wahre Handeln) zum Frieden
und zum Glück.“
Die Bezeichnung „Tushita-Himmel“ wird bisweilen für den Himmel des Amitabha-Buddha
verwendet; Dōgen meint damit auch die Zazen-Praxis. Dadurch wird deutlich: Die
Zazen-Praxis ist also keine Askese, keine anstrengende Trainingseinheit für ein
schwer zu erreichendes Ziel. Es geht auch nicht darum, Schmerzen auszuhalten,
Härte zu zeigen und sich selbst zu beweisen, was man alles durchstehen kann,
sondern Zazen ist der Zustand des Friedens und des Glücks, es ist Handeln in
der reinsten Form und es ist Befreiung.