Dōgen
fordert dazu auf, uns beim Handeln über die folgenden Fragen Gedanken zu
machen:
„Was ist Leben und was ist Tod? Was sind
Körper und Geist? Was sind Geben und Nehmen? Was bedeutet, (etwas) sich selbst
zu überlassen oder sich (dem) entgegenzustellen. Sind (diese Überlegungen) ein
Verlassen oder Eintreten durch ein gewöhnliches Tor, ohne dass sich irgendein
Treffen ereignet?“
Dōgen
hat hier aber keine rein philosophischen Fragen und Antworten im Sinn, sondern
diese Überlegungen beziehen sich auf das wahre und reine Handeln. Man könnte es
etwa so formulieren: Was bedeutet Leben und was
bedeutet Tod für das Handeln eines Erwachten und was war es für die alten
Meister in Indien und China?
Leider glauben einige Zen-Buddhisten,
jede Fragestellung und jede Überlegung sei auf dem Buddha-Weg überflüssig oder sogar gefährlich. In manchen buddhistischen Gruppen
ist es weitgehend unüblich, überhaupt Fragen zu stellen, Alternativen zu
überlegen und mit der Vernunft in den Buddha-Dharma einzudringen. Mit den oben
zitierten Grundsatzfragen zum Leben und zum Tod, zum Körper und zum Geist
erteilt Dōgen einer solchen Haltung eine gründliche Absage. Alle wichtigen
Begriffe im Zusammenhang mit dem Handeln sollen hinterfragt werden: zum
Beispiel Geben, Nehmen und Verlassen. Das trägt dazu
bei, dass wir zum Kern des wahren Handelns und des wahren Buddhismus vordringen
und es vor allem auch realisieren können.
Das Symbol des Tores wird im
Zen-Buddhismus häufig dafür verwendet, dass man zur Befreiung und zum Erwachen
kommt. Aber auch dies sind zunächst nur
Vorstellungen und Begriffe, die erst mit Handeln und Leben erfüllt werden
müssen. Theorie und Praxis, Handeln und Ergebnis fallen im Augenblick der
Wirklichkeit zusammen und werden existenziell als Einheit erfahren.
Dōgen behandelt viele
Bereiche der buddhistischen Lehre mit den jeweils damit verbundenen Begriffen.
Dabei geht es immer darum, die Ebene der Begriffe zu verlassen und zum wahren
Handeln vorzustoßen.
Als
Nächstes fragt er, ob auf tiefschürfendes
Denken schließlich Verstehen folgt und ob wir durch Denken Reife erlangen, was
dann Wissen zur Folge hat. Zweifellos war Dōgen ein Mensch mit extrem hoher
Intelligenz und genialen geistigen Potenzialen. Wir wissen, dass er in jungen
Jahren in kurzer Zeit die buddhistische Lehre – vor allem auf der Grundlage des
Lotos-Sūtra – aufarbeitete und dass er kaum intellektuelle Grenzen bei seiner
philosophischen Arbeit erfahren hat. Wir wissen auch, dass ihn eine ungewöhnliche
Ehrlichkeit und Klarheit sich selbst gegenüber auszeichnete.
Deshalb war er vor seiner Chinareise auch überzeugt davon, die von ihm
angestrebte Erleuchtung noch nicht erlangt zu haben.
Erst
bei seinem chinesischen Meister Tendō Nyojō fand er die umfassende Einheit von
Theorie, praktischem Handeln und Ethik, verbunden mit der Praxis des Zazen,
sodass die bis dahin unüberwindbaren Hürden in seiner eigenen Entwicklung verschwanden. Wenn er gerade beim wahren Handeln
zentrale Fragen an die Vernunft stellt, wird klar, dass wir geistige
Tätigkeiten auf keinen Fall gering schätzen dürfen, sondern im Gegenteil die
durch die Praxis sich ergebende Klarheit auch im Denken und intuitiven
Verstehen realisieren sollen.
Dōgen bittet, unsere
Untersuchungen ganz konkret im Einzelnen durchzuführen und uns dabei nicht in weitschweifigen Abstraktionen zu verlieren.