Im
folgenden Zitat schildert Dōgen die Lebensweise und die Praxis derjenigen
Menschen, die sich durch Handeln verwirklichen und im Gleichgewicht befinden:
„Wenn die
große Wahrheit (klar und) offen erreicht ist, das Leben zu verstehen und den
Tod zu meistern, gibt es dafür eine alte Formulierung: ‚Die großen Heiligen
überlassen Leben-und-Tod ganz dem Geist, ganz dem Körper, und ganz der
Wahrheit. Sie überlassen Leben-und-Tod dem Leben-und-Tod (selbst).‘“
Wenn
man im Gleichgewicht lebt, kann man die Sorgen des täglichen Lebens und das
Leiden hinter sich lassen und die Ängste und Beklemmungen im Hinblick auf
Alter, Krankheit und Tod auflösen. Solche emotionalen Verdüsterungen verlieren
also im Augenblick des wahren Handelns ihre psychische Energie und können uns nicht mehr schaden und blockieren.
„Das wahre,
reine Handeln der Buddhas wird augenblicklich praktiziert und ist umfassend und
ganzheitlich. Es überschreitet Zeitvorstellungen der Vergangenheit und
Gegenwart. Die Wahrheit bildet einen Kreis und (der Zustand des handelnden
Buddhas kann) intuitiv die große Bedeutung von Leben-und-Tod und
Körper-und-Geist erfassen und annehmen.“
Der
Kreis steht hier als Symbol für die Ganzheit und Einheit von Selbst und
Universum, also für Wahrheit und Wirklichkeit.
Dann
unterstreicht Dōgen noch einmal, dass gewaltsames,
willentliches oder ideologisches Handeln nicht mit dem umfassenden
Praktizieren und der vollen Klärung, die identisch mit der Zazen-Praxis sind,
gleichgesetzt werden kann. Diese Praxis
charakterisiert Dōgen wie im Fukan
zazengi, indem er sagt, dass wir dabei das
Licht nach innen wenden, wo es sich widerspiegelt und uns leuchten lässt.
Die wahren Handlungen haben zwar manchmal eine gewisse Ähnlichkeit mit einem in
Täuschung befindlichen Gehirn, das aber gerade dadurch die Schatten der
Wahrheit und Wirklichkeit erkennt. Damit stellt Dōgen einen direkten
Bezug zum Zustand von Körper-und-Geist im wahren Handeln der Zazen-Praxis her
und bezeichnet gleichzeitig das Denken des Gehirns als Möglichkeit, durch Handeln zumindest die
Schatten der Wirklichkeit zu erkennen. Die Wirklichkeit selbst ist jedoch nur
durch das reine, wahre Handeln zu erlangen, wenn die Unklarheiten der
Täuschungen verschwunden sind.
Interessante
Parallelen ergeben sich hierzu durch den Vergleich mit dem berühmten
Höhlengleichnis von Platon, das besagt, dass gewöhnliche Menschen die
Wirklichkeit nur wie eine Schattendarstellung an der Wand der Höhle wahrnehmen.
Die Wirklichkeit selbst sei ihnen aber überhaupt nicht zugänglich. Erst wenn
man die Höhle verlässt, habe man die Möglichkeit, in der Wirklichkeit der Welt
zu erkennen. Allerdings glaubt Platon daran, dass dies durch den Geist und durch
Denken möglich sei und dass die Philosophie das entscheidende Werkzeug dafür
ist.
Diese
Ansicht steht im klaren Gegensatz zu Dōgens Lehre, die eindeutig aussagt, dass selbst
mit scharfsinnigem Denken allein die Wirklichkeit nicht erreichbar ist und dass
man aus dem Schattendasein des Lebens durch Denken nicht herauskommen kann. Es
besteht laut Dōgen sogar im Gegenteil die Gefahr, dass das unterscheidende
Denken uns immer tiefer in die „schwarzen Höhlen“ der Verwirrung führt.
Dōgen
beschreibt das wahre Handeln auch als „ein Leuchten jenseits des (üblichen)
Leuchtens.