Eine
besonders enge Verknüpfung der Himmlischen Verweilungen mit dem Zen gibt es
durch deren vierten Bereich, den man mit Gleichmut
übersetzen kann. Hierbei werden die Gefühle des Leidens und der seichten Freuden
überwunden, allerdings ohne dass eine desinteressierte Gleichgültigkeit
entsteht. Das wäre der falsche Weg, denn die Gleichmut ist ein wichtiger
Bestandteil der Himmlischen Verweilungen und damit des Zustandes des Erwachens
und der Erleuchtung. Wenn Dōgen davon spricht, dass wir beim Zazen unser wahres Selbst, also die
Buddha-Natur, empfangen und Körper und Geist fallen lassen, trifft dies
zweifellos das Wesentliche des Gleichmuts im Umgang mit sich selbst und mit
anderen Menschen.
Bei
der Analyse der Himmlischen Verweilungen unterscheidet Sylvia Kolk die drei
Dimensionen der Ethik, Psychologie und Spiritualität.
Ethik bedeutet im Sinne des
Zen-Buddhismus selbstverständliches, ganz natürliches Handeln, ohne auf den
eigenen Vorteil zu achten und ohne erlernte,
angeblich ethische Ideologien zu kopieren. Dieses Leitbild des
Bodhisattva-Handelns ist gerade im Zen-Buddhismus von prägender Bedeutung.
Dōgen hat in dem Kapitel über ethisch richtiges Handeln genau den Augenblick,
in dem wir etwas tun oder unterlassen, in den Mittelpunkt gestellt. Das Böse
gibt es demnach nicht als eigenständige Entität in der Welt, sondern es wird
durch das Handeln der Menschen gewissermaßen
künstlich erzeugt, obgleich es eigentlich nicht da sein müsste.
Durch
diese Konkretisierung der Ethik auf den Augenblick des richtigen oder falschen
Handelns wird im Zen-Buddhismus eine unnötige Abstraktion vermieden. Dōgen
fordert uns auf, ganz konkret im Augenblick unser eigenes Handeln zu beobachten und uns klar zu werden,
was wir tun und welche Folgewirkung sich daraus ergibt. Alle Wirkungen unseres
Handelns – wie zum Beispiel die Zerstörung der Umwelt und der Ökosysteme –
betreffen uns selbst, aber auch andere Menschen, sogar spätere Generationen.
Dass
unsere Gefühle unauflösbar mit psychischen
Dimensionen verknüpft sind, wird sicher niemand bezweifeln. Oft sind die
Gefühle sogar wesentlich kräftiger und eindeutiger, als die verbalen Äußerungen
eines Menschen. Basis einer jeden Psychotherapie ist es zum Beispiel, die
Gefühle des Patienten anzusprechen, zu erkennen und in den Heilungsprozess
einzubringen. Die wahren Gefühle werden nämlich oft wegrationalisiert,
depressiv oder selbstüberschätzend verzerrt; verhärtete Vorstellungen müssen
aufgebrochen werden, damit psychische Heilung gelingt. Wir müssen
sozusagen unsere eigenen Käfige verschrotten. Sylvia
Kolk erläutert hierzu: „Die Praxis der Brahmaviharas ist eine sanfte Disziplin,
die vom Herzen ausgeht und das Herz berührt. Sie ist innere Stärke und äußere
Sanftheit.“
In
der spirituellen Dimension geht es
vor allem um die Einheit mit der Achtsamkeit und dem Samādhi und damit um die
ganz praktische Verwirklichung des Achtfachen
Pfades. Die spirituelle Erleuchtungsebene ist nach der Lehre von Dōgen und
Nishijima Roshi die vierte und höchste Lebensphilosophie, die durch die
Zazen-Praxis verwirklicht wird und auch die Bereiche der Ideen, des Denkens,
der sinnlichen Wahrnehmung, die materielle Dimension und vor allem das Handeln umfasst und erleuchtet.
Gautama
Buddha arbeitet in der kleinen Lehrrede
von Asapura heraus, dass ein
Mönch Gier, Hass, Zorn, Feindschaft, Heuchelei, Böswilligkeit, Ungeduld,
Selbstsucht, Verrat, Vortäuschung, Boshaftigkeit und falsche Sichtweise ablegen
muss. Nur dann sei er ein wahrer buddhistischer Mönch oder, wie es in den
frühen Schriften heißt, ein Hausloser.
Aus
der psychologischen Perspektive geht es also zunächst
darum, solche Gefühle bei sich selbst zu erkennen, sie nicht zu beschönigen und
zu verdrängen. Dass das nicht einfach ist, wird sicher jeder Psychotherapeut
ohne Zögern bestätigen. Derartige Ziele sind leichter formuliert als
realisiert. Trotzdem ist es wichtig, sie auf der Ebene der Ideen und Ethik klar
zu formulieren, wohl wissend, dass dies nur die erste Phase der idealistischen
Lebensphilosophie ist. Es kommt dann darauf an, sich selbst sehr genau zu
beobachten, seine eigenen Interaktionen präzise wahrzunehmen und die Dinge und
Phänomene ganz genau zu betrachten, ohne sie zu beschönigen und zu verzerren.