Die sogenannten Himmlischen Verweilungen sind
zentraler Bestandteile des Buddhismus. Sie umfassen
die
liebevolle Zuwendung, das Mitgefühl, die Mitfreude und die Gleichmut.
Sie heißen im Pali brahmaviharas und sind eng mit den Grundlagen der Achtsamkeit verknüpft. Zudem bilden sie meines
Erachtens mit dem Samādhi und den vier Vertiefungen, also nicht zuletzt des
Zazen, eine unauflösbare Einheit und sind mit den
Begriffen der Unermesslichkeit und der grenzenlosen Ausdehnung verbunden.
Eine verkürzt verstandene Achtsamkeit, die nur das Ich in den Mittelpunkt stellt und nur den
Erregungen einer solchen Ich-Zentrierung nachspürt, ist in der großen Gefahr,
im „modernen“ Individualismus stecken zu bleiben und die Öffnung für andere
Menschen gerade nicht zu ermöglichen. Das ist kein Buddhismus. Den die
liebevolle Zuwendung als Himmlische Verweilung ist genau das Gegenteil der
Ego-Zentrierung und Abgrenzung von anderen, sei es auch nur in der Meditation
oder – und das nicht zuletzt – im täglichen Handeln in den sozialen Gemeinschaften.
Die bekannte buddhistische Lehrerin Sylvia Kolk überträgt den Pali-Begriff brahmavihara folgendermaßen ins Deutsche:
„Brahmavihara
wird übersetzt mit göttliche Verweilungsstätte, göttlicher Verweilungszustand oder
mit himmlische Verweilung.“
Was ist damit gemeint? Kolk erklärt es so: „Brahma ist einer der höchsten Götter im
alten Indien und stellt sinnbildlich die Quelle der Liebe dar. Vihara ist die
Verweilungsstätte.“
Die drei Zustände und Handlungsweisen der
liebevollen Zuwendung, des Mitgefühls und der Mitfreude werden – neben dem Gleichmut – als Glückszustände von hoher Qualität
betrachtet und deshalb als „himmlisch“ bezeichnet. Das ist aus meiner Sicht von
großer Bedeutung, denn es geht dabei keinesfalls um asketische Entsagung
zugunsten anderer, um das Versinken in eigenes Leiden durch das Mitgefühl zu
anderen oder um Gottgefälligkeit aus Angst vor Strafe oder schlechter
Wiedergeburt. Sondern es geht zum Beispiel um befreiendes Mitfreuen, wenn es
anderen gut geht und sie in Glück und Freude leben. Im Klartext heißt dies
schlicht und einfach, dass wir selbst glückhafte, „himmlische“ Zustände
erleben, wenn wir selbst solche Gefühle haben und sie handelnd umsetzen.
Wenn sich Menschen also aufgrund einer falsch
verstandenen Lehre von anderen isolieren, gefühlsmäßig verkümmern, ein
freudloses Leben führen und sich vor allem mit anderen Menschen aus vollem
Herzen nicht mehr freuen können, dann ist das kein Buddhismus, sondern eine
soziale und spirituelle Fehlentwicklung!
Die vier Himmlischen Verweilungen sind wesentliche
Bereiche jedes Erleuchtungsweges und untrennbar mit dem Erwachen und der
Erleuchtung verknüpft. Wer sich für andere Menschen nicht lebendig öffnen kann,
wer kein Mitgefühl hat und sich nicht mit anderen freuen kann, wird aus meiner
Sicht auf dem Buddha-Weg scheitern, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht.
Er wird weder die erste und schon gar nicht die zweite Erleuchtung nach
Nishijima Roshi wirklich erleben.
Ich bin sicher, dass alle großen Zen-Meister die
Lehre und Praxis der Achtsamkeit, des Samādhi
und nicht zuletzt der Himmlischen
Verweilungen verwirklicht haben.