Meister Daisho verwendet für den indischen Gelehrten den Ausdruck „Geist
eines wilden Fuchses“, der im Shōbōgenzō
mehrere Bedeutungen hat, bei denen es aber immer um unergründliche mystische
Eigenschaften eines Menschen geht. Im Kapitel „Sich niederwerfen und das Mark
der Wahrheit erlangen“ überwiegt bei dieser Formulierung der positive Aspekt
eines großen Menschen.
Nishijima und Cross erläutern dazu, dass damit der „unergründliche
mystische Aspekt eines (guten) Lehrers“ gemeint ist; insofern stimme der
Ausdruck mit dem Thema des vorliegenden Kapitels überein, nämlich dass der
umfassende Buddha-Geist eines erleuchteten Meisters nicht erfasst werden kann.
Wir kennen eine ähnliche Bedeutung der Formulierung „Geist eines wilden
Fuchses“ in unserer westlichen Kultur nicht. In unseren Märchen wird der Fuchs
als geschickt und schlau, aber auch als verschlagen und moralisch unzuverlässig
beschrieben. Die Bedeutung des Geistes eines Fuchses im alten China ist sehr
viel tiefgründiger. Generell sind dort negative Bewertungen von Tieren selten,
und diese werden nicht als Schimpfnamen benutzt, wie bei uns etwa in den
Ausdrücken „doofes Schaf“, „dumme Kuh“ oder „falsche Schlange“. Auch darin
kommt die hohe Wertschätzung der Tiere und der gesamten lebenden und
„nicht-lebenden“ Natur im Buddhismus klar zum Ausdruck.
Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass in den buddhistischen
Übertragungslinien, die an die Wiedergeburt glauben, Inkarnationen als Tiere
möglich sind und dass die Inkarnation über einen Hund zum „Wiederaufstieg“ ins
menschliche Leben führt, dann wird deutlich, dass die negative Abgrenzung der
Tiere gegenüber dem Menschen wie bei uns im Westen so nicht existiert. Die
westliche Philosophie hat immer wieder versucht, den grundsätzlichen Unterschied
zwischen den Menschen und den Tieren herauszuarbeiten und die Einzigartigkeit
und Überlegenheit des Menschen zu betonen.
Wenn Meister Daisho also den Gelehrten Sanzō als Geist eines wilden
Fuchses bezeichnet, meint er sicher damit, dass Sanzō sich zwar als mystisch
erleuchteter Mensch ausgegeben hat, dies aber in Wirklichkeit überhaupt nicht
ist. Die Ironie in Daishos Kritik ist dabei nicht zu überhören. Im Deutschen
würden wir Sanzō zum Beispiel einen „falschen Heiligen“ nennen.
Bei
dieser recht harschen Kritik blieb der indische Gelehrte sprachlos;
offensichtlich war er nicht in der Lage, auf der Ebene des Meisters ein
tiefgehendes Gespräch im Sinne des Buddha-Dharma zu führen. Der indische
Gelehrte konnte also keineswegs den Geist des großen Meisters Daisho erkennen,
wie er zuvor gegenüber dem Kaiser selbstgerecht behauptet hatte.
Dōgen verdeutlicht darüber
hinaus, dass der Gelehrte nicht einmal einfache Gedanken des anderen lesen
konnte, die doch im Allgemeinen recht konkret sind und im direkten Kontakt mit
einer bestimmten Umgebung und in einem bestimmten Zusammenhang leichter erraten
werden können.
Wie viel schwieriger sei es,
den umfassenden Geist eines anderen zu erkennen, und dies umso mehr, wenn es
sich um den Geist eines großen Meisters und ewigen Buddhas wie Daisho handle. Gelehrtes Wissen, die
Beherrschung mehrerer Sprachen und selbstsichere Behauptungen haben also wenig
mit der Fähigkeit zu tun, den Geist von anderen oder von sich selbst zu
erkennen.