Dienstag, 20. Mai 2014

Buddha-Dharma: Die höchste Stufe des Geistes


Die zentrale Frage beim Erkennen des Geistes lautet:
Ist die Aussage des indischen Gelehrten, dass er den Geist anderer erkennen könne, auf dem Buddha-Dharma gegründet oder nicht?
Dōgen vertieft seine Überlegungen, indem er fragt, was im Sinne von Buddhas Wahrheit die Wirklichkeit der anderen Menschen ist. Dasselbe gilt für den Geist und die Kraft, diesen zu kennen. Er sagt:

„Aber was dieser Gelehrte Sanzō jetzt sagt, ist überhaupt nicht im Einklang mit Buddhas Wahrheit. Wie könnte es der Buddha-Dharma genannt werden?“

Und er fügt hinzu:
Selbst wenn (Sanzō) irgendetwas beim dritten Mal sagen würde, wäre es wie bei den beiden ersten Malen entgegengesetzt zu den Prinzipien des Buddha-Dharma und entgegengesetzt zur grundlegenden Absicht des Landesmeisters. Es muss kritisiert werden.“

Mit dieser klaren Feststellung unterscheidet sich Dōgen von den alten anderen Zen-Meistern, die sich vor allem auf das dritte Mal der Frage konzentrieren, als der Gelehrte keine Antwort mehr geben konnte. Dōgens Einschätzung scheint in der Tat plausibel, weil der Meister sicher nicht genau dieselbe Frage wiederholt hätte, wenn die beiden ersten Antworten im Sinne des Buddha-Dharma korrekt und angemessen gewesen wären. Beim dritten Mal wurde für den Landesmeister klar, dass er die Frage beliebig häufig hätte wiederholen können, ohne dass er eine ausreichende Antwort erhalten hätte.

Außerdem bezweifelt Dōgen, dass die anderen verehrten alten Meister selbst den Körper-und-Geist des Landesmeisters Daisho wirklich kennen. Ihre Aussagen zeigten ihm, dass sie nicht auf der höchsten Ebene von Meister Daisho seien. Dessen Ebene schätzt er auch höher ein als den höchsten Zustand der Bodhisattvas, deren Entwicklung in 52 Stufen unterteilt wird. Die zweithöchste Stufe ist das Gewahrsam im Gleichgewicht und die höchste das subtile Gewahrsam.

Letzteres wird nach alter indischer Legende im sogenannten Tushita-Himmel erreicht. Gemäß dieser Lehre kommt der Bodhisattva nach seiner höchsten Stufe aus dem Tushita-Himmel wieder auf die Erde und wird dann ein Buddha. Vereinfacht ausgedrückt kann man Dōgen so verstehen, dass er den Meister Daisho als Buddha ansieht, der die 52 Stufen des Bodhisattva bereits durchlaufen hat. Für einen gewöhnlichen Menschen wie Sanzō ist es deshalb natürlich völlig unmöglich, den höchsten Zustand des Landesmeisters zu kennen.

Wir müssen (die Wahrheit) dieses Grundprinzips klar bestimmen. Wenn (Menschen) behaupten, dass auch Sanzō den Körper-und-Geist kennt oder erlangen würde, liegt dies daran, dass sie selbst den Körper-und-Geist des Landesmeisters nicht kennen.“

Damit will Dōgen jedoch sicher nicht sagen, dass er die zitierten ehrwürdigen Zen-Meister als gewöhnliche Menschen einschätzt. Er fügt hinzu, dass viele Anhänger des frühen Buddhismus ebenfalls nicht mit diesem Landesmeister verglichen werden können und dass sie ihn nur peripher erkennen können.

Der Körper-und-Geist des Landesmeisters kann nicht einmal von Menschen erfasst werden, die übersinnliche Kräfte erwerben oder die Praxis und (davon getrennte) Erfahrung erlangen.“

Denn bei der Trennung von Praxis-und-Erfahrung entsteht nach Dōgen die Befleckung, insbesondere wenn mit dem Ziel der eigenen zukünftigen Erleuchtung praktiziert wird. Nur in der Einheit von Praxis-und-Erfahrung der großen Wahrheit im gegenwärtigen Augenblick ist die Wirklichkeit und Erleuchtung vorhanden. Das betont er vor allem im Fukan zazengi und in mehreren Kapiteln im Shōbōgenzō.