Die zentrale Frage beim Erkennen des Geistes lautet:
Ist die
Aussage des indischen Gelehrten, dass er den Geist anderer erkennen könne, auf
dem Buddha-Dharma gegründet oder nicht?
Dōgen vertieft seine Überlegungen, indem er fragt, was im Sinne von
Buddhas Wahrheit die Wirklichkeit der anderen Menschen ist. Dasselbe gilt für
den Geist und die Kraft, diesen zu kennen. Er sagt:
„Aber was
dieser Gelehrte Sanzō jetzt sagt, ist überhaupt nicht im Einklang mit Buddhas
Wahrheit. Wie könnte es der Buddha-Dharma genannt werden?“
Und er fügt hinzu:
„Selbst wenn
(Sanzō) irgendetwas beim dritten Mal sagen würde, wäre es wie bei den beiden
ersten Malen entgegengesetzt zu den Prinzipien des Buddha-Dharma und
entgegengesetzt zur grundlegenden Absicht des Landesmeisters. Es muss
kritisiert werden.“
Mit dieser klaren Feststellung unterscheidet sich Dōgen von den alten anderen
Zen-Meistern, die sich vor allem auf das dritte Mal der Frage konzentrieren,
als der Gelehrte keine Antwort mehr geben konnte. Dōgens Einschätzung scheint
in der Tat plausibel, weil der Meister sicher nicht genau dieselbe Frage
wiederholt hätte, wenn die beiden ersten Antworten im Sinne des Buddha-Dharma
korrekt und angemessen gewesen wären. Beim dritten Mal wurde für den
Landesmeister klar, dass er die Frage beliebig häufig hätte wiederholen können,
ohne dass er eine ausreichende Antwort erhalten hätte.
Außerdem bezweifelt Dōgen, dass die anderen verehrten alten Meister
selbst den Körper-und-Geist des Landesmeisters Daisho wirklich kennen. Ihre
Aussagen zeigten ihm, dass sie nicht auf der höchsten Ebene von Meister Daisho
seien. Dessen Ebene schätzt er auch höher ein als den höchsten Zustand der
Bodhisattvas, deren Entwicklung in 52 Stufen unterteilt wird. Die zweithöchste
Stufe ist das Gewahrsam im Gleichgewicht und die höchste das subtile Gewahrsam.
Letzteres wird nach alter indischer Legende im sogenannten Tushita-Himmel erreicht. Gemäß dieser
Lehre kommt der Bodhisattva nach seiner höchsten Stufe aus dem Tushita-Himmel
wieder auf die Erde und wird dann ein Buddha. Vereinfacht ausgedrückt kann man
Dōgen so verstehen, dass er den Meister Daisho als Buddha ansieht, der die 52 Stufen des Bodhisattva bereits
durchlaufen hat. Für einen gewöhnlichen Menschen wie Sanzō ist es deshalb
natürlich völlig unmöglich, den höchsten Zustand des Landesmeisters zu kennen.
„Wir müssen
(die Wahrheit) dieses Grundprinzips klar bestimmen. Wenn (Menschen) behaupten,
dass auch Sanzō den Körper-und-Geist kennt oder erlangen würde, liegt dies
daran, dass sie selbst den Körper-und-Geist des Landesmeisters nicht kennen.“
Damit will Dōgen jedoch sicher nicht sagen, dass er die zitierten
ehrwürdigen Zen-Meister als gewöhnliche Menschen einschätzt. Er fügt hinzu,
dass viele Anhänger des frühen Buddhismus ebenfalls nicht mit diesem
Landesmeister verglichen werden können und dass sie ihn nur peripher erkennen
können.
„Der
Körper-und-Geist des Landesmeisters kann nicht einmal von Menschen erfasst
werden, die übersinnliche Kräfte erwerben oder die Praxis und (davon getrennte)
Erfahrung erlangen.“
Denn bei der Trennung von Praxis-und-Erfahrung entsteht nach Dōgen die
Befleckung, insbesondere wenn mit dem Ziel der eigenen zukünftigen Erleuchtung
praktiziert wird. Nur in der Einheit von Praxis-und-Erfahrung der großen
Wahrheit im gegenwärtigen Augenblick ist die Wirklichkeit und Erleuchtung
vorhanden. Das betont er vor allem im Fukan
zazengi und in mehreren Kapiteln im Shōbōgenzō.