Zu
dem Gespräch zwischen Zen-Meister Daisho und dem indischen Gelehrten Sanzō über
die Frage, ob der Inder den Geist des Meisters erkennen könne, zitiert Dōgen
fünf berühmte Aussprüche alter Meister. Diese Zitate beleuchten verschiedene
Aspekte des Kōan-Gesprächs zwischen Daisho und Sanzō, aber sie sind nicht
einfach zu verstehen und sollen hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden.
Klar
ist, dass der indische Gelehrte Sanzō von den alten Zen-Meistern mit
unterschiedlichen Argumenten kritisiert wird. Auf der Grundlage dieser
überlieferten Äußerungen entwickelt Dōgen dann seine eigene Kritik, die
tatsächlich umfangreicher und fundierter ausfällt als die der zitierten
Meister. Allerdings lobt er diese an anderen Stellen im Shōbōgenzō ausdrücklich und schätzt sie als buddhistische Meister
sehr. Das gilt vor allem für Jōshū,
Kyōzan und Gensa. Er gibt zu
bedenken:
„Diese fünf
verehrten Vorfahren im Dharma sind alle präzise, aber es gibt wichtige Dimensionen,
die sie beim Verhalten des Landesmeisters (Daisho) nicht erfasst haben, indem
sie Sanzōs Versagen nur beim dritten Mal (als er gar nicht antwortete)
diskutieren. Sie scheinen zuzugestehen, dass (Sanzō) die beiden ersten Male (den Geist Daishos richtig) erkannt hat.“
Der Landesmeister Daisho hatte ja den Auftrag, den indischen Gelehrten
Sanzō auf die Probe zu stellen, ob dieser wie er von sich behauptete, den Geist
anderer Menschen erkennen könne. In dieser Absicht stellte er ihm die Frage:
„Sag mir, wo
dieser alte Mönch genau jetzt ist.“
Genau betrachtet zielt diese Frage nicht direkt darauf ab, ob Sanzō den
Geist des Meisters kennen kann, sondern Daisho fragt „nur“ danach, an welchem umfassend
verstandenem Ort er genau zum jetzigen Zeitpunkt sei. Es geht also gar nicht nur
darum, den Geist oder zumindest die Gedanken des Meisters oder eines anderen
Menschen zu lesen. Dōgen sagt dazu:
„Die
Absicht, die (hier) ausgedrückt wird, besteht darin, festzustellen, ob Sanzō
überhaupt den Buddha-Dharma kennt oder nicht.“
Wäre dies der Fall, so würde der Inder die Frage des Meisters nach der
großen Buddha-Lehre untersuchen und zum Beispiel fragen:
„Bin ich an
diesem Ort, bin ich an jenem Ort, bin ich im höchsten Zustand des Bodhi, bin
ich im prajna-paramita, bin ich schwebend im Raum, stehe ich auf der Erde, bin
ich in einer Strohhütte, bin ich am Ort des Schatzes?“
Alle diese möglichen und zentralen buddhistischen Fragen müsste Sanzō
aus dem Verständnis und der Erfahrung des Buddha-Dharma erkennen und
beantworten, wenn er mit seiner Behauptung, den Geist anderer lesen zu können,
den umfassenden Buddha-Geist meinen würde, also nicht nur einzelne Gedanken
oder Bilder, die vielleicht im Gehirn des anderen auftauchen. Ein solcher Geist
ist immer die Einheit von Körper-und-Geist. Durch seine Antwort lässt Sanzō
jedoch erkennen, dass er viel vordergründiger und nur materiell-räumlich denkt.
Er kann also die eigentliche Absicht der scheinbar einfachen Frage Meister Daishos
nicht erfassen, und deshalb „bietet er sinnlos Sichtweisen und Meinungen des
gewöhnlichen Menschen der zwei Fahrzeuge und Ähnliches an“, wie Dōgen festhält.
Auch als der Meister seine Frage zum zweiten Mal wiederholt, wird Sanzō
nicht klar, dass er tiefer in die Absicht und den Sinn eindringen muss, wenn er
diese „Prüfung“ bestehen will. Bei der dritten Wiederholung der Frage bleibt
der indische Gelehrte sprachlos und ist so verwirrt, dass er nicht antworten
kann. Es ist ihm wohl deutlich geworden, dass er nicht in der Lage ist, aus dem
Verständnis und der Erfahrung des Buddha-Dharma zu antworten oder gar ein
Dharma-Gespräch mit dem großen chinesischen Meister zu führen. Ihm muss klar
geworden sein, dass sein Ansehen in China und insbesondere bei diesem Meister
und dem Kaiser völlig ruiniert war und dass seine Behauptung, den Geist anderer
zu erkennen, als Lüge entlarvt wurde.
Dōgen fasst dann die Kommentare der großen Meister in dem Sinne
zusammen, dass diese unterstellten, der Inder Sanzō habe mit seinen beiden
ersten Antworten die Frage nach dem Ort, an dem sich der Meister befindet,
zufriedenstellend beantwortet. Dies treffe aber
nicht zu, denn die Frage des Landesmeisters ist viel umfassender und geht viel tiefer. Die Antworten des Inders seien
vordergründig-konkretistisch und hätten keinen Bezug zum wahren Buddha-Dharma.
Es geht also um eine grundlegende und
umfassende Kritik an dem Gelehrten und nicht nur darum, ihn für sein
Schweigen bei der dritten Frage und seine Hilflosigkeit gegenüber der harschen
Kritik inkompetent erscheinen zu lassen.