Donnerstag, 14. August 2014

Wie lernen wir mit dem Geist?


Gerade beim Erlernen neuer Zusammenhänge steht bei Dōgen die Einheit von Körper-und-Geist im Zentrum seiner Aussagen. Er behandelt zuerst den Weg, wie die Wahrheit mit dem Geist erlernt wird. Dies ist aber wohlgemerkt nur ein pädagogisches, schrittweises Vorgehen, nicht zuletzt um wichtige Aussagen und tiefgründige Erfahrungen der großen buddhistischen Meister einzubringen. Die Einheit von Körper-und-Geist als Wirklichkeit bleibt davon unberührt, wie sich im Laufe der weiteren Ausführungen immer wieder zeigen wird.

Auch in der modernen Gehirnforschung wird beim Lernen betont, dass ein isolierter Geist nur geringe Lernfähigkeit besitz, das motorische System unsere Gehirns macht etwas ein Drittel der gesamten Kapazität unseres neuronalen Netzes aus. Warum soll die riesige "Intelligenz" des Körpers und der Motorik ausgeklammert werden? Das wäre der falsche Ansatz? Wenn sich das Lernen bei Kindern z. B. überwiegend auf digitale Medien stützt, kommt es nach Manfred Spitzer zur digitalen Demenz, also zur gravierenden Verminderung des Intelligenz des Kindes. Das verschlechtert die Lebens-Chancen ganz entscheident: der soziale Abstieg ist dann vorprogrammiert. Leider sind diese empirisch eindeutig nachgewiesenen Tatsachen noch viel zu wenig bekannt. Digitale Lernprogramme für Kinder sind generell nicht nur unwirksam sondern sogar gefährlich, die existentiell wichtige "Körper-Intelligenz" verkümmert.

Keinesfalls darf die Ethik im Denken und bei den Ideen stehen bleiben, sondern sie muss durch das Handeln umgesetzt und im Hier und Jetzt verwirklicht werden. Gleichwohl ist der Entschluss zum moralischen Handeln zunächst im Denken und Willen angesiedelt. Dies ist dann der Beginn eines Lebens auf einem neuen Weg, der eine klare Kontur erhält.

Bei diesem Lernvorgang geht Dōgen auf verschiedene Arten des Geistes ein. Insbesondere erwähnt er dabei die altindische Buddha-Lehre, die in China übernommen wurde. Er warnt uns jedoch davor, diese Unterscheidung nur rein theoretisch zu verstehen und fordert uns stattdessen auf:

„Nachdem wir weiterhin durch offenen und verständnisvollen Umgang mit der Wahrheit den Wahrheits-Geist erweckt haben, nehmen wir Zuflucht zur großen Wahrheit der buddhistischen Vorfahren und lernen das konkrete Handeln, welches das Erwecken des Wahrheits-Geistes ist.“

Dōgens Verständnis des Wahrheits-Geistes umfasst also die drei Arten des aus Indien überlieferten Geistes, geht aber darüber hinaus, indem er das konkrete Handeln im Augenblick einbezieht. Das sei der wirkliche Bodhi-Geist. Er rät uns nachdrücklich, die Methoden der alten großen Meister zu übernehmen, auch wenn der Wahrheitsgeist bei uns noch nicht voll entwickelt ist. Er nennt ihn den „unverhüllten, nackten Geist“, Augenblick für Augenblick. Dies sei der Geist der ewigen Buddhas, den er auch als „normalen Geist“ bezeichnet. Normal heißt in diesem Fall jedoch nicht gewöhnlich oder durchschnittlich, sondern gemeint ist der natürliche Geist, der sich beim reinen Handeln verwirklicht.

Diese Arten des Geistes sollen wir auf dem Buddha-Weg „wegwerfen und wieder aufgreifen“, uns also nicht an irgendetwas klammern und mental verhärten. Dazu bedarf es zweifellos einer gewissen Leichtigkeit bei aller Zielstrebigkeit, die notwendig ist. Verkrampfungen und falsche Fixierungen müssen verhindert werden. Lernen und Kreativität hängen immer mit Freude zusammen, Angst und psychischer Druck machen dumm.

Dann knüpft Dōgen an die reiche Geschichte des Buddhismus an und spricht von der authentischen Dharma-Übertragung von Gautama Buddha auf die Meister in Indien, China und Japan. Diese authentischen Meister haben durchaus sehr verschiedene Charaktere, sie alle gewinnen jedoch die Freiheit in ihrem Leben, indem sie gemäß ihren karmischen Gegebenheiten handeln, aber nicht stagnieren, sondern sich immer weiter entwickeln.

Spannend sind auch Dōgens Ausführungen darüber, dass es unwesentlich ist, ob andere Menschen das eigene Streben nach der Buddha-Wahrheit anerkannt haben oder nicht. Dadurch wird die jeweilige Eigenständigkeit des Handelns betont, die sich nicht durch die oft vordergründige Einschätzung oder Abwertung von anderen beeinflussen oder hemmen lässt.

Die Wahrheit auf diese Weise zu lernen bedeutet, sich ohne Darstellungsdrang die Nasenlöcher eines buddhistischen Meisters zu leihen und durch sie die Luft ausströmen zu lassen. (Ein solches Verhalten) ist der Wegweiser von zehntausend Zeitaltern, die Hufe eines Pferdes oder Esels zu benutzen, um das Siegel der wirklichen Erfahrung zu prägen.“