Gerade beim Erlernen neuer Zusammenhänge steht bei Dōgen die Einheit von
Körper-und-Geist im Zentrum seiner Aussagen. Er behandelt zuerst den Weg, wie
die Wahrheit mit dem Geist erlernt wird. Dies ist aber wohlgemerkt nur ein
pädagogisches, schrittweises Vorgehen, nicht zuletzt um wichtige Aussagen und
tiefgründige Erfahrungen der großen buddhistischen Meister einzubringen. Die
Einheit von Körper-und-Geist als Wirklichkeit bleibt davon unberührt, wie sich
im Laufe der weiteren Ausführungen immer wieder zeigen wird.
Auch in der modernen Gehirnforschung wird beim Lernen betont, dass ein
isolierter Geist nur geringe Lernfähigkeit besitz, das motorische System unsere
Gehirns macht etwas ein Drittel der gesamten Kapazität unseres neuronalen
Netzes aus. Warum soll die riesige "Intelligenz" des Körpers und der
Motorik ausgeklammert werden? Das wäre der falsche Ansatz? Wenn sich das Lernen
bei Kindern z. B. überwiegend auf digitale Medien stützt, kommt es nach Manfred
Spitzer zur digitalen Demenz, also
zur gravierenden Verminderung des Intelligenz des Kindes. Das verschlechtert
die Lebens-Chancen ganz entscheident: der soziale Abstieg ist dann
vorprogrammiert. Leider sind diese empirisch eindeutig nachgewiesenen Tatsachen
noch viel zu wenig bekannt. Digitale Lernprogramme für Kinder sind generell
nicht nur unwirksam sondern sogar gefährlich, die existentiell wichtige
"Körper-Intelligenz" verkümmert.
Keinesfalls darf die Ethik im Denken und bei den Ideen stehen bleiben,
sondern sie muss durch das Handeln umgesetzt und im Hier und Jetzt verwirklicht
werden. Gleichwohl ist der Entschluss zum moralischen Handeln zunächst im
Denken und Willen angesiedelt. Dies ist dann der Beginn eines Lebens auf einem
neuen Weg, der eine klare Kontur erhält.
Bei diesem Lernvorgang geht Dōgen auf verschiedene Arten des Geistes
ein. Insbesondere erwähnt er dabei die altindische Buddha-Lehre, die in China
übernommen wurde. Er warnt uns jedoch davor, diese Unterscheidung nur rein
theoretisch zu verstehen und fordert uns stattdessen auf:
„Nachdem wir
weiterhin durch offenen und verständnisvollen Umgang mit der Wahrheit den
Wahrheits-Geist erweckt haben, nehmen wir Zuflucht zur großen Wahrheit der
buddhistischen Vorfahren und lernen das konkrete Handeln, welches das Erwecken
des Wahrheits-Geistes ist.“
Dōgens Verständnis des Wahrheits-Geistes umfasst also die drei Arten des
aus Indien überlieferten Geistes, geht aber darüber hinaus, indem er das
konkrete Handeln im Augenblick einbezieht. Das sei der wirkliche Bodhi-Geist.
Er rät uns nachdrücklich, die Methoden der alten großen Meister zu übernehmen,
auch wenn der Wahrheitsgeist bei uns noch nicht voll entwickelt ist. Er nennt
ihn den „unverhüllten, nackten Geist“, Augenblick für Augenblick. Dies sei der
Geist der ewigen Buddhas, den er auch als „normalen Geist“ bezeichnet. Normal
heißt in diesem Fall jedoch nicht gewöhnlich oder durchschnittlich, sondern
gemeint ist der natürliche Geist, der sich beim reinen Handeln verwirklicht.
Diese Arten des Geistes
sollen wir auf dem Buddha-Weg „wegwerfen und wieder aufgreifen“, uns also nicht
an irgendetwas klammern und mental verhärten. Dazu bedarf es zweifellos einer
gewissen Leichtigkeit bei aller Zielstrebigkeit, die notwendig ist.
Verkrampfungen und falsche Fixierungen müssen verhindert werden. Lernen und
Kreativität hängen immer mit Freude
zusammen, Angst und psychischer Druck machen
dumm.
Dann knüpft Dōgen an die
reiche Geschichte des Buddhismus an und spricht von der authentischen
Dharma-Übertragung von Gautama Buddha auf die Meister in Indien, China und
Japan. Diese authentischen Meister haben durchaus sehr verschiedene Charaktere,
sie alle gewinnen jedoch die Freiheit in ihrem Leben, indem sie gemäß ihren
karmischen Gegebenheiten handeln, aber nicht stagnieren, sondern sich immer
weiter entwickeln.
Spannend sind auch Dōgens
Ausführungen darüber, dass es unwesentlich ist, ob andere Menschen das eigene
Streben nach der Buddha-Wahrheit anerkannt
haben oder nicht. Dadurch wird die jeweilige Eigenständigkeit des Handelns betont, die sich nicht durch die oft
vordergründige Einschätzung oder Abwertung von anderen beeinflussen oder hemmen
lässt.
„Die Wahrheit auf diese Weise zu lernen
bedeutet, sich ohne Darstellungsdrang die Nasenlöcher eines buddhistischen
Meisters zu leihen und durch sie die Luft ausströmen zu lassen. (Ein solches
Verhalten) ist der Wegweiser von zehntausend Zeitaltern, die Hufe eines Pferdes
oder Esels zu benutzen, um das Siegel der wirklichen Erfahrung zu prägen.“