(von
Nishijima Roshi, editierte Fassung)
Leben als Asket
Obgleich Gautama Buddha von
Alara Kalama die Lehre "des Zustandes, nichts zu haben" erhalten
hatte, die Gelassenheit und sogar Gleichgültigkeit gegenüber jedem Eigentum
beinhaltet und außerdem von Udraka Ramaputra die Lehre: "Den Zustand des
Nicht-Denkens/des nicht Nicht-Denkens zu überschreiten", waren diese
Philosophien der beiden Denker doch sehr intellektuell und nicht sehr
praktisch. Wie sollte man damit ein reales Leben im Alltag führen?
Weil Gautama Buddha jedoch
sehr praktisch veranlagt war, konnte er durch die Lehren dieser beiden Weisen
nicht wirklich befriedigt werden, da sie für die Lebenspraxis wenig geeignet
waren. Daher änderte Gautama Buddha seine Richtung bei der Suche nach der
Wahrheit um einhundertachtzig Grad in das Gegenteil der Theorie: Er wollte
jetzt ein asketisches Leben erproben, das im alten Indien durchaus populär war,
er wollte unbedingt Asket werden. Gautama Buddha wollte die großen Fragen und
Probleme des Lebens klären, indem er die physischen Bedingungen so schmerzhaft
wie möglich gestalten wollte. Als Asket war daher seine Lebenseinstellung und
Praxis überaus ernsthaft und extrem. Er reduzierte seine Nahrung und den Schlaf
so weit, dass er manchmal sogar in Ohnmacht fiel.
Das Gerücht "Gautama
stirbt" ging mehrmals durch die Wälder der Asketen. Aber Gautama Buddha
fand dabei nur die einfache Tatsache, dass sein Geist gleichzeitig mit dem
Körper dahinschwand und verdorrte. Je mehr und je härter er seinen physischen
Körper peinigte, desto labiler wurde sein Geist. Mit anderen Worten wurde sein
Leben mit jedem Tag immer instabiler, je länger er sein asketisches Leben
fortsetzte. Dies traf ihn unerwartet, aber es war eine außerordentlich wichtige
Erfahrung. Weil er ein sehr praktischer Mensch war, wurde ihm immer klarer,
dass ein asketisches Leben völlig ungeeignet ist, um eine authentische Form und
geistige Freiheit des Lebens zu erreichen. Wenn er diese wichtige Erfahrung
nicht hätte machen können, ist es höchst unwahrscheinlich, dass der Buddhismus
überhaupt erkannt hätte, dass ein asketisches Leben für die Suche nach der
Wahrheit keinen Wert hat und das Asketentum auf dem Weg zur Wahrheit sogar
schädlich ist.
Gautama Buddhas Erleuchtung
Gautama Buddha hatte am
eigenen Leibe erfahren, dass ein asketisches Leben völlig sinnlos und
ungeeignet ist, um Erleuchtung zu erlangen. Darüber verursacht es schwere
körperliche, geistige und spirituelle Zerstörungen. Daher verließ er den Wald
des asketischen Lebens in aller Entschiedenheit. Die dort übenden Asketen waren
tief enttäuscht und argwöhnten, dass Gautama Buddha den Wald des harten asketischen
Lebens verließ, weil es ihm an Ausdauer und Disziplin mangelte. Daher lachten
sie über ihn und überhäuften ihn mit Verachtung und Vorwürfen. Wir können
jedoch davon ausgehen, dass Gautama Buddha die starke und reine Absicht im Sinn
hatte, die Wahrheit zu suchen. Es gab sicher bei ihm nur den klaren Willen,
diese Wahrheit zu erlangen. Daher hatte Gautama Buddha die Askese abgebrochen,
ohne überhaupt weiter von der Kritik der Asketen Notiz zu nehmen.
Als Er sich dann mühsam am
Ufer des Flusses Nairanjana entlang schleppte, bemerkte ein kleines Mädchen mit
Namen Sujata den siechen und bemitleidenswerten Zustand von Gautama Buddha und
bot ihm Haferschleim zur Kräftigung an, den sie bei sich hatte.
Als Buddha den Haferschleim langsam
und vorsichtig gegessen hatte, fühlte er sich etwas kräftiger und sein Körper
und Geist erholten sich langsam. Er begann nun auf einem anderen Weg nach der
Wahrheit zu streben, indem er bei der Yogapraxis anknüpfte. Gautama Buddha
benutzte dabei eine Yogahaltung, die als die beste und wirkungsvollste im Yoga
angesehen wird, nämlich den Lotos-Sitz. Diese Sitzpraxis ist dieselbe, die bis
in die heutige Zeit beim Zazen verwendet wird.
Nachdem er eine solche
Praxis längere Zeit fortgesetzt hatte, saß er an einem Wintermorgen im Zazen
und bemerkte mit einem Mal, dass er nicht mehr im Bereich der Gedanken und
Wahrnehmung weilte, sondern dass er nur im Bereich der Wirklichkeit selbst lebte.
Diese Wirklichkeit war die Wahrheit, die er so lange gesucht hatte! In einem
wichtigen Sutra heißt es, dass "Berge, Flüsse, Gras, Bäume vollkommen die
Wahrheit geworden sind" und im Shobogenzo von Meister Dogen heißt es in
derselben Weise: "Berge, Flüsse und die Erde sind zur Wahrheit
geworden".
Daher können wir verstehen,
dass Gautama Buddha plötzlich die eindeutige Erfahrung machte, dass diese Welt
genau die Wirklichkeit ist und dass diese Welt genau die Wahrheit selbst ist.
Was wir in unserem Gehirn erzeugen, kann niemals die Wahrheit werden und was
wir durch unsere Sinneswahrnehmungen aufnehmen, kann ebenfalls niemals die
volle Wahrheit oder Wirklichkeit sein. Was wir genau im gegenwärtigen Augenblick
tun, ist die Wahrheit und ist genau die Wirklichkeit.
Daraus wird schlagartig
klar, dass die beiden großartigen westlichen Philosophien des Idealismus und
Materialismus niemals die volle Wahrheit sein können. Sie sind nur eine Art von
Vorstellung, Illusionen und Täuschungen im Gegensatz zum Handeln im
gegenwärtigen Augenblick, durch das wir direkt in die Wirklichkeit und die
Wahrheit kommen. Denn gerade die Zazen-Praxis ist Handeln im Augenblick, ohne
Täuschungen, Illusionen oder Angst. Das Handeln, das wir im gegenwärtigen
Augenblick vollziehen, ist die wirkliche Existenz des Universums und daraus
ergibt sich zwingend die Einheit des menschlichen Handelns mit dem realen
Universum als die Wirklichkeit selbst. Dies ist eine einfache Tatsache im
gegenwärtigen Augenblick und dies ist genau die Erleuchtung.