Meister
Dōgen beschreibt im zweiten Kapitel des Shōbōgenzō
das Herz-Sūtra und interpretiert es nach seinem eigen tiefen Verständnis. Auf
Sankrit heißt es die „prajna pāramitā“
Sutra (japanisch Makahannya haramitsu),
dabei bedeutete prajna kluge
Erkenntnis und paramita das andere Ufer erreichen und transzendieren; also geht
es hier um die umfassende vollkommene Erkenntnis, die das gewöhnliche Denken und
Fühlen überschreitet.
Häufig
wird dafür auch die „vollkommene Weisheit „ gesagt, die jenseits des
gewöhnlichen materiellen und ideellen Denken ist. Damit ist gleichzeitig die Leere gemeint, also die Freiheit von den üblichen Fesseln, das
ist das Gleichgewicht des Lebens wie
in der Zen-Meditation. Diese vollkommenen Erkenntnis der natürlichen
Wirklichkeit und damit der Wahrheit ist zusammen mit dem richtigen Handeln die
Voraussetzung für die Erleuchtung. Und
Zen-Geist ist Anfänger-Geist, wie Shunryu Suzuki sagt.
Dogen
stellt das berühmte Sūtra, das mit den Begriffen „Form und Leere“ verbunden
ist, an den Anfang seiner umfassenden Lehre des Buddhismus.
Das
Herz-Sūtra ist eines der kürzesten aber wohl auch das aussagekräftigste, aus
einer Reihe von zirka vierzig Sūtras des Mahayana zu diesem Thema. Es wird in
den buddhistischen Gruppen der meisten ostasiatischen Traditionen wie auch bei
uns in Berlin-Kreuzberg heute noch regelmäßig rezitiert.
Pāramitā
bedeutet wörtlich das „Erreichen des anderen Ufers“, also das Erwachen und
Überschreiten des üblichen Denkens, Fühlens und der gewöhnlichen Wahrnehmung. Prajñā
pāramitā ist mit dem Begriff der Leerheit (shūnyatā) verbunden, der vor allem
von Meister Nāgārjuna tiefgründig interpretiert wurde. Der Begriff der Leerheit
hat allerdings immer wieder zu großen Missverständnissen geführt, weil oft die
Vorstellung von Nihilismus und Ablehnung von Vernunft und Logik damit verbunden
wird. Dies ist aber total falsch.
Prajñā
kennzeichnet vielmehr Qualitäten unseres Geistes, die beim linearen,
eindimensionalen Denken und der Trennung von Subjekt und Objekt nicht zum Zuge
kommen. Ich selbst habe das Herz-Sūtra wieder und wieder rezitiert und hatte
zunächst erhebliche Mühe, überhaupt dessen Sinn zu erfassen, besonders
deswegen, weil es am Schluss heißt, dass dieses Sūtra mit seiner Kraft „alles
Leiden wegnimmt“. Wie kann man das Leiden überwinden, wenn es wörtlich heißt,
„Form - Leere, Leere genau Form“ und dass Augen, Ohren usw „leer sind“? Das war
mir in der Tat völlig unklar. Nishijima Roshi sagt zu diesem Kapitel:
„Prajñā wird intuitiv und unmittelbar erfahren, wenn Körper
und Geist im Zustand des Gleichgewichts sind, und Zazen ist die Übungspraxis,
durch die Körper und Geist in diesen Zustand gelangen. So ist die Pāramitā der
großen Weisheit die Essenz des Zazen.“ Denn Zazen ist ungegenständliche
Meditation: dann ist unser Geist schon leer
von rotierenden Ideen und Gedanken und auch emotionsfrei, das ist die erste
Erleuchtung
Nishijima
Roshi verwendet für den Begriff der Leerheit häufig den Zustand des ganzheitlichen
Gleichgewichts von Körper und Geist,
also des ganzen Menschen und auf keinen Fall nur seines Verstandes.
Dōgen
beginnt dieses Kapitel wie folgt:
„Währen der Bodhisattva Avalokiteshvara die tiefgründige
Prajñā-Pāramitā praktiziert, reflektiert der ganze Körper, dass die fünf
Komponenten des Menschen (skandha) vollständig leer sind.“
Nishijima Roshi erläutert hierzu sein, das man bei
der Zazen-Praxis erfährt: „Das ganze Universum ist so, wie es ist“. Die fünf
Komponenten des Menschen und der Welt sind nach seiner Deutung Körper (Form),
Sinne (Wahrnehmung), Denken, Handeln und Bewusstsein. Beim Zazen werden das Denken
und die Wahrnehmung überschritten, sodass sich das Bewusstsein ganz für das
Hier und Jetzt öffnet und den Stress, die Gedanken und aufgeladenen Gefühle
abschüttelt. Man ist leer von den üblichen oft bohrenden und störenden Gedanken
und Gefühlen.