Samstag, 28. Juli 2007

Das verwirklichte Universum ( Genjô -kôan)


Die wörtliche Übersetzung der japanischen Bezeichnung von Genjô-kôan (Kap. 3) bedeutet das „verwirklichte Gesetz der Welt oder des Universums“, also die Buddha-Lehre oder der Dharma. Durch die Verwirklichung kommt es zu einer Einheit zwischen diesem Gesetz und dem wahren Leben in dieser Welt, so dass die ganze Wirklichkeit voll zum Zuge kommt. Dieses Kapitel gehört zweifellos zu den wichtigsten des Shôbôgenzô und stand daher in der kürzeren Fassung von 75 Kapiteln ganz am Anfang.
Auf dem Buddha-Weg ist es wichtig, dass wir uns der Vielfalt der Welt und der Lehre des Dharma anvertrauen und nicht durch unnötigen Aktionismus versuchen, die Erleuchtung und Verwirklichung der Wahrheit mit Gewalt und zum eigenen egoistischen Vorteil zu erreichen. Die Täuschungen, die im ersten Satz des folgenden Zitates aus dem Shôbôgenzô angesprochen werden, sollten wir so klar wie möglich erkennen und nicht innerhalb der Täuschungen diese selbst weiter verstärken und fortsetzen. Dadurch würden wir uns immer weiter vom Dharma, also von dem wahren Gesetz der Welt, entfernen.
Selbst mit äußerst geschärften Sinnen, also mit dem ganzen Selbst von Körper und Geist, ist es unmöglich, die Wirklichkeit und Wahrheit dieser Welt ganz zu erkennen. Eine darauf aufgebaute Erfahrung würde auch immer nur eine begrenzte Sicht offenbaren und wäre blind für andere Seiten.
Wir wollen jetzt den ersten zentralen Absatz des Kapitels “Das verwirklichte Universum“ im Shôbôgenzô von Dôgen genauer untersuchen. Ich wende dabei die von Nishijima Roshi entwickelte Interpretation des Inhalts an, denn sonst enden wir schnell in unvernünftigen Widersprüchen, die Dôgen selbst entschieden ablehnte. Er sagte in aller Deutlichkeit, dass die Lehre des Buddhismus gerade im Zen niemals unlogisch und gegen die Vernunft ist! Wer das behauptet, habe den Zen-Buddhismus überhaupt nicht verstanden.
Der erste Absatz dieses Kapitels lautet wie folgt:

“Wenn alle Dharmas als Buddha-Dharma(-Lehre verstanden werden), dann gibt es Illusion und Verwirklichung, gibt es Praxis und Handeln, gibt es Leben und Tod und gibt es Buddhas und gewöhnliche Menschen.

Wenn die unzähligen Dharmas alle nicht vom Selbst sind (also ohne Subjekt und nur materiell verstanden werden), gibt es keine Illusion und keine Verwirklichung, keine Buddhas und keine gewöhnlichen Menschen und kein Leben und keinen Tod.

Die Wahrheit Buddhas übersteigt ursprünglich Überfluss und Knappheit (also Bewertungen) und daher gibt es (wirklich) Leben und Tod, gibt es Illusion und Verwirklichung und gibt es gewöhnliche Menschen und Buddhas.

Und obgleich dies so ist, ist es nur, dass die Blüten fallen, obwohl geliebt, und das Unkraut wuchert, obwohl ungeliebt.“

Was will uns Meister Dôgen mit diesen überaus wichtigen aber nicht gerade einfach zu verstehenden Sätzen sagen? Zweifellos gehören sie nämlich zum Kern der buddhistischen Lehre überhaupt.
Beim genauen Lesen dieser vier Sätze können wir erkennen, dass jeweils vier verschiedene Sichtweisen oder besser Lebensphilosophien dargestellt werden. Im ersten Satz wird ausgedrückt, dass zwischen Illusion und Verwirklichung, zwischen Praxis und Handeln, zwischen Leben und Tod und zwischen Buddhas und gewöhnlichen Menschen unterschieden wird, wenn die Welt und das Leben auf der Grundlage einer idealistischen Methode des Denkens verstanden werden. Zu diesem Denken und diesen Ideen gehören dann auch die Theorie und Lehre des Buddha-Dharma. Dem Ganzen liegt meist die Vorstellung eines getrennten denkenden Ich zu Grunde.
Im zweiten Satz wird dagegen eine ganz andere Grundlage und Methode des Denkens gewählt. Es handelt sich hier um den vollkommen materialistischen Standpunkt, der wörtlich durch die Formulierung, gekennzeichnet ist: "Wenn die unzähligen Dharma alle nicht vom Selbst sind", also kein subjektives Denken besteht, dann gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen Illusion und Verwirklichung, Buddhas und gewöhnlichen Menschen oder Leben und Tod. Mit anderen Worten können dann die Bedeutungen dieser Begriffe und Gedanken gar nicht erkannt und verstanden werden, denn aus materialistischer Sicht kann man z.B. nicht von Illusion oder Verwirklichung, von Buddhas und normalen Menschen usw. sprechen. Die materielle Sicht kennt nur das Wahrgenommene und keine spirituellen Inhalte. Dies ist auch meist das Lebensverständnis der heutigen Naturwissenschaft
Der erste und zweite Satz geben demnach genau die Weltanschauung und Sichtweise des Idealismus und Materialismus wieder und beide fallen in die Gruppe intellektueller verstandesmäßiger Philosophien. Sie sind bekannte Beispiele philosophischer Systeme, die durch Denken und Worte ausgedrückt und verstanden werden. Diese verstandesmäßigen Weltanschauungen und Philosophien sind aber etwas grundsätzlich anderes als die praktischen und wahren Dimensionen der Wirklichkeit des obigen dritten und vierten Satzes des Kapitels „Das verwirklichte Universum“ (Genjô kôan) von Meister Dôgen. Im dritten Satz wird die Buddha-Wahrheit beschrieben und die Lebenspraxis dargestellt, die über Theorie, Denken und Bewertungen hinausgeht.
Im vierten Satz sagt uns Dôgen, dass wir nicht in einer idealen Welt wie in einem Paradies leben, sondern dass wir es mit fallenden Blüten und wucherndem Unkraut zu tun haben, aber dass wir uns davon nicht entmutigen lassen sollen, da wir im Besitz der Buddha-Wahrheit und der Übungspraxis sind.
Dann geht Dôgen auf das für ihn so wichtige Handeln des Menschen ein und sagt, dass wir bei egoistischen subjektiven Zielen, die dem Eigennutz dienen, uns selbst in Täuschungen und Illusionen verfangen. Wenn dagegen die zehntausend Dharmas dieser Welt uns aktiv zum Tun und Handeln bringen, wir also ohne Gier nach Ruhm oder Profit so handeln, wie es von der Situation her sein muss, ist das Erwachen. Dies sind auch Kernaussagen zur richtigen Zazen-Praxis, die nicht mit der Gier nach Erleuchtung belastet und verzerrt werden dürfen.
Dann wird der Dharma-Weg wie folgt erläutert:

"Buddhas Wahrheit zu erkennen bedeutet, uns selbst zu erkennen. Uns selbst zu erkennen bedeutet, uns zu vergessen. Uns zu vergessen bedeutet, von den vielen, vielen Dharmas erfahren zu werden. Von den vielen, vielen Dharmas erfahren zu werden bedeutet, unseren eigenen Körper und Geist und den Körper und Geist der äußeren Welt fallen zu lassen".

Wir müssen uns also auf dem Buddha-Weg von bisherigen vorgefassten und eingefahrenen Gedanken, Vorstellungen und Gefühlen befreien, um offen für eine neue Entwicklung und Wahrheit zu sein. Dabei ist es notwendig, sich der Vielfalt der Welt zu öffnen und sie zu erfahren. Es ist weiterhin notwendig, sich von dem subjektiven Körper und Geist, also dem Ich, zu befreien und wie Dôgen dies sagt, „Körper und Geist fallen zu lassen“. Wir müssen auch die sog. objektive Welt des Äußeren und des Körpers sowie den eigenen ruhelosen Geist „fallen lassen“. Im Sinne von Nishijima Roshi bedeutet dies nichts anderes, als sich von der Lebensphilosophie und der Lebenswelt des einseitigen Idealismus oder Materialismus zu trennen und sich ebenfalls von den damit verbundenen beengten Vorstellungen und Gedankenkonstrukten zu befreien. Wir sollten uns auch nicht in der einseitigen Welt der sinnlichen Wahrnehmungen und in deren vordergründigen Genüssen verlieren.
Die meisten Menschen haben sicher eine mehr oder minder feste bewusste Vorstellung von einem unveränderlichen eigenen Ich, das sich zwar im Laufe des Lebens in gewissem Umfang verändert und vielleicht auch weiter entwickelt, das aber doch einen konstanten Kern besitzt. Gautama Buddha hat immer wieder in aller Klarheit auf diesen Irrtum und diese uns lieb gewordene Illusion hingewiesen. Dôgen erläutert diesen Zusammenhang durch ein Gleichnis: Wenn man in einem Boot sitzt und auf dem Meer fährt und dabei nur das Ufer und das Land beobachtet, denkt man, dass man selbst, also das Ich, still steht und sich das Land also die Außenwelt bewegt. Wenn man jedoch nach unten schaut, die Bootskante und direkt das durchfahrene Wasser ansieht, stellt man fest, dass man sich selbst bewegt, und das Land und die Küste ruhig und unbeweglich daliegen. Ähnlich sei es ein grundsätzliches Missverständnis, dass der Körper und Geist, also das Ich, dauerhaft und unvergänglich sind und sich nur die Umgebung verändert oder verändern muss. Wenn wir dagegen die Illusion eines statischen und „dinghaften“ Ich verlassen und das Handeln im Augenblick in den Mittelpunkt stellen, können wir unmittelbar in der Wirklichkeit und Wahrheit leben. Diese buddhistische Lehre ist vielleicht zunächst verblüffend, entwickelt jedoch im praktischen Leben eine ganz neue Kraft.
In einem weiteren Gleichnis erläutert Dôgen die Eigenstständigkeit der verschiedenen Dinge, Phänomene und Zustände in dieser Welt: Wenn das Feuerholz zu Asche verbrannt ist, sind Feuerholz und Asche zwei völlig verschiedene Situationen, die im Hier und Jetzt je ganz unabhängig voneinander da sind, obgleich wir sie durch unseren Denkvorgang meist unbemerkt und automatisch verbinden. Diese Verbindung ist aber in der Wirklichkeit so gar nicht vorhanden. In der Wirklichkeit kann sich die Asche niemals wieder zurück in das Feuerholz zurück verwandeln, das Feuerholz und die Asche haben damit je ihren eigenen Platz in der Welt und im Dharma. Ähnlich ist es beim Menschen: Das Leben und der Tod sind je eigenständig und nach dem Tod kann sich das Leben nicht wieder zurück verwandeln. In der wahren Sichtweise des ganz kurzen Augenblicks in der Gegenwart gibt es damit kein Entstehen und Vergehen, sondern die Umstände existieren je für sich und offenbaren dann den Dharma und die Wahrheit.
In einem solchen Zustand der Wahrheit oder Erleuchtung verwendet Dôgen das im Buddhismus häufig verwendete Bild des Mondes:
"Ein Mensch, der Erleuchtung erlangt, ist wie ein Mond, der sich im Wasser spiegelt und verweilt: Der Mond wird nicht nass und das Wasser wird nicht zerteilt. Obgleich das Licht (des Mondes) weit und groß ist, verweilt es in einer (kleinen) Fläche von einem Fuß oder einigen Zentimetern (der Breite und Länge). Der ganze Mond und der ganze Himmel spiegeln sich in einem Tautropfen auf einem Grashalm und in einem einzigen Wassertropfen".
Dieses poetische Bild des sich spiegelnden und verweilenden Mondes macht deutlich, dass es in der Wirklichkeit keine gegenseitige Behinderung, Einengung oder Verkrampfung gibt. Dabei sollten wir vom jetzigen Augenblick ausgehen und gleichzeitig darüber nachsinnen, wie lang oder wie kurz ein Augenblick wohl ist. Weiterhin können wir fragen, wie eng oder wie breit wohl der Himmel und der Mond sind.
Am Beispiel der Fische im Wasser und der Vögel in der Luft erläutert Dôgen dann, dass jedes Lebewesen seinen eigenen Platz, seinen Lebensraum, seine Verwirklichung und seine Wahrheit in der Welt hat. Wenn ein Fisch das Wasser verlässt, muss er sterben und wenn ein Vogel vom Himmel auf die Erde herunterfällt, stirbt er ebenfalls. Wenn der Fisch und der Vogel in ihrem angestammten Element bleiben, haben sie ihren richtigen Platz in der Welt und im Dharma.
Schon Gautama Buddha wies darauf hin, wie vielfältig die jeweiligen Sichtweisen und Verständnismöglichkeiten der Welt sind: Der Ozean ist für die Fische ein Palast, für die Götter eine Perlenkette. Der Buddha-Weg bedeutet, dass wir aus dem Staub und Dunst des sog. normalen Lebens hinaustreten, so dass es dann keine räumlichen oder psychischen Grenzen und Hindernisse mehr gibt. Dôgen sagt weiter:
"So können wir das Wasser als Leben verstehen und den Himmel als Leben verstehen. Vögel sind Leben und Fische sind Leben. Es mag wohl sein, dass Leben Vögel und Fische sind. Wenn wir so unseren Platz finden, ist dieses Handeln ohne jeden Zweifel die Welt und das Universum selbst“.
Weiter heißt es:
Wenn ein Mensch in diesem Zustand Buddhas Wahrheit praktiziert und erfährt, erlangt er ein Dharma und durchdringt ein Dharma und er begegnet dem Handeln und vollzieht das Handeln. Dabei ist es nicht nötig, dass wir ein ausgeprägtes Bewusstsein von dem Allem haben und das Ganze mit dem Verstand erkennen.“
Am Ende dieses wichtigen Kapitels gibt Dôgen eine Kôan-Geschichte wieder: Ein Meister fächelt sich zur Kühlung Luft zu, als ein Mönch vorbei kommt und eine intelligente Bemerkung anbringen will: Er sagt, die Luft habe die allgemeine Eigenschaft, überall anwesend zu sein. Dem Meister ist sofort klar, dass der Mönch in abstrakten allgemeinen Gedankengängen verhaftet und nicht offen für das praktische und konkrete Hier und Jetzt ist. Auf die folgende Frage des Mönchs, warum sich der Meister denn die Luft zufächelt, antwortet dieser daher feinsinnig, dass es in der Tat keinen Ort in der Welt gäbe, an dem keine Luft vorhanden sei. Dies ist also inhaltlich genau dieselbe Aussage, die der Mönch an ihn gerichtet hat. In der Kôan-Geschichte wird dem Mönch durch diese eigentlich logisch überflüssige Wiederholung dann jedoch schlagartig klar, dass allgemeine theoretische Kenntnisse und angelernte sog. Weisheiten etwas ganz anderes als die Wirklichkeit selbst sind, die man unmittelbar erlebt und erfährt. Wenn einem zu heiß ist, kann man sich durch den Fächer direkt Kühlung verschaffen und erfährt unmittelbar die kühlende Luft und das ist genau die Wirklichkeit. Daher setzt der Meister auch die Unterhaltung mit dem Mönch nicht fort, sondern fächelt sich einfach weiter die kühlende Luft zu. Nicht zuletzt durch dieses Handeln gelingt es, dass der Mönch von allgemeinen und abstrakten Ideen wegkommt und unmittelbar zur Wirklichkeit des Hier und Jetzt durchbricht. So fiel es dem Mönch durch das Handeln des Meisters wie Schuppen von den Augen und sein Körper und Geist erfuhren sicher eine ganz neue frische Kraft.
Dies ist das verwirklichte Universum.

Donnerstag, 26. Juli 2007

Ist Zazen-Praxis eine bestimmte Art der Meditation?

Zazen-Praxis ist nach Meister Dôgen und Meister Nishijima keine gedankliche Meditation im Geist, sondern es ist ganzheitliches Handeln in der Haltung des halben oder ganzen Lotussitzes mit gestrecktem Rücken und ohne Vorstellungen und Begriffe. Die Zazen-Praxis ist vor allem keine Konzentration auf etwas Bestimmtes.
Bei dieser Zazen-Paxis in der richtigen Sitzhaltung entsteht ein inneres und äußeres Gleichgewicht im Hier und Jetzt, bei dem die üblichen Gedanken, Begriffe und Vorstellungen verschwinden und, wie Meister Nishisjima immer wieder betont, das vegetative Nervensystem ins Gleichgewicht kommt. Zazen ist in dieser Form die erste Erleuchtung und nur das Sitzen selbst (Shikantaza). Es ist nicht die Konzentration auf ein bestimmtes Thema, ein Bild, auf Gefühle oder auf einen spirituellen Inhalt. Zazen-Praxis ist also keine Meditation.
Allerdings werden auch im Zen-Buddhismus einige Formen der Meditation, also bestimmte Konzentrationsübungen praktiziert. In diesem Zusammenhang sind drei verschiedene Arten zu nennen: Die Konzentration auf den Atem, die Konzentration auf das Zählen und die Arbeit an einem Koan, also an jenen paradox formulierten Fragen, die typisch für die Rinzai-Linie sind. Wir wollen im Einklang mit Meister Dôgen und Meister Nishijima dies jedoch nicht als Zazen-Praxis bezeichnen, sondern es dem Oberbegriff der Meditation zuordnen. Denn bei diesen Übungsformen werden geistige Inhalte bearbeitet, es sind also Konzentrationsübungen, so dass Dogen auch von „Konzentrations-Zen“ spricht, das er aber nicht dem Zazen zuordnet.
In der Dogen-Sangha soll mit Zazen-Praxis nur das Sitzen im Gleichgewicht ohne unterscheidendes und begriffliches Denken genannt werden. Meister Dôgen hält diese Übungspraxis für zentral im Buddhismus und dies entspricht auch seiner eigenen Erfahrung, da ihm nach eigenen Aussagen bei der Theorie und den oben genannten Formen des Zen der Kern des Buddhismus leider verschlossen blieb.
Erst als er nach intensiven vergeblichen Versuchen zunächst in Japan und dann in China seinen eigenen Meister Tendo Nyojo fand und dieser ihn die wahre Zazen-Praxis lehrte, war seine Suche nach der Wahrheit im Buddhismus am Ziel angelangt. Er sah es als seine große Aufgabe an, diesen wahren Buddhismus der Zazen-Praxis nach Japan zu bringen und auch genau zu beschreiben. Uns heutigen Menschen stehen damit neben dem möglichst engen Kontakt zu einem wahren Meister die beiden wesentlichen buddhistischen Bereiche der Zazen-Praxis und der buddhistischen Lehre, vor allem in den Werken von Gautama Buddha, Nagarjuna und Dôgen mit "Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges" (Shôbôgenzô) zur Verfügung. Wie Meister Nishijima immer wieder in aller Klarheit betont, sind diese beiden Bereiche wesentlich, um Buddhist zu werden und zu bleiben, nämlich die tägliche Zazen-Praxis und das genaue Studium der Schriften von Meister Dôgen.
Die Zazen-Praxis ist umfassend in Dogens erstem schriftlichen Werk: "Allgemeine Richtlinien zum Zazen" (Fukan-Zazen-Gi) sowie im Shôbôgenzô niedergelegt. Darin bezeichnet er Zazen als

"das Tor des Friedens und der Freude zum Dharma", als das "Nicht-Denken"

und er beschreibt genau die richtige Sitzhaltung im halben oder ganzen Lotussitz mit gestrecktem Rücken. Wir erleben und erfahren dann, dass wir

"Körper und Geist fallen lassen",

also die einengenden üblichen Vorstellungen von unserem individuellen Körper und Geist überschreiten und uns so befreien. Ein solches Zazen sei der "König" der Zazen-Praxis oder des Samadhi. Wir sollten uns dabei daran erinnern, dass gerade die körperlichen Merkmale der Zazen-Praxis von maßgeblicher Bedeutung sind und dass es sich auf keinen Fall um rein geistiges Schauen, Vorstellen oder Konzentrieren handelt (siehe auch die Kapitel hierzu unter http://gudoblog-d.blogspot.com/).
Die Praxis des Zazen wird leider im Westen im Gegensatz zu dem oben Gesagten häufig der Meditation zugeordnet. Eine solche Meditation und Konzentration mag sicher ihren eigenen Wert haben, ist aber keine Zazen-Praxis.
Zusammenfassend gilt, dass die Zazen-Praxis im Sinne von Meister Dôgen und Nishijima keine Meditation ist, also keine Vorstellung oder Konzentration, sondern sie ist Handeln als ganzheitliches Zazen-Sitzen im Hier und Jetzt.
Dann wird die Trennung von Subjekt und Objekt aufgehoben und es verwirklicht sich die Einheit mit dem Universum. Dies ist die erste Erleuchtung und eine Übungspraxis von unschätzbarem Wert.

Samstag, 14. Juli 2007

Ein Gespräch zum Streben nach der Wahrheit (Bendôwa)

1. Buddhistische Lehre

Das erste Kapitel "Ein Gespräch über die Praxis des Zazen" (Bendowa) in dem großartigen Werk von Meister Dôgen: "Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges" (Shôbôgenzô) ist ein Dialog über die Wahrheit und vor allem über die Praxis des Zazen, die ganz wesentlich für den Weg des Buddha-Dharma zur Befreiung von geistigen und körperlichen Verkrampfungen und zum Erwachen ist.


Der große Buddha in Kamakura

Dieses Kapitel steht am Anfang des vierbändigen Werkes Shôbôgenzô, das aus 95 Kapiteln besteht und macht dessen große Bedeutung deutlich. Im Folgenden möchte ich dieses Kapitel auf der Grundlage der Interpretation von Nishijima Roshi erläutern
Die Praxis des Zazen ist nach Dôgen das

"Tor des Friedens und der Freude zum Dharma"

und löst Hindernisse und Blockaden des Denkens und Fühlens auf. Körper und Geist sind in unserem normalen, ungeschulten Bewusstsein eng mit der Vorstellung und Fixierung auf ein Ich verbunden, das sich bedroht fühlt und das auf sich selbst konzentriert ist. Nach der Lehre Gautama Buddhas ist dies aber die Ursache für vieles Leiden des Geistes und des Körpers oder wie wir heute sagen würden, der Psyche. Der Zen-Buddhismus lehrt uns in Theorie und Praxis, wie wir zur Wirklichkeit und Wahrheit selbst gelangen können und damit ein freies, friedliches Leben voller Freude führen können. Dabei ist die Zazen-Praxis oder wie es im Indischen heißt, das Samadhi, ein zentrales Moment und der Kern der Übungspraxis. Beim Zazen werden Gedanken, Bilder und Emotionen zum Verschwinden gebracht, so dass der normale Alltagsgeist überschritten wird und wir den wahren Geist vor allem von quälenden und einengenden Vorstellungen befreien.
Dôgen selbst hatte auf der Suche nach dem wahren Buddhismus, den er in Japan seinerzeit nicht finden konnte, in China schließlich seinen eigenen Meister (Tendô Nyojô) getroffen, bei dem er lernte, dass die vielfältigen theoretischen Probleme und Fragestellungen der buddhistischen Philosophie meist nicht weiterführen und dass das Zazen als Übungspraxis hinzukommen muss, damit man die buddhistische Lehre überhaupt "versteht". Dôgen verwendet gern für Zazen und den Zugang zum Buddha-Dharma die Formulierung

", Dass sich das Selbst empfängt und sich erfährt".

Das wahre „Selbst“, das sich durch diese Übungspraxis intuitiv und ganzheitlich eröffnet, hat den Bereich der Unterscheidung von Ich und Du, von Ich und Welt, von Subjekt und Objekt und all den vielen Dualitäten und Bewertungen, welche die meisten Menschen in ihrem Leben vornehmen, verlassen und gelangt in das unmittelbare Handeln und Schauen in der Gegenwart. Dôgen verachtet und negiert allerdings keinesfalls allgemein die theoretische Lehre oder bestimmte Bilder und Vorstellungen. Er betont jedoch immer wieder, dass dies einseitig, unvollständig und nur ein Teil der Wirklichkeit und Wahrheit sei und dass das Handeln und die Praxis des Zazen hinzukommen müssen, damit wir überhaupt Zugang zum wahren Buddhismus haben und überhaupt ein Leben der Freude mit der Überwindung des Leidens führen können.
Dôgen schreibt, dass er nach der Rückkehr von China nach Japan die große Verpflichtung in seinem Leben erkannte, sich fortan der Lehre und Verbreitung des wahren Buddhismus zu widmen. Offensichtlich wusste er um die Einzigartigkeit der buddhistischen Wahrheit, die er selbst erfahren und studiert hatte und beschloss daher, neben den mündlichen Vorträgen umfangreiche Schriften zu verfassen, die zu den größten Schätzen der menschlichen Kultur überhaupt zählen. Wenn der ehrliche Wille zur Wahrheit durch falsche Lehrer und falsche Theorie fehlgeleitet werde, enstünden große Schäden beim Menschen, die oft nicht umkehrbar sind und Dôgen fügt hinzu, dass es dann besser sei, überhaupt nicht den Buddha-Dharma zu studieren und zu erlernen. Daher sei auch die authentische Weitergabe des Buddha-Dharma von einem wahren Meister zu seinem Nachfolger von so großer Bedeutung. Diese authentische Übermittlung der Lehre und Praxis lässt sich für jeden Meister bis auf Gautama Buddha selbst zurückführen und ist sorgfältig dokumentiert. In der Linie von Dôgen haben vor allem die Meister Nâgârjuna, Bodhidharma, Daikan Enô und Tendô Nyojô eine herausragende Bedeutung und sie werden häufig als "ewige Buddhas" bezeichnet. Dôgen betont, dass in dieser ununterbrochenen Kette von Nachfolgern immer die Zazen-Praxis authentisch übermittelt wurde, so dass sie bis zum heutigen Tag im Zen-Buddhismus erhalten und lebendig ist. Er formuliert die Zazenpraxis in seiner kräftigen Sprache eines Dichters:

"Mit einem Mal überschreiten Millionen von Dingen ihre herkömmliche Erfahrung und Erkenntnis. Wir sitzen aufrecht wie der König unter dem Bodhi-Baum (Gautama Buddha) und drehen und verkünden in einem Augenblick das große Dharma-Rad, das in seiner vollkommenen Ausgewogenheit nicht seines gleichen hat und die Millionen von Dingen verströmen das unübertroffene, unmittelbare und tiefe Prajna".

Der Mensch, der im Zazen sitzt, erfährt intuitiv und ganzheitlich, dass er Körper und Geist, also auch das kleine ängstliche oder aggressive Ich fallen lässt und die festgefahrenen Ansichten, Gedanken und Gefühle jäh abschüttelt. Dies ist nach dem großen lebenden Meister Nishijima die erste Erleuchtung und die Erfahrung, ein Buddha zu sein. Die erste Erleuchtung ist kein willentliches Tun und das Erreichen eines vorgestellten Zieles, weil dadurch das wahre Handeln des Zazen gerade unmöglich und verhindert würde. Von wesentlicher Bedeutung ist allerdings der feste und klare Wille zur Wahrheit und das tiefe Vertrauen, dass die Wirklichkeit und Wahrheit des Lebens und der Welt das Leiden überwindet und auflöst. Wenn der Wille zur Wahrheit den Menschen auf den Buddha-Weg geführt hat und er die Zazenpraxis ausführt, ereignet sich die erste Erleuchtung unmittelbar, und dann verschwinden die Gedanken des normalen Verstandes und die von Gier gesteuerten Emotionen und Ängste. Dann verflüchtigen sich Zwangsvorstellungen und Zwangsbilder.

2. Antworten zur Zazenpraxis auf diverse kritische Fragen

Dôgen behandelt im Folgenden die wichtigsten Fragen zum Zazen und zum Buddha-Dharma in Form eines Gespräches mit einem kundigen, aber durchaus kritischen Partner und grenzt Zazen als Streben nach der Wahrheit von falschen oder unklaren Lehrmeinungen ab. Er vertieft dabei die wahre Bedeutung und Kraft, die er nach langer ausdauernder Suche selbst in China durch seinen eigenen Meister Tendô Nyojô erlernt und erfahren hatte.
Er bezeichnet gegenüber seinem Gesprächspartner die Zazenpraxis als das wahre Tor zum Buddha-Dharma und macht auf die Frage, ob dies das einzige wahre Tor sei, ganz deutlich, dass alle Buddhas und Vorfahren im Dharma des westlichen Himmels (Indien) und des östlichen Landes (China) den Weg durch Zazen vollendet haben. Dies sei keineswegs müßiges Sitzen in Untätigkeit, und auch das Lesen der Sutren und Rezitieren von Buddhas Namen komme dem Zazen keineswegs gleich, denn dies sei das Samadhi der Buddhas, "in dem sich das Selbst empfängt und sich erfährt". Es sei wirklich eine Erfahrung und intuitive Erkenntnis jenseits des normalen Denkens des Alltags und kann in seiner Klarheit und Unmittelbarkeit fast als schmucklos bezeichnet werden. Romantische Verzierungen und Träumereien sind dem Zazen fremd. Einseitiger Verstand, Einbildungen, Vorstellungen und Erinnerungen sind etwas anderes als diese Übungspraxis, die niemals nach Ruhm und Gewinn strebt, sondern im Handeln selbst erfüllt und vollendet ist. Aber Zazen ist auch keine getrennte nur körperliche Übung, denn dann wäre wieder die Einheit von Körper und Geist zerstört und wir wären im puren Materialismus verfangen. Es wird ganz klar, dass die lebendige und authentische Übertragung vom Meister auf den Schüler von wesentlicher Kraft und Bedeutung für diese Praxis ist, die Körper und Geist gleichermaßen umfasst.
Man solle auch nicht versucht sein, das Zazen mit den anderen Schulen, die es damals in China und Japan gab, zu verwechseln, weil derartige Diskussionen zur Überlegenheit oder Unterlegenheit sowie die Unterscheidung zwischen Oberflächlichkeit und Tiefe im Dharma unsinnig sind. Worte, und seien sie auch noch so poetisch, können immer nur auf die große Wahrheit hinweisen, sie aber nicht ersetzen und sind dauernd in Gefahr, in Spitzfindigkeiten auszuarten oder romantische Träumereien, die vom Hier und Jetzt wegführen, zu erzeugen. Dôgen macht deutlich dass die Zazenpraxis uns Klarheit gibt, wann unser Geist sich in abstrakten Vorstellungen verloren hat und dann wirklich in die Gegenwart des Hier und Jetzt als Einheit von Körper und Geist zurückkommt. Dann wird auch die Trennung von Welt und Ich überwunden und wir finden zur umfassenden Einheit zurück. So könne man die große buddhistische Wahrheit empfangen, sie schauen und im Handeln benutzen. Aus der Erfahrung von Dôgen ist Zazen als Übung des Gleichgewichtes (Formulierung von Nishijima Roshi) von unschätzbarem Wert und darf auf keinen Fall auf dem Dharma-Weg übergangen werden, wenn man sich z. B. nur auf die übrigen Bereiche des achtfachen Weges zur Überwindung des Leidens konzentriert. Dabei darf man sich auch nicht an der Bezeichnung "Zen-Schule" festhalten, denn diese Bezeichnung wurde dem indischen Meister Bodhidharma erst in China gegeben, als er dort Zazenpraxis übte und die damaligen chinesischen Mönche und Laien noch wenig Verständnis dafür hatten.
Im weiteren Verlauf des Gespräches erläutert Dôgen, dass das Sitzen im Zazen nach seiner eigenen tiefen Erfahrung eine wesentliche Übung sei, die auch auf die anderen von Buddha genannten Tätigkeiten, wie Gehen, Stehen, Liegen, Arbeiten usw., kräftig ausstrahlt. Dôgen formuliert dies wie folgt:

"Zazen ist das Dharma-Tor des Friedens und der Freude" und dabei sollte man
"Körper und Geist fallen lassen".


Es sei eine völlig irrige Ansicht, dass Zazen nur von Anfängern und Fortgeschrittenen praktiziert werden sollte und dass Meister und "Vollendete" diese Praxis nicht benötigen. Dôgen macht im Gespräch unmissverständlich klar, dass Zazen für alle im Buddhismus wesentlich, notwendig und nicht zu ersetzten sei. Wenn wir Körper und Geist fallen lassen, uns nicht durch ehrgeizige Zielvorstellungen verkrampfen, was wir unbedingt erreichen wollen, sondern das Sitzen als Handeln selbst verwirklichen, dann werden wir von dieser wunderbaren Übung durchdrungen. Dies bezeichnet der lebende Meister Gudo Nishishima als erste Erleuchtung. Zazen ist dann unmittelbares, unverstelltes Handeln in der Gegenwart, das sich selbst vollständig genügt und von dem nichts weggenommen und dem nichts zugefügt werden kann. Die Zazenpraxis wird daher auch von Meistern immer weiter geübt und ist niemals in diesem Leben zu Ende.
Bereits in den Reden Gautama Buddhas heißt es häufig, dass man sich mit gekreuzten Beinen an einem ruhigen Ort im Samadhi niedersetzen solle. Daher sei die Zazenpraxis seit Buddha von einem Meister zum anderen in einer nicht unterbrochenen Kette übertragen worden, obwohl es diesen Begriff im alten Indien noch nicht gab, denn dieser wurde erst in China geprägt.
Die alte indische Vorstellung des Brahmanismus von einer ewigen konstanten Seelenessenz, die bei der Wiedergeburt von einem Körper zum anderen wandert, bis sie den Kreislauf dieser Welt vollendet hat und in das ewige Nirwana eingeht, sei ganz unrichtig. Dôgen grenzt die Zazenpraxis in aller Klarheit von dieser idealistischen Vorstellung ab und macht noch einmal deutlich, dass derartige Träume und Vorstellungen von der Wahrheit wegführen und überhaupt nicht in der Lage sind, das eigene Leiden zu überwinden. Im Hier und Jetzt gibt es eine unteilbare Einheit, in der Körper und Geist in sich selbst, mit der Welt und mit dem Universum eine untrennbare Einheit bilden. Daher ist die Vorstellung einer isolierten Seelenessenz im Buddhismus nicht haltbar und führe in die Irre. Auch die Vorstellung eines zukünftigen Lebens in einer neuen Inkarnation und das Eingehen in das Nirwana sei mit der buddhistischen Erfahrung der wahren Sein-Zeit im gegenwärtigen Augenblick nicht vereinbar und sei eine Produktion des Verstandes, die sich von der Wirklichkeit abgelöst habe.
Zazen kann jeder praktizieren, unabhängig davon, ob er gemäß der buddhistischen Lehre und nach den buddhistischen Geboten ein wirklich reines Leben führt oder nicht. Es sei also keinesfalls nur den Mönchen und Nonnen mit reinem Lebenswandel vorbehalten, steht also jedem offen und sollte auch von jedem praktiziert werden. Dabei sei es völlig unsinnig, zwischen Mann und Frau zu unterscheiden und auch viel beschäftigte Laien sind gut beraten, Zazen zu praktizieren, selbst wenn der Tagesablauf durch die Arbeit weitgehend ausgefüllt ist und scheinbar keine zeitliche Lücke besteht, um zu praktizieren. Dôgen spricht in diesem Zusammenhang den chinesischen Minister Hyo an, der regelmäßig Zazen praktizierte und neben seinen Amtsgeschäften in der Regierung als Zazen-Praktizierender weit im Lande bekannt und berühmt war. Wer das Streben und die Entschlossenheit zur Wahrheit mit der Übungspraxis des Zazen hat, werde trotz seiner weltlichen Aufgaben und Pflichten zweifellos Klarheit erlangen. Dabei sind bestimmte Theorien zum Niedergang des Buddhismus, die schon im alten Indien aber auch in China und Japan weit verbreitet waren, völlig unwesentlich, so dass die Aussage, man könne nicht Zazen praktizieren, weil man im Zeitalter des buddhistischen Niederganges lebe, ein Hirngespinst sei und an der Wirklichkeit vollständig vorbeigeht.
Eine scheinbare Erkenntnis, dass unser Geist ohne Anstrengung schon Buddha sei, muss ebenfalls als bloßes Wissen und Theorie durchschaut werden und kann damit niemals die Kraft der Übungspraxis in der Gegenwart des Hier und Jetzt erreichen. Das Wissen allein kann ohne die Einheit von Körper und Geist und das Handeln im Augenblick kaum die nötige Energie entwickeln, die erforderlich ist, um zur Wahrheit zu gelangen. Dieser Unterschied von Wissen und Reden einerseits und der ganzheitlichen Erfahrung im Handeln in der Einheit von Geist, Körper, Universum und Ich werde im Zen-Buddhismus immer wieder hervorgehoben und ist zweifellos ein ganz wesentlicher Beitrag für unsere westliche Kultur, in der die einseitige Theorie meist überschätzt wird und dann auch der Idealismus nur allzu leicht in Ideologien umschlägt. Dies führt u. a. zu den großen Katastrophen und furchtbaren Kriegen mit all ihren Brutalitäten und Unmenschlichkeiten. Nach vielen Jahren der Zazenpraxis kann, wie Dôgen im Gespräch erläutert, die zweite Erleuchtung als plötzlicher Durchbruch erfolgen, und dies wird in vielen Zen-Geschichten glaubhaft berichtet. Aber nach Dôgen ist ein derartiger Durchbruch ohne die Zazenpraxis, die bereits die erste Erleuchtung selbst ist, nicht möglich.
Manchmal kann ein derartiger Durchbruch sich ereignen, ohne dass der handelnde Mensch überhaupt davon weiß oder auch nur eine solche Absicht hatte. Dafür wird in den buddhistischen Geschichten zum Beispiel eine Prostituierte beschrieben, die die große Wahrheit erfuhr, nachdem sie zum Spaß das buddhistische Gewand der Kashaya angelegt hatte. Theoretisches Wissen und Gelehrsamkeit seien zwar nützlich, sind aber nicht ausreichend für diese Wahrheit. Sie steht also Klugen und Dummen gleichermaßen offen und ist nach Dôgen untrennbar mit der Übungspraxis des Zazen verbunden.

3. Begründung der schriftlichen Fassung des Shôbôgenzô

Am Ende dieses Kapitels begründet Dôgen, dass er es für notwendig hält, seine eigenen praktischen und theoretischen Erfahrungen niederzuschreiben und für die Schüler, die ehrlich nach der Wahrheit suchen, verfügbar zu machen. Es gäbe viele falsche und unfähige Lehrer, die bei den Schülern, die an sie glaubten, große Schäden anrichten, und die meist nicht wieder gut zu machen seien. Deshalb sei die wahre und reine Lehre so wichtig und deshalb habe er sich entschlossen, sie schriftlich niederzulegen. Dabei wolle er ohne Verzug an die Arbeit gehen. Wir verdanken Meister Dôgen in der Tat die großen Werke wie: “Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ (Shôbôgenzô) und andere wesentliche Schriften seinem Entschluss, die buddhistische Lehre schriftlich auszuarbeiten.

Freitag, 6. Juli 2007

Eröffnung des Blog der Dogen Sangha Berlin

Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (Shobôgenzô) von Meister Dôgen gehört zweifellos zu den wichtigsten und ergiebigsten buddhistischen Schriften überhaupt und zählt damit zur ganz großen Weltliteratur. Durch die große Lebensleistung von Meister Gudo Nishisjima Roshi liegen nunmehr seit etwa zehn Jahren die vollständigen Texte auch in Englisch vor, er hat sie zusammen mit Chodo Cross heraus gegeben. Er hat über sechzig Jahre seines langen Lebens den Schriften von Meister Dôgen gewidmet und dessen Lehre an verschiedene Schüler weiter gegeben. Durch dieses gewaltige Lebenswerk gibt es die Texte nicht nur in westlichen Sprachen, sondern sie können nun auch inhaltlich wesentlich besser erschlossen und ´verstanden´ werden. Meister Nishijima gehört sicher zu den herausragenden lebenden Dôgen-Spezialisten der Welt, aus meiner Sicht ist er sogar führend. Ich hatte ihn zuerst in Tokyo kennen gelernt und er sprach von großen Bedeutung dieses Werkes in deutscher Sprache. Auf seine ausdrückliche Bitte hin versprach ihm, daran intensiv mitzuarbeiten und meinen Beitrag zur Veröffentlichung zu leisten. Er hatte nämlich besondere Sorge, ob es gelingen würde, eine guten in der Fachwelt anerkannten deutschen Verlag zu gewinnen. 
Das Shôbôgenzô ist nach wie vor ein Werk, das nicht schnell und einfach zu lesen und verstehen ist Es ist das ebenfalls hoch zu bewertende Verdienst der Zen-Meisterin Ritsunen Linnebach, die selbst die Dharma-Übertragung von Nishijima Roshi erhalten hat, die das Projekt für eine buddhistisch verlässliche deutsche Übersetzung zusammen mit Meister Nishijima gestartet hatte. In der ersten Phase der Kooperation erstellte sie ein Rohübersetzung, die ich sprachlich bearbeitete. Dadurch war es uns möglich einen renommierten buddhistischen Verlag für die Zusammenarbeit zu gewinnen. Dabei halfen uns auch ihre japanischen Sprachkenntnisse hervorzuheben. Die wichtige Quelle war im Übrigen der englische Text des Shobogenzo. Drei Bände des Shôbôgenzô sind bereits beim Kristkeitz-Verlag erschienen und werden ausgesprochen positiv bewertet. Daher möchte dem Kristkeitz-Verlag ausdrücklich für seine wirklich professionelle Arbeit danken. 
Frau Linnebach hatte bereits viele Jahre an den Manuskripten gearbeitet, ohne einen Verlag für die Veröffentlichung zu gewinnen. Sie konnte  ohne Zweifel als gute Kennerin des Shôbôgenzô  im deutschen Sprachraum angesehen werden. Ich kenne und schätze ihre buddhistische Arbeiten, denn ich habe selbst fast neun Jahre intensiv mit ihr zusammengearbeitet und jeden einezelenen Satz diese umfangreichen Werke bearbeitet. Meine Aufgabe war es zunächst, die fachliche Konsistenz zu analysieren und die deutschen Formulierungen auf der Grundlage ihrer Entwürfe zu gestalten. Außerdem ging es darum, durch vielfältige inhaltliche Fragen und Diskussionen an derVerbesserung des Gesamtwerkes zu arbeiten. Am Anfang der Kooperation Weise haben wir zunächst zwei Kapitel als Beispiel von Grund auf neu bearbeitet und damit nicht zuletzt den Kristkeitz-Verlag für diese wichtige Veröffentlichung gewonnen. Das Gesamtwerk ist auf vier Bände angelegt und wurde auch so realisiert. Darüber hat sich Nishijima Roshi sehr gefreut, denn die deutsche Fassung lag ihm sehr am Herzen. Die Kurzfassungen der einzelnen Kapitel der ersten drei Bände stammten im Übrigen aus meiner Feder und wurden von ihm gut geheißen. Für den dritten Band habe ich zudem mehrere Kapitel aus dem Englischen übersetzt. Mein Arbeitsanteil dürfte insgesamt bei zwei Mannjahren liegen. Ich bin von tiefer Dankbarkeit erfüllt, dass ich meinen Beitrag zu diesem epochalen Werk einbringen konnte. Nach meiner Dharma-Übertragung als Zen-Meister im Jahre 2003 haben Ritsunen Linnebach und ich dann auch fachlich partnerschaftlich weiter an den schwierigen Texten gearbeitet.
Dabei wurde auch der unverzichtbare Rat von Nishijima Roshi immer wieder eingeholt. Wir haben auf diese Weise viele Jahre lang zusammen Satz für Satz der anspruchsvollen Texte durchgearbeitet. Wir sind der festen Überzeugung, dass dadurch ein hochwertiges und verlässliches Quellenwerk des Shôbôgenzô im deutschen Sprachraum vorgelegt werden konnte. Für diese sehr fruchtbare und freundschaftliche gemeinsame Zeit möchte ich hier noch einmal ausdrücklich danken. Ich habe besonders am Anfang der Kooperation viel dabei gelernt. Diese im Kristkeitz-Verlag erschienenen Bände sind auch meist die Quelle der hier eingefügten Zitate. Außerdem habe ich die englischen hochwertigen Fassungen als Quellentexte verwendet. Entsprechend meinem jetzigen Verständnis habe ich die Zitate manchmal sprachlich abgewandelt, um den buddhistischen Gehalt für die Leserinnen und Leser klarer werden zu lassen. Dieses wurde auch durch eine sehr intensive direkte Zusammenarbeit mit Nishijima Roshi in den letzten Jahren gestützt. Für diese Umformulierungen trage ich selbstverständlich die alleinige Verantwortung. 
Die Zitate aus dem vierten Band des Shôbôgenzô sind meine alleinigen Übersetzungen aus dem Englischen, da die deutsche Fassung noch nicht vorlag und ich andere Arbeiten übernommen habe, die ich zunächst zurückgestellt habe. Ich hatte zusammen mit Meister Nishijima sei dem Jahre 2000 begonnen den deutsche Text des "Mittleren Weges" des großen indischen Meisters Nagarjuna zu bearbeiten und dazu Grundkenntnis des Sanskrit erworben. Dabei handelt es sich um ein  Werk hoher philosophischer Schwierigkeit.. Weiterhin gibt es Dogens wertvolle Sammlung von Koan-Geschichten (Shinji Shôbôgenzô), die ausführliche Kommentare von Meister Nishijima enthalten. Sie wurden von der Zen-Meisterin Doko Waskönig verläßlich aus dem Englischen übersetzt (Barth Verlag) und liegen nun ebenfalls in deutscher Sprache vor. Sie werden hier häufig mit herangezogen. 
Dôgens Lehre vermittelt die ganze Kraft und sprachliche Kraft des Buddhismus und kann dem Westen als großer Schatz aus dem Osten geöffnet werden. Aber die Werke Dôgens sind nicht leicht zu verstehen, und sie bedürfen u. a. sowohl einer Übertragung in die jetzige Zeit, als auch einer sprachlich tragfähigen Brücke zu unserer westlichen Kultur. Neben den genannten nicht zu ersetzenden authentischen Texten möchte ich daher hier im Blog die einzelnen Kapitel des Shôbôgenzô nach einander zusammenfassen, erläutern und kommentieren, um den Zugang zu ihnen zu erleichtern und sie besser verständlich zu machen. Es ist mein Ziel, so alle Kapitel der vier Bände des Shôbôgenzô zu bearbeiten. Dazu hat mich Meister Gudo Nishijima ausdrücklich ermutigt. Dieser Internet-Blog soll das Studium des Shôbôgenzô in der Fassung des Kristkeitz-Verlages, das ich unbedingt empfehle, sinnvoll ergänzen und hoffentlich erleichtern. Diese Texte machen das Shôbôgenzô selbst nicht überflüssig, sondern sollen dessen Studium im Gegenteil erleichtern. Ich möchte auf die neuesten Arbeiten in Englisch von Nishijima Roshi verweisen, die in der deutschen Übersetzung seines Internet-Blogs wieder gegeben sind: "Die Grundprinzipien des Shôbôgenzô", die m. E. nicht zuletzt durch deren Erläuterungen von ganz großem Wert sind. Mit den Dôgen-Blogs kann ich auch den Bitten vieler Freundinnen und Freunden des Buddhismus entsprechen, die mich um diese Übersetzungen, Einführungen und Erläuterungen gebeten haben. Ich betrachte es als außerordentlich glücklichen Umstand, dass ich viele Fragen und Eckpunkte dieser Texte im direkten Gespräch mit Meister Nishijima selbst klären konnte. Er hatte mich zwei Mal in sein Appartement in Tokyo eingeladen, wo wir mehrere Wochen „Tag und Nacht“ an den Texten arbeiten konnten und ich auch seinen praktischen Buddhismus ganz hautnah erleben durfte. Dies hat meine Kenntnis des Zen-Buddhismus ganz wesentlich geprägt und kommt hoffentlich auch diesen Texten zu Gute.Ich wünsche den Lesern, dass sie einen guten Zugang zu diesen großen Schätzen des Buddhismus finden und auch zu den authentischen Texten von Meister Dôgen selbst greifen. Dafür bedarf es etwas Geduld und Ausdauer, aber ich bin sicher, dass dies ein wichtiger Teil des buddhistischen Weges ist und eine nachhaltige positive Wirkung auf das eigene Leben haben wird.Um die Veröffentlichung zu erleichtern, wurde t. T. eine vereinfachte Schreibweise der Begriffe und Namen in Japanisch und Sanskrit gewählt.
Ich freue mich auf Fragen und Kommentare! Herzlich, Yudo J. Seggelke

Einführung zur Dogen Sangha Berlin von Gudo Nishijima Roshi


Mit Yudo J. Seggelke habe ich vereinbart, dass er im Blog der Dogen-Sangha Berlin wesentliche Bereiche der buddhistischen Lehre und Praxis beschreibt und kommentiert und sich dabei vor allem auf das große Werk: "Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges" (Shobogenzo) von Meister Dogen (Kristkeitz Verlag) stützt. Dieses Werk habe ich mehr als sechzig Jahre lang eingehend studiert und bin der festen Überzeugung, dass dieses Quellenwerk auch für den Westen von unschätzbarem Wert ist. Wir wollen somit den zunächst schwierigen Inhalt des Shobogenzo über das Internet an Interessierte im deutschsprachigen Raum herantragen und verständlicher machen. Dies ergänzt aus meiner Sicht in ausgezeichneter Weise die von mir selbst verfassten Texte des Buddha-Dharma, die ebenfalls im Blog des Internet zugreifbar sind (http://gudoblog-d.blogspot.com/) und außerdem die Texte des Shobogenzo und anderer Werke von Meister Dogen selbst.
Manche meinen, dass der Buddhismus eine Religion ist, die nur für Menschen geeignet ist, die sich aus dem beruflichen und gesellschaftlichen Leben zurückziehen oder glauben sogar, dass der Buddhismus lebensfeindlich oder gar nihilistisch sei. Vor allem der Zen-Buddhismus sei von Askese und dem schmerzhaften Ringen um Erleuchtung geprägt. Dies ist aus meiner Erfahrung und Kenntnis völlig falsch und das Gegenteil ist richtig. Wer sich aus der Wirklichkeit verabschiedet, gerät unweigerlich in einen ausweglosen Kreislauf von Leiden, Trugbildern, Ängsten und subjektiven Welten und kann nur daraus erlöst werden, wenn er zur Wirklichkeit und damit zur Wahrheit zurückfindet. Das Genie Gautama Buddha hat dies erfahren und erkannt und uns die großartige Lehre des Buddha-Dharma gegeben. Der Buddhismus behauptet auch nicht, dass das ganze Leben aus Leiden besteht, sondern im Gegenteil, er will uns praktisch gangbare Wege weisen, wie wir das Leiden überwinden, eindimensionale Weltanschauungen über Bord werfen, Ideologien und Verführungen schnell durchschauen und zu Gleichgewicht und Harmonie zurückfinden. Mit Meister Dogen bin ich der festen Überzeugung, dass die Praxis des Zazen in Verbindung mit der buddhistischen Lehre genau der richtige Weg ist, den wir dabei beschreiten sollten. Meine Lehre stützt sich neben Gautama Buddha selbst auf die genialen Meister Nagarjuna, Bodhidharma und, wie schon erwähnt, auf Meister Dogen. Ich habe bei meinen vielen Vorträgen und Gesprächen in Asien, Europa und Amerika festgestellt, dass sich die Eckpunkte von Theorie und Praxis des wahren Buddhismus immer klarer herauskristallisieren und besser verstanden werden.
Welches sind nun die maßgeblichen Eckpunkte des Buddha-Dharma?
Lassen Sie mich dabei zunächst kurz auf das Leben und die Erfahrungen von Meister Dogen eingehen. Er wurde 1200 nach Christus geboren und hatte schon in frühen Jahren ein schweres Schicksal, weil sowohl sein Vater als auch seine Mutter früh gestorben waren, und er die Begrenztheit des Lebens bitter erfahren musste. Dies mag der Grund dafür sein, dass er schon in jungen Jahren den Sinn und die Wahrheit unserer Existenz suchte, in ein buddhistisches Kloster eintrat und nicht zuletzt wegen seiner überragenden Intelligenz schon bald die verschiedenen buddhistischen Lehren im damaligen Japan aufgearbeitet hatte. Der junge Dogen war nicht nur ungewöhnlich begabt, sondern auch von großer Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, so dass er trotz besten Willens den damaligen in Japan gelehrten Buddhismus wenig überzeugend fand und nach China ging. Auch dort erlebte er zunächst Enttäuschungen, bis er schließlich seinen eigenen Meister Tendo Nyojo traf, der neben der Lehre des Buddhismus vor allem die Praxis des Zazen in den Mittelpunkt des buddhistischen Weges stellte. Zazen ist keine geistige Meditation mit der Konzentration auf ein Thema oder auf ein Bild, auf den Atem, auf das Zählen oder auf die paradoxen Fragen der Koans. Zazen ist genau das Gegenteil, nämlich praktisches Handeln in Form des Sitzens in der richtigen Haltung, so dass sich beim Menschen ein Gleichgewicht einstellt und dabei Gedanken, Gefühle und die normale Wahrnehmung verschwinden. Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen handelt es sich dabei um das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems, wenn die Aktivität und Spannung des einen Teilsystems Sympathikus und die Passivität und Wahrnehmung des anderen Parasympathikus im Gleichgewicht sind. Das japanische Wort Shobogenzo bedeutet "Der wesentlichen Kern oder die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges" und dieser kostbare Schatz ist aus der Sicht von Meister Dogen die Praxis des Zazen, die er in seinen Werken immer wieder beschreibt und wie wir wissen, an seine Schüler weiter gegeben hat.
Was sind nun die Kennzeichen der Zazenpraxis?
Dogen führt vier wesentliche Bereiche auf:

1) Überschreiten des üblichen unterscheidenden Denkens mit dem Verstand in Form des "Nicht-Denkens".

2) Das regelmäßige Sitzen im Zazen in der richtigen Körperhaltung, die von Dogen sehr genau beschrieben wird. Dieses Sitzen ist praktisches Tun, umfasst damit den ganzen Menschen und beschreibt sozusagen die körperliche Dimension als Grundlage des Handelns.

3) Dogen beschreibt das wirkliche Handeln und Erleben bei der Zazenpraxis mit den Worten: "Das Fallenlassen von Körper und Geist" und meint damit, dass wir uns von den einengenden Fesseln des Körpers und des Geistes, die uns in unserem Leben so häufig quälen, befreien. Ich interpretiere diese von Dogen formulierte Tatsache als das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems, das durch die Zazen-Praxis erreicht wird.

4) Die Praxis des Zazen wird durch das japanische Wort „Shikantaza“ beschrieben, das etwa übersetzt heißt: "Nichts anderes tun als sitzen". Damit will Dogen vor allen Dingen klar machen, dass wir bei der Zazen-Praxis keine Konzentration auf ein Thema oder Ziel aufbringen sollen, sondern dass das Sitzen selbst die wesentliche Übungspraxis ist. Dadurch werden das Gleichgewicht und die Harmonie ermöglicht, von der wir heute wissen, dass sie die Balance des vegetativen Nervensystems sind. Dieses Zazen bezeichne ich als die erste Erleuchtung. Diese kann aber nicht auftreten , wenn intellektuelle oder sonstige Gedanken im Geist vorhanden sind, wenn Gefühle vorherrschen oder die Wahrnehmung dominiert. Daher ist es so wichtig, nicht irgendein bestimmtes Ergebnis erzielen zu wollen, sich nicht auf irgendetwas zu konzentrieren, sondern es kommt darauf an, die richtige körperliche Haltung und das Sitzen als Handeln zu verwirklichen. Nur dann kann die erste Erleuchtung bei der Zazen-Praxis auftreten.
Gautama Buddha hatte im alten Indien zunächst mit den damaligen Meditationsformen der geistigen Konzentration und mit Übungen der Askese versucht, Befreiung und Erwachen zu erlangen und war bekanntlich dabei gescheitert. Die auch damals im alten Indien vorhandenen Philosophien des eindimensionalen Idealismus, bei dem Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Ideale vorherrschend sind, aber auch der eindimensionale Materialismus, der allein der sinnlichen Wahrnehmung und Beobachtung Wirklichkeitswert zuschreibt, hatten sich als Sackgassen erwiesen. Auch ein Skeptizismus und Nihilismus, den es schon damals gab, führten nicht weiter. Gautama Buddha erkannte dann:

"Die ganze Erde und alle Lebewesen verwirklichen zusammen die Wahrheit",

wie Meister Dogen dies ausdrückt. Er erkannte, dass er über das Denken und die Wahrnehmung hinausgehen musste, um die Wahrheit und Wirklichkeit der Welt direkt zu erfahren und zu erleben. Dazu benutzte er die Praxis des Zazen, die auf der seit langem bekannten Yoga-Haltung des halben oder ganzen Lotussitzes aufbaut. Dann erkennen und erfahren wir unmittelbar die Einheit und Schönheit der Welt. Durch das Handeln des Sitzens im Augenblick und im Hier und Jetzt verlassen wir das oft quälende dualistische Bewusstsein von Körper und Geist und erfahren unser Leben im Einklang und in der Einheit mit dem Universum ganzheitlich und unmittelbar intuitiv. In der wirklichen Erfahrung des Zazen können wir den Buddha-Dharma vollkommen verwirklichen, wenn wir, wie ich immer wieder betone, zweimal täglich diese Übungspraxis vollziehen.
Um das Shobogenzo von Meister Dogen zu verstehen und sich nicht an scheinbaren Widersprüchen und Paradoxien aufzureiben, gibt es einen Zugang und Schlüssel, der den unschätzbaren Wert dieses Werkes aufschließt. Es handelt sich dabei um die neue und wie ich glaube, großartigen Lehre der sog. vier Lebensphilosophien, die Meister Dogen in dem Kapitel „Das verwirklichte Universum“ (Genjo koan) beschreibt. Die volle Wirklichkeit des Lebens und der Welt sind weder durch den Verstand noch durch die Wahrnehmung ganz zu erfassen, sondern es handelt sich dabei immer nur um Teilwahrheiten, die durch ihre Einseitigkeit als umfassende Lebensphilosophie völlig ungeeignet sind und daher zwangsläufig ins Leiden führen müssen. Die beiden ersten Lebensphilosophien sind die im Westen vorherrschenden Lehren und entsprechenden Lebensführungen des sog. Idealismus und Materialismus. Wie Gautama Buddha und Meister Dogen jedoch in aller Deutlichkeit erklären, muss als dritte Lebensphilosophie der Bereich des Handelns und Erfahrens im gegenwärtigen Augenblick, also im Hier und Jetzt, hinzukommen. Dann können wir die enge Perspektive des Subjekts überschreiten und uns befreien. Bei der Zazenpraxis und im Alltag eröffnet sich durch das direkte Handeln im Hier und Jetzt eine neue Wahrheit, die zum Kern der buddhistischen Lehre gehört. Die vierte umfassende Lebensphilosophie des Buddhismus enthält die drei ersten genannten Teilbereiche und geht gleichzeitig über sie hinaus, sie bildet also den „Schlussstein“ des großartigen buddhistischen Lehrgebäudes.
Meister Dogen drückt dies wie folgt aus:

"Selbst wenn dies alles so ist, fallen die Blüten, obwohl wir es bedauern und wächst das Unkraut, obwohl es uns nicht gefällt".

Damit will er sagen, dass wir über unsere kleinen Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Erwartungen hinausgehen müssen, diese als solche erkennen und ihnen die einengende Kraft nehmen, um zur Wahrheit des Buddha-Dharma und des Lebens zu gelangen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit den vier Lebensphilosophien den Schlüssel für die Lehren Gautama Buddhas und Meister Dogens in der Hand haben.
Das Gesetz von Ursache und Wirkung hat im Buddhismus einen zentralen Stellenwert und auch Meister Dogen bekennt sich dazu. In dem Kapitel: "Tiefes Vertrauen in Ursache und Wirkung" des Shobogenzo kommt dies in aller Klarheit zum Ausdruck. Wie erläutert, wird der Lebensphilosophie der Formen und des Materiellen im Buddha-Dharma als Teilwirklichkeit anerkannt. Auch Meister Dogen beschreibt in verschiedenen Kapiteln die physische Welt und, wie wir heute sagen würden, die Gesetze der Naturwissenschaft. Der große Wissenszuwachs der modernen Zeit ist ja nicht zuletzt in diesem Bereich entstanden und steht überhaupt nicht im Gegensatz zur buddhistischen Lehre. Besonders deutlich wird dies in den Kapiteln des Shobogenzo: „Das verwirklichte Universum“, „Eine leuchtende Perle“ und „Die Stimme des Tales und die Form der Berge“. Das Gesetz von Ursache und Wirkung gilt im Buddha-Dharma jedoch auch und nicht zuletzt für die Ethik und Moral des menschlichen Lebens und besagt, dass moralisch schlechte Taten auf den Urheber zurückschlagen und zwar unabhängig von dem Glauben an die Wiedergeburt und noch in diesem Leben. Genauso gilt das Umgekehrte für moralisch gutes Handeln.
Das Gesetz von Ursache und Wirkung betrachtet die Zusammenhänge im Zeitablauf oder wie wir auch sagen, mit dem Verständnis der linearen Zeit. Wesentliche Erfahrungen und das wahre Erleben im Hier und Jetzt finden jedoch im Augenblick statt und haben im Buddha-Dharma eine sehr große Bedeutung, weil im gegenwärtigen Augenblick die Wirklichkeit, die wahre Existenz und die Wahrheit selbst erlebt und erfahren werden. Auch das Handeln findet im gegenwärtigen Augenblick statt, so dass die Augenblicklichkeit des Lebens und des Universums in der Lehre und in der Praxis im Mittelpunkt des Buddhismus stehen. Das Handeln im Augenblick bei der Zazen-Praxis ist mit der ersten Erleuchtung identisch und bedeutet den Bodhi-Geist des Menschen zu erwecken. Dogen sagt hierzu:

"Wer an des Tathagatas Schatzkammer des wahren Dharma-Auges und den wunderbaren Geist des Nirwana glaubt, glaubt auch an den Grundsatz der Augenblicklichkeit des Erscheinens und Vergehens aller Dinge.“

Die intuitive Weisheit und Klarsicht übersteigt bei weitem das übliche verstandesmäßige Denken und intellektuelle Ideen, seien sie auch noch so anspruchsvoll und komplex. Diese intuitive Weisheit und die volle Gegenwart und Freiheit des Handelns werden im Buddhismus gelehrt und praktiziert. Dann können wir sagen, dass es uns wie Schuppen von den Augen fällt und wir im Einklang mit der Welt und dem Universum die Zusammenhänge und uns selbst erkennen. Wir können dann ohne Zögern und Hemmnisse unmittelbar richtig handeln, wie es die Situation erfordert.
Wie ich an anderer Stelle schon ausgeführt habe, ist auch die westliche europäische Philosophie an den Endpunkt des alten Idealismus und Materialismus gekommen und sucht neue Wege, die aus meiner Sicht von den großen Meistern im Buddhismus bereits gegangen worden sind. Das Handeln im gegenwärtigen Augenblick ist Wahrheit und Wirklichkeit zugleich, es vollzieht sich hier und jetzt und ergibt die Einheit von Subjekt und Objekt sowie Körper und Geist im gegenwärtigen Augenblick. Dadurch werden wir frei und haben ein erfülltes und freudiges Leben.
Es ist sicher unbestritten, dass Ethik und Moral im Buddhismus von fundamentaler Bedeutung sind und dass vor allem die Übereinstimmung von Reden, Denken und Handeln gelehrt und erlernt wird. Hierbei ist die tägliche Praxis des Zazen genauso wie das alltägliche Handeln ein Kernbereich des Buddha-Dharma. Zazen ist dabei die reinste Form des Handelns und indem wir im halben oder ganzen Lotussitz physisch die Wirbelsäule aufrecht halten, kommt das vegetative Nervensystem automatisch ins Gleichgewicht. Dieses geistige und körperliche Gleichgewicht gibt uns Kraft und Ruhe, macht uns handlungsfähig und gesund.
Es übersteigt das verstandesmäßige Denken und irritierende Gefühle und ermöglicht intuitive Klarheit und Weisheit. Aber Buddhismus ist nicht allein Theorie, sondern die Verbindung von Lehre und Praxis und sie umfasst das ganze menschliche Leben und Universum.