Donnerstag, 28. Oktober 2010

Im Zazen das wahre Selbst empfangen

Nishijima Roshi betont, dass wir heute den Zustand im Zazen wissenschaftlich als Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems erkannt haben. Dieses Nervensystem ist mit dem Willen und dem Denken nur sehr wenig oder überhaupt nicht zu beeinflussen und trägt daher auch die Bezeichnung „autonomes Nervensystem“.


Die richtige Haltung im Zazen ermöglicht einen Gleichgewichtszustand, der sich auf den ganzen Körper-und-Geist auswirkt und zentrales Moment des von Gautama Buddha gelehrten Erwachens ist. Nishijima Roshi beschreibt diesen Gleichgewichtszustand folgendermaßen:
Er „ist der grundlegende (wahre) Zustand des menschlichen Körpers und Geistes. Diese Erleuchtung als vollständiger Gleichgewichtszustand wurde von Gautama Buddha gefunden und in einer nicht unterbrochenen Übertragungslinie bis zu den großen heutigen Meistern weitergegeben“.
Dōgen fährt mit seinen Ausführungen zur Übertragung fort:

„Der Grund, warum diese (Methode) ohne jede Abweichung nur von Buddha zu Buddha übertragen wird, liegt darin, dass der Samādhi sein (großartiger) Maßstab ist, um das Selbst zu empfangen und zu benutzen.“

Die Formulierung, dass wir beim Zazen das Selbst empfangen und benutzen, taucht im Shōbōgenzō an mehreren Stellen auf. Zazen ist damit neben der authentischen Lehre der zentrale Schlüssel, um das wahre Selbst zu finden und im praktischen Leben des Alltags zu verwirklichen. Dieses Selbst hat, wie bereits erläutert, mit dem egoistischen Ich nichts gemeinsam.
Ein wesentlicher Schritt zur Befreiung und Erleuchtung liegt gerade darin, dieses sich abgrenzende oder von Gier und Affekten beherrschte Ich aufzulösen, durchlässig zu machen und ins Gleichgewicht zu bringen. Für Dōgen ist die Zazen-Praxis dabei die fundamentale Methode, ohne die es auf dem Buddha-Weg kein Erwachen geben kann. Nishijima Roshi spricht sogar davon, dass Gautama Buddha uns empfiehlt, „Zazen als die fundierte Basis der menschlichen Kultur zu praktizieren.“

Für die Freude dieses Samādhi wurde die Praxis des (Za)zen in der aufrechten Sitzhaltung als authentisches Tor (zum Buddha-Dharma) entwickelt.“

Besonders bemerkenswert an dieser Aussage ist der Hinweis Dōgens auf die aufrechte Sitzhaltung, das heißt die gestreckte Wirbelsäule, beim Zazen. Diese Haltung verleiht uns eine tiefe Freude und Gelassenheit beim Samādhi und ist gleichzeitig der authentische Weg zum Buddha-Dharma und Erwachen. Interessant ist auch, dass Dōgen Zazen als Freude und Glück bezeichnet – und nicht als Askese, pure Willensanstrengung, Schmerzüberwindung und zähes Durchhalten. Es bringt uns die positive Energie der Freude, die nach neuen Erkenntnissen ganz wesentlich für physische und vor allem psychische Heilungsprozesse ist.

Samstag, 16. Oktober 2010

Die Bedeutung der Zazen-Praxis

Dōgen bezeichnet die Praxis des Zazen als „Zugang des Friedens und der Freude zum Dharma“; sie löse ganzheitlich die Hindernisse und Blockaden des Denkens und Fühlens auf. Körper und Geist sind in unserem gewöhnlichen, ungeschulten Denken dualistisch getrennt – was Dōgen ablehnt – und eng mit der Vorstellung und Fixierung auf ein weitgehend abgegrenztes Ich verbunden, das sich bedroht fühlt, auf sich selbst konzentriert ist und meist irgendetwas haben oder abwehren will. Ein solches Ich wird nicht zuletzt von Emotionen und Affekten getrieben, die dem Bewusstsein weitgehend verborgen bleiben. Nishijima Roshi spricht davon, dass eine Selbststeuerung unter diesen Bedingungen nicht möglich und der Mensch daher unfrei ist! Nach der Lehre Gautama Buddhas liegen die Ursachen für vieles Leiden in der Fixierung auf ein Ich als Subjekt und der Trennung von anderen Menschen und Dingen als Objekte. Diese Einschätzung wird auch durch die Psychotherapie bestätigt und hat bei der Analyse von Gefühlen eine große Bedeutung. Eine solche starke Zentrierung und Fixierung auf das eigene Ich wird häufig durch übertriebene Selbstgerechtigkeit, aber auch durch Angst vor psychischen Verletzungen erzeugt.

Gefühle wie Neid und Eifersucht werden laut der Psychologin Verena Kast in unserer Gesellschaft weitgehend tabuisiert und daher nicht bewusst zugegeben. Sie manifestieren sich infolgedessen meist als Abwertung oder sogar Kriminalisierung der anderen und sollen damit implizit als Aufwertung des eigenen Ich wirken. Das ist aber gerade keine dauerhafte Lösung des Problems. Der fast ausschließliche Bezug auf sich selbst tritt besonders gravierend bei Depressionen auf, wenn nur ein sehr eingeschränkter Kontakt zu anderen Menschen und zur Umwelt möglich ist. Auch diese Situation ist mit ganz starkem Leiden verbunden und führt meist dazu, dass der Alltag nicht mehr bewältigt werden kann.
In dem nun folgenden Satz fasst Dōgen zentrale Aussagen des Buddhismus zusammen.

„Wenn die Buddha-Tathāgatas, die alle die Eins-zu-eins-Übertragung (Transmission) des wunderbaren Dharma erhalten haben, den höchsten Zustand des vollkommenen Bodhi-Erwachens erfahren, sind sie im Besitz der feinen und kostbaren Methode, welche die höchste ist und keine (selbstsüchtige) Absicht hat.“

Alle Buddhas stehen demnach in einer nicht unterbrochenen Linie der Übertragung des wahren Buddha-Dharma, die hier als „Eins-zu-eins-Übertragung“ bezeichnet wird. Das heißt, dass jeweils ein authentischer Meister den wahren Buddha-Dharma an seinen Schüler weitergibt, der damit selbst authentischer Meister wird und die Befähigung zur Lehre erhält.

Das höchste Bodhi-Erwachen wird in Sanskrit als anuttara-samyak-sambodhi bezeichnet. Mit der feinen und kostbaren Methode des Bodhi-Erwachens ist die Zazen-Praxis gemeint. Dōgen fügt hinzu, dass diese Methode ohne selbstsüchtige Absicht angewendet wird. Wenn also die Erleuchtung oder das Erwachen zum eigenen Vorteil und mit Konzentration auf sich selbst angestrebt wird, entspricht dies nicht der im Shōbōgenzō dargestellten Zazen-Methode.

Dogen erläutert hierzu, dass beim Zazen „das (wahre) Selbst empfangen und benutzt wird“. Dieses Selbst unterscheidet sich vom egoistischen, abgegrenzten Ich, das etwas haben will oder etwas bekämpft, um sich selbst zu schützen, um materielle Vorteile zu erlangen oder Macht über andere zu gewinnen.

Freitag, 8. Oktober 2010

Liebe Freundinnen und Freunde des Buddhismus,

es ist mir eine Freude, Ihnen mein neues Buch vorzustellen, das jetzt lieferbar ist.
Es enthält die Beschreibungen und Erläuterungen zweier fundamentaler Kapitel des Shôbôgenzô des großen Meisters Dôgen:

Das verwirklichte Leben und Universum (Genjô-kôan) und

Ein Gespräch über das Streben nach der Wahrheit (Bendôwa).


Diese beiden Kapitel sind ein zentraler Schlüssel zu Dôgens großartigem Werk und zum Zen-Buddhismus überhaupt. Viele große Meister sagen, dass damit die Grundlage zum Verständnis des gesamten Shôbôgenzô dargelegt wird!
Zusammen mit Nishijima Roshi habe ich mich bemüht, alles gut verständlich zu schreiben.
Das Buch kann in jeder Buchhandlung erworben werden, oder direkt über das Internet Z. B.

ISBN 978-3-941380-05-9
Preis: 15,90

Mit herzlichen Grüßen
Yudo J. Seggelke

Samstag, 2. Oktober 2010

Kōan-Gespräch zur konkreten Wirklichkeit, Teil 2


Dōgen arbeitet weiter heraus, dass in dem Kōan von zentraler Bedeutung sei, dass der Fächer direkt und einfach zur Kühlung benutzt wird. Dies sei wesentlich wichtiger als die Aussage, dass die Luft überall anwesend ist. Gerade diese Eigenschaft werde nämlich erst durch die Benutzung beim Kühlen wirklich, und wer dies nicht wisse, kenne die Natur der Luft überhaupt nicht. Das heißt, dass durch das Handeln des Meisters die wahre Natur der Luft erst verwirklicht wird, während die abstrakte Beschreibung von deren Eigenschaft für das konkrete Leben irrelevant ist.

„Weil es die Natur der Luft ist, überall anwesend zu sein, hat das Verhalten der Buddhisten die Erde dazu gemacht, sich selbst als Gold zu manifestieren, und hat die Milchstraße (des Universums) zu (köstlichem) Quark und (wohlschmeckender) Molke reifen lassen.“
Molke-Getränke und Quark waren im alten China sehr beliebte Lebensmittel, die als besondere Köstlichkeiten galten.
Dieses letzte Zitat ähnelt einem Kōan und fasst gleichzeitig wesentliche Aussagen des Kapitels zusammen. Mit der Erwähnung der Milchstraße – oder wie es im alten China heißt, des „langen Stromes“ – wird der Bogen zum Universum und damit zum Thema dieses Kapitels geschlagen.
Das Handeln und Verhalten der Buddhisten verwandelt die Erde laut einem alten Meister in Gold. Die Natur der Luft und das Handeln der Buddhisten werden im obigen Zitat in einen unauflösbaren Zusammenhang gebracht.
Das Kōan kann in einem tieferen Sinn symbolisch verstanden werden: Die Luft ist wie die Buddha-Natur überall anwesend, aber es bedarf des Handelns, damit sie sich manifestieren kann und zu Wirklichkeit wird. Dabei sind Gedanken und Worte nicht unbedingt hilfreich. Die Kühlung kann außerdem als Ausdruck des Mittleren Weges verstanden werden, der die Extreme der Leidenschaften wie Gier, Hass und Verblendung überwindet und das Gleichgewicht ermöglicht. Schließlich kommt positive Lebensbejahung zum Ausdruck, welche die Erde als Gold verwirklicht.
Dieses Kapitel enthält Dōgens Kernsätze zur Verwirklichung unseres wahren Lebens in der großen umfassenden Einheit mit dem Universum.