Lebendige Weisheit und Gemeinschaft des Zen kontra Einsamkeit
"Buddhas Wahrheit zu erlernen bedeutet, uns selbst zu erlernen", sagt Meister Dogen. Dann können wir den andauernden Stress der Moderne durchschauen, abschütteln und wirklich zur Ruhe kommen.
Chronischer Stress und Depressionen sind vermutlich die häufigsten Krankheiten der heutigen Industriegesellschaft. Kurzfristiger Stress kann zwar bei großer Gefahr das Leben retten, aber Dauerstress ist viel gefährlicher als die meisten meinen und wissen:
Dauerstress und Angst erzeugen
Konzentrationsstörungen, Entschlusslosigkeit, Grübeln, Wiederkäuen von
negativen Gedanken, Pessimismus, sich sündig fühlen, Selbstvorwürfe und
Todesgedanken. Stress speziell bei Buddhisten: Angst vor einer miserablen Wiedergeburt und die schwere Last eines ergrübelten
schlechten Karmas: Vielleicht sogar im Zusammenhang mit Macht-Missbrauch. Aber das ist nicht der wahre Buddhismus!
Stress entsteht vor allem, wenn wir die
Kontrolle über wichtige Lebensbereiche verlieren und Dauerstress ist selbst erzeugt. Er ist nicht maßgeblich durch
äußere angebliche Fakten der Umgebung bestimmt. Daher können wir selbst den
Stress und seine Folge zur Ruhe kommen lassen und steuern.
Und wie? Durch
Meditation, Relaxen und sinnvolles aktives soziales Handeln, durch
Bodhisattva-Handeln: "Erleuchtung im Alltag ist Zazen-Meditation,
Feuerholz tragen und Wasser schöpfen". Zur Ruhe-Kommen durch die
Zen-Künste Bogenschießen, Meditations-Flöte, Tee-Zeremonie, Blume-Stecken usw. Genau
so Yoga, Tai chi, asiatische Praxis. Ganz besonders: Gemeinsame Erlebnisse in der Natur, beim Sport und in der Musik.
Also sollten wir unser Leben umstellen,
unseren Körper-und-Geist umwandeln und die Kraft der Mitte entwickeln. Nicht
hektisch, übereilt und idealistisch-überzogen, sondern Schritt für Schritt: mit
Achtsamkeit und klarer werdender Selbstbeobachtung. Das ist dann die neue
Freiheit und der natürliche Flow.
Meister Dogen
sagt in dem berühmten Kapitel "Das verwirklichte Leben und Universum (Genjō-kōan)"[1]:
„Buddhas Wahrheit zu erlernen bedeutet, uns selbst zu erlernen.
Uns selbst zu erlernen bedeutet, uns zu vergessen. Uns zu vergessen bedeutet,
von den vielen, vielen Dharmas (der Wirklichkeit und anderer Menschen ) erfahren zu werden. Von den
vielen, vielen Dharmas erfahren zu werden bedeutet, unseren eigenen (eingezwängten)
Körper und Geist und den Körper und Geist der äußeren Welt fallen zu lassen.“
Wir sollten uns auf dem
Buddha-Weg von vorgefassten und eingefahrenen Gedanken, Vorstellungen und
Gefühlen, Doktrinen und vor allem von Stress und Angst befreien, um offen für neue
Entwicklungen und Wahrheiten zu werden. Dabei ist es befreiend, sich für die
lebendigen Vielfalt der Welt zu öffnen und sie wirklich zu erfahren: Nicht nur
oberflächlich, gerade kein multitasking
und übertriebener Aktionismus in "sozialen" Netzen. Das ist zu
wenig! Wir brauchen verlässliche gute Freunde. Besser ist es, wenn der Geist genau beobachtet und handelt, im Hier und
Jetzt. Und in der Gemeinschaft zur Ruhe kommt.
Es ist von fundamentaler
Bedeutung, sich von der Fixierung auf den subjektiven Körper und den
intellektuell-denkenden Geist, also dem kleinen
verkrampften Ich, zu befreien und, wie Dōgen sagt, „Körper und (intellektualisierten)
Geist fallen zu lassen“. Wir können uns selbst wirklich erkennen, wenn wir
unser altes verengtes und gestresstes Ich vergessen: „Zen-Geist ist
Anfänger-Geist“, nannte das Meister Shunryu
Suzuki. Wir sollten dabei die Extreme der scheinbar objektiven Welt des
Äußeren und des Körpers sowie den subjektiven eigenen ruhelosen Geist „fallen
lassen“.
Was sagt nun die Gehirnforschung dazu: Dauerstress
erzeugt letztlich Zellsterben im Gehirn (Hipocampus),
ein Areal das für Klugheit, Planen, Kombinieren, Kreativität, Lernen, Raum-Intelligenz
und für die Bewältigung des Alltags zuständig ist und mit unserem gesamten
Körper-und-Geist wechselwirkt. Dieses Areal wirkt wie ein Kurzzeitspeicher für das Gehirn und hat eine sehr wichtige Funktion, weil die Informationen von dort in den Langzeitspeicher übernommen wird. Ein Beispiel: Bei Soldaten, die drei Jahre im
Stress der Kriegsfront waren und ihn nicht steuern konnten, ist die Hälfte dieses Areals, abgestorben: Sie
konnten ihren Alltag danach nicht mehr bewältigen.[2] Aber
leben wir wirklich in der realen Kriegsfronten?
Sicher nicht. Wir müssen unsere virtuelle
Kriegsfronten fallen lassen, die wir uns selbst durch unbegründete Angst, Gier,
Hass, falschen Wettbewerb usw. erzeugen.
Also: Die Gedanken des Scheiterns
abstellen, sich selbst steuern (Selbstwirksamkeit)
und nicht passiv abhängig sein, auch nicht von dem Stress und der Negativität
anderer.
Mehr Steuerung und Kontrolle: Das Leben
selbst in die Hand nehmen. Dann wachsen sogar die Nervenzellen dort nach, wo
sie kaputt gehen.
Dann
vermeiden wir den neuronaler Zelltod, eine gehemmte Verdauung, Magengeschwüre, Impotenz,
Libidoverlust usw. Durch Stress wird das Immunsystem insgesamt bedeutend gehemmt
und das Krankeitsrisiko dauerhaft erhöht
Stress
ist das, was wir dafür halten, aber nicht die objektive Realität. Wir können
uns daher selbst ändern, relaxen und den Stress zur Ruhe kommen lassen. Dauerstress ist kein Schicksal, das wir passiv erleiden müssen, sondern wir ihn aktiv runterfahren.
Man kann in die Natur nach La Gomera fahren. Und Buddha rät, in Ruhe unter einem schützenden Baum und in der Natur zu meditieren. Er sagt im Sutra der Achtsamkeit bei den sieben Gliedern des Erwachens und beim
Achtfachen Pfad?[3]:
"Unabhängig lebt er und er haftet an nichts in der Welt"
[1] Dogen: Shobogenzo deutsche
Fassung Bd.1, S. 58
[2] Manfred Spitzer:
Gehirnforschung
[3]Peter Gäng:
Meditationstexte des Pali-Buddhismus Bd. I, S.51