Es wird berichtet, dass Meister
Tozan das tiefe Erkennen der buddhistischen Lehre und Praxis erfuhr, klar,
eindeutig und direkt. Seine überkommenen Vorstellungen und festgefahrenen
Emotionen lösen sich auf, und er erlebt eine neue Vitalität und Lebendigkeit.
Nishijima Roshi sagt, dass Meister Tozan
„den Zustand erlangt hat, der Leben und
Tod vollständig übersteigt, und dass er den Zustand des gegenwärtigen
Augenblicks vollständig erlangt hat.“
Dabei werden alle
vorgefassten Vorstellungen und Konzepte über Leben und Tod, die „sich von der Wirklichkeit direkt vor uns
unterscheiden“, fallen gelassen.
Nishijima und Cross
erklären, dass für Dōgen „Natur“ und „Essenz“ dieselbe Bedeutung haben.[i] Im
Folgenden werde ich sie deshalb ebenfalls als Synonyme verwenden. Die Bedeutung
des Begriffs Natur ist allerdings im Buddhismus wesentlich umfassender, als wir
es im Westen gewöhnt sind. Sehr häufig verstehen wir Geist und Natur als
Gegensatz und meinen, dass nur ein Mensch Geist besitzt, also über geistige
Fähigkeiten und Kompetenzen verfügt.
Dōgen hingegen beschreibt
mit „Natur“ gleichzeitig das natürliche Gleichgewicht oder den natürlichen
Zustand, der sich in der konkreten Wirklichkeit des Buddha-Dharma ereignet und
auch als Erwachen oder Erleuchtung bezeichnet wird.[ii]
Diesen Zustand grenzt man von den gekünstelten und übersteigerten Zuständen ab,
die nicht zum Mittleren Weg gehören, sondern ins Unglück und Leiden führen;
typisch dafür sind Illusionen,
Täuschungen und Verdrängungen.
Dōgen hält fest, dass alle
großen Meister und Buddhas durch die Tugend verwirklicht werden, den
umfassenden Geist zu erklären und die Natur, also die Essenz, darzulegen. Es
ist demnach eine ganz wesentliche Qualität und Funktion, die buddhistische
Lehre und Praxis sowohl für sich selbst zu verwirklichen als auch an andere
weiterzugeben. Andernfalls wäre es unmöglich, das strahlende Dharma-Rad weiterzudrehen. Das heißt, dass die Lehre
wesentlicher Bestandteil des Handelns der großen Meister ist.
Aber es darf sich dabei
nicht nur um geschickte oder intelligente Rhetorik handeln, die sich vom wahren
Kern des Buddhismus entfernt hat und nur angelerntes Wissen übermittelt. Der
Meister muss selbst den konkreten
höchsten Zustand des Menschen erlangt haben, um über den wahren Geist
lehren zu können. Dies ist umso bedeutender, weil der Geist nicht vollständig
erfasst werden kann und daher auch der Mensch unfassbar ist, wenn er über das
intellektuelle Denken und angelernte Wissen hinausgeht.
Den Geist zu lehren und die
essentielle Wahrheit darzulegen, ist sowohl natürliches konkretes Handeln als
auch mystische Tiefgründigkeit. Der lehrende Geist bedeutet, „Funken“ beim Schüler und Zuhörer zu
erzeugen und Energien freizusetzen. Ich möchte hier an das berühmte Kōan-Gespräch
zwischen den Meistern Seppō und Gensa erinnern, die sich einig waren,
dass „Buddha in der Flamme ist“.[iii]
Diese für westliche Leser ungewöhnliche Formulierung lässt aus meiner Sicht die
Präzision und den Mut wahrer Dharma-Gespräche aufleuchten.
Nicht zuletzt durch
praktisches Training wird der Geist erweckt, und dabei wird laut Dōgen
„die Wirklichkeit gleichzeitig mit der
ganzen Erde und mit allen Lebewesen verwirklicht“.[iv]
Dies ist ohne die
Buddha-Natur[v]
nicht möglich.
[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 3, S. 52, Fußnote
5
[ii] vgl. mein Buch: Umwelt-ZEN. Im Auge des Zen, Bd. 3
[iii] Kap. 23, ZEN
Schatzkammer, Bd. 1, S. 202 ff.: „Wahres und reines Handeln der Buddhas (Gyōbutsu yuigi)“ und mein Buch:
Strahlende Zeit zum Handeln. Im Auge des Zen, Bd. 2
[iv] Kap. 3, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 43 ff.: „Das
verwirklichte Leben und Universum
(Genjō-kōan)“
[v] Kap. 22, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 192 ff.: „Das
Geheimnis der Buddha-Natur (Busshō)“