Montag, 17. Juli 2017

Angst und Lebenssicherheit im Buddhismus


Die scheinbare Lebenssicherheit, die man durch die Selbstüberhöhung gewinnt, kann die eigene Angst und die eigenen Minderwertigkeitsgefühle nicht wirklich besiegen, denn sie ist Selbstbetrug und daher eine Scheinlösung. Der Mensch ist im Sinne von Joanna Macy in diesem Fall fixiert und kein offenes System; er kann am „Tanz des Lebens“ nicht teilnehmen.[i]

Auch die amerikanische Zen-Meisterin Joko Beck beschäftigt sich vor allem mit Problemen der Angst, Selbstüberschätzung, des Ich-Bezuges und der überstarken Ich-Grenzen, die hauptsächlich die Funktion von psychischen Schutzwällen haben.[ii] Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit Teilnehmern ihrer Sesshins und Seminare hat sie festgestellt, dass damit jedoch nur ein höchst brüchiger Schutz erreicht wird.

Eines ihrer zentralen Anliegen ist es, sich dieser Grenzen und Angstbarrieren bewusst zu werden, um sie dann abbauen und neue Kräfte entwickeln zu können. Joko Beck rät, das Leben einfach anzunehmen und dadurch „heil zu sein für das Leben“. Sie empfiehlt Offenheit und gesunden Realismus, wenn man etwas tun will, also eine realistische Eigenbewertung in Bezug auf die Zukunft.

Die Verhärtungen und Erstarrungen von Körper und Geist müssen aufgelöst werden, damit Körper und Geist wieder „fließen“ können. Man muss beweglich und offen für die Umgebung und für sich selbst werden, dann kann die Dualität von Ich und Objekt überwunden werden, und neue Energien fließen einem zu. Aber das ist gewiss leichter gesagt als getan.

Was rät uns nun Dôgen, um diese Probleme zu lösen?
Die Bedeutung des Ausdrucks „Was ohne Dauerhaftigkeit ist“, geht weit über das hinaus, was Nicht-Buddhisten aber auch einige buddhistische Gruppen darunter verstehen. Nishijima und Cross erläutern hierzu, dass Dôgen damit auf das Sanskritwort anitya anspielt, das im Allgemeinen die prozesshaft gedachte Vergänglichkeit, Veränderlichkeit und Nicht-Ewigkeit bedeutet.[iii]

Häufig versteht man unter anitya im Buddhismus das bedingte Entstehen, also die vernetzten Veränderungen. Diese werden wiederum im Zusammenhang mit der Leerheit (shunyata) gesehen, die andauernd und unveränderlich sei. Dies ist nach Dôgen und Nishijima Roshi aber eine unzureichende Erklärung.

Es geht hier vielmehr um den ganz kurzen Augenblick, der ja von Natur aus niemals dauerhaft und konstant ist und sich als Zeitdauer nicht vernünftig darstellen lässt.
Da laut Dôgen die Wirklichkeit und Wahrheit des Lebens, hier also die Buddha-Natur, genau im Augenblick mit uns identisch ist, handelt es sich um eine ganz neue Interpretation der Veränderlichkeit und der Buddha-Natur.




[i] vgl. Macy, Joanna: Geliebte Erde, gereiftes Selbst. Mut zu Wandel und Erneuerung
[ii] vgl. Beck, Charlotte Joko: Einfach Zen
[iii] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 13, Fußnote 61

Samstag, 8. Juli 2017

Die Buddha-Natur ist nicht statisch sondern dynamisch


Die Buddha-Natur ist das wahre Selbst des Menschen. Ist sie in der modernen Zeit erstarrt? Der Zen-Meister Meister Daikan Enô gibt die Antwort.

Nach Dôgen sagte er klipp und klar, und das gehört zum Kernbestand der buddhistischen Lehre:
„Das ohne Statik ist Entstehen und ist die Buddha-Natur. Das, was Statik und Dauerhaftigkeit hat, ist der ein-dimensionale Geist, der alle Dharmas entweder in gut oder in schlecht unterteilt.“

Der hier angesprochene erstarrte und dogmatisch bewertende Geist ist also gerade nicht die Buddha-Natur. Er ist z. B. typisch für gewalttätige Extremisten, die wie in Hamburg, Fensterscheiben einschlagen und Autos abfackeln oder die wie in Syrien im Namen "Gottes" bomben und sogar morden.

Dass sich die Wirklichkeit wandelt und verändert, ist im Buddhismus eine wichtige und weit verbreitete Lehre. Typisches Beispiel dafür ist das wechsel-wirkende Entstehen in der Welt, also vernetzte Prozesse, die sich gegenseitig beeinflussen und jeweils Voraussetzung für alles Wachsen sind, für die Veränderungen des Gesamten und der vernetzten Teilsysteme. So funktioniert auch unser Gehirn, das neuronale Netz.

Die Veränderungen sind von zentraler Bedeutung für unsere Befreiung und Emanzipation von erstarrten Ideologien, Materialismus  und unrealen Weltanschauungen. Sie werden häufig nur zeitlich linear und eindimensional verstanden, was eine Verengung bedeutet. Weil man nur im Augenblick wirklich existiert, gibt es in diesem Zeitpunkt das höchste Maß an Wahrheit und zugleich den Impuls zur Befreiung aus Statik und Erstarrung, das sind wahre Veränderungen.

Es geht um den Zeitpunkt der vernetzten Prozesse, und wir erleben ihn existenziell als die Wirklichkeit gemäß der Sein-Zeit. Das ist das große Jetzt. Erstarrte Vorstellungen im Zeitablauf sind maßgeblich von eindimensionalen Denkprozessen und Vorstellungen abhängig, bei der Existenz-Zeit des Augenblicks sind sie demnach bedeutungslos. Erstarrte Vorstellungen und Ideologien führen zu Hass, Zerstörungswut und Intoleranz. Wie sollten"ohne" sein, das ist die berühmte Leerheit des Buddhismus!

Daikan Enô (Hui neng) sagt ganz klar, dass die Buddha-Natur ohne statische Dauerhaftigkeit aber voller Lebendigkeit ist, und dass der gewöhnliche Geist des Menschen im krassen Gegensatz dazu in konstanten dauerhaften Vorstellungen gefangen ist. Dies gilt vor allem für dogmatische Bewertungen und Unterscheidungen, wie total gut und total schlecht, richtig und falsch, moralisch und unmoralisch. So Etwas gibt er in der Wirklichkeit nicht. Daher ist es wichtig, sich der Gefährlichkeit von dogmatischen Bewertungen bewusst zu werden, sie zu erkennen und zu vermeiden.

Vor allem selbstgerechte moralische Bewertungen der "Anderen" werden meist zum überdimensionalen Aufbau des eigenen Ego und zur Selbstüberhöhung genutzt, auch wenn dies weitgehend unbewusst geschehen mag. Das hat zur Folge, dass die Wirklichkeit verdeckt und vernebelt wird, die unmittelbare positive Kraft der Wirklichkeit also geschwächt ist. Das führt zu Leiden und Unfreiheit, aber es kann durch die buddhistische Praxis überwunden werden. Unsere Erleuchtung ist ohne Ideologien und sie ist kraftvolle Lebendigkeit.

Montag, 3. Juli 2017

Meditation: Zazen-Praxis von Meister Dôgen

(G. W. Nishijima und Yudo Seggelke)


Kodo Savaki

Meister Dôgen war zunächst von seiner China-Reise enttäuscht, aber er hoffte, einen wahren buddhistischen Meister zu finden, um das zu erlangen, was er so sehr anstrebte. Am 1. Mai 1225 traf er dann Meister Tendô Nyojô. Er erkannte in ihm schlagartig seinen wahren Meister und studierte und praktizierte Buddhismus unter seiner Leitung. Die Tatsache, dass er mit diesem Meister zusammentraf, ist von größtem Wert für den Buddhismus. Bevor Dôgen ihm begegnet war, praktizierte er Zazen mit der Vorstellung, dass man auf ein Ziel gerichtet und mit großer Anstrengung die Erleuchtung erringen müsste. Die buddhistischen Lehren Tendô Nyojôs unterschieden sich vollständig von dem, was Dôgen bis dahin kennengelernt, aber auch, was er in China erwartet hatte. Meister Tendô Nyojô sagte mit großer Bestimmtheit:

„Zazen zu praktizieren bedeutet nur, Körper und Geist fallen zu lassen. Es ist nicht notwendig, dass wir Räucherwerk anzünden, Buddhas Namen rezitieren, unsere Sünden bekennen oder überhaupt Sûtras lesen. Aber wenn wir richtig sitzen, ist alles schon von Anfang an erreicht worden.“

Diese Worte bedeuten, dass die Zazen-Praxis das vegetative Nervensystem ins Gleichgewicht bringt und dass wir das einengende und verzerrende Bewusstsein von Körper und Geist verlieren. Wenn wir nur Zazen praktizieren, verwirklicht sich schon von Anfang an einfach und direkt die Freiheit vom eingeengten Bewusstsein des Körpers und Geistes. Diese Erkenntnis ist einer der wichtigsten Kernpunkte der buddhistischen Lehre überhaupt. Die willensmäßige Konzentration auf das Ziel der Erleuchtung ist also völlig sinnlos und zerstört gerade die wahre Zazen-Praxis. Das hatte übrigens schon Buddha bei seine beiden ersten spirituellen Lehrern erfahren.

Zazen ist nur das ruhige Handeln des Sitzens im gegenwärtigen Augenblick selbst. Wir müssen daher in aller Klarheit sagen, dass beim Zazen das Ziel, die praktische Methode und das eigentliche Handeln beim Sitzen vollkommen zu einer Ganzheit verschmolzen und damit ein Ganzes sind. Es ist sehr wichtig, dass wir Zazen einfach und ohne Verspannung als die erste Erleuchtung praktizieren, und wir müssen uns überhaupt nicht darum sorgen, wann die zweite Erleuchtung kommen wird.

Die erste Erleuchtung ist, Zazen im gegenwärtigen Augenblick zu praktizieren, indem wir Körper und Geist fallen lassen. Die zweite Erleuchtung ist das vollständige Verständnis der buddhistischen Lehre auf der Grundlage des ehrlichen täglichen Lebens als Mensch, der den Buddhismus praktiziert. Dabei ist der wichtigste Kern die Zazen-Praxis selbst, wie sie hier beschrieben wird und die wir in dieserKlarheit Meister Dôgen verdanken.

Er sagt zur Ganzheit von Zazen-Meditation und Ergebnis der Freiheit:
"Wenn nur irgendeine kleinste Abweichung existiert, dann wird diese Lücke der Abweichung (zum Beispiel durch Gedanken) sehr viel breiter und übertrifft sogar den ungeheuren Abstand zwischen Himmel und Erde. Wenn sich daher der kleinste Unterschied irgendeiner Art (zwischen Praxis und Ergebnis beim Zazen) ereignet, müssen wir wegen der Abweichung unsere geistige und körperliche Ausgeglichenheit vollständig verlieren.

Obgleich wir stolz auf unser klares Verständnis und reich mit klugen Entscheidungen ausgestattet sind, obgleich wir noch zusätzliches ausgezeichnetes Denken und dessen Wahrheit erlangen, obgleich wir den Geist klären, den Willen ertüchtigen und den Himmel großartig durchstoßen und den Kopf in den Bereich des denkenden Handelns bringen, misslingt es uns vollkommen, unseren Körper tatsächlich in den Bereich des wahren Handelns selbst zu bringen."


Und weiter: "Wenn ihr beständig dieses Etwas des Unfassbaren praktiziert, wird sich das Schatzhaus der Juwelen auf natürliche Weise öffnen, und es wird für euch leicht möglich sein, sie zu empfangen und zu verwenden – genau so, wie ihr es wollt.“

Hier geht es zum erweiterten Text:
http://yudoblog-f.blogspot.de/



[i] Dieses Kapitel ist auch in dem Buch „Aus meinem Leben“ von G. W. Nishijima abgedruckt.