Freitag, 28. November 2008

Kalligrafie von Nishijima Roshi

Die Kalligrafie bedeutete "Shôbôgenzô", also die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, wie das vierbändige Werk von Meister Dôgen. Die deutsche Übersetzung gibt es beim Kristkeitz-Verlag.
Nishijima Roshi hat die Kalligrafie Anfang dieses Monats gezeichnet


Mittwoch, 26. November 2008

Die acht Wahrheiten wirklich großer Menschen (Teil 2)

4. Mit Fleiß praktizieren
Dabei kommt es darauf an, ausdauernd zu praktizieren und nicht in seinen Bemühungen zu erlahmen. Nach Gautama Buddha wird dann überhaupt nichts schwierig und unübersteigbar sein. Er sagt:
„Ein steter Tropfen, der andauernd nieder fällt, ist wirklich in der Lage, einen Fels zu durchbohren."
Klosteranlage in Kamakura
Das Gegenteil sei ein Mensch ohne Ausdauer, der einen Bohrer angesetzt hat, um Feuer zu erzeugen, aber leider aufhört, kurz bevor das Feuer sich wirklich entzündet.

5. Nicht die Achtsamkeit verlieren
Dabei kommt es vor allem auf die richtige Achtsamkeit für andere an und nicht auf den oft sentimentalen Selbstbezug, wie es heute zum Teil zu beobachten ist. Wenn man psychologisch dauernd um sich selbst kreist, sich selbst beobachtet und interpretiert, ist das bestimmt nicht die von Gautama Buddha gelehrte Achtsamkeit. Er setzt hierbei dabei vor allem auf gute Lehrer, denen wir uns anvertrauen und unter deren Leitung wir auf dem Buddha-Weg weiter lernen.

Durch eine solche Achtsamkeit können uns auch "die Banditen der Not" nicht erobern. Wir sollten daher fortwährend unsere Gedanken steuern und sie im richtigen Ort des Geistes halten. Wer seine Achtsamkeit verliert, verliert seine Tugend. Wir seien durch die Achtsamkeit im Kampf des Lebens wie durch einen Panzer geschützt.

6. Den Zustand des Gleichgewichtes von Dhyana praktizieren
Dies bedeutet, dass wir ohne Störung im Zazen und im Dharma verweilen. Gautama Buddha sagt, dass durch die Steuerung des Geistes der Zustand des Gleichgewichts vorhanden sein wird. Wenn wir im Zustand des Gleichgewichts sind, zerstreut sich unser Geist nicht, sondern ist gesammelt. Gautama Buddha vergleicht dies mit einem Leitungssystem für das Trinkwasser, das kein Leck hat und dicht ist, sodass kein Wasser unnütz versickert und verloren geht.

7. Weisheit praktizieren
Buddha sagt:
Wenn ihr Mönche Weisheit habt, dann werdet ihr ohne Gier und Anhaftung sein“.
Es sei wichtig, dass wir uns dauernd sorgfältig beobachten und darüber reflektieren, wie wir denken und handeln, was sich also in unserem Geist ereignet. Wir müssen möglichst schnell durchschauen, wenn wir von der Gier nach Ruhm und Profit getrieben werden. Dadurch sind wir in der Wahrheit des Dharma und erreichen die Befreiung. Ist dies nicht der Fall, so unterscheiden wir uns grundsätzlich von den Menschen der Wahrheit, seien es Nonnen, Mönche oder Laien.

Die Weisheit sei wie ein stabiles Schiff, mit dem wir den Ozean des Alterns, der Krankheit und des Todes überqueren wollen und können. Sie sei eine großartige Fackel für die Dunkelheit der Unwissenheit und eine gute Medizin für kranke Menschen. Er sagt:
"Wenn ein Mensch das Licht der Weisheit besitzt, ist er oder sie jemand mit klarer Sichtweise, auch mit dem Fleisch und den körperlichen Augen."

8. Sich nicht in müßigen Diskussionen verlieren
Dadurch dass wir uns von Unterscheidungen und Abwertungen anderer fernhalten, verwirklichen wir vollkommen die reale Form und Wirklichkeit des Lebens. Aufgebrachte Diskussionen verwirren nach Gautama Buddha den Geist. Wir können uns dann nicht von diesen Verwirrungen befreien, selbst wenn wir in ein Kloster eingetreten sind. In der Tat sind derartige hitzige, oft aggressiv geführte Diskussionen wenig geeignet, um auch nur ein Stück Wahrheit zu finden und zu befördern.
Dann wird Gautama Buddha zitiert:

"Ihr Mönche solltet euch dauerhaft anstrengen, mit ungeteiltem Geist die Wahrheit der Befreiung anzustreben. Alle Dharmas dieser Welt, die sich bewegen oder bewegungslos sind, vergehen ohne Ausnahme und haben keine stabile Form. Lasst es zu, dass ihr für eine Weile einhaltet und nicht mehr redet. Die Zeit muss weitergehen, und ich schicke mich an, zu sterben. Dies ist meine letzte Unterweisung."

Dôgen bedauert am Ende dieses Kapitels, dass in seiner eigenen Zeit viele Menschen die obigen acht Wahrheiten nicht kennen und auch nicht erlernen wollen. Wer jedoch Zugang zu ihnen hat, kann sich glücklich schätzen, weil er auf diese Weise gute Wurzeln für sein eigenes Leben besitzt. Dôgen bezeichnet seine Zeit als heimtückisch und dekadent und sagt:

„Der große wahre Dharma des Tathagata durchdringt (trotzdem) die tausendfache Welt. Wäre der untadelige Dharma (bei uns) noch nicht vorhanden, so sollten wir ihn ohne Zögern erlernen. Seid nicht träge oder faul.“

Dieses Kapitel wurde im Todesjahr von Dôgen, also 1253, niedergeschrieben. Sein Schüler und Nachfolger Ejo fügte ein Nachwort hinzu und sagte, dass Dôgen eigentlich plante, einhundert Kapitel des Shôbôgenzô zu schreiben, dies aber wegen seiner schweren Krankheit und seines Todes nicht möglich gewesen sei. Dies bedauerte er sehr. Er bat darum, dieses Kapitel zu kopieren und zu erhalten und für die Nachwelt zu bewahren.

Dienstag, 18. November 2008

Die acht Wahrheiten wirklich großer Menschen (Teil 1)

Nach der Überlieferung hat Gautama Buddha kurz vor seinem Tod zusammenfassend diese acht Wahrheiten eines großen Menschen, also eines Buddhas oder Bodhisattvas, gelehrt (Kap. 95, Hachi-dainingaku).

Garten des Klosters Kensho-ji in Kamakura

Die acht Wahrheiten sind in der Fassung von 95 Kapiteln des Shôbogenzô das letzte, das Dôgen lehrte und niederschrieb, als er schon schwer krank und vom Tode gezeichnet war. Es ist also die letzte Lehr-Rede von Gautama Buddha und auch von Dôgen und wir sollten sie mit großer Sorgfalt studieren. Sie fasst die wichtigsten Regeln für ein wahres buddhistisches Leben recht einfach und Praxis orientiert zusammen. Diese Regeln sind keine Dogmen und genau so wie die 16 Bodhisattva-Gelöbnisse als Hilfe für das tägliche Leben gedacht.

Es wird heute angenommen, dass Dôgen an Tuberkulose litt, die damals meist unheilbar war. Er kehrte zwar zur besseren ärztlichen Behandlung von Ehei-ji nach Kyoto zurück, erholte sich aber nicht mehr und verstarb dort. Er war damals 53 Jahre alt.

Dôgen sagt zu Anfang dieses Kapitels, dass man den ruhigen und ausgeglichenen Lebenszustand erreicht, wenn man diese acht Wahrheiten verwirklicht. Er spricht davon, dass man in das Nirvana eingeht und meint damit vor allem den Zustand des Gleichgewichts im Hier und Jetzt, der nicht zuletzt in der Zazen-Praxis verwirklicht wird.
Im Folgenden werden die acht Wahrheiten dargestellt und nach Dôgen kurz erläutert.

1. Geringe Begierde
Damit ist gemeint, dass wir nicht Dingen hinterher jagen sollen, die wir noch nicht besitzen, aber unbedingt haben wollen. Dazu gehören vor allem die Objekte der fünf Begierden durch die Sinnesorgane: der Augen, Ohren, Nase, Zunge und der Haut. Diese Begierden werden durch die verschiedenen Formen der sinnlichen Wahrnehmung hervorgerufen und angestachelt. Dôgen zitiert Gautama Buddha, der sagte, dass das Leiden grenzenlos ist, wenn wir diesen Begierden hemmungslos und unkontrolliert nachjagen. Wenn jemand diese Begierden jedoch „im Griff hat“, sie steuert und klein hält, befreit er sich von ihrer Dominanz und damit auch vom Leiden. Solche Menschen schmeicheln auch nicht um des eigenen Vorteils willen und kriechen nicht vor denen, von denen sie die Objekte der Begierde ergattern möchten. Dann sind wir ohne Sorgen und Furcht, haben umfassende Freiheit, großen Spielraum im eigenen Leben und sind nicht unzufrieden.

2. Erkennen der eigenen Zufriedenheit.
Damit ist vor allem angesprochen, dass wir in unserem Leben mit den Dingen und Umständen zufrieden sind, die wir besitzen. Wenn wir eine solche Zufriedenheit klar erkennen, dann überwinden wir die verschiedenartigen Leiden in unserem Leben und erleben einen Ort des Überflusses, der Freude und des Friedens. Wenn wir eine solche Zufriedenheit nicht kennen, könnten wir sogar an einem himmlischen Ort leben und wären trotzdem immer unzufrieden und frustriert. Er zitiert dazu Gautama Buddha:
"Jene Menschen, die die Zufriedenheit nicht kennen, sind arm, selbst wenn sie materiell reich sind, und jene, die die Zufriedenheit kennen, sind reich, selbst wenn sie äußerlich arm sind. Wer nicht zufrieden ist, wird permanent von den fünf Begierden umgetrieben."

3. Freude in der Ruhe haben
Wir sollten uns von lärmenden unruhigen Gruppen fernhalten und einen ruhigen Ort suchen. Viele empfinden in einer solchen Abgeschiedenheit große Langeweile, aber der dauernde Trubel ist sicher der falsche Weg für ein Leben im Gleichgewicht. Gautama Buddha vergleicht diese Situation mit einem Schwarm von Vögeln, die auf einem Baum sitzen und dauernd in großen Sorgen und Ängsten sind, dass dieser zusammenbricht und umfällt. Er sagt außerdem:
"(Jene), die an die Welt gefesselt sind und ihr anhaften, versinken in verschiedenartiges Leiden, wie ein alter Elefant, der im Sumpf versinkt und selbst nicht in der Lage ist, wieder herauszukommen."

Mittwoch, 12. November 2008

Die große buddhistische Praxis und das Gesetz von Ursache und Wirkung (Teil 2)

Klostehof von Tokei-in


Nishijima Roshi bemerkt in seinem Kommentar zu dieser Koan-Geschichte im Shinji-Shôbôgenzô, dass es nicht um die Frage der Wiedergeburt geht, sondern dass die Verwirklichung des Buddha-Dharma im Hier und Jetzt und das Handeln im Mittelpunkt stehen. Das Gesetz von Ursache und Wirkung sei der materialistisch und naturwissenschaftlich orientierten zweiten Lebensphilosophie zuzuordnen und basiert auf einen linearen Zeitablauf von der Vergangenheit zur Gegenwart und in die Zukunft. Dies entspricht unserer üblichen Zeitvorstellung.


Durch den direkten Kontakt zum wahren Meister Hyakujo verwirklichte der alte Mann genau im Augenblick die in diesem Kapitel beschriebene große Praxis, und dies war genau seine Verwandlung zu einem natürlichen und freien Zustand. Der Meister benutzte also keinesfalls magische Zauberformeln oder mysteriöse, übernatürliche Kräfte, um den alten Mann vom Körper eines Fuchses zu befreien und zur Wirklichkeit zu führen. Dies wird von Dôgen in seiner Erläuterung ausdrücklich betont. Die Worte des Meisters brachten den alten Mann zur Klarheit hier und jetzt, die er vorher, als er selbst gelehrt hatte, noch nicht besaß.


Dôgen verdeutlicht, dass es bei dieser Koan-Geschichte nicht um die Ebene der Worte geht und dass das Gesetz von Ursache und Wirkung hundertprozentig für die große Praxis gilt. Es ist aber auch richtig, dass eventuelle Widersprüche in der umfassenden Wirklichkeit des Hier und Jetzt überschritten werden. Eine theoretische Erörterung dieser beiden gegensätzlichen Aussagen verliert also jede Bedeutung, wenn der Augenblick der großen Praxis da ist.

In der obigen Koan-Geschichte wird ein zweiter wichtiger Punkt angesprochen, als der junge Obaku die theoretische Frage stellte, ob der alte Mann einen Fehler gemacht habe oder nicht, und was passiert wäre, wenn er in keinem Augenblick fehlerhaft gehandelt hätte. Er wird daraufhin gebeten, direkt zum Meister vorzutreten, und indem er dem Meister einen Klaps gibt, beantwortet er selbst durch das Handeln seine eigene spekulative theoretische Frage. Damit ist diese theoretische Frage ganz überflüssig geworden.

Der Klaps als direkte wirkliche Verbindung zwischen Meister und Schüler ist direktes Handeln im Hier und Jetzt und übersteigt die Ebene des Denkens, Redens und Spekulierens. Dieses Handeln ist die große Praxis. Der Meister ist trotz des Klapses nicht über seinen Schüler verärgert, sondern klatscht ganz im Gegenteil in die Hände und bricht in schallendes Gelächter aus. Damit bestätigt er, dass sein Schüler Obaku die große Praxis verwirklicht hat.

Der Meister sagt dann, dass der Bart eines konkreten Fremden rot ist. Dies ist eine spezifische Aussage zur Wirklichkeit. Sie kann auch verallgemeinert werden, dass nämlich ein roter Bart immer zu einem Fremden gehört. Nishijima Roshi erläutert dies so, dass der Meister das Handeln seines Schülers ganz direkt bestätigt, indem er das Gleichnis des roten Bartes, das in China allgemein gebräuchlich war, konkret verwendet. Dies ist in unserer westlichen Logik eine induktive Schlussfolgerung vom Speziellen zum Allgemeinen.


Der zweite Teil des Satzes des Meisters ist der logisch umgekehrte Weg der Ableitung einer konkreten Schlussfolgerung von einer allgemeinen Aussage. Dies ist eine Deduktion. Der Meister wolle damit seinem Schüler nahe legen, dass es in der Wirklichkeit des Lebens immer mehrere Alternativen gibt und dass man vom Konkreten zum Allgemeinen aber auch vom Allgemeinen zum Konkreten gehen kann und soll. Dies kann im Denken vollzogen und in Worte gefasst werden, um es zu kommunizieren. Dadurch dass Lehrer und Schüler gemäß diesem Koan gemeinsam die große Praxis verwirklicht haben, können sie in völliger Übereinstimmung handeln und sprechen. Dôgen schätzte diese Koan-Geschichte sehr.

In dem folgenden Text des Kapitels analysiert er tiefgründig die einzelnen Schritte und Sätze dieses Koans. Er warnt uns jedoch, dass wir derartigen alten Geschichten allzu gläubig lauschen und uns keine eigenen realistischen Gedanken dazu machen. Es sei zum Beispiel völlig unüblich, eine Begräbniszeremonie losgelöst von den tradierten Handlungen in einem buddhistischen Kloster zu vollziehen, und es sei darüber hinaus ausgesprochen seltsam, dass der Meister einem alten Mann eine doch recht spekulative Geschichte seiner Verwandlung in einen wilden Fuchs einfach und sofort glaubt.


Dôgen fragt zum Beispiel, ob es sich um fünfhundert Leben eines Menschen, also dieses alten Mannes und früheren Meisters, handelt oder um fünfhundert Leben eines wilden Fuchses. Er fragt weiterhin, wie es denn möglich sei, dass ein Fuchs überhaupt den wahren Meister erkennt und fügt hinzu, dass der Fuchs doch eigentlich nur seinen eigenen Geist erkennen kann.
Auf der konkretistischen Ebene dieses Koans gibt es also viele Fragen und Widersprüche und Dôgen bittet uns, diese nicht einfach beiseitezuschieben. Das Koan selbst sei die große Praxis. Der "stinkende Fellsack des wilden Fuchses" gleicht vielleicht auf diese Weise der berühmten Perle im Haarzopf, die als Gleichnis für den Reichtum und die Schönheit unseres Lebens in der Wirklichkeit verwendet wird.

Nach Nishijima Roshi ist dieses Kapitel eine großartige Zusammenfassung der wichtigen Elemente von Dôgens buddhistischer Lehre und enthält die vier Lebensphilosophien, nämlich der idealistischen und materialistischen Sichtweise, des Handelns und der großen Praxis der Wirklichkeit, die über Denken und sinnliche Wahrnehmung hinausgeht. Sowohl die Verwandlung des alten Mannes und Realisierung der großen Klarheit der Praxis, als auch das Handeln des jungen Mönches Obaku, der später selbst ein großer Meister wurde, sind genau diese Praxis im Augenblicks des Hier und Jetzt.


Das Gesetz von Ursache und Wirkung hat seine Richtigkeit in der materialistischen und naturwissenschaftlichen Sichtweise, und dort ist es unbedingt zu einhundert Prozent gültig. Dies lehrte schon Gautama Buddha. Im Augenblick der großen Praxis gibt es keine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und daher fallen Ursache und Wirkung zusammen; und dies wird z. B. beim Zazen wirklich erfahren. Nach Nishijima Roshi ist es das Herzstück des Buddhismus, denn dieser ist nicht nur eine Lehre und Theorie, die sich an den verstandesmäßigen Geist wendet, sondern ist die Wirklichkeit im Hier und Jetzt selbst. Dadurch wird das Leiden überwunden, und im Gleichgewicht und Handeln gibt es die Freiheit für den Menschen.

Der alte Mann sagte, dass er auf diesem selben Berg vor langer, langer Zeit gelehrt hatte und seitdem im Körper des wilden Fuchses bzw. des alten Mannes bei der Dharma-Rede anwesend war. Dass es sich genau um denselben Berg handelt, ist jedoch nach Dôgen eine gedachte Abstraktion. Man kann die Frage, ob es sich um denselben Berg handeln würde oder nicht, sowohl mit Ja als auch mit Nein beantworten. Die Wirklichkeit gibt es aber nur im Augenblick, und dann spielt die zeitliche Identität des Berges keine Rolle.

Dôgen warnt uns, dass wir voreilig und unbedacht verbal behaupten, dass im Augenblick der großen Praxis das Gesetz von Ursache und Wirkung immer gilt oder ob es sozusagen im Augenblick der großen Praxis, in dem es keine lineare Zeit gibt, außer Kraft gesetzt ist. Diese Frage könne man theoretisch und intellektuell überhaupt nicht lösen, sondern sie erhält ihre Klarheit in der Praxis und Dôgen rät uns, "in der Praxis zu lernen."

Er erläutert, dass nicht alle Fehler automatisch dazu führen, dass man in den Körper eines wilden Fuchses fällt. Denn wenn dieses zuträfe, müssten in der Zeit der letzten dreihundert Jahre in China sehr viele Menschen als wilde Füchse herumlaufen. Er will sicher damit sagen, dass diese Koan-Geschichte einen großen Wert hat und die Wahrheit des Buddhismus sehr genau bezeichnet. Aber es gäbe in der damaligen Zeit viel schlimmere falsche Lehren von so genannten Meistern als diese Aussage des alten Mannes, dass etwas nicht unter das Gesetz von Ursache und Wirkung fällt.


Er warnt uns auch voreilig zu glauben, dass wir vorübergehend in den Körper eines wilden Fuchses fallen und dann nach der großen Erleuchtung diesen Körper wieder abstoßen und dann wunderbar "zur ursprünglichen Essenz zurückkehren." Dies sei eine Irrlehre, die nicht zum Buddhismus gehöre, wenn behauptet würde, dass wir zu unserem ursprünglichen Selbst zurückkehren, nachdem wir die große Erleuchtung erlangt haben. Er fragt dazu feinsinnig, ob es vielleicht die große Erleuchtung des wilden Fuchses sei oder die eines Menschen, der in den Körper des wilden Fuchses geschlüpft sei.

Am Ende dieses Kapitels bringt Dôgen in einem Gedicht seine hohe Wertschätzung für Meister Hyakoju und diese Koan-Geschichte zum Ausdruck:

"Hyakojus Worte durchdringen alle Richtungen,
doch er hat das Versteck des wilden Fuchses noch nicht verlassen.
Obakus Fersen berühren den Boden,
doch schien er auf dem Pfad der Gottesanbeterin (des Zweifels) fest zu sitzen.
Mit einem Klaps und dem Händeklatschen
gibt es (dann) einen, (und) nicht zwei (Menschen).
Die roten Bärte sind Fremde, und die Bärte der Fremden sind rot.
Damit sagt er also auch, dass sowohl die Meister Hyakoju als auch Obaku weit auf dem Weg des Buddha-Dharma vorangeschritten sind und dass es im Handeln eine Einheit zwischen den Menschen in der Wirklichkeit und dem Universum gibt. "

Freitag, 7. November 2008

Buddha-Natur: Neuerscheinung als Buch

Auf eine interessante Neuerscheinung zu dem großen Thema der Buddha-Natur möchten Peter Gäng und ich hinweisen. Es ist die erste umfassende Veröffentlichung dazu in Deutsch!
Die bekannte Herausgeberin Marianne Wachs schreibt:

Dieses Thema wird von allen Seiten beleuchtet, von verschiedenen buddhistischen Schulrichtungen aus erklärt und zur alltäglichen Praxis in Beziehung gesetzt.
Dabei sind einige der wichtigsten indischen Quellentexte zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt worden, sodass man sich ein eigenes fundiertes Bild machen kann.

Von mir stammt der Beitrag aus dem Zen-Buddhismus, Meister Dogens Shobogenzo. Dies war auch Thema des Dogen-Gesprächskreises in Frankfurt, des Dharma-Gesprächskreises in Berlin und meine lecture bei der Sesshin im Kloster Tokei-in/Japan.

Das Buch ist im Buddhistischen Studienverlag erschienen und kann in jeder Buchhandlung oder über das Internet bestellt werden.

Beim Verlag bestellen, bitte hier anklicken:
Buddhistischer Studienverlag:




Dienstag, 4. November 2008

Die große buddhistische Praxis und das Gesetz von Ursache und Wirkung (Teil 1)

Dieses äußerst wichtige Kapitel fasst die buddhistische Lehre eindrucksvoll zusammen und ist ohne die von Nishijima Roshi herausgearbeitete Lehre der vier Lebensphilosophien schwer verständlich.
Kloster Tokei-in, während der Sesshin 2008

Das Gesetz von Ursache und Wirkung gehört der zweiten Sichtweise oder Lebensphilosophie an, da es als Grundlage die lineare Zeit verwendet. Es kann damit als naturwissenschaftlich beziehungsweise pragmatisch-materialistisch bezeichnet werden. In allen Kapiteln des Shôbôgenzô gibt es wichtige Aussagen zu den vier verschiedenen Sichtweisen oder Lebensphilosophien. Dabei integriert der vierte höchste Zustand der umfassenden Praxis und intuitiven Klarheit auch die drei anderen Sichtweisen. Dieser wird im Allgemeinen als Erwachen oder Erleuchtung bezeichnet.

In der Einleitung (Kap. 76, Dai-shugyo) erwähnt Nishijima Roshi die beiden im Zen-Buddhismus häufig diskutierten Aussagen, ob das Gesetz von Ursache und Wirkung auch für die große Praxis des Augenblicks und der Erleuchtung gilt oder nicht. Die klare Gegenaussage lautet, dass dieses Gesetz immer und überall und daher auch für die große Praxis gilt. Er sagt zu diesem Kapitel:

"Aber Meister Dôgen dachte, dass der Unterschied zwischen diesen beiden Erklärungen nur dem Bereich des intellektuellen Denkens angehört und dass die Situation in der Wirklichkeit eine solche Unterscheidung nicht aufweist. Er erklärte, dass ein Mensch der großen Praxis sowohl die Ablehnung als auch Bestätigung des Gesetzes von Ursache und Wirkung überschreitet, indem er hier und jetzt in der wirklichen Welt handelt. Die höchste Wirklichkeit gibt es nur im jetzigen Augenblick, direkt unmittelbar und in ganzer Realität. Dies ist die große Praxis, um die es in diesem Kapitel geht.“

Es ist eine alte, immer neu diskutierte große Frage in der Menschheit, ob unser Leben vorherbestimmt, also determiniert ist oder ob wir die Freiheit besitzen, so zu handeln, wie wir es wollen. Eine solche freie Entscheidung baut vor allem auf rationalen Überlegungen auf und ist von unserer Vernunft geprägt. Materialisten glauben meist an die Determination und fehlende Willensfreiheit im Leben, während Idealisten die Freiheit des Geistes und des Willens in den Vordergrund stellen.
Wenn das Gesetz von Ursache und Wirkung allgemein gilt, müsste man eigentlich annehmen, dass es keine Freiheit bei den einzelnen Entscheidungen geben kann. Dann wäre unser Leben nämlich vollständig vorausbestimmt und wir könnten nicht wählen, nicht entscheiden und hätten keinen freien Willen. Trifft dies in unserer Wirklichkeit zu?

Nach Dôgen sind wir in der Übungspraxis des Zazen und des Handelns ganz im Augenblick, sodass eine gedankliche Beziehung zur Vergangenheit und Zukunft nach der Vorstellung der linearen Zeit keine Bedeutung hat. Wenn dies so ist, können wir aber genau im Augenblick frei entscheiden und sind nicht vollständig durch die Entwicklungen und Prozesse aus der Vergangenheit gebunden und festgelegt.
Nach Dôgen handelt es sich jedoch nicht um eine übernatürliche, mystische Situation, wenn wir uns von der Vorstellung der Vergangenheit lösen, sondern es ist der natürliche Zustand, der gerade diese Freiheit des Augenblicks ermöglicht. Die Festlegungen durch Gier, Hass und andere zementierte alte Vorstellungen werden nach der buddhistischen Lehre durch die Übungspraxis des Zazen überwunden, und damit ist man im Augenblick frei. Dies ist aber keine theoretische Überlegung wie im Idealismus, die nur als Glaube oder Ideologie im Geist der Menschen besteht. Es ist vielmehr die Wirklichkeit des Handelns im Augenblick selbst und damit das große Erwachen und die große Praxis, die Dôgen in diesem Kapitel tiefgründig und anhand mehrerer Koan-Geschichten für uns ausbreitet.
Er betont, dass ein solcher Zustand der Freiheit genau im Zazen des Hier und Jetzt besteht und dass dies genau der Zustand des Buddhas ist. Wichtig dabei ist, dass "Körper und Geist", also die üblichen Vorstellungen des Ich, „fallen gelassen werden“ und dass man beim Zazen "aus dem Grund des Nichtdenkens denkt." Indem wir also das gewöhnliche unterscheidende Denken verlassen, können wir auch die Festlegungen und Determinationen der Vorstellungen aus der Vergangenheit auflösen, die sich bei uns im Geist verfestigt und fixiert haben.
Im Zazen ist man im Augenblick frei von fixierenden Gedanken und Gefühlen, denn es gibt sie gar nicht. Diese haben uns gewöhnlich im Griff und programmieren uns in einer bestimmten oft recht starren Struktur. Derartige festgelegte Vorstellungen sind meist mit starken Gefühlen und Affekten verbunden, die mit großer psychischer Energie an bestimmten Fixierungen festhalten und damit verhindern, dass wir uns frei von falschen Festlegungen der Vergangenheit in eine neue Richtung bewegen können. Dôgen sagt uns, dass wir dies "in der Praxis lernen" sollen und dadurch zur Freiheit gelangen.

Daraus wird deutlich, dass es sich bei der Frage von Determinierung und Freiheit um ein schwieriges und komplexes Problem handelt. Für Dôgen ist es klar, dass wir dies nur in der großen Praxis lösen können, die auf einer anderen Ebene der Wirklichkeit das Problem überflüssig macht und auflöst. Dann wird auch der Wiederholungszwang, der so häufig im menschlichen Leben wirksam und zu beobachten ist, nachhaltig überwunden. Dadurch können wir den Teufelskreis des Leidens, der sich selbstähnlich durch unser ganzes Leben zieht, durchbrechen und in der jeweiligen Situation offen für etwas Neues und Wichtigeres, und wie die Theravadins sagen würden, „Heilsames“, sein.

Zur Beleuchtung seiner eigenen tiefen Erfahrung der großen Praxis beginnt Dôgen dieses Kapitel mit der bekannten Koan-Geschichte eines früheren Meisters, der immer wieder als wilder Fuchs geboren wurde, weil er vor langer Zeit als Lehrer das Karma-Gesetz verneint hatte. Er bittet Meister Hyakujo darum, ihn von dem Körper des wilden Fuchses zu befreien. Er müsse solange wieder geboren werden, bis die negative Wirkung seines früheren Fehlers bei der Buddha-Lehre aufgelöst und beendet sei.
Dieses Koan wird auch im Shinji-Shôbôgenzô, Bd 2, Nr. 2 und im Kapitel 89 "Tiefer Glaube an das Gesetz von Ursache und Wirkung" eingehend behandelt.
Im Folgenden soll dieses Koan-Gespräch kurz erläutert werden: Als der große Zen-Meister Hyakujo seine informelle Lehrrede im Kloster hielt, war immer auch ein alter Mann anwesend, der zusammen mit den Mönchen zuhörte und danach fort ging, weil er nicht im Kloster lebte. Eines Tages blieb er jedoch nach dem Vortrag allein zurück, und auf die Frage des Meisters, wer er sei, sagte er:

"Ich bin kein Mensch. Vor sehr langer Zeit war ich Meister auf diesem Berg, und als mich ein Praktizierender fragte, ob die Menschen auch im Zustand der großen Praxis unter das Gesetz von Ursache und Wirkung fallen oder nicht, antwortete ich: „Sie fallen nicht unter das Gesetz von Ursache und Wirkung."
Seitdem bin ich fünfhundert Leben lang in den Körper eines wilden Fuchses gefallen. Ich bitte Sie, Meister, ein Wort zur spontanen Umwandlung für mich zu sagen. Ich möchte unbedingt den Körper des wilden Fuchses verlassen“.

Der alte Mann fragte dann selbst den großen Meister:

"Fallen auch die Menschen im Zustand der großen Praxis unter das Gesetz von Ursache und Wirkung oder nicht?"
Der Meister sagte: "Täusche Dich nicht selbst über Ursache und Wirkung."

Bei diesen Worten erlangte der alte Mann sofort die große Verwirklichung. Er machte Niederwerfungen und sagte:

"Ich bin den Körper eines wilden Fuchses bereits losgeworden und möchte gern auf dem Berg hinter dem Tempel bleiben. Darf ich es wagen, den Meister zu bitten, für mich die Begräbniszeremonie eines Mönchs durchzuführen?"

Später wurde tatsächlich der tote Körper eines Fuchses hinter dem Tempel gefunden. Der Meister leitete die Begräbniszeremonie im Kloster so wie von dem alten Mann erbeten. Am Abend hielt er die formale Dharma-Rede und erläuterte das Geschehene. Unter den zuhörenden Mönchen war der junge Meister Obaku, den Dôgen außerordentlich schätzte. Er stellte folgende Frage:

"Der alte Mann gab in der Vergangenheit eine falsche Antwort als Wort der Transformation und fiel für fünfhundert Leben in den Körper eines wilden Fuchses. Was wäre aus ihm geworden, wenn er ohne irgendeinen Fehler zu irgendeinem Augenblick weiter gemacht hätte?"
Der Meister sagte zu ihm: "Steig herauf (zu mir), ich will (es) dir sagen."

Obaku stieg schließlich hinauf zum Meister und gab ihm erstaunlicher Weise einen Klaps. Der Meister klatschte jedoch in die Hände, lachte aus vollem Hals und sagte:
"Du hast gerade(die Wirklichkeit) ausgedrückt, dass der Bart eines Fremden rot ist. Aber es ist auch eine Tatsache, dass ein roter Bart ein Fremder ist." Dôgen sagt dazu: "Dieses genau jetzt verwirklichte Koan ist die große Praxis selbst."