Montag, 28. Januar 2008

Die reine buddhistische Praxis bewahren und sie weitergeben (Teil 1)

Meister Dôgen schildert in diesem großartigen Kapitel (Kap. 30, Gyoji) das Leben und die buddhistische Praxis vieler großer Meister in China und Indien, die er auch häufig ewige Buddhas nennt.

Im Buddha-Dharma ist die Einheit von praktischem Handeln der Übungspraxis vor allem des Zazen, und der Lehre von zentraler Bedeutung. Ganz wichtig ist auch die lebendige Übertragung vom Meister auf den Schüler, der dann selbst Meister wird. Geschriebene Texte allein können die volle Wirklichkeit des Dharma nicht übermitteln, und dies besonders für die moralisch reine Lebensweise im Tun und Handeln. Die Geschichte der meisten Religionen ist voll von Angriffs- und Eroberungskriegen, mit der Verfolgung andersgläubiger Minderheiten und der dogmatischen Verhärtungen, die oft in krassem Gegensatz zum wahren Sinn der Religionen steht. Wie kann sich eine solcher Verkehrung und Dogmatisierung überhaupt entwickeln? Aus den heiligen Büchern der großen Religionen kann man das wirklich nicht entnehmen und trotzdem werden deren Lehren so häufig für Unmenschlichkeit und Brutalitäten missbraucht.

Dieses muss seine Ursachen darin haben, dass der Sinn der Lehre und das praktische Handeln der Menschen weit auseinanderklaffen, ohne dass sich die Akteure wirklich bewusst sind, warum sie nicht nach der reinen Lehre ihrer Religion handeln. Gautama Buddha und die großen Meister in Indien und China legten daher ein so großes Gewicht auf die Einheit mit dem praktischen Handeln im Hier und Jetzt und Meister Dôgen sagt in diesem Kapitel verkürzt, dass das Bewahren und die Weitergabe der reinen Praxis unbedingt notwendig ist für den wahren Buddhismus.

In den oft ergreifenden Lebensgeschichten der großen Meister legt Dôgen den Finger in die Wunde, wenn Theorie und Praxis voneinander abweichen oder sogar im Gegensatz zueinander stehen. Er rät uns, dass uns selbst wir mit großer Sorgfalt beobachten, um zu erkennen, nach welchen Motiven wir wirklich handeln und denken. Er warnt immer wieder davor, dass die Gier nach Ruhm, Macht und Profit zum wesentlichen Motor unseres Lebens wird und weist darauf hin, dass wir das eigene Selbst oft nicht einmal in Umrissen wahrnehmen. Eine wesentliche Ursache ist die dualistische Trennung von handelndem Subjekt und dem Objekt, die oft dazu führt, dass die eigenen nicht erlaubten Motive auf den anderen abgewälzt werden, der dann moralisch verurteilt und abgelehnt wird. Auch in buddhistischen Gruppen kann man leider häufig beobachten, dass das Streben nach Ruhm, Anerkennung, Einfluss und auch materiellem Gewinn verschleiert wird und dass genau diese Interessen an anderen vergrößert wahrgenommen werden. Eine wirklichkeitsnahe und ausgewogene Sichtweise ist dann nicht mehr möglich. Buddhisten machen also manchmal leider dabei keine Ausnahme, obgleich sie doch viele theoretische und praktische Hinweise im Buddha-Dharma besitzen, die verhindern sollen, dass Lehre und Praxis weit auseinander klaffen.

Die großen alten Meister werden von Dôgen als leuchtende Beispiele des tatkräftigen und moralisch einwandfreien Handelns beschrieben, und dies entwickelt beim Leser und Lernenden hohe Motivationsenergien. Es kann eigentlich gar nicht ausbleiben, dass wir uns mit Bescheidenheit und Einfachheit an die großen lebenden Meister erinnern, die die lebendige buddhistische Lehre von Gautama Buddha bis zu uns in die Gegenwart authentisch übermittelt hat. Wäre diese Kette nur an einer Stelle durch unfähige und verblendete Meister unterbrochen worden, dann wäre der lebende Buddha-Dharma nicht bei uns angekommen. Dabei gibt es immer wieder herausragende geniale Meister, welche die buddhistische Lehre in ihrer Zeit von Verkrustungen und Fehlentwicklungen befreien und nicht zuletzt dadurch die Lebendigkeit und Kraft des Buddhismus erhalten.
Aus der Sicht des Zen-Buddhismus sind hierbei vor allem sicher Nâgârjuna, Bodhidharma, Daikan Enô, und dann die Vielfalt großartiger buddhistischer Meister in der Nachfolge von Daikan Enô bis zu Tendo Nyojô, Dôgen und in neuerer Zeit Kodo Sawaki, Renpo Niwa und Nishijima Roshi zu nennen. Vor allem Kodo Sawaki hat den lebendigen Buddhismus in Japan in der Zeit des Niedergangs der imperialistischen politischen Strömungen in Japan gerettet und an die moderne Zeit übergeben. Ich selbst empfinde eine tiefe Dankbarkeit für diese nicht unterbrochene Kette großer buddhistischer Meister, ohne welche die Lehre und Praxis des wahren Buddhismus nicht zu uns gekommen wäre. Gerade das lebendige Beispiel im täglichen Leben ermöglicht uns ein Lernen jenseits von Worten und Denken, das aus den buddhistischen Texten, so wichtig sie auch sein mögen, kaum möglich ist.
Dôgen sagt hierzu:

„Die Tugend einer solchen Praxis erhält und bewahrt euch selbst und sie erhält und bewahrt die Welt. Das Wesentliche ist, dass im Augenblick meiner Praxis die ganze Erde und der ganze Himmel in allen zehn Richtungen vollkommen mit der Tugend (meines Tuns) vereint sind."

Dabei ist es gar nicht von wesentlicher Bedeutung, was mir oder den anderen voll bewusst ist, denn die reine Praxis übersteigt das, was wir denken und sagen können, sie darf allerdings damit auch nicht im Widerspruch stehen.
Dôgen
sagt weiter:

"Deshalb verwirklicht sich das Tun der Buddhas durch unser Tun, und ihre große Wahrheit ist von der unseren durchdrungen. Die Tugend dieses Rings (der Wahrheit) existiert durch das Bewahren der reinen Praxis."

Damit legt er ein großes Gewicht auf die Praxis der Buddhisten in der Gegenwart, die genau durch ihr reines Handeln die Buddhas und die Lehre verwirklichen. Dôgen betont, dass erst durch diese reine Praxis überhaupt die Wahrheit und Wirklichkeit der Welt ermöglicht wird, dass also der Mond und die Sterne, die Erde und der Raum, Körper und Geist, die materiellen vier Elemente und die fünf Komponenten des Menschen und der Welt (Skanda) Wirklichkeit sind.

An anderer Stelle hebt Dôgen die Bedeutung beim Übungsweg jedes einzelnen Menschen hervor, dass man am Anfang den Bodhigeist erweckt, also eine klare Entscheidung trifft, sich auf diesen Weg zu begeben. Dann braucht man Ausdauer, Bescheidenheit, Zähigkeit und Vertrauen, um auf diesem Pfad weiterzugehen, sich von den Tagträumen einer grandiosen Erleuchtung zu lösen und die ganze Fülle und Schönheit der wirklichen Welt nach und nach zu entdecken und sich selbst zu verwirklichen und dies alles an andere weiterzugeben. Dôgen sagt dazu:

"Selbst wenn die Tugend der reinen Praxis sich nicht zeigt, müsst ihr lernen und erfahren, dass sie wirklich existiert, denn sie wurde niemals durch irgendetwas befleckt, was verborgen oder offenbar existiert oder nicht existiert."

Dies geschieht genau im Augenblick des Hier und Jetzt und im Gleichgewicht, das vor allem durch die Zazenpraxis ermöglicht wird, wenn wir "Körper und Geist fallen lassen" und das „Tor des Friedens und der Freude zum Dharma öffnen“. Durch einseitige Theorie und Denken ist dies nicht zu erreichen, denn ohne die umfassende und bewährte Praxis geht es nicht. Einseitige Theorie führt nur allzuleicht dazu, dass man zergliedert, bewertet, gegeneinander aufrechnet und sich in Spekulationen verliert, die dann oft von eigenen Interessen und der eigenen Gier weitgehend unbewusst gesteuert werden. Dagegen verlässt die reine Praxis auch die engen Grenzen des Ich, das sich selbst ängstlich schützen will, das gierig etwas haben will und misstrauisch die anderen beäugt, ob die etwas an sich reißen und uns stehlen wollen. Die reine Praxis und das reine Handeln sind unauflösbar mit dem Jetzt der Sein-Zeit verbunden, während das Denken sich oft in entfernten Räumen und gedachten Zeiten verliert. Dôgen sagt hierzu:

"Diese reine Praxis zu vernachlässigen, durch welche die Buddhas erst wirklich werden und die euer Tun und Handeln erst zu einer reinen Praxis machen, bedeutet, dass ihr die Buddhas missachtet und ihnen keine Gaben schenkt. ... Hier und jetzt öffnen sich die Blumen und fallen die Blätter: Dies ist nichts anderes als die Verwirklichung und das Bewahren der reinen Praxis."

Er geht dann darauf ein, dass das absichtsvolle Handeln zum eigenen Vorteil genau das Gegenteil bewirkt und in die Sackgasse führt. Wenn man bei der Zazen-Praxis zum Beispiel fast krampfartig das großartige Ziel der eigenen Erleuchtung erreichen will, so hat das mit Sicherheit zur Folge, dass diese gerade nicht eintritt und sich überhaupt nicht ereignen kann. Die wahre Zazen-Praxis des Shikantaza ist nach Nishijima Roshi die erste Erleuchtung, je im Augenblick und sie darf nicht durch ehrgeizige Ziele behindert werden, denn dann kann sie überhaupt nicht mehr stattfinden. Die großartigen spirituellen Zustände des Gleichgewichts und Erwachens lassen sich nicht mit dem Denken und den Worten der Zielerreichung erfassen, und dies wäre nach Dôgen damit zu vergleichen, dass der verlorene Sohn in der Welt herumirrt und verarmt, obgleich er eigentlich im Besitz eines großen Schatzes ist.

Dôgen betont, dass das Streben nach der Wahrheit und reinen Praxis in jedem Alter möglich und notwendig ist. Gerade in der heute oft überalterten Gesellschaft, in der die Menschen sechzig, siebzig, achtzig Jahre oder noch älter werden, bekommt eine solche Aussage eine neue große Aktualität und Durchschlagskraft. In der Tat verbringen viele ältere Menschen, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, ihre Zeit damit, sich ohne große eigene Anstrengung nur unterhalten zu lassen, leider oft ohne fundierte Informationen alles und jedes kritisieren und beurteilen und den eigentlich dringenden Fragen von Leben und Tod, von Wirklichkeit und Wahrheit, ausweichen. Zudem hat die moderne Tourismus-Industrie gerade für alte Menschen eine Fülle von Ablenkungsaktivitäten entwickelt, bei denen eine innere Verödung kaum vermieden werden kann.
Dahinter steckt oft das Weltbild, dass Arbeit und Beruf menschenfeindliche Anstrengungen sind und dass Friede und Freude dadurch ermöglicht werden, dass man keine Aufgaben und Pflichten mehr hat und dann angeblich "die Seele baumeln lassen" kann. Das sind aber wohl nur Werbesprüche. So kann man die reine Praxis, von der Dôgen spricht, sicher nicht bewahren. Er sagt dazu:

"Sorgt euch nicht darum, ob ihr in der Blüte der Jahre oder im Alter steht, praktiziert nur jeden Augenblick entschlossen die Wahrheit und erforscht das Höchste."

Er nimmt dabei auf den sog. Flankenheiligen in Indien Bezug, der erst im hohen Alter zum Buddha-Dharma kam und trotz verächtlicher Bemerkungen der jüngeren Mönche seine Übungspraxis ernsthaft und mit bewundernswerter Ausdauer machte. Er wurde Flankenheiliger genannt, weil er sich nicht mehr bequem auf die Seite legen wollte, sondern unablässig und ausdauernd praktizierte.

Dôgen erwähnt dann die großen Meister in China wie zum Beispiel Daikan Enô, Baso Ungan und berichtet von dem Zenmeister Daichi, dessen Worte wie folgt übermittelt werden: "Ein Tag ohne Arbeit ist ein Tag ohne Essen." Er arbeitete auch im hohen Alter mit den jungen Mönchen im Kloster und verweigerte die Nahrung, als man ihm die Arbeitsgeräte wegnahm, damit er sich schonen könne. Er aß erst wieder, als er an der Arbeit im Rahmen seiner Möglichkeiten teilnehmen konnte.
Dôgen zitiert außerdem den großen Meister Dai-i:

"Zwanzig Jahre lang lebte ich auf dem Berg Isan. Ich habe auf dem Berg Isan Mahlzeiten gegessen, ich habe auf dem Berg Isan Kot entleert, aber niemals habe ich Isans Weg gelernt."

Damit wird gesagt, dass dieser Meister sich ganz der Übungspraxis gewidmet hat, dass es ihm nicht um äußere Anerkennung oder eine große Schülerzahl ging und dass er gerade dadurch zu einem großen Meister in der Kette des Buddhismus wurde, der den lebendigen Buddhismus bei sich entwickeln konnte und an andere weitergab.
Der große Meister Joshu erweckte den Bodhi-Geist erst mit sechzig Jahren und entschied sich dann in großer Eindeutigkeit und Klarheit, den Buddhaweg zu gehen. Von ihm wird ein berühmter Satz übermittelt:

"Ich werde diejenigen befragen, die mehr wissen als ich, selbst wenn es ein siebenjähriges Kind ist, ich werde diejenigen belehren, die weniger wissen als ich, selbst wenn es ein alter Mann von hundert Jahren ist."

Auch hier wird die Bedeutung des Alters von Dôgen aufgelöst, denn Joshu selbst war schon sehr alt, als er zum Buddhismus kam und er scheute sich nicht, die wahre Lehre auch von einem siebenjährigen Kind anzunehmen. Es wird weiter berichtet, dass er mit achtzig Jahren selbst Meister wurde und dann vierzig Jahre lang "die Menschen und Götter geführt und gelehrt hat." Es werden viele Geschichten von seiner ausdauernden und auch kompromisslosen Übungspraxis berichtet. Er war allen Spekulationen und träumerischen Illusionen abgeneigt und führte seine Schüler immer wieder unmissverständlich auf die Wirklichkeit im Hier und Jetzt zurück. Joshu gehört in der Tat zu den ganz großen Meistern in der chinesischen Geschichte des Buddhismus.
Dôgen führt weitere große Meister auf, die durch äußerst treffende Koan-Aussprüche berühmt wurden und den Zen-Buddhismus so außerordentlich bereichert haben. Zum Beispiel stammt von Meister Baso auf die Frage eines Mönchs: "Was ist Buddha?" die berühmte Aussage: "Geist hier und jetzt ist Buddha." Dôgen hat dies in einem anderen Kapitel tiefgründig dargelegt, der Geist ist hier also nicht vom Körper und von der Materie abgetrennt, sondern der Geist und der Körper sind hier und jetzt die umfassende, intellektuell nicht erfassbare Wahrheit und Wirklichkeit. Dôgen sagt weiter:

"Hofft nicht auf das große Erwachen! Das große Erwachen ist nichts anderes als euer täglicher Tee und Reis, begehrt auch nicht das Nicht-Erwachen. Nicht am Erwachen (zu haften) ist eine kostbare Perle."

Er führt dann aus, dass die Gier nach Ruhm und Profit nicht sinnvoll sei, dass es aber auch dogmatisch und unmenschlich sei, diese aggressiv und militant abzulehnen. Auch dann sei man nämlich der Gier nach Ruhm und Profit verhaftet, wenn auch im umgekehrten Sinne der Ablehnung und nicht der Anziehung. Eine emotional aufgeladene Ablehnung hält den Menschen ebenso gefangen wie die Gier.

Es ist sicher nicht falsch, an dieser Stelle auf die Menschen zu verweisen, die sich darüber aufregen, dass andere gierig nach Reichtum streben, da dies doch sinnlos sei. Man wird dabei den Verdacht nicht los, dass eher Sozialneid das Motiv der vehementen Ablehnung ist, denn sonst wären diese Menschen viel gelassener. Wer im Gleichgewicht ist, wird von den Ideen des Reichtums und des Ruhms also weder positiv noch negativ beherrscht.
Die große Bedeutung der reinen Praxis wird von Dôgen durch das folgende Zitat der Buddhas und großen Vorfahren belegt:

"Wenn ein Mensch fähig wäre, das Jetzt eines Buddhas zu verstehen und es entschlossen zu verwirklichen, und sei es auch nur einen Tag lang, so wäre dieser Tag ungleich mehr wert, als wenn er hundert Jahre leben würde."

Dôgen bringt die große Bedeutung der reinen Praxis durch folgende Aussage auf den Punkt:

"Es ist eine bedauernswerte Verschwendung von Tagen und Monaten, wenn man hundert Jahre lang in den Tag hineinlebt. Selbst wenn jemand hundert Jahre lang wie ein Sklave lebt, der von den Klängen und Formen (dieser Welt) hin- und hergetrieben wird, aber in all diesen Jahren nur einen einzigen Tag lang die reine Praxis bewahrt, so hätte er an diesem Tag nicht nur ein Leben von hundert Jahren praktiziert, sondern auch andere Leben von hundert Jahren erlöst."

Er fordert uns daher eindringlich auf, keinen Tag und keinen Augenblick zu verschwenden und die Zeit nutzlos vergehen zu lassen. Er sagt, dass ein Tag der reinen Praxis von größtem Wert ist und er sei viel höher einzuschätzen als ein großer teurer Edelstein. Dôgen sagt dann über den großen Meister Seppo, der in vielen Koan-Gesprächen mit Meister Gensa zitiert wird:

"Ihr solltet Seppos Dharma-Anstrengung im Bewahren der reinen Praxis mitempfinden. Es wäre traurig, wenn ihr dies nicht selbst erfahren und erforschen würdet."

Donnerstag, 24. Januar 2008

Sich tief verbeugen und das Mark der Wahrheit erlangen

In diesem Kapitel (Kap. 8, Raihai tokuzui) geht es darum, gegenüber einem Menschen oder einem Symbol des Buddha-Dharma, z. B. einer Statue, eine hohe Wertschätzung und Achtung zu erweisen, indem man eine tiefe Verbeugung, oder wie es in diesem Fall auch heißt, eine Niederwerfung, macht.


Bailin in China, Dharma-Halle


Damit ist keine Unterwürfigkeit gegenüber einer äußeren Autorität oder einem Menschen mit Macht oder Geld gemeint, sondern die ehrliche Hochachtung gegenüber jemandem, der die Dharma-Übertragung erhalten hat. Meister Dôgen vertieft in diesem Kapitel die Bedeutung einer solchen Geste der Hochachtung völlig unabhängig davon, ob es sich um einen Mann, eine Frau oder sogar eine Kind handelt. Es sei allein wichtig, wie weit dieser Mensch auf dem Dharmaweg vorangeschritten ist und es sei von einer absoluten Gleichberechtigung von Männern und Frauen auszugehen. Dies ist für die ostasiatische Gesellschaft natürlich überhaupt nicht selbstverständlich und zeigt die "Modernität" von Meister Dôgen. Es hat übrigens große Ähnlichkeit mit Gautama Buddha selbst, der in seinem Sangha auf die Zugehörigkeit zur Kaste keine Rücksicht nahm und auch die von den Brahmanen herausgearbeiteten Merkmale ihrer Kaste nicht akzeptierte. Für ihn waren allein der Geist, das Handeln und die Lebensführung des Menschen maßgeblich.
Auch Ayya Khema und Traudel Reiß sagen in diesem Zusammenhang beim Buddha-Weg:

"Hingabe ist ein wesentlicher Bestandteil auf dem spirituellen Weg, denn ohne Hingabe gäbe es weder tiefe Meditation noch tiefe Erkenntnis. Hingabe ist nicht intellektuell zu bewerkstelligen."

Eine solche Hingabe kann nur auf der Grundlage des Vertrauens wirklich echt sein, denn nur dann kann es zum Beispiel zwischen Lehrer und Schüler einen tiefgehenden existenziellen Lernprozess geben, der nicht irgendwann in eine menschliche Sackgasse führt, sondern befreit und voranbringt. Dôgen sagt hierzu:

"Wenn ihr das höchste, vollkommene Erwachen (anuttara-samyak-sambodhi) übt, ist es das Schwierigste einen Lehrer zu finden, der euch auf den Weg führt. Es ist nicht wichtig, ob dieser Lehrer ein Mann oder eine Frau ist, aber er oder sie muss Meister von sich selbst sein und auch ein Mensch sein, der das Unfassbare ist. Ein solcher Mensch ist nicht durch seine Vergangenheit oder Gegenwart festgelegt, sondern er ist ein guter Lehrer, der den Geist eines wilden Fuchses hat."

In diesem Zitat wird die Bedeutung des Lehrers, ob Mann oder Frau, alt oder jung, schwarz oder weiß, Japaner, Inder oder Europäer usw. herausgestellt. Es muss jemand sein, der nicht von Ideologien und aufgeladenen Emotionen seiner Vergangenheit gesteuert wird und der nicht nach Ruhm und Profit strebt. Allein die Wahrheit des Buddha-Dharma muss Richtschnur und Maßstab seines Handelns, Denkens und Fühlens sein. Er muss also im Gleichgewicht leben. Vor einem solchen Menschen ist es sinnvoll, sich auch körperlich tief zu verbeugen oder sich niederzuwerfen, um ihm damit seine Wertschätzung zu offenbaren. Dies wirkt dann vor allem auf denjenigen selbst zurück, der dem anderen eine solche Ehrerbietung erweist, denn es baut den Egoismus und die Ichsucht ab und befreit damit aus den "Nestern" des Ich-bezogenen Denkens.
Dôgen verwendet dann die Formulierung, dass ein solcher Mensch und Lehrer das "Unfassbare" ist. Damit will er sagen, dass eine einfache Klassifizierung und Charakterisierung gar nicht möglich ist, dass man einen solchen Meister also nicht in irgendeine „Schublade stecken“ kann, sondern dass er ganz aus dem Augenblick in voller Freiheit und Freundlichkeit der jeweiligen Situation handelt und denkt. Dazu gehört auch, dass er nicht durch seine eigene Vergangenheit festgelegt und fixiert ist, denn dann wäre ein unmittelbares Handeln in der Gegenwart nicht möglich. Nishijima Roshi sagt hierzu:

"Der Lehrer muss ein starker und stabiler Mensch sein, der wirklich humanistisch ist und die Schülerinnen und Schüler gründlich und mit wirklichem Einfühlungsvermögen leitet."

Für viele westliche Menschen mag es befremdlich sein, die in Ostasien übliche Form einer Niederwerfung zu vollziehen, weil sie dies als Erniedrigung und Unterwerfung empfinden. Aber es handelt sich nicht um den "Kadavergehorsam", der ja gerade in Deutschland eine sehr unselige Bedeutung in der Geschichte gehabt hat. Blinder Gehorsam unter bornierten Vorgesetzten und Machthabern ist ganz etwas anderes. Auch Nishijima Roshi betont, wie schwer es ist, einen wahren und wirklichen Lehrer zu finden. Meister Dôgen hatte bekanntlich sehr lange gesucht, bis er in China seinen eigenen Meister fand, nachdem er die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte. Wenn man aber einem solchen Lehrer begegnet, gibt dies wirklich einen Schub auf dem Weg des Buddha-Dharma nach vorn, sodass man, wie es hier heißt, "das Mark der Wahrheit erlangen " kann. Dôgen sagt weiter:

"Auf diese Weise sollten wir lernen (achtsam wie) auf Zehenspitzen zu gehen und das Feuer auf unserem Kopf zu löschen."

Die Formulierung auf "Zehenspitzen zu gehen" wurde in China dafür verwendet, dass man sorgfältig und genau handelt und sich vorsichtig in unserer kostbaren Umwelt bewegt. Sie wird auf Gautama Buddha selbst zurückgeführt. Die Formulierung "ein Feuer auf dem Kopf zu löschen" wird ebenfalls häufiger im Shôbôgenzô verwendet und bedeutet vor allem, dass man tatkräftig und ohne Zögern handelt, wenn Gefahr droht oder man bereits in einer gefährlichen Lage ist. Wenn wir so ausdauernd und sorgsam in unserem Leben vorangehen und handeln, sagt Dôgen, können wir wie die alten großen Meister und sogar wie Gautama Buddha selbst werden. Dann wird der Schüler auch zum Meister und in der Dharma-Übertragung wird dies zur lebendigen Wirklichkeit.
Wir können aber nicht nur durch die großen Meister und Lehrer lernen, denn auch "die Natur lehrt uns den Buddha-Dharma", also auch die Blumen, Bäume und Steine, die Felder und Dörfer und unsere ganze Umgebung "spricht" dann zu uns, und auch dieser Natur gilt unsere hohe Wertschätzung und Achtung. Nishijima Roshi sagt dazu:

"Die wirkliche Welt oder das Universum ist selbst genau die Wahrheit und daher lehren die Bäume und Steine immer die Wahrheit des Universums."

An anderer Stelle spricht Dôgen von der Schönheit der Natur und von der großen Kraft, die zum Beispiel von den Pflaumenblüten, den Bergen und den Flüssen ausgeht, wenn wir uns ganz öffnen und deren Wirklichkeit uns erfüllt und bewegt. Es wird dann der große Meister Joshu zitiert, der sagte:

"Ich werde jeden fragen, der mehr weiß als ich, also auch ein Kind von sieben Jahren, und ich werde jeden lehren, der weniger weiß als ich, also auch einen Menschen von hundert Jahren."

Damit wird ganz klar ausgedrückt, dass es nicht um das Alter geht, sondern um die Klarheit des Geistes im Buddha-Dharma selbst und dass keiner seine Würde verliert, wenn er einem Jüngeren gegenüber seine Wertschätzung und Achtung zeigt und dies zum Beispiel durch eine Verbeugung oder eine Niederwerfung zum Ausdruck bringt. Man muss wissen, dass Meister Joshu bereits sechzig Jahre alt war, als er den Entschluss fasste, den Buddha-Weg zu gehen, er war also selbst schon ein älterer Mann, als er den obigen Ausspruch tat. Aber darin kommt auch zum Ausdruck, dass man selbst ohne Zögern die Buddha-Wahrheit weitergibt, wenn man merkt, dass man dem anderen damit helfen kann und er weniger von der Lehre weiß als man selbst.
Dôgen bringt dann einige Beispiele, in denen eine Nonne Meisterin war und sich die Mönche und Laien vor ihr niedergeworfen und um ihre Lehren gebeten haben. Dies mag für westliche Menschen nichts Besonderes sein, weil wir viele Lehrerinnen und Meisterinnen im Westen haben, aber für die damalige Zeit in Ostasien kann das schon fast als revolutionär bezeichnet werden. Es zeigt die kompromisslose Haltung Dôgens in der Frage der buddhistischen Wahrheit und seine Klarheit und Entschiedenheit, allein auf die Kraft des Buddha-Dharma zu bauen, denn er wollte nicht irgendwelche gesellschaftliche Positionen oder Rangordnungen anerkennen. Dasselbe gilt für die Besetzung der Leitung eines Klosters, bei der nicht automatisch der älteste Mönch eine solche Führungsaufgabe erhalten soll, sondern derjenige, der die Dharma-Übertragung erhalten hat und im Besitz der Wirklichkeit und Wahrheit ist. So kann auch ein Mädchen von sieben Jahren andere lehren und eine "wohlwollende Mutter" aller Lebewesen sein.
Dôgen führt zur Bedeutung der Frauen im Buddhismus auch die weltlichen Herrscherinnen, also Kaiserinnen in China und Japan an. Auch dabei wird von dem dort üblichen Wertschema, dass Männer höherwertig als Frauen seien, abgewichen, sodass für Dôgen die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Buddha-Dharma selbstverständlich ist, die es sogar in weltlichen Funktionen gäbe.

Schließlich geht Dôgen auf die sexistischen Rollen in der Gesellschaft ein und verurteilt, dass Frauen allzu häufig auf ihre sexuelle Funktion reduziert werden und dass diese sexuellen Begierden ja vor allem die Männer selbst prägen. Er hält es für völlig unsinnig, dass in einer solchen patriarchalischen Gesellschaft die Frauen deswegen verteufelt werden, weil sie sexuelle Begierden erwecken und dass auf diese Weise das Problem der Männer einfach auf die Frauen abgewälzt wird. Denn auch der umgekehrte Fall ist ja durchaus häufig, dass sich sexuelles Verlangen auf einen Mann bezieht und dass man diesen deswegen ja auch nicht verteufelt. Weiterhin kann sich die Gier sogar auch auf Ideen, Bilder und sogar Gegebenheiten der Natur beziehen. Es wird in einer Geschichte davon berichtet, dass eine Frau durch die Strahlen der Sonne in sexuelle Erregung versetzt wurde. Weiterhin können Träume, Fantasien und Truggebilde alle Objekte sexueller Gier sein. Es geht also hierbei mehr um den Geist des "Subjekts" als um Eigenschaften des "Objekts". Ganz unsinnig wäre es auch, einen buddhistischen Orden zu kritisieren, in dem Frauen leben, und zwar mit der Behauptung, dass dieser dadurch „verunreinigt“ würde. Wir können sicher annehmen, dass es solche Vorurteile im alten China und Japan gab, denn sonst hätte Dôgen dieses Beispiel wohl kaum angeführt.

Am Ende dieses Kapitels kritisiert Dôgen in aller Entschidenheit gewisse dogmatische Traditionalisten im alten Japan, die den Frauen grundsätzlich verbieten, wichtige Heiligtümer überhaupt zu betreten. Eine solche äußere Diskriminierung der Frauen löst sich nämlich vollständig von der Bedeutung der Wirklichkeit und Wahrheit der Menschen ab, denn nicht einmal erleuchtete Frauen dürften dann den heiligen Ort betreten. Das kann doch wohl wirklich nicht richtig sein. Dôgen sagt am Ende des Kapitels:

"Wir aber sollten uns ehrfürchtig vor der Tugend niederwerfen, durch welche (die Buddhas) alle Lebewesen erlösen, sie annehmen und mit ihrem wohltuenden Einfluss bedecken. (Wenn ihr euch so niederwerft), wer könnte daran zweifeln, dass ihr das Mark der Wahrheit erlangt habt."

Weiter Informationen von Nishijima Roshi

Montag, 21. Januar 2008

Wichtige Regeln für die Zazen-Halle

Meister Dôgen hatte bei seiner Reise nach China die überaus große Bedeutung der Zazen-Praxis für den buddhistischen Weg kennengelernt und brachte diese Erfahrung mit, als er anschließend nach Japan zurückkehrte.


Kloster Tokein, Innenplatz



In der damaligen Zeit gab es bereits in vielen chinesischen Klöstern eine Zazen-Halle, in der diese Übungspraxis durchgeführt wurde, und Dôgen realisierte eine solche baulichen Einrichtung anschließend auch in Japan. In der Nähe von Kyoto wurde 1233 unter seiner Leitung die erste große Zazen-Halle in Japan überhaupt errichtet.
Man muss sich die damaligen Klöster fast wie eine kleine Stadt vorstellen, mit den folgenden sieben Hauptgebäuden: Buddha-Halle, Dharma-Halle, Zazen-Halle, Küchengebäude, das große Eingangstor, das Badehaus und die Toiletten. Die Zazen-Halle lag meistens im Westen und war ausschließlich der Zazen-Praxis vorbehalten. Daher bestimmte Dôgen auch, dass der Raum für die Dharma-Vorträge und der Leseraum hiervon getrennt wurden. Die Zazen-Halle war durch halb hohe Zwischenwände unterteilt, die sich rechts und links von dem Hauptgang befanden. Vor diesen Zwischenwänden und an den Außenwänden waren die Plätze für die Zazen-Praxis angeordnet, die aus Holzpodesten bestanden, auf welche die Sitzkissen (Zafu) gelegt wurden. Alle Mönche saßen auf diese Weise vor einer Wand zur Zazen-Praxis, und wie Dôgen in seiner Einführung zum Zazen (Fukan Zazengi) ausführt, sollen die Augen halb geöffnet und auf die Wand gerichtet sein.

Dôgen nannte die Zazen-Halle die "Halle der schweren Wolke" und verfasste etwa sechs Jahre nach deren Errichtung die Verhaltensregeln, die sich aus der Erfahrung der ersten Jahre ergeben hatten. In diesem Kapitel 5: "Regeln für die Halle der schweren Wolke" (Ju-undo shiki) stellte Dôgen die Regeln sehr praxisbezogen zusammen.
Das Kapitel beginnt wie folgt:

"Diejenigen, die den Willen zur Wahrheit haben und sich (von dem Verlangen nach) Ruhm und Reichtum gelöst haben, dürfen in diese Halle eintreten. Die Unaufrichtigen sollten nicht in diese Halle kommen".

Wie schon in anderen Kapiteln des Shôbôgenzô ist das Streben und ehrliche Bemühen um Wahrheit auf dem Buddhaweg für Dôgen der zentrale Ansatz, um überhaupt sinnvoll beim Buddha-Dharma voranzukommen. Dazu gehören Ausdauer und auch ein starker Wille. Das Streben nach Ruhm und Profit muss abgelegt werden, weil sonst Körper und Geist nicht frei für den Buddha-Weg sind. Dies gilt natürlich besonders für die Zazen-Praxis selbst, bei der "Körper und Geist" fallen gelassen werden müssen und bohrende Ideen nach Ruhm und Geld dazu führen, dass der Geist nicht befreit werden kann. Es gab leider immer wieder Zeiten, in denen die buddhistischen Klöster größeren Reichtum ansammelten, sodass der Abt und die Mönche sich mit den Gedanken nach materiellem Vorteil und Profit beschäftigten und diese Ideen den eigentlichen Buddha-Dharma verdrängten. Auch das Streben nach Ruhm, also die Glorifizierung des Ego, spielt bei Menschen nach wie vor eine große Rolle und auch Buddhisten sind hiervon überhaupt nicht unabhängig.

Freundliches und kooperatives Verhalten, wie Dôgen es an anderer Stelle im Shôbôgenzô klar beschreibt, wird dann von den Gedanken und dem Handeln nach eigenem Ruhm beiseitegeschoben, und häufig entsteht aus anfänglicher guter Zusammenarbeit zweier oder mehrerer Buddhisten ein Wettbewerb der Verdrängung, weil jeder den Ruhm für sich beansprucht und zumeist sogar fest davon überzeugt ist, dass er selbst das Wichtigste und Maßgebliche bei der Arbeit eingebracht hat. Daraus müssen sich zwangsläufig Unaufrichtigkeit und aggressives Verhalten ergeben, und das Misstrauen überwuchert immer mehr den eigenen Geist.
Dôgen sagt weiter:

"Wenn wir jemanden fälschlich zugelassen haben, sollten wir ihn nach gründlicher Überlegung dazu bringen, fortzugehen.“

Er hält es also für besser, frühzeitig dafür zu sorgen, dass ungeeignete Mönche und Laien ausgeschlossen werden, um Schaden von der Gruppe fernzuhalten. Ein solcher Beschluss sollte jedoch nicht voreilig und unüberlegt getroffen werden und sollte auch nicht von persönlicher Feindschaft geprägt sein. Es ist interessant, dass Dôgen dabei ein demokratisches Modell der Gruppe für sinnvoll hält, bei der alle Mitglieder und die Mönche möglichst einstimmig eine solche Entscheidung fällen und wir können sicher annehmen, dass es ohne Erniedrigung und Verletzung für den Ausgeschlossenen vor sich gehen sollte. Dôgen sagt weiter:

"Wenn ihr den Willen zur Wahrheit erweckt, befreit ihr euch augenblicklich von Ruhm und Reichtum".

Er sieht also einen deutlichen Gegensatz zwischen dem Willen und Weg zur Wahrheit einerseits und der Abhängigkeit von Ruhm und Reichtum andererseits. Ruhm ist der Bereich der Ideen und Vorstellungen, und Reichtum ist der Bereich des Materialismus und angestrebten Genusses. Beide lösen sich bei dem ehrlichen Streben nach der Wahrheit auf. Umgekehrt können wir sagen, dass beim Überwiegen der Gedanken an Ruhm und Profit kein ehrlicher und starker Wille zur Wahrheit vorliegen kann. Dies ist im Übrigen auch ein gutes Kennzeichen, um einen wahren Lehrer und Meister zu finden, wie wohlklingend die Begründungen für dessen eigenen Vorteil auch sein mögen.

Besonders in Zeitaltern von starkem Materialismus, wie gegenwärtig im Westen und zunehmend auch im Osten, sind diese Aussagen von großer Aktualität. Nishijima Roshi betont hierbei, dass die beiden Lebensformen und Philosophien des Idealismus und Materialismus ungeeignet sind, wenn man sich ernsthaft auf den Weg des Buddha-Dharma begibt. Oft wird jedoch bei westlichen Menschen überhaupt keine Alternative zu diesen beiden Lebensformen gesehen, sodass dann auch der Glaube an eine umfassende Wahrheit des eigenen Lebens verloren geht. Die Gier nach Ruhm erwächst aus Idealismus und Ideologien und die Gier nach Profit aus dem Materialismus. Auf beiden Wegen sind jedoch eine innere Befreiung und ein Gleichgewicht überhaupt nicht zu erreichen.
Dôgen sagt weiter:

"Da nun jeder von uns dem (Etwas) begegnet, das man nur selten trifft und dasjenige praktiziert, das schwer zu üben ist, dürfen wir auf keinen Fall unsere Aufrichtigkeit verlieren. Diese (Aufrichtigkeit) wird der Körper-und–Geist der buddhistischen Vorfahren im Dharma genannt und sie wird zweifellos Buddha und Nachfolger im Dharma werden".

Dôgen betont hier wie viele große Meister, dass es selten ist, dass jemand dem wahren Buddha-Dharma und einem wirklichen Meister begegnet, der diese großartige Lehre klar und unverzerrt an die Schüler weitergibt. Dies gilt natürlich für uns im Westen in besonderem Maße, da der Buddhismus hier noch wesentlich schwieriger anzutreffen ist als in den buddhistischen Ländern Ostasiens. Wenn man also den Zugang zum Buddhismus gefunden hat, kommt es darauf an, dies klar zu erkennen und dabei zu bleiben, um mit zunehmender Aufrichtigkeit und Klarheit auch seinen eigenen Lebens-Weg immer besser zu erkennen.
Dôgen sagt weiter:

"Jetzt ist genau die Zeit, um (zu praktizieren), als wenn (ein Feuer) auf unserem Haupt gelegt wird und wir dies unverzüglich löschen. Wir sollten daher alles vergessen, was uns ablenkt, was den Egoismus unterstützt und die Ichsucht vergrößert.“

Durch die Übungspraxis in der Zazen-Halle und auch beim täglichen Praktizieren zu Hause haben wir eine bewährte Übungsform zur Verfügung, die seit Gautama Buddha, das heißt über 2.500 Jahre weitergegeben wurde und den „Härtetest“ bestanden hat. Wenn das Haar brennt, hat es keinen Sinn, lange darüber zu philosophieren, woher das kommt und was das bedeuten soll, sondern man muss dieses Feuer unmittelbar löschen und damit das Übel abstellen, um nicht zu Schaden zu kommen.

Dôgen erläutert dann, dass in der Zazen-Halle ausschließlich diese Übungspraxis des wahren Zazen durchgeführt werden sollte und dass dort z. B. keine Schriften studiert werden. Dazu gibt es einen gesonderten Raum, und Dôgen empfiehlt, dass man sich an ein helles Fenster setzt, um die Sutra zu studieren und gut lesen zu können. Auch die Zeremonien und rituelle Handlungen sollen ebenfalls in einem anderen Raum stattfinden und nicht in der Zazen-Halle.

Im Folgenden geht Dôgen auf mögliche Konflikte zwischen den Mönchen ein und schließt zunächst körperliches Schlagen ganz aus, wenn jemand z. B. deutliche Fehler begangen hat. Wer Fehler macht, muss sie sie wieder gut machen und muss wohl auch meist bestraft werden. Auch psychische Verletzungen sind unbedingt zu vermeiden, die oft schwerer zu heilen sind als körperliche Angriffe und in der modernen Gesellschaft sicher häufiger als körperliche Kämpfe stattfinden. Wie Dôgen auch an anderer Stelle herausarbeitet, ist Freundlichkeit oder sogar Sanftmut gegenüber feindlich handelnden Menschen notwendig, um nicht aus dem Buddha-Dharma herauszufallen. Keinesfalls darf das subjektive Gefühl, dass man benachteiligt wird oder dass einem etwas genommen wird, dazu führen, aggressiv und verletzend zu reden. Dôgen sagt hierzu:

"Wenn zwei (Mönche) sich streiten, sollten beide in ihr Quartier zurückgeschickt werden, weil sie nicht nur ihre eigene Praxis für die Wahrheit wesentlich behindern, sondern auch andere erheblich stören."

Beim Streit verlieren die Menschen ihr inneres und äußeres Gleichgewicht, und auch Buddhisten können leider bei bestimmten Anlässen erstaunlich aggressiv und bösartig werden und wollen den anderen bekämpfen und möglichst besiegen. Dies entsteht natürlich besonders bei Misstrauen und Missgunst, z. B. beim Streben nach Ruhm und Überlegenheit. Die Menschen sehen dann meist wie Dämonen aus und auf keinen Fall wie Helden. Dôgen sagt am Ende dieses Kapitels:
"Ihr solltet erbitten, dass euer ganzes Leben friedlich und ungestört verlaufen solle und euer Bemühen um die Wahrheit nicht aus Ehrgeiz (und Ruhmsucht) erfolgt".

Weitere Informationen: Grundprinzipien des Shôbôgenzô von Nishijima Roshi

Donnerstag, 17. Januar 2008

Die große intuitive Weisheit, die das Denken überschreitet

Meister Dôgen beschreibt im zweiten Kapitel des Shôbôgenzô "das Pâramitâ der großen Weisheit" (Makahannya haramitsu), also an herausgehobener Stelle ganz am Anfang, seiner umfassenden Lehre des Buddhismus das berühmte Sutrâ, das mit den Begriffen "Form und Leere" verbunden ist.
Peter Gäng nennt in seinem Buch über den Buddhismus Prajnâ die Weisheit, die über das Denken hinausgeht. Es gibt zu diesem Thema etwa vierzig einzelne Sutrâ, unter denen das Herz-Sutrâ das kürzeste, aber wohl auch das aussagekräftigste ist. Das Herz-Sutrâ wird in den Gruppen der meisten ostasiatischen Traditionen regelmäßig zitiert und hat eine herausragende Bedeutung.

Pâramitâ bedeutet in Sanskrit das „Erreichen des anderen Ufers“, also das Erwachen und das Überschreiten des üblichen Denkens und der gewöhnlichen Wahrnehmung, wobei beides meist bekanntlich mit mehr oder minder starken Emotionen verbunden ist. Prajnâ wird auch oft mit dem Begriff der Leerheit (Shûnyatâ) des Mahâyâna-Buddhismus verbunden und wurde vor allem von dem großen Meister Nâgârjuna ausgearbeitet. Die Leerheit hat häufig zu erheblichen Missverständnissen bei den Anhängern, aber vor allem auch bei den Feinden des Buddhismus geführt, weil sie meist mit der Vorstellung des Nihilismus und der Ablehnung von Vernunft und Logik verbunden wird. Dies ist aber grundsätzlich falsch.

Prajnâ bedeutet vielmehr die Weisheit, die das normale Denken überschreitet, die also Qualitäten unseres Geistes bezeichnet, die beim linearen Denken und der Trennung von Subjekt und Objekt nicht zum Zuge kommen. Ich selbst habe das Herz-Sutrâ immer wieder zitiert und hatte zunächst erhebliche Mühe, überhaupt den Sinn zu verstehen, besonders weil es am Schluss heißt, dass dieses Sutrâ mit seiner Kraft "alles Leiden wegnimmt". Wie kann man das Leiden überwinden, wenn es heißt: "Form ist Leere und Leere ist Form"? Das war mir völlig unklar. Nishijima Roshi sagt in der Einführung zu diesem Kapitel:

"Prajnâ wird intuitiv und unmittelbar erfahren, wenn Körper und Geist im Zustand des Gleichgewichts sind und Zazen ist die Übungspraxis, durch die Körper und Geist in diesen Zustand gelangen. So ist das Pâramitâ der großen Weisheit die Essenz des Zazen."

Er verwendet für den Begriff der Leerheit häufig den Zustand des ganzheitlichen Gleichgewichts von Körper und Geist, also des ganzen Menschen und auf keinen Fall nur seines Verstandes.
Dôgen beginnt dieses Kapitel wie folgt:

"Wenn der Bodhisattva Avalokiteshvara das tiefgründige Prajnâ-Pâramitâ praktiziert, reflektiert der ganze Körper, dass die fünf Komponenten des Menschen (Skanda) vollständig leer (also im Gleichgewicht) sind",

und Nishijima Roshi erläutert hierzu sein erstes Grundprinzip, dass man bei der Zazen-Praxis erfährt, „ dass das ganze Universum so ist, wie es ist". Die fünf Komponenten des Menschen und der Welt (Skanda) sind nach der altindischen Lehre: Körper (Form), Sinne (Wahrnehmung), Denken, Handeln und Bewusstsein. Beim Zazen werden bekanntlich das Denken und die Wahrnehmung überschritten, sodass sich das Bewusstsein ganz für das Hier und Jetzt öffnet und den Stress, die Gedanken und aufgeladenen Gefühle abschüttelt. Dies wird mit dem Begriff „Leerheit“ bezeichnet: Man ist leer von den üblichen Gedanken und Gefühlen. Damit hat der Begriff der „Leerheit“ eine ähnliche Bedeutung wie bei uns im Westen die „Freiheit“, allerdings in einem umfassenden spirituellen Sinn. Nishijima Roshi erklärt hierzu gern, dass auch gerade das vegetative, also autonome Nervensystem, im Zazen im Gleichgewicht ist und dass sich dadurch ein ausgeglichener, ruhiger Zustand einstellt. Es gibt dann im Bewusstsein keine Störungen und dadurch wird das Universum so erfahren, wie es ist. Damit ergibt sich eine weitgehende Identität von Leerheit, Zustand der Zazen-Praxis, Gleichgewicht und Soheit (es ist, wie es ist). Dôgen sagt zu den Begriffen von Form und Leerheit über das bekannte Zitat hinaus, dass die Form auch die Form selbst und die Leerheit auch die Leerheit selbst ist. Auch dadurch wird die Soheit von beiden noch einmal betont.

Ich hoffe, dass diese Ausführungen nicht allzu verwirrend sind; wichtig ist dabei, dass es sich um die übergreifende Weisheit jenseits des üblichen Denkens handelt, die nach der Lehre des Buddhismus sich in der Zazen-Praxis beim Menschen unmittelbar im Hier und Jetzt ereignet.
Eine solche intuitive grenzüberschreitende Weisheit ist bei den fünf Komponenten des Menschen (Skanda) auch für die Wahrnehmung wirksam. Ein erwachter Mensch haftet bei der Sinnes-Wahrnehmung, zum Beispiel beim Sehen, dann nicht mehr an der äußeren Form und an der Trennung von Subjekt und Objekt, sondern übersteigt diese.

Die Wahrnehmung wird nach altindischer Tradition mit den sechs Formen der Sinne und den jeweiligen Objekten erfasst. Auch die berühmten vier edlen Wahrheiten werden durch die intuitive Weisheit (Prajnâ-Pâramitâ) durchdrungen. Dasselbe gilt für die überlieferten sechs Arten des Bodhisattva-Handelns: Freizügiges Geben, Einhalten der Gebote, Geduld, Ausdauer, Meditation und Samâdhi. Dôgen ergänzt dann die Verwirklichung im gegenwärtigen Augenblick und fügt auch die drei verschiedenen Arten der Zeit, nämlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinzu.
Auch die altindischen Arten der Materie: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum sowie die vier Tätigkeiten des Alltags werden durch die große intuitive Weisheit erfasst, durchdrungen, und dadurch wird das herkömmliche Denken überschritten.

Vielleicht ist es an dieser Stelle hilfreich, sich die Herkunft des Sanskrit-Begriffes Shûnyatâ zu vergegenwärtigen: Nach Auskunft von Peter Gäng wurde kurz vor der Zeitenwende von indischen Mathematikern, die damals führend in der Welt waren, die Null im gesamten Zahlensystem von positiven und negativen Zahlen entdeckt. Die Null heißt auf Sanskrit Shûnyatâ. Die wichtigste Bedeutung liegt darin, dass die Null in der Mitte zwischen den positiven und negativen Zahlen angeordnet ist und sozusagen das Gleichgewicht und die Funktionsfähigkeit des gesamten Umfangs des Zahlensystems ermöglicht. In der gleichen historischen Zeit wurde im Buddhismus von mehreren großen indischen Meistern der Mahâyâna intensiv entwickelt, der wohl durch Meister Nâgârjuna seinen Höhepunkt und seine goldene Zeit erreichte. Dieser verwendete für die Kennzeichnung des Mittleren Weges, also des Gleichgewichts, vor allem den Begriff Shûnyatâ und hat dies im "Gesang des Mittleren Weges" (abgekürzt MMK) einzigartig beschrieben. In älteren buddhistischen Lexika wird Nâgârjuna immer noch als Nihilist bezeichnet, der angeblich durch den Ansatz von Shûnyatâ alle Logik und alles Denken außer Kraft setzen und eine Auflösung im „Nichts“ lehren würde. Dies ist aber sicher unrichtig, denn es geht um die intuitive, das Denken überschreitende Weisheit, die in der Praxis des Zazen erfahren wird.
Nishijima Roshi hat zuweilen den Eindruck, dass die intuitive Weisheit und überhaupt die Intuition im Westen nicht sehr geschätzt sind. Oft wird ein Gegensatz von rationalem Denken und Intuition behauptet und diese sei ein Bereich der Esoterik und der Mystik, wobei beides in eher abwertendem Sinn gemeint ist. Dies ist m. E. abwegig. Eine derartige intuitive Klarheit ist dagegen im Gleichgewicht des Zazen und beim täglichen Handeln möglich und führt auch zu ganz klaren Entscheidungen in existenziellen Situationen, die vom denkenden Verstand niemals vollständig durchdrungen werden können.
Dôgen zitiert dann einen Mönch des Ordens von Shakyamuni Buddha,

"der für sich dachte: stets werde ich mich ehrfürchtig vor dem tiefen Prajnâ-Pâramitâ verneigen".

Nishijima Roshi erläutert dies und erläutert Meister Dôgens Gedanken, dass das äußerlich nicht erkennbare, aufrichtige Verhalten des Mönchs die Weisheit Prajnâ selbst ist und dass diese sich in seiner achtungsvollen Verbeugung offenbart. Dôgen sagt wörtlich:

"Denn genau in diesem Augenblick der Verneigung verwirklicht sich (die Weisheit) Prajnâ, dass durch die Gebote das Gleichgewicht und die Weisheit bis hin zur Erlösung aller Wesen erklärt und verstanden werden kann."

Dies bezeichnet Dôgen auch wie folgt ": "Es ist, wie es ist", und damit ist die Soheit ohne irgendwelche Verzerrungen und Zusätze, also die Wirklichkeit der Welt und des Universums selbst gemeint.
Dôgen gibt für die Untersuchung des Prajnâ-Pâramitâ das Gleichnis des Raumes an und lässt den Schüler Gautama Buddhas zum Gott Indra sagen:

„Hochverehrter Indra, wenn die Bodhisattva Mahasattvas das tiefe Prajnâ-Pâramitâ erforschen wollen, sollen sie es wie den Raum erforschen. Der Raum ist im jetzigen Augenblick allgegenwärtig, und in gleicher Weise existiert das Prajnâ im ganzen Universum. So kann die Vorstellung des Raumes das intuitive Verstehen von Prajnâ erleichtern und dies ist möglich, wenn wir im gegenwärtigen Augenblick das Gleichgewicht verwirklichen.“

Auf die folgende Frage des Gottes Indra, wie man die intuitive Weisheit beschützen kann, antwortete der Mönch Subhuti, dass das Prajnâ-Pâramitâ beschützt wird, wenn die Menschen es leben und lehren. Und Nishijima Roshi fügt hinzu:

"Daher kann ein Mensch Buddha genannt werden, der immer den Zustand des Gleichgewichts aufrechterhält".

Im Buddhismus wird nach Dôgen dieses Prajnâ empfangen, bewahrt, gelesen und rezitiert und er sagt weiter, dass man
"mit Einsicht darüber nachdenkt".
Schließlich zitiert Meister Dôgen Shakyamuni Buddha, der zu seinem Schüler Shariputra unter anderem sagt:

"Die höchst verehrten Buddhas sind Prajnâ-Pâramitâ. Warum sage ich dies? Ich sage es Shariputra, weil der richtige, wahre und ausgeglichene Zustand der Wahrheit, den alle Tathâgatas haben, sich immer durch das Prajnâ-Pâramitâ offenbart“.

Wenn die Formen und das Materielle im Sinne der intuitiven Weisheit gesehen und erfahren werden, können sie im Zustand des Gleichgewichts als leer von allen Ideologien und Begierden bezeichnet werden. Sie sind dann so, wie sie sind. Dies kann zum Verständnis der berühmten Aussage: "Form ist Leerheit, Leerheit ist Form" beitragen. Es darf sich jedoch nicht allein auf das verstandesmäßige Denken verengen, denn es geht um die große intuitive Weisheit.

Montag, 14. Januar 2008

Wie schützt man sich vor Hitze und Kälte in den Jahreszeiten?

Dieses Kapitel 66 des Shôbôgenzô behandelt den Buddha-Weg bei extremen Witterungszuständen von bitterer Kälte im Winter und feuchter Hitze im Sommer.

Heng Shan Kloster in China



Es ist nahe liegend, dass man dann nur schwer einen ruhigen und ausgeglichenen Körper und Geist behalten kann und in Gefahr ist zu klagen und sich außerdem dauernd nach angenehmeren Zuständen z. B. im Frühling und Herbst sehnt. Aber dann lebt man nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern in erträumten Illusionen. Was rät uns Dôgen in solchen Situationen?
Dieses Kapitel heißt wörtlich Shunjû, und die genaue Übersetzung ist "Herbst und Frühling". Dieser Begriff wurde jedoch im alten China und Japan ganz allgemein für die verschiedenen Zeiten und Perioden verwendet, die das ganze Jahr umfassen. In den damaligen Klöstern gab es bei starker Kälte kaum Möglichkeiten zu heizen und in den heißen, feuchten Sommern nur wenige Maßnahmen zur Kühlung.

Wir können daher sicher annehmen, dass die Mönche und Nonnen unter den Schwankungen der Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit sehr gelitten haben und dass es auf dem Buddha-Weg wichtig war, sich von diesen oft schweren Bedingungen der Umgebung nicht niederdrücken zu lassen und in Negativität abzugleiten. Für den Buddha-Dharma und das Gleichgewicht war es daher wichtig und notwendig, eine Unabhängigkeit des Geistes und Körpers von diesen äußeren Bedingungen zu erlangen oder besser gesagt, sich ihnen anzupassen, ohne unnötig darunter zu leiden, wenn eine Änderung überhaupt nicht möglich war. Es ging auch keinesfalls darum, sich vermeidbarer Askese bei Hitze und Kälte auszusetzen, indem man zum Beispiel die äußeren Bedingungen in der irrigen Annahme unnötig verschärfte, dass die Suche nach der Wahrheit dadurch verbessert und erleichtert würde. Bekanntlich hatte schon Gautama Buddha erkannt, dass die Askese als Weg zum Erwachen und zur inneren Freiheit eine böse Sackgasse war, da Körper und Geist unauflösbar eine Einheit bilden und die schlechte Behandlung des Körpers damit sofort den Geist beeinträchtigt.
Dôgen beginnt dieses Kapitel mit dem bekannten Koan-Gespräch, in dem ein Mönch den großen Meister Tozan fragt:

"Wie vermeidet man Kälte und Hitze, wenn sie kommen?"
Der Meister gab ihm daraufhin den Rat:

"Warum gehst du nicht zu dem Ort, an dem es keine Kälte und Hitze gibt?"
Der Mönch wollte dies noch genauer wissen und fragte weiter:

"Was ist das für ein Ort ohne Kälte und Hitze?" Der Meister sagte in der typischen Weise eines Koan:
"Wenn es kalt ist, töte dich mit der Kälte und wenn es heiß ist, töte dich mit der Hitze."


Das klingt zumindest recht eigenartig, denn wie soll man sich mit der Hitze und Kälte selbst töten? Dôgen unterstreicht in seiner Erläuterung zunächst die Wichtigkeit und tiefe Aussagekraft dieses Koan-Gesprächs und betont, dass es für die Erlangung der Wahrheit von großer Bedeutung ist. Er bittet uns dann, sich ganz genau in den wirklichen Augenblick zu versetzen, in dem die Kälte und Hitze kommt, also dieses Thema nicht abstrakt zu behandeln, sondern ganz konkret im Hier und Jetzt zu klären, was es damit auf sich hat. Je in dem Augenblick der Hitze und der Kälte sollen wir uns von abstrakten Zwangs-Gedanken und überstarken Emotionen befreien, also unseren Geist und unsere Wahrnehmung für die Wirklichkeit öffnen. Vor allem sollen wir unsere Bewertungen auflösen, die den Großteil unseres Leidens erzeugen. Wenn wir ein solches Gleichgewicht auch bei extremen Witterungen erlangen, haben wir nämlich schon den Ort erreicht, in dem es keine Kälte und Hitze im üblichen Sinne gibt. Die Abhängigkeit des Ich von solchen Zuständen ist dadurch "getötet" und die Unannehmlichkeiten sind so weit wie möglich reduziert. Eine solche Wirklichkeit müssen wir schlicht aushalten, ohne sie mental und emotional zu vergrößern.
Dadurch ergibt sich eine Harmonie der Umwelt mit uns selbst und eine gegenseitige gute Wechselwirkung, bei der wir selbst von der Umwelt nicht isoliert sind und damit auch nicht unnötig leiden müssen.

Wie mir Nishijima Roshi zu diesem Kapitel erläuterte, geht es hier hauptsächlich um die Wechselwirkung und den Zusammenhang zwischen Umwelt und Menschen und wie wir uns in die Gegebenheiten einfügen, die uns als Tatsachen begegnen und uns dabei nicht verbiegen. Es hat zum Beispiel keinen Sinn, sich im kalten Winter in die gemäßigte Jahreszeit des Frühlings hinein zu träumen und die Wirklichkeit des Augenblicks damit zu verdrängen, weil dies dazu führt, dass man unter der Kälte nur um so mehr leidet. Die Wirklichkeit schlägt dann um so mehr zu. So ist das Einfügen in die Umwelt auch die Harmonie mit dem Ablauf des Jahres und der Jahreszeiten, die in China und in Japan in der Tat besonders im Frühling und Herbst sehr angenehm sind. Aber es gibt auch die Wirklichkeit des kalten Winters und heißen Sommers. Dôgen sagt hierzu:

"Die Aussage, dass der Mönch sich mit der Kälte töten soll, wenn es kalt ist, und er sich mit der Hitze töten soll, wenn es heiß ist, beschreibt die Wirklichkeit genau in dem Augenblick, wenn die Kälte und die Hitze konkret da sind."

Es sei daher gar nicht sinnvoll, sich den Kopf damit schwer zu machen, dass man unbedingt die Kälte und die Hitze vermeiden will, und er sagt:

"Deshalb ist die Kälte nichts anderes als das kraftvolle Auge unserer Vorfahren und die Hitze nichts anderes als die heiße Haut und das heiße Fleisch meines früheren Meisters (Tendo Nyojo)".

Im Zusammenhang mit dem obigen Gespräch und zur vertieften Erläuterung wird ein anderer alter Meister wie folgt zitiert:

„Ein Eisvogel nistet in einem mit Juwelen geschmückten Turm, aber ein goldener Palast bietet für die Braut-Ente keinen Schutz.“

Was bedeutet dieses eigenartige Koan? Nach Nishijima Roshi wird dabei die Natürlichkeit und Harmonie von Umgebung und Lebewesen angesprochen. Ein Vogel kann sehr wohl in einem Turm nisten und es spielt dabei keine große Rolle, ob dieser mit Juwelen geschmückt ist oder nicht. Er fliegt in seiner ihm eigenen Lebensweise den Turm an, um dort zu brüten, und fischt in den Seen und Flüssen der Umgebung, und dies ist sein natürliches Leben. Demgegenüber lebt die Ente im Wasser und sie findet wirklich keine natürliche Lebensumgebung in einem Palast, auch wenn dieser noch so luxuriös mit Gold ausgestattet ist. Eine solche goldene Umgebung wäre für die Ente in der Tat sehr unnatürlich. Die Vielfalt der Lebewesen entspricht in der Natur damit ihren jeweiligen Lebensbedingungen, ist also in Harmonie mit der Umgebung und Umwelt. Ein goldener Palast macht also für die Enten keinen Sinn und sie können dort auch nicht „vernünftig“ nisten.

Der große Meister Tozan hatte darüber hinaus eine interessante Lehre und verkürzte Ausdrucksweise für unsere Welt und das Leben eingeführt und sprach dabei von dem „Relativen und Absoluten“. Dies kann man als die materielle Vielfalt der Dinge und Phänomene in der Welt einerseits und die absolute, spirituelle Einheit der Welt als Idee andererseits ansehen. Er lehrte, dass diese Extreme auf dem Buddhaweg zur Mitte gehen müssen und dass dadurch das Gleichgewicht und die Harmonie entstehen. Dôgen bedauert, dass diese Lehre oft viel zu oberflächlich verstanden wird. Es sei zum Beispiel im obigen Koan-Gespräch unsinnig zu sagen, dass Meister Tozan das Absolute und der Mönch das Relative anspricht. Dies sei aber eine häufige, jedoch gründlich falsche Interpretation des Koans.
Es wird dann ein weiterer Beitrag eines großen Meisters zu diesem Koan-Gespräch vorgestellt, der wie folgt lautet:

"Genau betrachtet gibt es an diesem Ort hier keine Hitze und keine Kälte.
Der tiefe blaue Ozean ist bis zum letzten Tropfen ausgetrocknet.
Ich sage euch, dass ihr eine Riesen-Schildkröte (leicht) dadurch ergreifen könnt, dass ihr euch nur ein wenig hinunterbeugt.
Ihr macht euch lächerlich, wenn ihr im Sand angeln wollt."

Mit diesem Koan soll zunächst darauf hingewiesen werden, dass sich die Umgebung sehr schnell ändern kann, dass sich z. B. der Ozean in eine Wüste verwandelt, wenn sich das Klima drastisch ändert. Es sei auch leicht, eine Riesen-Schildkröte zu fangen, denn dies bedarf keines großen Aufwandes und daraus kann man ein wunderbares Essen zubereiten, das im alten China und Japan besonders begehrt war. Damals waren die Riesen-Schildkröten übrigens noch nicht vom Aussterben bedroht. Wenn man jedoch entgegen der natürlichen Umgebung handelt, macht man sich lächerlich, weil man z. B. im Sand neben dem Wasser keine Fische angeln kann.
Auch dieses Koan beschreibt demnach die natürliche und harmonische und auch sinnvolle Beziehung zwischen den Bedingungen der Umgebung und dem handelnden Menschen. Dadurch verlieren auch Hitze und Kälte ihre Schrecken und werden Teil eines natürlichen Tagesablaufes.
In diesem Zusammenhang bringt Dôgen das Gleichnis des chinesischen Go-Spiels, das ähnlich wie unser Schachspiel nach festgelegten Regeln von zwei Personen an einem Brett mit bestimmten Steinen gespielt wird, sodass jeweils einer der Partner einen Zug macht und der andere darauf mit seinem eigenen Zug antwortet. Dôgen zitiert einen alten Meister:
Ein Spieler sagt beim Go-Spiel (zu seinem Gegenüber):

„Wenn du meinen Zug nicht beantwortest, wirst du verlieren, weil ich deine Dummheit nutzen werde."

Das Go-Spiel wird häufig als Gleichnis für das wechselnde Handeln im sozialen Zusammenhang von mehreren Menschen verwendet, sei es, dass man gegeneinander spielt oder sei es, dass man zusammenarbeitet. Wie im natürlichen Alltag läuft das Leben Zug um Zug zusammen mit der Umgebung ab, und dies vor allem im sozialen Handeln mit anderen Menschen. Wenn man sich nicht den Regeln und Pflichten dieses alltäglichen Lebens stellt und sie einhält, hat man das Nachsehen oder scheitert gänzlich. Es hat beim Go-Spiel auch keinen Sinn, dass man die Rollen vertauscht, weil die Spielregeln für beide gelten und sich jeweils entsprechen. Man kann insofern nicht Ich und Du vertauschen.
Häufig wird auch das Gleichnis einer Perle verwendet:

"Eine Perle rollt in der Schale und die Schale rollt um die Perle.
Das Absolute im Relativen und das Relative im Absoluten.
Es gibt bei einer Antilope mit großen Hörnern keine Fährte.
Der Jagdhund umrundet (dann) vergeblich schleichend den Wald."

Im ersten Teil werden die verschiedenen Sichtweisen bei einer Perle und einer Schale dargestellt, weil beide zueinander in einer unauflösbaren Beziehung sind, wechselseitig also notwendig sind. Beide Sichtweisen sind daher möglich. Auch das Absolute und Relative haben eine Beziehung miteinander und sollten sich auf dem Buddhaweg von den Extremen zur Mitte bewegen. Nach Nishijima Roshi kann sich weiterhin eine Antilope mit ihren großen Hörnern im Wald an einem Baum hochziehen, sodass sie keine Spur und keine Fährte hinterlässt, der Jagdhund sie deshalb überhaupt nicht finden kann. Er muss dann vergeblich herumschleichen und kann sie nicht aufspüren, um sie zu stellen. Auch in diesem Koan-Gespräch werden verschiedene auf einander bezogene wirkliche und natürliche Situationen geschildert, und es wird dabei vor extremen Ansichten und Lebensformen gewarnt.
Es wird dann ein weiteres Koan in Gedichtform wieder gegeben:

"Eine helfende Hand (des Meisters) ist wie eine Felswand, die zehntausend Fuß hoch ist.
Wie könnten das Absolute und Relative immer gut geordnet sein?
Ein schöner alter Palast aus Lapislazuli beleuchtet den klaren Mond.
Ein scharfer Wachhund trottet etwas niedergeschlagen die Stufen hinauf."

Auch in diesem Koan wird auf die Lehre von Meister Tozan über das Absolute und Relative eingegangen und beide Extreme werden als nicht sinnvoll abgelehnt. Die helfende Hand eines Meisters kann durchaus so gefährlich wie eine hohe Felswand werden, von der man abstürzen kann und dabei sein Leben verliert. Es gibt darüber hinaus manche falsche selbsternannte Meister, die ihren eigenen Irrtum oft nicht einmal selbst erkennen. Schließlich ist ein scharfer Wachhund völlig überflüssig, wenn sich im Haus oder in einem Palast alles in der Harmonie der Mitte befindet und auch die Umgebung friedlich ist. Der klare Mond des Gleichgewichts beleuchtet den friedlichen Palast. Dann verliert ein scharfer Wachhund seine Bedeutung und trottet etwas überflüssig und hilflos die Stufen einer Treppe des Palastes hinauf. Er wird dann überhaupt nicht benötigt.
Am Ende des Kapitels zitiert Dôgen ein weiteres Koan-Gespräch eines anderen Meisters:

"Tozan sprach vom Ort ohne Kälte und ohne Hitze.
Ein paar Zen-Menschen haben sich dort verirrt.
Wenn es kalt ist, setze ich mich vor ein Feuer und wenn es heiß ist, wende ich Hilfsmittel an, damit es kühl bleibt.
Mein ganzes Leben lang konnte ich Hitze und Kälte vermeiden und ihnen entkommen."

Dôgen kritisiert diese Aussage des von ihm nicht so sehr geschätzten Meisters, weil die Aussagen sich auf einem sehr abstrakten und allgemeinen Niveau bewegen. Es geht dabei nicht nur um Bequemlichkeit. Diesem Meister ist es offensichtlich nicht gelungen, zum konkreten Hier und Jetzt bei der Frage der Hitze und der Kälte vorzustoßen, sondern er verliert sich in allgemeinen Aussagen, die im konkreten Einzelfall sicher so gar nicht zutreffen. Dôgen sagt hierzu:
"Seine Worte sind wie die eines Kindes."

Lediglich die Worte: "Mein ganzes Leben lang…" könnten nach Dôgen darauf hindeuten, dass es sich hier darum handelt, dass er sein Leben als etwas Ganzes gelebt hat und dabei in Harmonie war. Vielleicht hat er doch "Körper und Geist (beim Zazen) fallen gelassen" und ist dadurch der unnötigen Belastung durch Hitze und Kälte entkommen. Dann hätte er nämlich in der Harmonie mit seiner Umgebung und den Jahreszeiten gelebt und sich nicht über Hitze und Kälte oder sonst irgend etwas unnötig aufgeregt.

Donnerstag, 3. Januar 2008

Start des Dogen Gesprächskreises Frankfurt am 2.2.2008

Regina Oberndorfer und ich werden in diesem Jahr einen Gesprächskreis über zentrale Themen von Meister Dogens großartigem Werk „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ (Shôbôgenzô) durchführen.

Ich möchte dabei eine möglichst gut verständliche Einführung geben, um die oft schwierigen Texte an Sie als die Teilnehmer zu vermitteln. Dabei sollen auch die im Internet veröffentliche Texte verwendet werden, sodass dies neben dem Quellenwerk vom Kristkeits-Verlag eine gute Vorbereitung sein kann. Dies soll dann die Grundlage für eine offene Diskussion sein, bei der alle nur möglichen Fragen erwünscht sind.
Für Fortgeschrittene und Einsteiger!

Es gibt folgende Termine und Themen für 2008

02.02. Streben nach der Wahrheit und inneren Freiheit
(Bendôwa)
31.05. Verwirklichung und Gleichgewicht in dieser Welt
(Genjôkôan)
21.06. Dogens Sein-Zeit in unserem jetzigen Leben
(Uji)
20.09. Das Geheimnis der Buddha-Natur
(Busshô)
08.11. Dogens Interpretation des Lotos-Sûtra
(Hokke ten Hokke)

Darüberhinaus sind auch einige Einzelgespräche vorgesehen.
Bitte hier für die Anmeldung anklicken.

Yudo J. Seggelke

Dienstag, 1. Januar 2008

Die Bestätigung und Freude, dass jeder ein Buddha wird

In der buddhistischen Lehre und besonders im Lotus-Sutra gibt es die Weissagung, dass alle Menschen, die auf dem Buddha-Weg nach der Wahrheit streben, ein Buddha werden.
In diesem Kapitel "Die Bestätigung" (Kap. 32, Juki) geht Meister Dôgen über die herkömmliche Bedeutung und das übliche Verständnis einer solchen Bestätigung oder Weissagung hinaus, um die Ebene der Vorstellungen, Fantasien und Hoffnungen zu verlassen und zur Wirklichkeit selbst vorzustoßen. Die Bestätigung in seinem Sinne kommt damit der Dharma-Übertragung vom Meister auf den Schüler, der dann selbst Meister wird, sehr nahe. In diesem Kapitel werden verschiedene bekannte Begebenheiten der Dharmaübertragung wieder gegeben. Zum Beispiel, dass Gautama Buddha eine Blume in den Händen hielt und Mahâkâshyapa diese symbolische Handlung unmittelbar und ohne Worte "verstand", und damit in diesem Augenblick die Weitergabe des Dharma an ihn verwirklicht wurde.

Die Weissagung oder Bestätigung wird vor allem im Lotus-Sutra durch eine tiefe umfassende Freude im Leben und beim Handeln mit dem ganzen Körper und Geist beschrieben. Auch Dôgen vermittelt in diesem Kapitel die große Freude der wunderbaren Bestätigung, ein Buddha zu werden und straft damit alle diejenigen Lügen, die den Buddhismus für eine pessimistische oder gar nihilistische Religion halten. Es wäre ein totales Missverständnis, wenn die vier edlen Wahrheiten so verstanden würden, als ob das ganze Leben Leiden sei und es daraus kein Entkommen gäbe. Ganz im Gegenteil ist der Buddhismus eine lebensfreundliche, positive Lehre, die zwar nicht leugnet, dass es das Leiden im Leben gibt, die aber Wege aufzeigt, wie man das Leiden überwindet oder zumindest erträglich macht. Die Weissagung, ein Buddha zu werden, wird im Lotus-Sutra sogar auf den Vetter Gautama Buddhas mit dem Namen Devadatta angewendet, der seinerzeit den Sangha gespalten hat und mit einem verbrecherischen König zusammen arbeitete. Er wird im Buddhismus daher häufig als Verräter gebrandmarkt und hat damit eine ähnliche Rolle wie Judas als Verräter an Jesus Christus.
Auch für Devadatta gibt es die Weissagung, dass er Buddha wird, und so wird seine Dämonisierung vermieden.

Eine Weissagung, in Zukunft ein Buddha zu werden, verführt schnell zu romantischen zukunftsorientierten Träumen und Illusionen, die nach der Lehre von Nishijima Roshi nur der Ebene des Idealismus angehören und damit die Wirklichkeit und ganze Fülle des menschlichen Lebens und der Welt nicht erfassen können, sondern nur eine sehr begrenzte Wirklichkeit und damit geringe Kraft haben. Für Dôgen sind die drei anderen Ebenen, nämlich des Materiellen und Formgebundenen, des Handelns und Geschehen-Lassens und vor allem die höchste Ebene des Erwachens und der Wirklichkeit verlässliche Tatsachen des menschlichen Lebens und des Universums. Daher leuchtet es ein, dass er sich mit der idealistischen illusionären Dimension der romantischen Weissagung und Bestätigung nicht zufrieden geben konnte. Er fragt also danach, was je im Augenblick der Bestätigung zwischen Meister und Schüler wirklich passiert und entwickelt auf dieser Grundlage der Sein-Zeit seine tiefgründige Lehre der Bestätigung, die eine völlig neue Dimension und Sichtweise eröffnet und aus den romantischen Träumen und Spekulationen in die Wirklichkeit und Wahrheit des Hier und Jetzt vorstößt.
Dôgen sagt hierzu:

"Bestätigung ist die große Wahrheit, die von Buddhas und Vorfahren im Dharma direkt weiter gegeben wurde ... Wer die Buddha-Natur hat, wird bestätigt und wer die Buddha-Natur nicht hat, wird (auch) bestätigt; was einen Körper hat, wird bestätigt und (auch) was keinen Körper hat, wird bestätigt.“
Die Aussage zur Buddha-Natur mag zunächst widersprüchlich und unverständlich erscheinen, das Rätsel löst sich jedoch dadurch, dass die Buddha-Natur als Idee wirklich ist und große Kraft bei den Menschen und in der Welt erzeugt, dass aber in der Lebensphilosophie der Formen und Materie eine solche Buddha-Natur gar nicht vorfindbar ist. Dies wird in dem großartigen Kapitel der Buddha-Natur (Busshô) im Shôbôgenzô herausgearbeitet und dargestellt.

Bekanntlich war die Frage der Buddha-Natur für Dôgen selbst von existenzieller Bedeutung und war nicht zuletzt ein wesentliches Motiv, von Japan aus die damals gefährliche Reise nach China zu unternehmen, um eine Antwort auf seine bohrenden Fragen zu finden. Auf der höchsten Ebene des Buddha-Dharma verschmilzt die Buddha-Natur mit den drei Lebensbereichen des Idealismus, Materialismus und Handelns und sie ereignet sich je in der Gegenwart und im Einklang mit der Moral und dem Gesetz des Universums. Auf diesen Augenblick in der Gegenwart zielt Dôgens Lehre der Bestätigung und er wiederholt dabei häufig, mit welcher großen Freude und mit welchen tiefen Glücksgefühlen dies verbunden ist. Ohne Zweifel beschreibt er damit auch den Zustand der Zazen-Praxis, die er an anderer Stelle als „Tor zum Frieden und zur Freude des Buddha-Dharma“ bezeichnet. Dôgen sagt hierzu wörtlich:

"Vielmehr verwirklicht ihr Buddha im Augenblick der Bestätigung und ihr praktiziert und erfahrt (Buddha) im Augenblick der Bestätigung. Deshalb ist die Bestätigung in den Buddhas selbst und sie existiert auf der wirklichen Ebene der Buddhas."

Für Dôgen spielt es keine Rolle, ob man sich der Bestätigung voll bewusst ist oder nicht, denn die intellektuellen Fähigkeiten im gegenwärtigen Erleben sind ohnehin sehr begrenzt. Es wäre aber auch falsch zu behaupten, dass man kein Bewusstsein bei der Bestätigung hat, wie dies leider von manchen Zen-Buddhisten verkündet wird. Häufig wird dabei nämlich das Denken und das Bewusstsein miteinander verwechselt, die jedoch schon bei den fünf Komponenten des Menschen (skanda) im alten Indien unterschieden werden. Manchmal kommt darin auch eine deutliche Feindlichkeit gegenüber allem Geistigen und dem Denken zum Ausdruck. Dôgen geht es immer um die Einheit von Körper und Geist und wie Nishijima Roshi immer wieder betont, lehnt der Buddhismus die Vernunft keineswegs ab, sondern hält sie für einen wichtigen Lebensbereich. Dôgen sagt hierzu:

"Es gibt die Bestätigung, von der das Selbst weiß und die Bestätigung, von der das Selbst nichts weiß. Es gibt die Bestätigung, von der die anderen wissen und die Bestätigung, von der die anderen nichts wissen."

Da es sich um die umfassende klare Erfahrung und das Erleben im Augenblick der Gegenwart von Körper und Geist handelt, sind also Aspekte des Selbst und der Anderen von geringerer Bedeutung.
Im Gegensatz zum Westen, wo vor allem das Denken und der Geist kulturell im Mittelpunkt stehen, betont Dôgen in diesem Kapitel noch einmal die Bedeutung zu handeln und zu lehren. Dies findet nicht in romantischen Fantasien und wunderbaren Träumen statt, sondern in der ganzen Wirklichkeit des Hier und Jetzt, also nicht in einer paradiesischen Idealwelt, sondern im Alltag mit seinen Problemen, Schwierigkeiten, mit seinen Fortschritten und Rückschlägen.
Es ist falsch anzunehmen, dass man die Bestätigung in der gedachten Zukunft erhalten wird und sie jetzt in der Gegenwart gar nicht wirksam ist.

Wie bei der Zazenpraxis lehnt Dôgen die Trennung von Praxis und angestrebtem Ziel ab. Die Praxis selbst ist die erste Erleuchtung und steht für sich selbst. Sie ist nicht ein Instrument, um ein fernliegendes Ziel zu erreichen. Dies würde den Menschen nur von sich selbst entfremden und bewirken, dass die Gegenwart im Hier und Jetzt nicht oder nicht richtig erfahren und erlebt werden kann. Dôgen erläutert hierzu:

"Wenn die Bestätigung den Menschen gegeben wird, haben sie das Höchste verwirklicht." Und weiter: Die Bestätigung "ist ein Gesicht, in dem ein Lächeln erscheint, sie ist Leben und Sterben, Kommen und Gehen. Die Bestätigung ist das ganze Universum der zehn Richtungen und ist diese ganze Welt, in der es nichts Verborgenes gibt."

Damit wird deutlich, dass die Bestätigung von einer romantischen Zukunftsvorstellung entkleidet wird, so dass nicht die „Blüten in den Himmel wachsen“, sondern dass es um das wirkliche Leben im Hier und Jetzt geht. Gleichzeitig kommt die große Freude, die der Buddhismus verkündet, in bewegender Weise zum Ausdruck und es wird bestätigt, dass man auf dem richtigen Wege ist, nachdem man den Bodhi-Geist erweckt und sich zu diesem Weg entschieden hat.

Im Folgenden gibt Dôgen ein berühmtes Koan-Gespräch zwischen den beiden großen Meistern Seppô und Gensa wieder. Seppô war der ältere von beiden und neigte eher zu Ideen und Abstraktionen, während Gensa immer auf die unmittelbare Wirklichkeit im Hier und Jetzt hinführte. Dabei betonte Gensa oft die konkrete materielle Dimension des Lebens, um ein Gegengewicht zu den Vorstellungen und Ideen von Meister Gensa einzubringen. Es wäre aber völlig falsch, leichtfertig zu behaupten, dass das Materielle der bessere Weg sei, denn die Koan-Gespräche gehen wegen ihrer umfassenden Aussagekraft und Wirksamkeit immer sowohl über die ideelle und als auch die materielle Ebene hinaus und gelangen zum Handeln und zur höchsten Ebene der Wirklichkeit, Wahrheit und inneren Freiheit.

In diesem Koan-Gespräch, das auch in zwei verschiedenen Versionen in der Koan-Sammlung Shinji-Shôbôgenzô enthalten ist, gingen beide Meister über Land und der ältere Seppô zeigte auf einen schönen Ort und sagte:

"Dieses Stück Land ist ein guter Platz für (meinen) Grabstein." Gensa sagte dazu: "Wie hoch (soll er sein)?"

Seppô antwortete nicht gleich, sondern ließ seinen Blick offensichtlich ein wenig in Gedanken hin- und herschweifen und auf- und abgleiten. Dies brachte Gensa zu der Aussage:

"Deine Verdienste für die Menschen und Götter stehen außer Frage, aber es scheint, Meister, dass du die Bestätigung auf dem Geiergipfel noch nicht einmal im Traum gesehen hast."

Seppô fragte daraufhin: "Was meinst du?", und Gensa antwortete:
"Sieben oder acht Fuß."

Der Sinn dieses Koans ergibt sich daraus, dass Meister Gensa auf die konkrete Wirklichkeit kommen wollte und Seppô davon abhalten wollte, weiter zu überlegen und abzuschweifen, was natürlich bei dem Gedanken an den eigenen Tod und den eigenen Grabstein mehr als verständlich ist. Gensa drückt seine Hochachtung gegenüber Seppô aus, indem er dessen Leistungen für den Buddha-Dharma betonte, äußerte sich jedoch humorvoll kritisch, indem er sagt, dass Meister Seppô auf dem Geiergipfel, also bei den Vorträgen von Gautama Buddha selbst, die Bestätigung des Buddha-Dharma nicht erhalten habe.

Dies bedeutet nicht, dass er an dem großen Meister Seppô und seinem tiefen Verständnis und seiner Erfahrung des Buddha-Dharma zweifelte, sondern er möchte ihn in die Wirklichkeit zurückholen und sagte im Kern:

"Was sollen wir hier lange überlegen, fangen wir doch einfach an und handeln."
Dôgen sagt hierzu: "Es ist offenkundig, dass jeder Buddha und jeder Vorfahre im Dharma die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges besitzt und sie weitergibt."

So wichtig also die Theorie, die Idee und die Lehre sind, so notwendig ist es, direkt und unmittelbar zu handeln und sich ganz "in den Augenblick zu werfen."
Auch in dem obigen Koan-Gespräch ist für die Weitergabe der Buddha-Lehre der unmittelbare Kontakt zwischen Meister und Schüler angesprochen. Dôgen zitiert in diesem Zusammenhang einen großen alten Meister:

"Wie könnten wir heute über die tiefgründige Wahrheit sprechen, wenn (die alten Meister) uns ihre Lehren nicht weiter gegeben hätten?"

Diese Aussage hat in der Tat gerade heute im Westen eine großartige Aktualität und ist von höchster Bedeutung, denn wie könnten wir die umfassenden Lehren von Dôgen, der wiederum auf die großen Meister in China zurückgeht, heute erfahren, wenn er sie nicht vor fast achthundert Jahren schriftlich niedergelegt hätte und wenn es nicht lebende Meister wie Nishijima Roshi und Kodo Sawaki gegeben hätte, die uns diese direkt hätten lehren können. Mich erfüllt dies mit großer Dankbarkeit, nachdem ich vieles in unserer westlichen Welt studiert habe und schließlich die großartigen Lehren des Buddhismus und besonders von Dôgen kennen gelernt und erfahren habe.

Dôgen spricht dann von dem "selbstlosen Selbst" und schlägt die Brücke zum Handeln der Bodhisattvas im Buddhismus, denn dieser steht nicht für eine theoretische Lehre und Philosophie, sondern für die Einheit von Körper, Geist und Moral. Das Denken allein reicht nicht aus, sondern das selbstlose Handeln erschafft eigentlich erst das wahre Selbst, das aber zwischen Ich und Du und den anderen und der Welt nicht mehr trennt. Ein solches Handeln geht in den großen Akkord und die große Melodie des Universums ein. Dabei ist der Augenblick des Handelns und des Geschehenlassens der eigentliche Grundbaustein oder wenn man so will, das Element des Universums und nicht eine materielle Entität, wie es meist in der westlichen Philosophie angenommen wird.

Dôgen zitiert einen alten Meister und Buddha mit den Worten:

"Jetzt wo wir von Buddha die erhabene und wunderbare Sache der Bestätigung gehört und einer nach dem anderen Bestätigung empfangen haben, sind Körper und Geist ganz von Freude erfüllt."
Dieses Zitat aus dem Lotus-Sutra kennzeichnet in beeindruckender Weise den Buddhismus und die Lebensphilosophie von Meister Dôgen und ist ein großes Vermächtnis, das er an uns weiter gegeben hat. Die von ihm gemeinte Freude hat eine ganz besondere Qualität und sollte nicht mit den üblichen Glücks- und Genussgefühlen verwechselt werden, die man z. B. bei Materialisten beobachten kann. Gautama Buddha spricht im Lotussutra von dem "höchsten rechten und ausgeglichenen Zustand der Wahrheit" (anuttara samyak sambodhi).
Im Lotus-Sutra heißt es, dass man diese große Freude bereits erfährt, wenn man nur einen einzigen Satz aus dem Sutra der „Lotusblume des wunderbaren Dharma“ hört und dass Gautama Buddha dann durch die großen Meister und Vorfahren im Dharma je im Augenblick die Bestätigung gibt.

Am Ende des Kapitels zitiert Dôgen den berühmten Laien Vimalakirti, der zu den Schülern Gautama Buddhas gehörte, der aus tiefer eigener Erfahrung und eigenem Erleben handelte und redete. Auch Vimalakirti distanzierte sich ähnlich wie Meister Gensa von Spekulationen und Illusionen und lehrte, dass es um den gegenwärtigen Augenblick geht und nicht um die Vergangenheit und Zukunft. Im gegenwärtigen Augenblick gibt es auch kein Entstehen und Vergehen, da dies mit einer gedachten linearen Zeit von Vergangenheit und Zukunft verbunden sei. Im gegenwärtigen Augenblick ist zwar die Vergangenheit und Zukunft intuitiv enthalten, aber sie wird nicht intellektuell gedacht, denn dies würde vom unmittelbaren Handeln und Leben wegführen und die Offenheit des Augenblicks zerstören. Er wird mit folgenden Worten zitiert:

"Wenn also (der Buddha) Maitreya den höchsten rechten und ausgeglichenen Zustand der Wahrheit erlangt, können auch alle Lebewesen dies erlangen. Weshalb: alle Lebewesen sind die Form der Wirklichkeit."

Dôgen schließt mit der Aussage, dass die Bestätigung die Wirklichkeit selbst ist und durch die Bestätigung die Welt überhaupt erst existiert. Er hat damit einen großartigen Bogen von der zukunftsbezogenen Weissagung zu der kraftvollen Lehre von Körper und Geist im Hier und Jetzt geschlagen.