Sonntag, 26. Dezember 2010

Dōgen verbreitet die Lehre in Japan

In den zwei großen Übertragungslinien, die im Zen-Buddhismus von Daikan Enō ausgingen, hatte die Zazen-Praxis einen zentralen Stellenwert. Daraus entwickelten sich weitere bedeutende Traditionen des Zen-Buddhismus, die sich über ganz China verbreiteten.


Dōgen betont, dass es ohne diese Erfahrung in der Zazen-Praxis kaum möglich sei, den Wert der buddhistischen Lehre richtig einzuschätzen. Dieser Ansatz ist auch ein wichtiges Thema im Kapitel über das Sūtra-Lesen und wird außerdem im Lotus-Sūtra hervorgehoben.


Nach seiner Rückkehr spürte Dōgen, dass es seine dringende Verpflichtung war, die wahre Lehre, die er in China erlernt und erfahren hatte, auch in seinem Heimatland Japan bekannt zu machen. Zunächst habe er daran gedacht, als wandernder Mönch durch Japan zu ziehen und so die Lehre zu verbreiten.


Eine solche Lebensweise der Mönche wurde im alten Japan als „fließende Wasserpflanze“ bezeichnet und war ein Brauch der alten Heiligen. Dōgen wusste, dass in Japan der Buddhismus häufig unklar gelehrt wurde, sodass ernsthafte Schüler ohne seine Hilfe etwas Falsches oder zumindest nur teilweise Richtiges erlernen würden.


Deshalb fasste er den Entschluss, den wahren Dharma in Japan nicht nur mündlich zu lehren, sondern auch schriftliche Aufzeichnungen zu verfassen, zu denen zum Beispiel die Anleitung zur Zazen-Praxis (Fukan zazengi) und „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ (Shōbōgenzō) gehören.


Die tiefgründige und nicht einfache Lehre Dōgens war viele Jahrhunderte lang nur einem kleinen Kreis von Mönchen des Klosters Eihei-ji, dem Haupttempel der Sōtō-Linie, als authentischer Text direkt zugänglich und im Westen völlig unbekannt. Selbst der Philosoph Herrigel, der Zen-Buddhismus vor dem Zweiten Weltkrieg in Japan studierte und anhand der Zen-Kunst des Bogenschießens praktizierte, erwähnt das Shōbōgenzō nicht und vermerkt es nicht einmal im Literaturverzeichnis.


Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde es in Japan für einige wenige Interessierte geöffnet und galt aber nach wie vor als außerordentlich schwierig. Langsam wurde jedoch immer klarer, dass der Wert dieses großartigen Werkes kaum überschätzt werden konnte. Es ist die große Lebensleistung von Nishijima Roshi, der sich über 40 Jahre lang mit dieser Schrift intensiv beschäftigte, das Shōbogenzō für die Welt, insbesondere im Westen, verfügbar gemacht und interpretiert zu haben.

Samstag, 18. Dezember 2010

Dōgen auf dem Buddha-Weg


Dōgen hatte sich seit seinem zwölften Lebensjahr, als er in Japan in ein buddhistisches Kloster der Tendai-Linie eingetreten war, intensiv um den Weg des Buddha-Dharma bemüht und sich insbesondere in der Lehre geschult. Aber er konnte bis zu seinem 23. Lebensjahr in Japan nicht seinen wahren Meister finden und reiste deswegen nach China, obwohl eine solche Fahrt über das Meer mit den nicht sehr seetüchtigen Schiffen der damaligen Zeit ein gefährliches Wagnis bedeutete.
Zwei Jahre lang besuchte er viele verschiedene Klöster in China, ohne dass es ihm jedoch gelang, einen wahren Meister zu finden, der die Lehre und vor allem die Praxis des Buddhismus authentisch lehrte. Viele dieser Klöster gehörten der Rinzai-Linie an und arbeiteten mit Kōans. Dōgen fand auf diesem Weg allerdings nicht die Klarheit und Wirklichkeit des Buddhismus und die angestrebte Erleuchtung, für die er so viele Mühen auf sich genommen und so hart gearbeitet hatte.

Am 1. Mai 1225 begegnete er dann dem großen Meister Tendō Nyojō, der sein wahrer Lehrer wurde und unter dessen Leitung er die Praxis und Theorie des Buddhismus erlernen konnte. Diese Begegnung brachte die entscheidende Wende in Dōgens Leben auf dem buddhistischen Weg und ihr verdanken wir nicht zuletzt das großartige Werk Shōbōgenzō.
Dōgen empfand es als großes Geschenk, den Buddhismus selbst in einer authentischen Übertragungslinie von Gautama Buddha zu Tendō Nyojō erlernt zu haben. Im Zen-Buddhismus ist es von zentraler Bedeutung, dass die Dharma-Übertragung vom Meister auf den Schüler direkt in der lebendigen Gegenwart beider vollzogen wird. Daraus wird ersichtlich, dass eine solche praktische Dharma-Übertragung über die schriftliche Theorie, so wichtig sie auch sein möge, hinausgeht. Die direkte, lebende und existenzielle Verbindung vom Lehrer zum Schüler hat eine fundamentale Bedeutung.

Die Funktion der Zazen-Praxis
Dōgen schildert, dass uns die im Zazen erfahrene Dharma-Wahrheit ganz natürlich erfüllt, wenn wir die Praxis geschehen lassen und keinen angestrengten Kraftakt vollziehen, um Erleuchtung zu erreichen. Diese Wahrheit habe schon immer unsere Hände erfüllt. Allerdings könne man mit Zahlenangaben und Messungen nach Größe und Gewicht die Dharma-Wahrheit des Zazen auf keinen Fall erfassen. Mit einer materialistischen Lebensführung lässt sich deshalb diese Wahrheit nicht erkennen. Beim Zazen werde der Mund davon erfüllt, wenn wir sprechen. Wesentlich ist vor allem, dass es keine Begrenzungen und Blockaden bei dieser Praxis gibt, und die Buddhas halten sich darin andauernd auf. In diesem Zustand existiert eine umfassende Einheit der Wirklichkeit. Das heißt, die Dualität von Subjekt und Objekt, von Denken und Wahrnehmung usw. ist überwunden. Dōgen sagt:
„Die Anstrengung bei der Suche nach der Wahrheit, die ich jetzt lehre, lässt die unzählbaren Dharmas in der Erfahrung wirklich werden und umfasst die Einheit der Wirklichkeit auf dem Weg der Befreiung.“

Damit beschreibt Dōgen die wesentliche Funktion der Zazen-Praxis. Die Wirklichkeit der Dinge und Phänomene, die er hier als „unzählbare Dharmas“ beschreibt, wird dabei genauso erfasst wie die große Einheit der Wirklichkeit.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Zazen befreit uns von quälenden Gedanken

Nishijima Roshi sagt, dass wir in der westlichen Kultur dem denkenden Geist einen sehr hohen Rang zuweisen und dass eine Philosophie des Handelns dagegen kaum entwickelt wurde. Dies sei aber gerade der zentrale Kern des Buddhismus.

Die Verwirklichung wird nach Dōgen durch Erfahrung, also wiederum durch die Praxis, ermöglicht. Die im Zen-Buddhismus gelehrte Praxis ist keine Meditation zu einem bestimmten Thema oder das Visualisieren einer bildlichen Vorstellung. Nishijima Roshi sagt dazu:

„Viele Menschen verstehen auch Zazen als eine Art von Meditation.“

Aber eine solche Interpretation darf nicht mit der wahren Praxis des Zazen verwechselt werden, denn Zazen ist

„keine bestimmte Art von konzentriertem Denken“.

Beim Zazen kommt es gerade darauf an, nicht zu denken und die Vorstellungen, Ideen und drängenden Emotionen abzustellen und „fallen zu lassen“.

Nachdem ich wiederholt den Achtfachen Pfad von Gautama Buddha studierte habe, bin ich fest davon überzeugt, dass Zazen die vierte Vertiefung des Samadhi ist, also zum letzten der acht Pfade zur Überwindung des Leidens gehört. Ich betrachte Zazen als die höchste Stufe der acht Pfade, die im Zen-Buddhismus in ganz großartiger Weise ausgearbeitet wurde und von Dôgen als lebendige Praxis zu uns gekommen ist.

Die Meditation ist dabei der siebte Pfad, der zusammen mit den anderen Pfaden ebenfalls wichtig ist. Das stützt die Aussage von Nishijima Roshi, denn beim Zazen, dem „König der Samadhis“, gibt es kein unterscheidendes Denken und kein Visualisieren mehr. Das sinnlose Pendeln zwischen kurzen Phasen der Euphorie und lang anhaltenden Zeiten des Leidens wird überwunden, es ist der mittlere Weg der intuitiven Wahrheit und Befreiung.

Ein solches „Nicht-Denken“ ist in der Tat in der westlichen Gesellschaft und Philosophie sehr ungewöhnlich und kennzeichnet die Zazen-Praxis des Buddhismus in ganz eigenständiger Weise. Besonders deutlich wird das im Kapitel „Die heilende Bambusnadel der Zazen-Praxis“ (Zazenshin) und in Dōgens Anleitung zur Zazen-Praxis (Fukan zazengi). Nishijima Roshi bekräftigt:

„Im Zazen konzentrieren wir unsere Anstrengung darauf, genau eine kontrollierte Sitzhaltung einzunehmen und so zu handeln und zu sitzen.“

Diese Lebensphilosophie sei die entscheidende Grundlage des Buddhismus und werde von vielen Buddhisten ganz sorgfältig praktiziert. Nishijima Roshi fügt sogar hinzu, dass es ohne Zazen keinen wahren Buddhismus gäbe und dass Buddhismus Zazen sei.

Zweifellos ist es der Sinn des buddhistischen Weges, genau zu erkennen, dass und wie wir in der Wirklichkeit selbst leben und handeln. Denn diese Wirklichkeit ist die große Wahrheit, die Gautama Buddha gefunden und gelehrt hat, und sie zeigt den Ausweg aus dem Leiden. Durch die Zazen-Praxis erlangen wir den direkten Zugang zu dieser Wirklichkeit, die nicht von eigenen Gedanken, Emotionen und Vorstellungen verdeckt oder verzerrt ist.
Nishijima Roshi sagt dazu:

„Wir Menschen sind heute im Begriff, endlich dem Zeitalter des wahren Realismus (des Buddhismus) zu begegnen. Wir sollten daher von ganzem Herzen eine tiefe Dankbarkeit für Gautama Buddha, Meister Nāgārjuna, Meister Bodhidharma und Meister Dōgen usw. haben.“

Samstag, 4. Dezember 2010

Die heilende Bambusnadel des Zazen (Zazenschin)

In größter Verehrung für die Verse des früheren Meisters Wanshi zum Zazenshin verfasste Dôgen sein eigenes Gedicht. Er betont, dass dessen Verse keinesfalls unvollkommen seien, sondern im Gegenteil von höchster Aussagekraft und Schönheit sind.


Er verfasste das im folgenden wiedergegebene Zazenshin und beide haben große Ähnlichkeit. Sie sind das Herzstück des Zen-Buddhismus und die Einzigartigkeit der Zazen-Praxis auf dem buddhistischen Weg für Anfänger, Fortgeschrittene und Meister. Beide Fassungen liegen zeitlich nur 85 Jahre auseinander.
Dôgens Zazenshin lautet wie folgt:

Zentral Wesentliches eines jedes Buddha.
Wesentlich Zentrales jedes wahren Meisters
Jenseits des Denkens: Verwirklichung,
Jenseits der Komplikation: Verwirklichung.

Jenseits des Denkens: Verwirklichung
Die Verwirklichung ist natürlich und unmittelbar.
Jenseits der der Komplikation: Verwirklichung.
Die Verwirklichung ist natürlich und ein Zustand der Erfahrung.

Die Verwirklichung ist natürlich und unmittelbar.
Es gab keine Beschmutzung.
Die Verwirklichung ist natürlich und ein Zustand der Erfahrung:
Es gab kein Richtiges und keine Abweichung.

Es gab keine Beschmutzung des Unmittelbaren.
Jenes Unmittelbare hängt von nichts ab, schon wird es frei.
Es gab kein Richtiges und keine Abweichung in der Erfahrung:
Der Zustand der Erfahrung ist ohne Plan, aber er macht Anstrengung.

Das Wasser ist rein, ganz bis zum Grund,
Fische schwimmen als Fische
Der Himmel ist weit, klar bis zum Himmel.
Und Vögel fliegen als Vögel!

Dôgen unterstreicht zusammengefasst und poetisch die außerordentliche Wichtigkeit, im Zazen zu sitzen und zu
praktizieren. Dies ist das zentrale Anliegen und das zentrale Tun der Kinder und Enkel der großen buddhistischen Vorfahren im Dharma:

Dies ist das authentische Siegel, das empfangen und weitergegeben wird, von einem-zum-anderen."

Zazen ist die direkte Verwirklichung und Befreiung der Menschen. Diese Praxis ist direkt und einfach, also nicht kompliziert und erzeugt auch keine Komplikationen und Verwirrungen. Sie ist nichts Künstliches, das zufällig entstanden ist und von uns in dieser Form gelernt wird, sondern sie ist natürlich und von unmittelbarer Direktheit.
Die Zazen-Praxis erzeugt keine unnötigen komplexen Zustände in unserem Leben. Sie ist keine ideologische Erfindung, sondern kann ganz einfach von jedem Menschen erfahren und erlebt werden.


Wer in diesem Sinne keine eigenen praktischen Erfahrungen hat, kann nach Dôgen daher diese Praxis nicht erahnen, nicht beschreiben und nicht schätzen. Bei der Zazen-Praxis gab es niemals Verschmutzung und es wird sie auch niemals geben. Da sie natürlich ist, kann man eigentlich gar nicht abweichen oder dogmatisch behaupten, etwas dabei sei richtig und nicht anders. Zazen ist keine falsche Ideologie.

Es gibt dabei keine Abhängigkeit von irgendetwas, sondern die Praxis ist von Anfang an frei, ohne dass es einen Anfang gibt, der als Start zur angestrebten Erleuchtung verstanden werden könnte. Daher gibt es auch keine vordergründige Absicht und kein willentliches Erstreben des Zustandes der Erleuchtung, die in Zukunft erreicht werden soll. Aber es ist unbedingt erforderlich, sich anzustrengen und intensiv zu praktizieren, die genaue Haltung beim Sitzen einzuhalten und so die Einheit von Körper-und-Geist zu erfahren.

Wie bei Meister Wanshi werden die Fische im klaren Wasser und die Vögel im weiten Himmel poetisch und gleichnishaft angesprochen. Dôgen sagt in einem anderen Kapitel, dass die Natur den Dharma lehrt und dass besonders die Wasser und Berge Teil der großen Buddha-Wahrheit sind. Fische sind ganz einfach Fische und Vögel sind ganz einfach Vögel. Sie leben natürlich in ihrem Element und sind dabei frei.

Freitag, 26. November 2010

Der Pflaumenbaum als Gleichnis des Lebens

Der alte Pflaumenbaum hat verwinkelte knorrige und unregelmäßige Äste, auf denen die Blüten erscheinen und sich geöffnet haben. In dem Gedicht heißt es, dass diese Blüten genau das Gesicht und das Aussehen des Frühlings haben, sie sind der Frühling! Sie umfächeln das Gras und die Bäume. In der Beschreibung des Gedichtes werden dann die Mönche in ihren aus Flicken zusammengesetzten Roben beschrieben, die mit glatten, rasierten Köpfen zur Wirklichkeit der Blüten des alten Pflaumenbaum gehören.

Dann wird geschildert, dass sich bei heftigem Wind der Regen in Schnee verwandelt, der die Landschaft um das Kloster bedeckt, so weit das Auge reicht. Es heißt, dass sich die Erde in ein weißes Gewand hüllt, das mit Drachen kunstvoll bestickt ist und den prächtigen Gewändern der damaligen Kaiser gleicht.

Der Drache ist in China ein glückbringendes Fabeltier, das in vielen alten Gleichnissen und Geschichten vorkommt. Dem wirklichen Drachen zu begegnen, heißt dass man der Wirklichkeit und Wahrheit des Universums und des Lebens begegnet und dass man nicht an Bildern und Vorstellungen haftet, sondern diese überschritten hat.

Inmitten dieser Schneelandschaft und bei heftigem Schneefall, von dem in dem Gedicht die Rede ist, ist der alten Pflaumenbaum frei, ungezwungen und unbeeindruckt vom Wandel der Witterung. Aber den Menschen sticht die Kälte schmerzhaft in die Nase, für sie ist der Winter nicht einfach zu ertragen. In dem gesamten Gedicht überwiegt die Beschreibung der Pflaumenblüten und deren feiner und zarter Duft. Der alte knorrige Pflaumenbaum ist von dem kalt gewordenen Wintertag trotz Schneefall ganz unbeeindruckt.

Dieses Gedicht kann ohne Zweifel als Gleichnis und Symbol des menschlichen Lebens und der Natur überhaupt verstanden werden. Es gibt den Frühling, der durch die Pflaumenblüten sich verwirklicht, und diese blühen auf den alten knorrigen Ästen. Das ist neues frisches Leben auf dem alten Baum. Für Menschen ist der Winter oft widrig und die kalte Luft schmerzt in der Nase. Wer aber Augen hat, die Natur wirklich zu sehen, wie sie ist, empfindet diese Schneelandschaft wie ein kostbares besticktes Gewand und lebt in tiefer ungetrübter Übereinstimmung mit der Natur.

In diesen wenigen Zeilen wird wie in einem kostbaren Gemälde die Schönheit und Reinheit der Natur, aber auch die oft knorrige Form des Lebens und die den Menschen schmerzende Kälte eingefangen. Wer behauptet, dass der Zen-Buddhismus ohne Lebendigkeit, Freuden und ohne Poesie sei, wird hier radikal eines Besseren belehrt. Weder geht es um die Dramatisierung der Gewalt der Natur, noch um Übertreibungen der Schmerzen der Menschen durch die Kälte, sondern wir nehmen an dem Leben in den Klöstern des alten China direkt teil und sind von dem Bild des blühenden, knorrigen Pflaumenbaums erfüllt.

Dôgen betont die Freiheit und Zwanglosigkeit des Pflaumenbaums. Seine Blüten entfalten sich natürlich und selbstverständlich in der Mitte des Mond-Winters und sind damit selbst der Frühling. Seine Früchte reifen auf natürliche Weise und sie sind der Herbst. Frühling und Winter sind zunächst nur Worte, die erst durch die konkrete Natur des knorrigen Baumes und der sich entfaltenden Blüten Wirklichkeit werden und uns unmittelbar erfassen. Dazu gehört derWind und der starke Regen, der in Schnee übergeht und die Landschaft wie ein kostbares Gewand bedeckt.

Freitag, 19. November 2010

Gedicht der Pflaumenblüten

Meister Dôgen liebte die zarten Blüten der Pflaumenbäume außerordentlich und hat uns viele poetische Beschreibungen und Gedichte über sie geschenkt.

Auch sein eigener Meister Tendô Nyojô stimmte mit Dôgen überein und hat ebenfalls wunderbare poetische Darstellungen der Pflaumenblüten verfasst. Die Tempel lagen damals in größerer Höhenlage in den Bergen, und die Winter waren kalt und schwer zu ertragen. Heizungen im heutigen Sinne gab es in den Tempeln nur in einem Zimmer oder in ganz wenigen Räumen.
Wir können sicher annehmen, dass die Mönche im Winter viel Lebensmut und Ausdauer benötigten, um die schwere Zeit zu überstehen. Umso wunderbarer empfanden sie die ersten Boten des Frühlings, die das Ende des Winters ankündigten und vor allem freuten sie sich über die ersten Blüten auf den Pflaumenbäumen.
Ich vermute, dass an besonders geschützten Stellen, zum Beispiel an der Südseite von Mauern und Wänden, Pflaumenbäume gepflanzt wurden, die schon Blüten trugen, als weite Bereiche der Landschaft noch unter einer Schneedecke lagen. Die Pflaumenblüten kommen vor den anderen Boten des Frühlings hervor und blühen bereits, wenn die Blätter der Bäume noch nicht da sind.
Nishijima Roshi und M. Cross sagen dazu:
„In diesem Kapitel beschrieb Meister Dogen die wirkliche Situation der Natur. Er zitierte Meister Tendô Nyojôs Gedicht und lehrte von den Pflaumenblüten.“
Sein Meister, dessen Tempel in der nördlichen Chekiang Provinz, lag verfasste das folgende Gedicht. Dôgen schätzte ihn außerordentlich und begegnete ihm, als er es schon fast aufgegeben hatte, einen wahren Lehrer und Meister in China zu finden.

„Die erste Verse von Tendô in der Mitte dieses Winters:
Knorrig und verwinkelt ist der alte Pflaumenbaum.
Plötzlich blüht er – eine Blüte, zwei Blüten,
Drei Blüten, vier, fünf Blüten – unzählige Blüten.
Die Reinheit (ihrer Blüten) kennt keinen Stolz.
Ihr Duft kann sich nicht rühmen.
Sie öffnen sich, erschaffen den Anblick des Frühlings,
weben fächelnd durch Gräser und Bäume.
Und Flickenmönche mit blanken, rasierten Köpfen.
Unvermittelt fällt heftiger Wind ein, und kräftiger Regen.
Der Schnee ist ohne Grenzen, während sich die Erde in drachenbestickte weiße Gewänder hüllt.
Der alte Pflaumenbaum ist unbeeindruckt, er ist frei.
Frostige Kälte sticht in die Nasenlöchern, sie schmerzen.“

In diesem wunderbaren poetischen Gedicht von Tendô Nyojô wird ein Wintertag in seiner ganzen Wirklichkeit geschildert. Im Mittelpunkt steht ein alter knorriger Pflaumenbaum, der trotz der Kälte und des starken Windes plötzlich Blüten treibt. Nach dem chinesischen Mondkalender ist dies der mittlere von drei Wintermonaten, bevor mit dem Neujahr der Frühling beginnt.
Es heißt darin, dass diese Pflaumenblüten von großer Reinheit sind, sich dessen aber nicht rühmen und nicht stolz darauf sein können. Sie haben überhaupt nicht die Fähigkeit, selbstgerecht zu sein.
Sie blühen als Teil der Natur ohne Absicht, ohne Stolz auf sich selbst und ohne Selbstinszenierung. Auch ihr reiner wunderbarer Duft ist absichtslos und ohne Ich-Stolz und Selbstgefälligkeit. Damit wird die wahre Natur beschrieben, so wie sie ist, sie wird nicht romantisiert oder dramatisiert. Gerade in den schlichten und kräftigen Worten entwickelt sich die treffende Kraft dieser großen Poesie.

Donnerstag, 11. November 2010

Edition Zen-Buddhismus





Der Berliner DONA-Verlag gibt heraus:

Edition Zen-Buddhismus

Begegnung mit dem wahren DrachenLeben und Zen
G. W. Nishijima mit J. BaileyBroschiert: 308 S., Preis:19,80, Bestellung z. B.: Amazon und Libri.
Der große japanische Altmeister des Zen-Buddhismus, G. W. Nishijima, beschreibt in diesem Buch fundiert und menschlich den Weg zur Verwirklichung unseres wahren Selbst. Er antwortet auf die Fragen seiner Schüler sehr konkret und praktisch. Dies ist ein gut verständlicher Text über die großen Werte und den ganz praktischen Nutzen des Zen-Buddhismus, ohne Geheimniskrämerei und unnütze Paradoxien. Für Einsteiger geeignet.

 ZEN ohne Mythos und Ideologie
Im Auge des ZEN, Band 1
Yudo J. SeggelkeBroschiert: 196 S., 8 Abb., Preis: 15,90, Bestellung z. B.: Amazon und Libri.
Erläuterung und Kommentierung zweier zentraler Kapitel aus dem Shobogenzo zum Streben nach der buddhistischen Wahrheit und der Befreiung des Selbst; eine wesentliche Grundlage des gesamten Zen-Buddhismus. Authentisch, direkt und ohne Umschweife, trotzdem verständlich. Mit Original-Zitaten von Meister Dogen und Nishijima Roshi.


Aus meinem LebenWirklichkeit und Buddhismus
G. W. NishijimaGebunden: 216 S., 9 Abb., Preis: 24,90, Bestellung z. B.: Amazon und Libri.
Dieses Buch ist zweifellos ein Juwel der buddhistischen Literatur, das von der Lebendigkeit, Menschlichkeit und dem profunden Erfahrungsschatz dieses großen alten Zen-Meisters berichtet. Neue Übersetzung und Erläuterung zweier wichtiger Dogen-Schriften.


ZEN SchatzkammerEinführung in Dogens Shobogenzo
Yudo J. SeggelkeDie einzige vollständige Einführung in alle Kapitel dieses großartigen Werkes in einer westlichen Sprache. In der Fachwelt allgemein anerkannt, gut verständlich und authentisch. Eine wesentliche Basis-Beschreibung des Zen, ein Muss für Interessierte.

Band 1Kapitel 1 - 29
Broschiert: 280 S., 9 Abb., Preis: 19,80, Bestellung z. B.: Amazon und Libri.
Aus dem Inhalt:
Ein Gespräch über das Streben nach der Wahrheit
Das verwirklichte Universum
Erzeugt kein Unrecht und erlangt die Freiheit
Die Sein-Zeit im Hier und Jetzt
Das Geheimnis der Buddha-Natur

Band 2Kapitel 30 - 60
Broschiert: 316 S., 9 Abb., Preis: 19,80, Bestellung z. B.: Amazon und Libri.
Aus dem Inhalt:
Die buddhistische Praxis bewahren und weitergeben
Der Bodhisattva des großen Mitgefühls
Was bedeutet das Bild eines Reiskuchens?
Die vier Arten des sozialen Handelns
Die Pflaumenblüten sind die Augen Gautamas

Band 3Kapitel 61 - 95
Broschiert: 328 S., 12 Abb., Preis: 19,80, Bestellung z. B.: Amazon und Libri.
Aus dem Inhalt:
Der Alltag im Hier und Jetzt
Die Erweckung des Bodhi-Geistes
Die 37 Elemente des Erwachens
Zuflucht zu den drei Schätzen Buddha, Dharma und Sangha
Tiefes Vertrauen in das Gesetz von Ursache und Wirkung

NEU: Buddhistische Ethik
Weisheit und Pragmatik des Zen-Meisters Dogen
G. W. Nishijima und Yudo J. Seggelke
Gebunden: 204 S., 11 Abb.
Die buddhistische Befreiung und Erleuchtung ist mit konkretem, ethisch richtigem Verhalten und Handeln wirklich möglich. Das ist die zentrale Botschaft dieses Buches. Der Buddhismus stellt keine utopischen, unerfüllbaren Forderungen, sondern hat konkretes gutes Handeln und Leben zum Ziel. Es geht darum, das in jedem Menschen vorhandene Potenzial zum ethischen Handeln zu entfalten und damit die Befreiung zu verwirklichen.



NEU: Das Geheimnis der Buddha-Natur
Die tiefe Erfahrung des Zen-Meisters Dogen
G. W. Nishijima und Yudo J. Seggelke
Gebunden: 176 S., 10 Abb.
Für den großen Zen-Meister Dogen war das Geheimnis der Buddha-Natur eine existenzielle Frage seines Lebens, die er erst auf seiner China-Reise lösen konnte. Seine fundamentalen Erfahrungen und Erkenntnisse werden in diesem Buch authentisch und verständlich behandelt. Für jeden, der sich mit Buddhismus beschäftigt, ist die Praxis und Lehre der Buddha-Natur aktueller denn je.



ZEN-Geist
Durchbruch zur Klarheit
Yudo J. Seggelke
Gebunden: 344 S., 12 Abb.
Der Zen-Buddhismus ist besonders geeignet, um die unnötigen Spekulationen über den Geist aufzulösen, die in westlichen Lebensphilosophien so viele Unklarheiten und Verwirrungen hervorgerufen haben. Ohne eine solche Klarheit kann es kein Erwachen und kein Entkommen aus dem Leiden geben. In diesem Buch werden die tiefgründigen Aussagen zum Thema Geist aus 13 Kapiteln des Shobogenzo verständlich und authentisch zusammengestellt.



Erwachen und Erleuchtung im ZEN
Verschrotte den eigenen Käfig
Yudo J. Seggelke
Broschiert: 332 S., 12 Abb.
Lebensfreude, Glück und Erwachen des Geistes sind in unserer materialistischen, oft menschenfeindlichen Welt wichtiger und aktueller als jemals zuvor. In diesem Buch werden neun Kapitel des Shobogenzo zu dem zentralen Thema Erwachen und Erleuchtung im authentischen Zen-Buddhismus von Meister Dōgen vorgestellt und erläutert. Er ist der wohl bedeutendste japanische Zen-Meister. Damit wird eine empfindliche Lücke in der Literatur über den Zen-Buddhismus geschlossen.


Strahlende Zeit zum Handeln
Im Auge des Zen, Band 2
Yudo J. Seggelke
Broschiert: 208 S., 9 Abb.
Die beiden großartigen Kapitel zur Sein-Zeit und zum wahren Handeln aus dem Shobogenzo werden verständlich und in einer klaren Sprache beschrieben und erläutert. Beide Kapitel sind im Westen bisher viel zu wenig bekannt, obgleich sie für den Buddhismus von zentraler Bedeutung sind. Sie eröffnen uns völlig neue Einsichten und Lebenschancen.


Umwelt-ZEN
Im Auge des Zen, Band 3
Yudo J. Seggelke
Broschiert: 324 S., 12 Abb.
Dieses Buch baut die bisher fehlende Brücke zwischen Meister Dogens tiefem Verständnis der Natur und unseren heutigen Problemen beim Umweltschutz. Dazu werden vier zentrale Kapitel aus Dogens großem Werk Shobogenzo ausführlich untersucht:
Die Stimmen des Tales und die Form der Berge (Keisei sanshiki), Die Pflaumenblüten sind die Augen Gautamas (Baike), Die Natur und die nicht-empfindenden Wesen lehren den Dharma (Mujō seppō) und Das Sūtra der Berge und Wasser (Sansui gyō)


Die Kraft der ZEN-Meditation
Im Auge des Zen, Band 4
G. W. Nishijima, Yudo J. Seggelke
Broschiert: 270 S., 10 Abb.
Dieses Buch behandelt alle wichtigen Texte der authentischen Zazen-Meditation von Meister Dōgen, dem wohl bedeutendsten japanischen Zen-Meister. Die ausgewählten Kapitel werden ausführlich und gut verständlich erläutert: für die Menschen der Gegenwart.

Ein solches Buch fehlte bisher, daher wird mit ihm nun eine empfindliche Lücke geschlossen.


Donnerstag, 4. November 2010

Gautama Buddha empfiehlt die aufrechte Sitzmethode

Im alten China und Japan saßen die Menschen üblicherweise auf dem Boden und verspürten daher sicher keine Schmerzen bei der Zazen-Haltung auf dem Sitzkissen, dem Zafu.

Wir heutigen Menschen, die daran gewöhnt sind auf Stühlen zu sitzen, sollten ebenfalls so weit wie möglich eine für uns schmerzfreie Sitzmethode beim Zazen anwenden. Nishijima Roshi betont immer wieder, wie wichtig die Haltung im ganzen oder halben Lotussitz ist, wobei der sogenannte burmesische Lotussitz, bei dem die Beine nicht ineinander verschränkt sind, sondern voreinander liegen, als halber Lotussitz anzusehen ist.
Dōgen erwähnt ausdrücklich in seiner grundlegenden Schrift zur Zazen-Methode den Lotossitz. Der volle Lotussitz ist sicher für viele westliche Menschen zunächst schwierig zu verwirklichen und oft mit Schmerzen verbunden, deshalb sollte man mit dem halben Lotussitz beginnen, damit man sich nicht zum schmerzhaften Durchhalten und zur Askese zwingen muss.
Denn auf diese Weise wäre die Befreiung von den Fesseln durch Körper und Geist schwerlich zu erreichen, da der Kampf gegen die Schmerzen uns keinen Raum für „den Frieden und die Freude“ des Zazen ließe.

Gautama Buddha hat in seinen Lehrreden und Gleichnissen häufig die aufrechte Sitzmethode empfohlen und in den alten Schriften heißt es, dass die Mönche, die auch „Hauslose“ genannt wurden, und Laien an einem ruhigen Ort mit gekreuzten Beinen sitzen sollen.
Als solche ruhigen Orte eigneten sich im alten Indien besonders Plätze unter Bäumen, die zudem einen gewissen Schutz vor sengender Hitze und Regen boten. Im Fukan zazengi schreibt Dōgen, dass der Ort für die Zazen-Praxis nicht zu heiß und nicht zu kalt sein sollte und dass man dabei lockere Kleidung tragen sollte, die nicht beengt.
Nishijima Roshi ergänzt dazu: „Um Freude an diesem Gleichgewichtszustand zu haben, wurde die Praxis des Zazen als die grundlegende Übung des Buddhismus seit über 2.500 Jahren erhalten und gepflegt.“
Dôgen sagt: „Dieser Dharma (vor allem des Zazen) ist in jedem Menschen im Überfluss gegenwärtig, aber wenn wir ihn nicht praktizieren, offenbart er sich nicht, und wenn wir ihn nicht erfahren, kann er nicht verwirklicht werden.“

Ohne die Praxis als Handeln kann sich die Wahrheit des Menschen oder des Dharma laut Dōgen also nicht offenbaren und manifestieren. Nishijima Roshi betont häufig, dass die Praxis des Zazen weder Denken noch Sinneswahrnehmung sein kann, denn sie sei genau das Handeln selbst und die Wirklichkeit im Hier und Jetzt.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Im Zazen das wahre Selbst empfangen

Nishijima Roshi betont, dass wir heute den Zustand im Zazen wissenschaftlich als Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems erkannt haben. Dieses Nervensystem ist mit dem Willen und dem Denken nur sehr wenig oder überhaupt nicht zu beeinflussen und trägt daher auch die Bezeichnung „autonomes Nervensystem“.


Die richtige Haltung im Zazen ermöglicht einen Gleichgewichtszustand, der sich auf den ganzen Körper-und-Geist auswirkt und zentrales Moment des von Gautama Buddha gelehrten Erwachens ist. Nishijima Roshi beschreibt diesen Gleichgewichtszustand folgendermaßen:
Er „ist der grundlegende (wahre) Zustand des menschlichen Körpers und Geistes. Diese Erleuchtung als vollständiger Gleichgewichtszustand wurde von Gautama Buddha gefunden und in einer nicht unterbrochenen Übertragungslinie bis zu den großen heutigen Meistern weitergegeben“.
Dōgen fährt mit seinen Ausführungen zur Übertragung fort:

„Der Grund, warum diese (Methode) ohne jede Abweichung nur von Buddha zu Buddha übertragen wird, liegt darin, dass der Samādhi sein (großartiger) Maßstab ist, um das Selbst zu empfangen und zu benutzen.“

Die Formulierung, dass wir beim Zazen das Selbst empfangen und benutzen, taucht im Shōbōgenzō an mehreren Stellen auf. Zazen ist damit neben der authentischen Lehre der zentrale Schlüssel, um das wahre Selbst zu finden und im praktischen Leben des Alltags zu verwirklichen. Dieses Selbst hat, wie bereits erläutert, mit dem egoistischen Ich nichts gemeinsam.
Ein wesentlicher Schritt zur Befreiung und Erleuchtung liegt gerade darin, dieses sich abgrenzende oder von Gier und Affekten beherrschte Ich aufzulösen, durchlässig zu machen und ins Gleichgewicht zu bringen. Für Dōgen ist die Zazen-Praxis dabei die fundamentale Methode, ohne die es auf dem Buddha-Weg kein Erwachen geben kann. Nishijima Roshi spricht sogar davon, dass Gautama Buddha uns empfiehlt, „Zazen als die fundierte Basis der menschlichen Kultur zu praktizieren.“

Für die Freude dieses Samādhi wurde die Praxis des (Za)zen in der aufrechten Sitzhaltung als authentisches Tor (zum Buddha-Dharma) entwickelt.“

Besonders bemerkenswert an dieser Aussage ist der Hinweis Dōgens auf die aufrechte Sitzhaltung, das heißt die gestreckte Wirbelsäule, beim Zazen. Diese Haltung verleiht uns eine tiefe Freude und Gelassenheit beim Samādhi und ist gleichzeitig der authentische Weg zum Buddha-Dharma und Erwachen. Interessant ist auch, dass Dōgen Zazen als Freude und Glück bezeichnet – und nicht als Askese, pure Willensanstrengung, Schmerzüberwindung und zähes Durchhalten. Es bringt uns die positive Energie der Freude, die nach neuen Erkenntnissen ganz wesentlich für physische und vor allem psychische Heilungsprozesse ist.

Samstag, 16. Oktober 2010

Die Bedeutung der Zazen-Praxis

Dōgen bezeichnet die Praxis des Zazen als „Zugang des Friedens und der Freude zum Dharma“; sie löse ganzheitlich die Hindernisse und Blockaden des Denkens und Fühlens auf. Körper und Geist sind in unserem gewöhnlichen, ungeschulten Denken dualistisch getrennt – was Dōgen ablehnt – und eng mit der Vorstellung und Fixierung auf ein weitgehend abgegrenztes Ich verbunden, das sich bedroht fühlt, auf sich selbst konzentriert ist und meist irgendetwas haben oder abwehren will. Ein solches Ich wird nicht zuletzt von Emotionen und Affekten getrieben, die dem Bewusstsein weitgehend verborgen bleiben. Nishijima Roshi spricht davon, dass eine Selbststeuerung unter diesen Bedingungen nicht möglich und der Mensch daher unfrei ist! Nach der Lehre Gautama Buddhas liegen die Ursachen für vieles Leiden in der Fixierung auf ein Ich als Subjekt und der Trennung von anderen Menschen und Dingen als Objekte. Diese Einschätzung wird auch durch die Psychotherapie bestätigt und hat bei der Analyse von Gefühlen eine große Bedeutung. Eine solche starke Zentrierung und Fixierung auf das eigene Ich wird häufig durch übertriebene Selbstgerechtigkeit, aber auch durch Angst vor psychischen Verletzungen erzeugt.

Gefühle wie Neid und Eifersucht werden laut der Psychologin Verena Kast in unserer Gesellschaft weitgehend tabuisiert und daher nicht bewusst zugegeben. Sie manifestieren sich infolgedessen meist als Abwertung oder sogar Kriminalisierung der anderen und sollen damit implizit als Aufwertung des eigenen Ich wirken. Das ist aber gerade keine dauerhafte Lösung des Problems. Der fast ausschließliche Bezug auf sich selbst tritt besonders gravierend bei Depressionen auf, wenn nur ein sehr eingeschränkter Kontakt zu anderen Menschen und zur Umwelt möglich ist. Auch diese Situation ist mit ganz starkem Leiden verbunden und führt meist dazu, dass der Alltag nicht mehr bewältigt werden kann.
In dem nun folgenden Satz fasst Dōgen zentrale Aussagen des Buddhismus zusammen.

„Wenn die Buddha-Tathāgatas, die alle die Eins-zu-eins-Übertragung (Transmission) des wunderbaren Dharma erhalten haben, den höchsten Zustand des vollkommenen Bodhi-Erwachens erfahren, sind sie im Besitz der feinen und kostbaren Methode, welche die höchste ist und keine (selbstsüchtige) Absicht hat.“

Alle Buddhas stehen demnach in einer nicht unterbrochenen Linie der Übertragung des wahren Buddha-Dharma, die hier als „Eins-zu-eins-Übertragung“ bezeichnet wird. Das heißt, dass jeweils ein authentischer Meister den wahren Buddha-Dharma an seinen Schüler weitergibt, der damit selbst authentischer Meister wird und die Befähigung zur Lehre erhält.

Das höchste Bodhi-Erwachen wird in Sanskrit als anuttara-samyak-sambodhi bezeichnet. Mit der feinen und kostbaren Methode des Bodhi-Erwachens ist die Zazen-Praxis gemeint. Dōgen fügt hinzu, dass diese Methode ohne selbstsüchtige Absicht angewendet wird. Wenn also die Erleuchtung oder das Erwachen zum eigenen Vorteil und mit Konzentration auf sich selbst angestrebt wird, entspricht dies nicht der im Shōbōgenzō dargestellten Zazen-Methode.

Dogen erläutert hierzu, dass beim Zazen „das (wahre) Selbst empfangen und benutzt wird“. Dieses Selbst unterscheidet sich vom egoistischen, abgegrenzten Ich, das etwas haben will oder etwas bekämpft, um sich selbst zu schützen, um materielle Vorteile zu erlangen oder Macht über andere zu gewinnen.

Freitag, 8. Oktober 2010

Liebe Freundinnen und Freunde des Buddhismus,

es ist mir eine Freude, Ihnen mein neues Buch vorzustellen, das jetzt lieferbar ist.
Es enthält die Beschreibungen und Erläuterungen zweier fundamentaler Kapitel des Shôbôgenzô des großen Meisters Dôgen:

Das verwirklichte Leben und Universum (Genjô-kôan) und

Ein Gespräch über das Streben nach der Wahrheit (Bendôwa).


Diese beiden Kapitel sind ein zentraler Schlüssel zu Dôgens großartigem Werk und zum Zen-Buddhismus überhaupt. Viele große Meister sagen, dass damit die Grundlage zum Verständnis des gesamten Shôbôgenzô dargelegt wird!
Zusammen mit Nishijima Roshi habe ich mich bemüht, alles gut verständlich zu schreiben.
Das Buch kann in jeder Buchhandlung erworben werden, oder direkt über das Internet Z. B.

ISBN 978-3-941380-05-9
Preis: 15,90

Mit herzlichen Grüßen
Yudo J. Seggelke

Samstag, 2. Oktober 2010

Kōan-Gespräch zur konkreten Wirklichkeit, Teil 2


Dōgen arbeitet weiter heraus, dass in dem Kōan von zentraler Bedeutung sei, dass der Fächer direkt und einfach zur Kühlung benutzt wird. Dies sei wesentlich wichtiger als die Aussage, dass die Luft überall anwesend ist. Gerade diese Eigenschaft werde nämlich erst durch die Benutzung beim Kühlen wirklich, und wer dies nicht wisse, kenne die Natur der Luft überhaupt nicht. Das heißt, dass durch das Handeln des Meisters die wahre Natur der Luft erst verwirklicht wird, während die abstrakte Beschreibung von deren Eigenschaft für das konkrete Leben irrelevant ist.

„Weil es die Natur der Luft ist, überall anwesend zu sein, hat das Verhalten der Buddhisten die Erde dazu gemacht, sich selbst als Gold zu manifestieren, und hat die Milchstraße (des Universums) zu (köstlichem) Quark und (wohlschmeckender) Molke reifen lassen.“
Molke-Getränke und Quark waren im alten China sehr beliebte Lebensmittel, die als besondere Köstlichkeiten galten.
Dieses letzte Zitat ähnelt einem Kōan und fasst gleichzeitig wesentliche Aussagen des Kapitels zusammen. Mit der Erwähnung der Milchstraße – oder wie es im alten China heißt, des „langen Stromes“ – wird der Bogen zum Universum und damit zum Thema dieses Kapitels geschlagen.
Das Handeln und Verhalten der Buddhisten verwandelt die Erde laut einem alten Meister in Gold. Die Natur der Luft und das Handeln der Buddhisten werden im obigen Zitat in einen unauflösbaren Zusammenhang gebracht.
Das Kōan kann in einem tieferen Sinn symbolisch verstanden werden: Die Luft ist wie die Buddha-Natur überall anwesend, aber es bedarf des Handelns, damit sie sich manifestieren kann und zu Wirklichkeit wird. Dabei sind Gedanken und Worte nicht unbedingt hilfreich. Die Kühlung kann außerdem als Ausdruck des Mittleren Weges verstanden werden, der die Extreme der Leidenschaften wie Gier, Hass und Verblendung überwindet und das Gleichgewicht ermöglicht. Schließlich kommt positive Lebensbejahung zum Ausdruck, welche die Erde als Gold verwirklicht.
Dieses Kapitel enthält Dōgens Kernsätze zur Verwirklichung unseres wahren Lebens in der großen umfassenden Einheit mit dem Universum.

Sonntag, 26. September 2010

Kōan-Gespräch zur konkreten Wirklichkeit, Teil 1


Zum Schluss des Kapitels Genjo kōan erzählt Dōgen eine Kōan-Geschichte: Weil es sehr heiß ist, fächelt sich der alte Meister Hotetsu Luft zur Kühlung zu, als ein Mönch vorbeikommt und offensichtlich eine intelligente Bemerkung anbringen will, um sein Wissen einzubringen.
Er sagt, die Luft habe die Eigenschaft, überall anwesend zu sein. Dem Meister ist intuitiv sofort klar, dass dieser Mönch abstrakten, allgemeinen Gedankengängen verhaftet und nicht offen für das praktische und konkrete Hier und Jetzt ist. Dass es heiß ist, erscheint ihm sicher zu banal, denn er ist tief von seiner eigenen großartigen Intelligenz und seinem Wissen der Buddha-Lehre überzeugt. Er denkt vielleicht, dass die Luft schon beim Meister da ist und deshalb keine zusätzliche Luft durch das Fächeln hinbewegt werden muss.
Auf die dann folgende Frage des Mönchs, warum sich der Meister denn die Luft zufächle, wenn die Luft überall anwesend ist, antwortet dieser daher einfach, es gebe in der Tat keinen Ort in der Welt, an dem keine Luft vorhanden sei. Dies entspricht inhaltlich genau der Aussage, die der Mönch zuvor verkündet hatte.
Durch diese eigentlich logisch überflüssige Wiederholung seiner eigenen Aussage wird dem Mönch jedoch schlagartig klar, dass allgemeine theoretische Kenntnisse und angelernte, sogenannte Weisheiten etwas ganz anderes als die Wirklichkeit selbst sind, die man unmittelbar erlebt und erfährt. Wenn einem zu heiß ist, sollte man sich durch den Fächer Kühlung verschaffen, wobei man direkt die kühlende Luft erfährt – und genau das ist die Wirklichkeit.
Was nützt dabei das erlernte Wissen, dass die Luft schon überall anwesend ist? Dadurch erfährt man keine Kühlung, sondern schwitzt wegen der stillstehenden heißen Luft. Deshalb setzt der Meister die Unterhaltung mit dem Mönch auch nicht fort, sondern fächelt sich einfach weiterhin die kühlende Luft zu.
Die Aussage des Mönchs, dass die Luft überall anwesend sei, hat in der Tat für die konkrete Situation des Meisters überhaupt keine Relevanz, denn es geht um die Kühlung und um die Bewegung der Luft und nicht um die Tatsache, dass sie vorhanden ist. Der Mönch hat also zunächst weder die Situation des Meisters noch dessen Handeln als angemessen erkannt. Doch angesichts dieses wortlosen Handelns gelangt der Mönch zur Wirklichkeit des Hier und Jetzt. Er macht als Dank eine Niederwerfung. Dadurch erfahren sein Körper und Geist eine ganz neue, frische Kraft

Mittwoch, 15. September 2010

Wie genau können wir die Wirklichkeit erkennen?



Das im Zen beschriebene umfassende und intuitive Wissen geht über das einfache Sehen und naive Denken hinaus. Das Nachdenken und Erinnern über dieses Wissen ist von der Verwirklichung selbst getrennt. Der Ort und der Weg der Verwirklichung existieren nach Dōgen genau in diesem Zustand und dem Augenblick. Hiermit sind wohl die Zazen-Praxis und die damit verbundene erste Erleuchtung gemeint.

Eine solche Verwirklichung ist nicht unbedingt offensichtlich und nicht in aller logischen Schärfe zu erkennen. Er führt das darauf zurück, dass das Wissen und die Erkenntnis im selben Augenblick wie die Verwirklichung des Handelns vor sich gehen. Beides kann also nicht voneinander getrennt werden. Erst später ist es möglich, mit dem Verstand die vergangene Situation zu analysieren und eventuell sogar mit Worten zu beschreiben. Dies ist aber nicht der Augenblick der Wirklichkeit selbst.

Gegen Ende des Kapitels Genjo kōan warnt Dōgen vor dem falschen Ziel, alles solle für den Verstand und das Bewusstsein vollkommen klar sein:
Geht nicht davon aus, dass das, was erlangt ist, zwangsläufig für das Selbst vollkommen bewusst ist und durch den Intellekt erkannt wird.“
Diese zentrale Aussage formuliert Nishijima Roshi im selben Sinne und er fügt hinzu, dass intellektuelle und vom Verstand geleitete Menschen zu der Ansicht neigen, das erlangte Erwachen müsse auf jeden Fall dem eigenen Ich voll bewusst sein und es müsse durch den Verstand und Intellekt vollständig erkannt werden.

„Die Erfahrung des höchsten Zustandes wird sofort im Augenblick verwirklicht. Gleichzeitig ist ihre geheimnisvolle Existenz nicht notwendigerweise eine manifeste Verwirklichung. Die Verwirklichung ist selbst ein Zustand, der nicht ein-eindeutig ist (also eher einer Frage gleicht).“
Aufgrund seiner eigenen tiefen Erfahrung der Erleuchtung und der Verwirklichung ermahnt uns Dōgen, dass wir uns keine Illusionen darüber machen dürfen, dass die Verwirklichung logisch klar und eindeutig erfasst werden könne. Es bleibe immer ein Bereich des Geheimnisses und des Unfassbaren bestehen. Ich möchte hinzufügen des Göttlichen.

Wir haben zwar eine intuitive, gewisse Klarheit, wenn der Zustand der Verwirklichung unmittelbar und je im Augenblick da ist. Eine nachträgliche Reflexion über diesen Zustand kann aber auch keine logische Eindeutigkeit und Wahrheit ergeben, sondern ist im Gegensatz zur Verwirklichung selbst nur die Erinnerung an diesen Zustand und diesen Augenblick, weshalb diese Sichtweise wesentlich verengt ist.

Donnerstag, 9. September 2010

Die buddhistische Wahrheit

Dôgen sagt: „Wenn ein Mensch Buddhas Wahrheit in diesem Zustand (der Wahrheit) praktiziert und erfährt, bedeutet dies, einen Dharma zu erlangen und diesen einen Dharma zu durchdringen. (Es bedeutet) einer Handlung zu begegnen und diese eine Handlung zu vollenden.“

Nach meinem Verständnis möchte Dōgen hiermit auf die konkreten Einzelheiten der Dinge und Phänomene und vor allem auf das konkrete Handeln, also die einzelnen Handlungen selbst, hinweisen; dies ist ein typischer Zen-buddhistischer Ansatz. Wenn man nämlich zu sehr in spirituelle Allgemeinheiten abschweift, besteht die Gefahr, dass man die konkrete Wirklichkeit im Hier und Jetzt übersieht oder nur oberflächlich erfährt.

Handeln muss mit Genauigkeit, Können und vollständiger Offenheit für das Tun im Augenblick vollzogen werden. Hochgesteckte spirituelle Ziele und Sehnsüchte können aber gerade genau diese Gegenwärtigkeit im Hier und Jetzt verhindern. Dann wird das Tun und Handeln ungenau oder, wenn man so will, unkonzentriert. Ein solches Verhalten entspricht nicht der Lehre des Zen-Buddhismus und auch nicht der Gautama Buddhas.

Nishijima Roshi ergänzt hierzu, dass ein Mensch Buddhas Wahrheit versteht, wenn er ihr begegnet, und sie erfährt, wenn er sie praktiziert. Dies ereigne sich im gegenwärtigen Augenblick und damit würden wir einer Handlung wirklich begegnen. Mit der großen buddhistischen Wahrheit sei gemeint, Zazen zu praktizieren und zu erfahren.
Dôgen fährt fort: „In diesem Zustand existiert der (wahre) Ort und der Weg wird gemeistert, und daher ist der (nur mit dem Verstand) erkennbare Bereich nicht deutlich zu sehen. Der Grund dafür liegt darin, dass das Wissen und die vollständige Verwirklichung des Buddha-Dharma zusammen erscheinen und zusammen erfahren werden.“

Nishijima Roshi erläutert diese Überlegungen: „Im Zustand des Gleichgewichts existiert der Ort wirklich und der Weg wird richtig gemeistert. Aber der Grund, warum wir dies mit dem Denken nicht so klar erkennen, liegt darin, dass diese Erkenntnis und die buddhistische Verwirklichung sich in genau derselben Zeit (im Augenblick) ereignen, und sie sind (nur) zusammen dieselbe Erfahrung.“

Das Erkennen des wahren Ortes und das Handeln würden sich genau in demselben Augenblick ereignen. Dies ist die Verwirklichung des ganzen Universums und beides ist eine unauflösbare Einheit. Das unterscheidende Denken wäre dabei auch viel zu langsam.

Mittwoch, 1. September 2010

Fortsetzung: Handeln und Verwirklichung


Dōgen bringt die Frage der Verwirklichung auf den Punkt:

Wenn wir diesen (wahren) Ort finden, ist dieses Handeln ohne Zweifel als Universum verwirklicht. Wenn wir diesen Weg finden, ist dieses Handeln ohne Zweifel das verwirklichte Universum (selbst).“

Nishijima Roshis Kommentar dazu erleichtert uns das Verständnis von Dōgens Worten: #

„Wir können daher sagen, dass wir das Universum verwirklichen können, wenn wir etwas wirklich tun und genau so handeln.“

Mit dieser Aussage wird das Thema dieses wichtigen Kapitels wieder aufgegriffen und klargestellt, auf welche Weise wir unser Leben und das Universum verwirklichen. Durch Denken allein ist dies nicht möglich, sondern durch Handeln. Dieses Handeln muss sich im Gleichgewicht vollziehen, damit es die Verwirklichung unseres wahren Selbst ermöglicht. Zwei zentrale Punkte muss man sich dabei vor Augen halten.

Zum einen: Nach der buddhistischen Lehre kann und darf die Ethik im Handeln niemals ausgeklammert werden. Zum anderen: Selbstsucht macht die Verwirklichung unmöglich. Dōgen zitiert im Kapitel zur Buddha-Natur den indischen Meister Nāgārjuna, der lehrt, dass wir die Buddha-Natur nicht erfahren können, wenn wir vom Ich-Stolz geprägt sind. Das von Stolz aufgeblähte kleine Ego verhindert, dass wir zur Wirklichkeit gelangen, die sogar mit der Buddha-Natur gleichgesetzt wird. Die Buddha-Natur realisiert sich im ethischen Handeln und nicht im Denken.

Daher können wir mit Nishijima Roshi sagen, dass zuerst das Handeln existiert und dass dies die Grundlage des Lebens und der Welt darstellt. Dadurch wird der Dualismus zwischen Subjekt und Objekt sowie dem Selbst und dem Universum überwunden.

Dōgen weist dann noch einmal darauf hin, dass der Ort und der Weg des Handelns nicht mit messenden Begriffen wie groß oder klein gekennzeichnet werden können, sie seien ungeeignet für die Beschreibung des verwirklichten Universums. Und Begriffe wie subjektiv oder objektiv seien ebenso unzureichend wie zeitliche Angaben über die erinnerte Vergangenheit. Auch das Erscheinen als zeitlicher Prozess entspreche nicht dem Zustand der Verwirklichung, sondern es gehe allein um die Wirklichkeit des gegenwärtigen Jetzt.

Freitag, 27. August 2010

Die Verwirklichung durch das Handeln


Dōgen sagt dazu, wie Fische und Vögel in dieser Welt leben:

„So können wir verstehen, dass Wasser Leben ist, und können verstehen, dass der Himmel Leben ist. Vögel sind Leben und Fische sind Leben. Es mag wohl sein, dass Vögel und Fische Leben sind.“

Wenn wir ähnlich den Fischen und Vögeln unseren eigenen richtigen Platz finden, ist dieses Handeln ohne jeden Zweifel das Leben, die Welt und das Universum selbst. Es ist das verwirklichte Universum, also das Gleichgewicht der Erleuchtung.
Der Weg und der Ort der Verwirklichung lassen sich nicht vollständig quantitativ erfassen, sie sind nach Dōgen weder „groß noch klein“, weder „subjektiv noch objektiv“. Auch die lineare Zeitdimension der Vergangenheit oder gedachten Gegenwart ist kein sinnvolles Kriterium für diesen großartigen und natürlichen Zustand. Es geht um das direkte Handeln! Damit werden unsere üblichen Unterscheidungen und Dimensionen überschritten. Die Beschreibung des erwachten Zustandes, also der Verwirklichung des eigenen Lebens und Universums, erfordert daher auch eine erweiterte Sprache, um sich von den herkömmlichen Denkgewohnheiten und impliziten emotionalen Verengungen distanzieren zu können.

„Da dies so ist, kann ein Fisch oder Vogel niemals seinen Weg oder seinen Ort im Wasser oder im Himmel finden, wenn der Fisch das (falsche) Ziel hat, sich (nur dann) im Wasser zu bewegen, wenn er dessen Grund erlangt hat, oder der Vogel im Himmel fliegen will, wenn er diesen vollständig durchstoßen hat.“
Was will Dōgen damit ausdrücken? Nishijima Roshi erläutert den Inhalt dieser Aussage wie folgt:

„Für die Vögel und Fische ist es sicher völlig unmöglich, zu fliegen oder zu schwimmen, wenn sie denken, dass sie dies nur dann können, wenn sie den Himmel oder das Wasser vollständig verstanden haben.“


Auch für uns Menschen sei es völlig ausgeschlossen, dass wir allein durch Denken und Intellektualität bestimmt sind. Unser Gehirn könne sich alles Mögliche ausdenken und dabei jeden Realitätsbezug vollständig verlieren.
Sicher will Dōgen nicht die Kreativität des Denkens sowie der Fantasie abwürgen und den Forscherdrang der Menschen für unsinnig erklären. Aber erleben wir es nicht immer wieder, dass gerade psychisch schwierige Menschen sich in komplexen Gedankengebäuden ergehen, diese immer weiter ausbauen und sich schließlich darin verlieren.


Eine nüchterne Einschätzung, wann wir durch Denken Probleme lösen und unsere Entwicklung fördern können und wann nicht, ist also von großer Bedeutung. Bei Schizophrenen entwickeln sich wahnhafte, scheinbare Ordnungen und Denk-Konstrukte, die zwar eine gewisse psychische Überlebensfähigkeit bringen, sich aber aus der Wirklichkeit abgelöst haben, sodass ein Leben und Handeln im normalen Alltag nicht mehr möglich ist. Ähnliches gilt bei Verdrängungen und Zwangsneurosen.


Nishijima Roshi veranschaulicht Dōgens Ausführungen an folgendem Beispiel: Auch ein Baby oder ein Kind lebt zunächst in seiner kindlichen Umgebung und wächst dort auf. Die physischen und intellektuellen Fähigkeiten können dann Schritt für Schritt im Lernprozess mit der Umgebung und dem wachsenden Potenzial der eigenen Möglichkeiten bis zum Erwachsenen entwickelt werden. Und er fügt hinzu:


„Mit anderen Worten können wir unseren (richtigen) Ort in der Welt auf der Grundlage unserer (erlernten) physischen und mentalen Bewegungen finden, und an diesem Ort können wir (wirklich und natürlich) handeln.“

Mittwoch, 18. August 2010

Die Freiheit des Lebens bei Dōgen

Im Folgenden kommt Dōgen beispielhaft auf die Fische und Vögel zu sprechen, die in ihren jeweiligen Elementen leben – also im Wasser beziehungsweise in der Luft – und so ihren Lebensraum und Platz auf der Erde einnehmen. Für den Fisch ist es ganz natürlich, im Wasser zu leben, deshalb gibt es für ihn keine Einschränkung seines Lebens und seiner Beweglichkeit, solange er tatsächlich im Wasser schwimmt. Der Fisch hat im Wasser die vollständige Freiheit. Das Gleiche gilt für die Vögel und ihren Lebensraum, die Luft:

„Wenn die Fische sich durch das Wasser bewegen, gibt es (für sie) kein Ende des Wassers, wie auch immer sie sich bewegen. Wenn die Vögel durch den Himmel fliegen, gibt es (für sie) kein Ende des Himmels, wie auch immer sie fliegen.“

Diese Beispiele, die den natürlichen Lebensraum der Tiere schildern, waren im alten China und Japan direkt nachvollziehbar und jedem bekannt. Die Fische bleiben im Wasser, die Vögel fliegen in der Luft.

So ist es! Dōgens Verständnis der Freiheit beinhaltet also nicht den Absolutheitsanspruch, der in idealistischen Diskussionen der Gegenwart im Westen häufiger anzutreffen ist. Dabei wird Freiheit so verstanden, dass es überhaupt keine Begrenzungen und Bedingungen geben darf, dass sich also jeder ohne jede Einschränkung durch die Umgebung oder andere Menschen total frei ausleben können soll. Ein solcher absoluter Freiheitsbegriff wird von manchen Idealisten vielleicht unbewusst postuliert, um über die böse „Wirklichkeit“ klagen zu können, die diesem Freiheitsanspruch natürlich niemals genügen kann.

Dōgen bezieht sich dagegen auf die natürlichen Lebensbedingungen verschiedener Lebewesen – und implizit der Menschen –, die jeweils durchaus unterschiedlich sind. Innerhalb dieser natürlichen Umgebung existiert jeweils die Freiheit, so wie der Fisch im Wasser frei ist.

Gleichzeitig haben Fische und Vögel seit alten Zeiten niemals das Wasser oder den Himmel verlassen.“

Diese Tiere leben in ihrem eigenen Element auf natürliche Weise. Sie verwirklichen sich so in ihrer Lebensart, also in ihrem Lebensraum und in dessen „Grenzen“, die sie aber nicht als einengend erfahren, sondern im Gegenteil als Raum für ihre Freiheit und als Grundlage ihrer Existenz. Wenn wir unsere wahren Lebensraum im Hier und Jetzt gefunden haben, sind wir frei.

Freitag, 6. August 2010

Die Vielfalt der Dinge und Phänomene (Dharmas) in unserem Leben


Dōgen sagt:


„Wenn wir hören wollen, wie die unzähligen Dharmas (Dinge und Phänomene) in ihrem natürlichen (Zustand) sind, sollten wir uns daran erinnern, dass die Qualitäten der Ozeane und der Berge zahllos und grenzenlos sind, unabhängig von ihrer runden oder eckigen Erscheinung, und dass es (andere) Welten in den vier Himmelsrichtungen gibt.“


Neben der (materiellen) Eigenschaft von Eckigkeit und Rundheit gibt es laut Dōgen unzählige weitere Merkmale und Qualitäten des Ozeans und der Berge. Damit wird deutlich, dass die eigenen Interessen und Gefühle leider meist einen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung haben und verhindern, dass wir die Wirklichkeit hören oder sehen. Deshalb können wir den natürlichen Zustand der Realität nicht erfassen.


Außerdem weist Dōgen darauf hin, dass die Wirklichkeit eine unendliche Komplexität besitzt, die auch in der modernen Sozialwissenschaft von Niklas Luhmann betont wird. Wer sich über diese Komplexität nicht klar bewusst ist, wird zu voreiligen Schlüssen und vermeintlich logischen Erklärungen neigen, die jedoch meistens nur Scheinlösungen darstellen. Zudem beinhaltet das obige Zitat, dass wir selbst mit der nötigen Bescheidenheit und Redlichkeit vorgehen sollten, anstatt banale „Stammtischweisheiten“ zu verkünden oder ihnen zu glauben. Wichtig ist die eigene Einschätzung, ob eine gründliche Analyse stattgefunden hat oder ob wir aufgrund sehr magerer Ausgangsinformationen ein schnelles, meist emotionsgesteuertes Urteil fällen und uns damit zufriedengeben.


Nishijima Roshi ergänzt: „Wir sollten daher daran denken, dass das ganze Universum außerordentlich viele Merkmale hat, und sollten uns auch daran erinnern, dass es ähnliche Welten gibt, die sich unendlich in den vier Himmelsrichtungen ausdehnen.“


Anschließend hebt Dōgen hervor, dass diese Aussagen nicht nur für einen Menschen gelten, der an der ´Peripherie des Buddhismus´ lebt und handelt, also in den Buddha-Dharma noch nicht tiefer eingedrungen ist. Die dargestellte Vielfalt der Dinge und Phänomene ist kein Zeichen für den Zustand vor dem Erwachen oder Nicht-Erwachen, sondern gilt ganz allgemein. Er betont dabei den gegenwärtigen Augenblick der Wirklichkeit und „einen einzigen Tropfen (Wassers)“, für welche die obige Feststellung ebenfalls zutrifft.


Der gegenwärtige Augenblick hat für die Erfahrung der Wirklichkeit eine zentrale Bedeutung. Der Tropfen Wasser kann einmal materiell verstanden werden und gehört damit zur Welt der Dinge und Phänomene, die hier als Dharmas bezeichnet werden. Darüber hinaus kommt ihm jedoch symbolische und spirituelle Bedeutung für die Schönheit der Natur zu und er ermöglicht dem Mond, sich darin zu spiegeln. Dies ist im Zen das Symbol des Erwachens und Gleichgewichts.

Samstag, 24. Juli 2010

Gleichnis des Ozeans für die Verwirklichung


Dôgen sagt zum Ozean:
„Es gibt andere, unerschöpflich viele Qualitäten des Ozeans: (Für die Fische) ist er wie ein Palast und (für Götter) wie eine Perlenkette.“

Nach der buddhistischen Lehre erscheint das Wasser des Ozeans für Dämonen demgegenüber als Blut oder Eiter. Im Zen-Buddhismus geht es nicht nur einseitig um die für uns Menschen subjektiv angenehmen Qualitäten.

„Aber so weit unsere Augen sehen können, scheint (der Ozean) genau rund zu sein. Wie es für (den Ozean) ist, so ist es für die unzähligen Dharmas.“

Die Rundheit des Ozeans kann man auch als Symbol für den Zustand des Gleichgewichts verstehen. Nach der buddhistischen Lehre ist dies der natürliche Zustand, der zum Beispiel bei uns Menschen durch Täuschungen und Emotionen gestört oder unmöglich gemacht wird. Wie genau unsere Augen wahrnehmen, sei dabei maßgeblich von unserem eigenen Gleichgewicht abhängig. Wenn wir uns nicht im Gleichgewicht befinden, sind Verzerrungen oder dumpfe Teilnahmslosigkeit unvermeidlich.

Damit meint Dôgen, dass die Vielfalt der Welt (Dharmas) wie der runde Ozean in seiner Ruhe und Rundheit erfahren wird, wenn wir die Verwirklichung und Erleuchtung erlangt haben. Die Form und die Vielfalt der Dharmas sind dann zu einer Einheit mit dem Erwachen verschmolzen.

„Im Staub (der üblichen Welt) und außerhalb des (dieses) Rahmens (also im Buddha-Zustand) umfassen (die unzähligen Dharmas) eine große Zahl von Situationen. Aber wir sehen und verstehen dies nur soweit, wie unsere Augen des in der Praxis Lernens dies erfassen.“

Es hängt von uns und unserer Klarheit ab, inwieweit wir die Vielfalt der Welt und der anderen Menschen verstehen und erfahren. Unsere Augen öffnen sich immer mehr, je weiter wir auf dem Buddha-Weg vorangehen. Wichtig bei diesem Zitat ist nicht zuletzt die Aussage, dass der Lernprozess in der Praxis stattfinden muss. Theorie allein reicht also nicht aus, aber auch eine hektische Praxis ohne Kenntnis der buddhistischen Lehre bewirkt nichts.

Nishijima Roshi sagt dazu: „In der weltlichen und buddhistischen Gesellschaft können wir nur die außerordentlich verschiedenartigen Unterschiede in dem Maße erkennen, wie wir sie sehen und selbst erfahren.“

Samstag, 17. Juli 2010

Verwirklichung oder Täuschung?


Dogen sagt: „Wenn der Dharma den Körper und Geist noch nicht zufriedengestellt hat, fühlen wir uns schon mit dem Dharma reichlich ausgestattet. Wenn der Dharma den Körper-und-Geist (ganz) erfüllt, fühlen wir, dass noch eine Seite fehlt.“
Im ersten Teil des Zitats kommt Dōgen noch einmal auf die subjektive Sichtweise zu sprechen, dass wir den Buddha-Dharma schon mit Körper und Geist verwirklicht hätten, während dies aber tatsächlich nur eine Selbsttäuschung ist. Umgekehrt ist die Verwirklichung dadurch gekennzeichnet, dass wir zwar im Gleichgewicht leben, aber immer auch unsere Unvollkommenheit im Bewusstsein haben, denn die Entwicklung des Menschen ist auch nach dem Erwachen nicht abgeschlossen, sondern geht immer weiter.
Dies hat Dōgen eindrucksvoll im Kapitel „Leben und Handeln jenseits von Buddha und Erleuchtung“ beschrieben. Spirituelle Selbstüberschätzung bringt den buddhistischen Entwicklungsprozess jedoch zum Stillstand und das besonders, wenn der Betreffende in der sozialen Rückkopplung, beispielsweise durch seine Mitmenschen oder besonders durch Schüler, noch in seiner Selbsttäuschung gestärkt wird.
Der Kommentar von Nishijima Roshi dazu lautet:
„Wenn wir nicht ausgeglichen sind, wenn wir also subjektive Gedanken (und Gefühle) haben, neigen wir zu einer Vorstellung, dass wir schon in den Zustand des Gleichgewichts (und der Erleuchtung) eingetreten sind.“
Diesem euphorischen Gefühl komme allerdings keine wirkliche Realität zu und unser Leben sei infolgedessen in mentaler Hinsicht stark verengt. Wenn wir uns dagegen tatsächlich und nicht nur eingebildet im Gleichgewicht befinden, hätten wir die Fähigkeit, genau zu erfassen und zu hinterfragen, ob wir im Gleichgewicht sind oder nicht.
Diesen Gedanken vertieft Dōgen anhand des Beispiels, dass wir mit einem Schiff auf den Ozean hinausfahren und das feste Land und die Berge der Klöster verlassen.
„(Vom Schiff) aus gesehen, erscheint der Ozean immer rund, wenn wir in alle vier Himmelsrichtungen sehen. Es erscheint nicht so, dass er überhaupt eine andere Form hat.“

Nun stellt sich die Frage, ob der Ozean wirklich rund ist oder welche andere Form er vielleicht hat? Anhand von konkreten Situationen aus dem damaligen Leben in Japan und China erläutert Dōgen seine tiefgründige buddhistische Lehre. Als Inselland ist in Japan das Meer überall leicht erreichbar und die meisten Bewohner verfügen über die Erfahrung, mit dem Boot oder Schiff auf das Meer hinauszufahren. Wir wissen heute, dass uns der Ozean aufgrund der Krümmung der Erde rund erscheint, wenn wir kein Land mehr sehen können.
Diese Beobachtung an sich wurde aber natürlich schon zu allen Zeiten der Menschheit angestellt. Das Erklärungsmodell der runden Erdkugel ist bei der direkten Beobachtung ja auch gar nicht erforderlich. Einen rechteckigen Ozean kann man niemals sehen. Der Ozean ist also in seiner Form rund und gilt als tiefgründiges Symbol für die Menschen und das Universum.

Montag, 5. Juli 2010

Verwirklichung des Menschen


Dôgen sagt:
„Die Verwirklichung (oder Erleuchtung) zerstört nicht den einzelnen (bisherigen) Menschen, so wie der (gespiegelte) Mond nicht das Wasser durchsticht.“

Mit diesen Worten drückt Dôgen aus, dass wir auch nach der Erleuchtung Menschen bleiben. Dies ist unmittelbar logisch, wenn wir an die erste Erleuchtung im Zazen denken. Nishijima Roshi ergänzt, die Verwirklichung oder Erleuchtung bedeute, dass wir zu unserem eigenen natürlichen Ursprung zurückkehren, weshalb sie keinen fundamentalen Umbruch in unserem ursprünglichen Charakter bewirke.

Derartige Sehnsüchte nach einem plötzlichen Durchbruch mögen allerdings viele spirituelle Anfänger hegen. Wie schön wäre es doch, auf diese Weise all seine Lebensprobleme loszuwerden! Aber das ist eine Illusion, mit der vielleicht falsche Meister locken mögen, die dabei die Notwendigkeit der ausdauernden Praxis verkennen.

„Der Mensch hindert nicht den Zustand der Verwirklichung, genau wie ein Tautropfen nicht den Himmel und den Mond hindert.“
Dôgen vergleicht hier einen Tautropfen mit einem einzelnen Menschen, der an der Verwirklichung teilhat und erwacht ist, sich also verwirklicht hat. Die Verwirklichung entspricht dabei dem Himmel und dem Mond, die sich im Tautropfen spiegeln. In diesem Zitat geht es also ebenfalls darum, dass die Erleuchtung oder Verwirklichung kein unnatürlicher oder übernatürlicher Zustand ist, sondern der eigentlichen Natur des Menschen genau entspricht. Auch die besondere Individualität eines Menschen steht der Erleuchtung überhaupt nicht entgegen.

Seine individuellen Charaktereigenschaften lassen sich sehr wohl mit dem Zustand des Gleichgewichts vereinbaren und steigern sogar die Individuation, ohne dass wir in die Grenzen des kleinen Ich zurückfallen. Jeder Mensch ist einzigartig und gleichzeitig Teil des großen Universums.

Mittwoch, 30. Juni 2010

Das Gleichnis des Mondes


Dôgen sagt: „Ein Mensch, der die Verwirklichung erlangt, gleicht dem Mond, der im Wasser gespiegelt wird: Der Mond wird nicht nass und das Wasser wird nicht (durch den Mond) gebrochen.“

Das Gleichnis des Mondes, der sich im Wasser spiegelt, wird im Zen-Buddhismus gern für die Erleuchtung und das Erwachen verwendet. Zunächst ist es ein Bild tiefer Poesie und gibt den ruhigen, ausgeglichenen Zustand wieder, der auf dem buddhistischen Weg erlangt werden kann. Die Natur wird häufig zur Beschreibung der Selbststeuerung des Menschen herangezogen, wie zum Beispiel im Kapitel „Die Natur und die nicht-empfindenden Wesen lehren den Buddha-Dharma“. Das Bild hat nichts Gewaltsames, denn es heißt, dass die Oberfläche des Wassers durch den Mond nicht gestört und „gebrochen“ wird.

Nishijima Roshi sagt dazu, dass es bei der Erleuchtung wesentlich sei, sich diese immer als Zustand des Gleichgewichts zu vergegenwärtigen. Wir sollten niemals irgendeine großartige Besonderheit dabei erwarten. Da die Erleuchtung im Gleichgewicht stattfinde, sei sie immer ruhig und schön wie die Natur.
Dōgen führt das Gleichnis des Mondes noch ein wenig aus:

Obgleich das Licht (des Mondes) weit und groß ist, wird es in einem Wasser von (nur) einem Fuß oder einem Zoll (Länge oder Breite) gespiegelt.“
Das Gleichnis des sich im Wasser spiegelnden Mondes ist unabhängig von der Größe der Wasseroberfläche aussagekräftig; es gilt sogar für einen kleinen Tautropfen. Der Mond passt sich mit seiner Spiegelung offensichtlich den verschiedenen Formen des Wassers an, und zwar ohne jede Schwierigkeit und Verzögerung. Er steht dabei einerseits als Symbol für die Erleuchtung, wenn er rund ist und als Vollmond auf die Erde scheint. Andererseits existieren viele verschiedene Formen des Mondes, die jeweils für sich die Realität widerspiegeln und genauso gesehen und erfahren werden sollten, wie sie sind.
Dôgen verwendet in diesem Zusammenhang auch das Symbol eines Wassertropfens auf einem Grashalm, in dem sich der Mond und der Himmel spiegeln. An anderer Stelle weist er darauf hin, dass ein Wassertropfen auf dem Blatt einer Pflanze während des Vormittages schnell mit der höher steigenden Sonne verdunstet und dass damit die Flüchtigkeit unseres Lebens und der Dinge dieser Welt symbolisiert wird. Wenn wir uns völlig dem Augenblick der Gegenwart öffnen, müssen wir uns keine Sorgen über die Vergänglichkeit machen, weil wir dann die ganze Fülle und Schönheit der Welt erfahren und erleben.

Dienstag, 22. Juni 2010

Verbindung zum Leben und Tod im Augenblick


Dôgen sagt: „Asche nimmt im Dharma ihren eigenen Platz als Asche ein, sie hat ein Vorher und ein Nachher. Ebenso wie das Brennholz, das einmal zu Asche geworden ist, nicht wieder zu Brennholz werden kann, können auch die Menschen nach dem Tod nicht mehr leben.“

Dieses Dôgen-Zitat kommentiert Nishijima Roshi folgendermaßen: „Es ist möglich, dass die Asche im Universum jeweils als solche existiert und insofern eine Vergangenheit und eine Zukunft hat.“
Diese Aussagen erscheinen uns westlichen Menschen zunächst recht eigenartig und schwer nachvollziehbar. Wesentlich dabei ist, dass wir beim Erleben im Augenblick die erinnerte Vergangenheit und erwartete Zukunft weglassen und uns ganz der Gegenwart öffnen und hingeben. Auf diese Weise erleben wir die Fakten der Gegenwart direkt, können realistischer beobachten und die Welt unverstellt erfahren.
Aus psychologischer Sicht muss hinzugefügt werden, dass sowohl Erinnerungen als auch Erwartungen niemals reines Denken darstellen, sondern immer mit manchmal sehr starken Emotionen gekoppelt sind, die das Denken ganz wesentlich beeinflussen und steuern. Dadurch wird die Erfahrung aber verzerrt, vergrößert oder verkleinert. Die Emotionen steuern also in unserem üblichen Alltag sehr häufig unser Denken und unsere Vernunft. Der Buddhismus setzt genau an dieser Stelle an und will uns von derartigen Täuschungen und Illusionen befreien, damit wir zur Wirklichkeit selbst gelangen.

Die Aufforderung, Leben und Tod jeweils für sich als Wirklichkeit zu erkennen und zu verwirklichen, verstärkt Dôgen, indem er sie zu einer zentralen Aussage erhebt und dem sich drehenden Dharma-Rad des Buddhismus gleichsetzt. In dieser nicht-dualistischen Sicht gibt es daher im Augenblick kein Erscheinen und Vergehen, sondern nur die Wirklichkeit selbst, so wie sie ist: jetzt, jetzt, jetzt!
Dôgen fährt fort: „Gleichzeitig ist es im Buddha-Dharma eine gesicherte Tradition, nicht zu sagen, dass Leben sich zum Tod verwandelt. Deshalb sprechen wir vom ‚Nicht-Erscheinen’.“
Dies bedeutet, dass wir im Hier und Jetzt leben. Der Tod wird meist gedacht und gefürchtet oder eventuell als Befreiung erhofft, während wir leben. Fast immer sind die Gedanken an den Tod mit sehr starken Emotionen und Ängsten verbunden. Gautama Buddha hat den Tod zu einer der zentralen Ursachen des Leidens gezählt. Aus den oben stehenden Worten spricht dagegen die Nüchternheit und Exaktheit der Wirklichkeit, die nach Dôgen für den Zen-Buddhismus typisch sind. Wenn man auf der Grundlage der Sein-Zeit des Augenblicks und damit in der Wirklichkeit lebt, sei es nicht sinnvoll, davon zu sprechen, dass sich das Leben nicht in den Tod umwandelt. Derartige Veränderungsprozesse laufen auf der Ebene des Denkens und der Überlegung ab und nicht in der Erfahrung der Wirklichkeit.
Im Herz-Sûtra, welches Dôgen auch im Shôbôgenzô tiefgründig erläutert, wird ebenfalls die Augenblicklichkeit des Universums ausgedrückt. Die Veränderungsprozesse des Entstehens und Vergehens stellen im Buddhismus nur eine bestimmte Sicht der Wirklichkeit dar und dürfen nicht verallgemeinert werden, weil sonst die Augenblicklichkeit verloren ginge. Veränderungsprozesse sind vor allem gedachte und oft emotional geprägte Zusammenhänge, die wir selbst durch Verknüpfungen verschiedener Zustände über der linearen Zeit herstellen. Dieser Ansatz mag in bestimmten Bereichen, zum Beispiel bei Organisationsaufgaben, durchaus nützlich sein, verbleibt aber auf der Ebene des dualistischen Denkens und Fühlens.

Nishijima Roshi stellt fest: „Im Buddhismus sind sowohl Leben als auch Tod je einfache Tatsachen im gegenwärtigen Augenblick und wir sagen daher nicht, dass es irgendetwas (im Augenblick) gibt, das erscheint.“
Mit dem Ausdruck „einfache Tatsachen“ betont er die Unabhängigkeit von verzerrenden Ideen und Emotionen, die vor allem die Ursache dafür sind, dass man das Leben als sinnlos empfindet und sich wie gelähmt fühlt. Die Tabuisierung und Verdrängung des Alterns und Todes kann sich auch in dem bekannten Phänomen des Jugendwahns der modernen Konsum- und Spaßgesellschaft äußern.

Dienstag, 15. Juni 2010

Wir leben im Augenblick



Nishiijma Roshi sagt in aller Klarheit, dass die Welt, in der wir jetzt leben, genau im gegenwärtigen Jetzt erscheint und verschwindet. Der gegenwärtige Augenblick umfasst demnach eine äußerst kurze Zeitspanne, die eigentlich überhaupt keine Dauer aufweist. Außerdem nehmen wir wie gesagt an, dass der Augenblick vom vergangenen und zukünftigen Augenblick unabhängig ist. Die Augenblicke stehen für sich, sie sind auf sich selbst fokussiert. Deshalb kann man sagen, dass diese Welt, in der wir jetzt leben, genau im gegenwärtigen Augenblick entsteht und vergeht.
Dies ist das verwirklichte Universum. In unserem üblichen Denken und mit dem sogenannten gesunden Menschenverstand stellen wir uns dagegen vor, dass die Welt sich wie eine Linie von der Vergangenheit zur Gegenwart und von der Gegenwart zur Zukunft bewegt. Aber eine solche Interpretation der Zeit ist aus der Sicht des Buddhismus für das wirkliche Erleben und Handeln völlig unzureichend. Nach der buddhistischen Philosophie erfahren wir wirklich, dass die Vergangenheit nur eine Erinnerung und die Zukunft nur eine Annahme und Erwartung ist.
Zum Thema Augenblicklichkeit fügt Nishijima Roshi hinzu:
„Wenn wir uns die wirklichen Zusammenhänge der Gegenwart genau anschauen wollen, können wir die Augenblicke wie einen Film benutzen. Der Film ist in viele kleine Bilder unterteilt. Daher ist jedes einzelne Bild von dem vorherigen und dem folgenden unabhängig.“

Dieses Beispiel der einzelnen Bilder eines Films mag sehr vereinfachend sein, aber es ist dennoch hilfreich. Da unser Auge und Gehirn mit einer gewissen Trägheit arbeiten, können wir die einzelnen Bilder des Films nicht unterscheiden, sodass sich beim Abspielen eine kontinuierliche Bewegung für uns ergibt. Wie im Kapitel über die Sein-Zeit detailliert behandelt wird, ist in der buddhistischen Lehre und Erfahrung diese Augenblicklichkeit im Jetzt der Gegenwart von zentraler Bedeutung, um aus der Welt der Illusionen und Täuschungen zur Wirklichkeit zu gelangen. So können wir uns selbst auf die Schliche kommen.

Auf der Grundlage dieser Theorie lässt sich Meister Dôgens Aussage verstehen, dass das Feuerholz vollständig von der Vergangenheit und der Zukunft, also der verbrannten Asche, getrennt ist, obgleich es natürlich eine gedachte Vergangenheit und eine Zukunft gibt. Vergangenheit und Zukunft sind abstrakte Aussagen, können aber die wahre Wirklichkeit nicht richtig erfassen.

Dienstag, 8. Juni 2010

Die Augenblicklichkeit der Dinge und Phänomene


Dogen sagt: „Feuerholz wird Asche, es kann niemals zurückgehen, (und wieder) Feuerholz sein.“

Dies ist eine einfache, materielle und logisch leicht überprüfbare Feststellung, denn die Wärmeenergie ist beim Brennen aus dem Holz entwichen und an die umgebende Luft abgegeben worden. Die Asche enthält keine Wärmeenergie mehr. Auch strukturell ist es unmöglich, dass ein Häufchen Asche wieder zu dem Brennholz wird, das es einmal war.

Damit will Dôgen verschiedene materielle und dingliche Gegebenheiten in dieser Welt aufzeigen und vor allem die zeitliche Unterschiedlichkeit und Unabhängigkeit von Brennholz und Asche darlegen. Wir sollten also Brennholz genau als Brennholz und Asche genau als Asche wahrnehmen, so wie die Fakten eben sind. Jeweils in einem Augenblick gibt es die Wirklichkeit des Holzes und in einem anderen Augenblick die Wirklichkeit der Asche.

Er fährt fort: „Trotzdem sollten wir nicht die Sicht einnehmen, dass Asche die Zukunft und Feuerholz Vergangenheit ist.“
Dôgen bekräftigt mit diesen Worten die Selbstständigkeit von Asche und Feuerholz in der Wirklichkeit, also im Dharma und im Augenblick. Wenn wir uns vorstellen, dass das Holz im Zeitablauf zu Asche verbrannt wird, ist dies eine gedankliche Verbindung, aber nicht eine einfache Tatsache jeweils im Augenblick. Damit will Dôgen uns darauf hinweisen, dass wir genau die Fakten jeweils für sich beobachten und nicht unsere gedanklichen Verbindungen oder Erwartungen mit den Fakten vermischen sollen.

Asche und Feuerholz nehmen jeweils ihren eigenen Platz im Dharma, also in der Wirklichkeit, ein, wie es bei Dôgen heißt. Wenn wir mit den Vorstellungen der linearen Zeit diesen Zusammenhang betrachten, erscheint es so, dass beide jeweils ihre Vergangenheit und ihre Zukunft haben und verbunden sind. Aber die Wirklichkeit je im Hier und Jetzt „schneidet“ diese Verbindung ab, die wir nur denken und zu wissen meinen. Damit greift Dôgen wesentliche Aspekte der Sein-Zeit im Augenblick auf, die in einem gesonderten Kapitel genauer untersucht wird.

„Denkt daran, dass das Brennholz im Dharma seinen eigenen Platz als Brennholz einnimmt. Es hat ein Vorher und ein Nachher, aber trotzdem existiert das Vorher unabhängig vom Nachher.“

Was soll das bedeuten? Ist das ein Widerspruch zu dem vorher Gesagten? Nein, keineswegs!

Das Feuerholz hat seinen eigenen Platz als Feuerholz im gegenwärtigen Augenblick, und obgleich es eine Vergangenheit und eine Zukunft hat, sind die Vergangenheit und die Zukunft vollständig getrennt vom gegenwärtigen Augenblick. Nishijima Roshi erläutert hierzu:

Diese Lehre ist eng mit der Augenblicklichkeit aller Dinge und Phänomene im Buddhismus verbunden. (In der buddhistischen Lehre) gehen wir normalerweise davon aus, dass wir immer genau im gegenwärtigen Augenblick leben und daher erscheinen alle Dinge und Phänomene ebenfalls genau im gegenwärtigen Augenblick.“

Die Augenblicklichkeit, um die es hier geht, bedeutet, dass die Dinge und Phänomene nur im gegenwärtigen Jetzt die volle Wirklichkeit sind und dann wieder verschwinden. Die Vorstellung einer permanenten, zeitunabhängigen Welt ist demnach gedachte Spekulation, die zwar eine gewisse Plausibilität hat, aber eine Vorstellung und Annahme bleibt.

Erst in der Wirklichkeit des Augenblicks eröffnet sich die Freiheit und die Einheit von Form und Leere!