Donnerstag, 21. Februar 2008

Der Samadhi gleicht dem Ozean

Dieses Kapitel (Kap. 31, Kai-in zanmai)enthält mehrere Gedichte sowie Koan-Gespräche und ist von tiefer symbolischer Bedeutung, aber es ist nicht einfach zu verstehen.
Dabei bedeutet "Kai" das Meer oder der Ozean und "in" die Prägung oder im übertragenen Sinne die Gleichheit. Das Wort "zanmai" heißt Samadhi und bedeutet auch die Zazenpraxis, also den Zustand des Gleichgewichts in der Wirklichkeit. "In" wird häufig auch als Siegel übersetzt, ist also ein Abdruck und Symbol für etwas Wichtiges und Bedeutendes. Das Siegel lässt in unserem Sprachgebrauch auch anklingen, dass etwas gesichert und verschlossen ist und nur von autorisierter Seite geöffnet werden darf. Alle diese Bedeutungen schwingen im Titel dieses wichtigen Kapitels mit.
Das Meer wird häufig als Symbol für die Wirklichkeit und Wahrheit im Buddhismus verwendet und bezeichnet gleichzeitig den Zustand im Zazen. Der unendliche Ozean und das große weite Meer werden also als Bild für die unermessliche Wahrheit, die jenseits von Denken und Fühlen ist, gebraucht. Das Meer steht für die wirkliche Erfahrung im Zazen, also der höchste Zustand, den Nishijima Roshi als erste Erleuchtung bezeichnet. Dôgen hat darauf hingewiesen, dass dieser ganzheitliche friedliche Zustand die wesentliche Erfahrung und der zentrale Bereich der buddhistischen Praxis ist, die er auf seiner Reise in China selbst erfahren hatte und nach der Rückkehr in Japan zusammen mit einer umfassenden Theorie lehrte.
In diesem Zustand sind Subjekt und Objekt nicht mehr wie im gewöhnlichen Leben getrennt, sondern existenziell und konkret im Hier und Jetzt verschmolzen. Dann löst sich das kleine abgegrenzte Ich auf, so wie ein Wassertropfen oder eine Welle Teil des Ozeans ist und nicht sinnvoll getrennt werden kann.

In der buddhistischen Tradition hat das Meer insgesamt zehn besondere Eigenschaften, die z. B. für den Weg des Bodhisattva maßgeblich sind: Sie werden auch als Stufen auf dem Bodhisattva-Weg bezeichnet und sollen damit das Fortschreiten beim Buddha-Dharma kennzeichnen. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Das Meer wird Schritt für Schritt tiefer, wenn man es vom Ufer kommend betritt. Dies soll das Vorwärtsgehen im Buddha-Dharma wiedergeben, wenn man Schritt für Schritt tiefer in die Lehre und Praxis eindringt und aus einer gewissen Oberflächlichkeit des gewöhnlichen Lebens in die Tiefe kommt.

2. Das Meer behält keinen toten Körper, sondern spült ihn an den Strand. Dies bedeutet zunächst, dass es im Meer, also in der Wirklichkeit und im Universum, überhaupt nichts Totes gibt, dass alles seine Bedeutung und seinen Sinn hat und daher lebt. Nach buddhistischer Lehre sind auch die Steine, die Berge und alles im Universum lebendig und von großem Wert. Es soll hier schon angemerkt werden, dass Dôgen in einer folgenden Koan-Geschichte über diese Bedeutung hinausgeht, die sonst allgemein üblich ist.

3. Alle Flüsse und Gewässer münden in das große Meer und gehen in ihm auf. Sie haben dann keinen besonderen Namen mehr und ihr Wasser vermischt sich mit dem des Meeres bald nach der Einmündung.

4. Das Meer hat überall denselben Geschmack und dies ist in der Tat eine treffende Bezeichnung für den Buddha-Dharma, der überall und für alle Menschen gleich ist.

5. Im Meer sind unendliche Schätze verborgen.

6. Es ist sehr schwierig den Grund zu erreichen, denn auch die Lehre Gautama Buddhas kann kaum erschöpft werden und ist vor allem durch den intellektuellen Verstand nicht auszuloten.
7. Der Ozean ist unermesslich und ohne Grenzen.

8. Das Meer wird von sehr großen Tieren und anderen Kreaturen bewohnt, denn in der Tat leben im Meer die größten Lebewesen, zum Beispiel die Wale. Aber vielleicht gibt es noch größere Tiere in den bislang nicht erforschten größten Tiefen der Ozeane.

9. Die Ebbe und Flut verlieren keine Zeit und wechseln im natürlichen Rhythmus. Sie kommen immer zur richtigen und natürlichen Zeit.

10. Das Meer nimmt alle Regenwasser auf, ohne dass es zu Überschwemmungen kommt. Dies unterscheidet sich von Flüssen und Binnengewässern, nicht zuletzt in Indien und China, wo bei extremen Regenfällen immer wieder große Überschwemmungen und Katastrophen auftreten.

Dôgen beginnt dieses Kapitel "der Samadhi des Ozeans der Wirklichkeit" wie folgt:
„Die Buddhas und Vorfahren im Dharma weilen immer im Samadhi des Ozeans der Wirklichkeit. Während sie sich im Ozean dieses Samadhis bewegen, gibt es die Zeit, wenn sie lehren, die Zeit, wenn sie (die Wirklichkeit) erfahren und die Zeit, wenn sie handeln.“

Damit wird die Sein-Zeit angesprochen, in der sich alles Wirkliche abspielt und die je im Augenblick das Universum und die Welt erschafft. Dabei gibt es nichts Statisches, sondern alles bewegt sich, sodass es hier heißt, dass die Buddhas sich im Meer bewegen und die Wirklichkeit durch ihr Lehren und ihr Handeln erschaffen wird. Obgleich in der buddhistischen Lehre häufig davon gesprochen wird, dass beim Ozean zwar die Oberfläche unruhig sei, aber die Tiefe ruhig und unbeweglich, sagt Dôgen hier, dass sich dessen Tugend sowohl oben auf dem Meer als auch in ihm selbst bewegt. Dies setzt er mit den nicht unterbrochenen Bewegungen des Geistes gleich, der unfassbar ist und den unbeständigen Wogen gleicht, die durch Geburt und Tod gekennzeichnet sind. So wird das Handeln, Lehren und Wirken der Buddhas und Vorfahren im Dharma dem Meer und der Wirklichkeit des Samadhi gleichgesetzt.
Anschließend wird der Buddha zitiert:

"Diese Welt besteht nur aus unzähligen Dharmas.
Der Augenblick des Erscheinens ist genau das Erscheinen der Dharmas.
Der Augenblick des Verschwindens ist genau das Verschwinden der Dharmas.
In dem Augenblick, wenn diese Dharmas erscheinen, sprechen wir nicht vom Erscheinen des Ich."


Das Gedicht fährt fort, dass die einzelnen Dharmas voneinander unabhängig sind, also jeweils einzeln im Augenblick existieren und dass es die Dharmas vor diesem Augenblick gibt, die auch voneinander unabhängig sind. Schließlich vergleicht er diese Worte über die Wirklichkeit mit dem Samadhi des Meeres.
Wegen der Schwierigkeit und großen Bedeutung des obigen Gedichtes wiederholt Dôgen es wortwörtlich noch einmal, um es dann von verschiedenen Seiten zu beleuchten und zu interpretieren. Wenn wir die Welt als Form ansehen, also die materiellen Aspekte und zweiten Lebensdimension nach Nishijima Roshi in den Mittelpunkt stellen, enthält und besteht diese Welt aus den unzähligen Dharmas. Diese physischen Daseinselemente kann man so erweitern, dass auch das Geistige in der Form von solchen Elementen einbezogen ist.

Eine wesentliche Aussage des obigen Gedichtes ist auch darin zu sehen, dass wir die Dharmas, also die Dinge und Phänomene dieser Welt, genauso sehen und erfahren sollen, wie sie wirklich sind Es ist also nicht sinnvoll irgendwelche Zusätze machen, und wir sollen uns von Bewertungen frei halten, die im Übrigen meist überflüssig und wenig zweckdienlich sind. Bei einem solchen Verständnis der Welt gibt es auch keinen Platz für die Vorstellung eines Ich, das wir im Allgemeinen im „normalen“ Alltag und ohne Kenntnis des Buddha-Dharma haben. Dies ist nach Dôgen gerade nicht natürlich.

Dôgen weist darauf hin, dass die existenzielle Sein-Zeit sich von unserer Vorstellung einer linearen Zeit unterscheidet, in der wir die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur denken, während wir die Wirklichkeit im Augenblick selbst erleben und erfahren können. In diesem Zusammenhang wird die Aussage eines alten Meisters zitiert:

"Plötzlich entsteht ein Feuer"
(vgl. Shinji Shôbôgenzô, Band 1, Nr. 75). Wegen der großen Bedeutung soll dieses hier behandelt werden. Ein Mönch fragt den großen Meister Seigen:

"Wenn die drei Welten unaufhörlich entstehen, was sollten wir tun?"

Die drei Welten sind nach alter buddhistischer Lehre der Wille oder Geist, die Materie und das Handeln. Aber dies ist natürlich nur eine theoretische Lehre, die die Welt in diese drei Bereiche gliedert, aber sie ist nicht die Wirklichkeit selbst. Eine Theorie ist eben nur eine Theorie über die Wirklichkeit der Welt und nicht die Praxis. Meister Seigen antwortet einfach:

"Sitze nur in Zazen."

Er geht also nicht weiter auf die vom Mönch vorgetragene Theorie der drei Welten ein, über die man sich in der Tat sehr scharfsinnig und lange Zeit unterhalten kann. Die psychischen und existenziellen Unsicherheiten im Durcheinander der Welt und des Lebens kann man mit solchen Theorien und durch Denken allein nicht überwinden, um zur Ruhe und in das Gleichgewicht zu kommen, sondern dies ereignet sich durch die Zazen-Praxis.
Da der Mönch nicht versteht, was der Meister sagen will, fragt er nach, was denn damit gemeint sei, und Meister Seigen sagt:

"Bringe mir den Berg Rozan hierher. Dann will ich es dir erklären."

Die Bedeutung dieses Koans und insbesondere der letzten Zeile liegt darin, dass es natürlich unmöglich ist, den großen Berg hierher zum Ort, wo der Meister sich gerade aufhält, zu tragen. Damit wird gesagt, dass es genauso unmöglich ist, die Wahrheit der Zazen-Praxis mit Worten zu erklären. Gleichzeitig wird dabei die hohe Bedeutung dieser Übungspraxis betont, die Dôgen bekanntlich erst in China erlernt hatte und nach Japan brachte. Die Antwort des Meisters erschien dem Mönch viel zu einfach, da er eine, wie er meinte, wichtige und komplexe Frage gestellt hatte und eine großartige Antwort erwartet hatte. Aber viele Aussagen des Zen sind in der Tat so einfach, dass man zunächst verblüfft ist und meint, es müsste doch noch etwas mehr dahinterstecken.
Dôgen zitiert in diesem Zusammenhang einen weiteren großen Meister:

"Was sollen wir tun, wenn das Enstehen und das Vergehen niemals aufhören?"

Damit ist das unaufhörliche Auf und Ab des menschlichen Lebens gemeint. Der Meister bemerkt dazu:
"Weil dieses Entstehen und Vergehen niemals aufhört, entsteht und vergeht euer Ich."

Nach buddhistischer Lehre gibt es in der Tat die permanente Bewegung und es verändert sich alles, sodass wir in unserem Leben oft verunsichert und sogar verängstigt sind. Dôgen sagt nicht zuletzt, dass auch die Vorstellung von einem Ich wesentlich Bestandteil der Verwirrung ist, aber dass wir auch sagen können, dass es entsteht und wieder vergeht. Der Glaube an ein festes dauerhaftes Ich kann damit nicht aufrechterhalten werden.
Wenn man das Verständnis und die Sichtweise des Augenblicks im Hier und Jetzt hat, gibt es kein Entstehen und Vergehen. Die Vorstellung eines abgegrenzten subjektiven Ich entfällt dann und ist auch meist störend und überflüssig. Diese Erfahrung macht jeder, der Zazen praktiziert, wenn die unaufhörliche Aktivität des Denkens aufhört und auch die Emotionen zur Ruhe gekommen sind.

Dôgens Aussage, dass die Dharmas voneinander unabhängig sind und "sich nicht gegenseitig behindern", zielt auf das direkte Erleben und Erfahren ab, bei der etwas, das als Verbindung hinzugedacht wird, entfällt. Dasselbe gilt für Bewertungen. Dies wird durch die Worte: "Es ist, wie es ist" ausgedrückt und es ist die Wirklichkeit, nicht mehr und nicht weniger.
Dôgen erklärt dann, dass wir zur Wirklichkeit zurückkommen müssen und dass erst dann das Wasser richtiges Wasser ist, der Raum zum wirklichen Raum wird und der Schlamm des Alltags der wirkliche Schlamm des Alltags ist. Damit ist gemeint, dass wir unnötige Bewertungen und Gedanken, die vom unmittelbaren Erfahren und Erleben wegführen vermeiden müssen, um zur Realität zurückzukommen. Durch das Siegel des Samadhi, der wie das Meer ist, wird also das Wasser zum wirklichen Wasser. Außerdem muss das Siegel des Buddha-Dharma von einem wahren Meister zum nächsten übergeben werden, damit die buddhistische Lehre lebendig bleibt und nicht in Zeremonien und formalen Formulierungen erstarrt.

Gegen Ende dieses Kapitels wird ein berühmtes, aber auch schwieriges Koan-Gespräch des großen Meisters Sôzan wieder gegeben: Der Mönch fragte:

"Ich habe gehört, dass ihr lehrt, dass der große Ozean keine leblosen Körper behält. Was ist dieser Ozean?"
Der Meister antwortete: "Er umfasst die unendliche Existenz."

Der Mönch fragte dann weiter: "Warum behält der Ozean keine leblosen Körper?"
Der Meister antwortete:
"Was aufgehört hat zu atmen, haftet nicht mehr."

Dôgen erklärt, dass der Mönch den großen Meister Sôzan nicht verstanden hatte, der zu den ganz großen „ewigen Buddhas“ gehört, die den Dharma lebendig und wahr weiter an die nachfolgenden Generationen übertragen haben. Dieser Meister lehrt den authentischen Buddhismus in Wort und Tat und im Einklang mit dem Bodhisattva-Handeln des Mitgefühls und Helfens. Dôgen macht deutlich, dass wir bei diesem Koan-Gespräch nicht eine materielle Vorstellung des Meeres haben dürfen, sondern dass es um die wahre buddhistische Lehre geht, die mit der Wirklichkeit identisch ist.

Daher sind auch Vorstellungen von bestimmten Meeren, Ozeanen, Seen oder Flüssen nicht geeignet, die Bedeutung des obigen Koans zu erfassen.
Im ersten Teil dieses Kapitels wurde erörtert, dass es im Universum und der Wirklichkeit überhaupt nichts Totes oder Lebloses geben kann. Das Gleichnis des toten Körpers ist dann so zu verstehen, dass im Ozean des Buddha-Dharma alles lebendig und nicht tot ist, sodass das Tote "ausgeschieden" wird.
Dieses Koan von Meister Sôzan, (Shinji Shôbôgenzô, Band 2, Nr. 94), wird von Nishijima Roshi so kommentiert, dass Dôgen eine neue Sicht und ein tieferes Verständnis als bis dahin üblich eröffnet: Wenn ein vorher lebender Körper gestorben ist, bleibt er im Universum erhalten und ist insofern Teil des umfassenden Buddha-Dharma. Dies versteht der Mönch allerdings nicht und fragt deshalb:

"Wenn der Ozean schon die unendliche Existenz umfasst, warum haftet das, was aufgehört hat zu atmen, nicht mehr?"
Der Meister gibt darauf die folgende Antwort:
"Die unendliche Existenz hat keine solche Eigenschaft (des Haftens), sie hat (nur) aufgehört zu atmen."

Wenn wir uns diesen Zusammenhang materiell vorstellen, so bleiben in der Tat die Moleküle des ehemals lebenden Körpers erhalten im Universum und werden lediglich umgewandelt in neue Formen, die nach unseren westlichen Vorstellungen leblos oder lebendig sein können. Wenn wir an den ökologischen Kreislauf denken, so ist der Tod des einen Lebewesens oder der einen Pflanze Voraussetzung für das Leben anderer oder die Düngung anderer Pflanzen. Aber diese materielle Sicht reicht zum Verständnis des Buddha-Dharma nicht aus, so plausibel sie uns auch sein mag. Dôgen sagt hierzu:

"Weil die Menschen und Götter den großen Ozean niemals erfassen können, stellen sie die Frage, was der Ozean ist. Daher reden sie nur in Worten vom großen Ozean."

Er macht klar, dass scharfsinnige oder auch spitzfindige Worte den unendlichen Ozean als Symbol der Wirklichkeit und Harmonie des Universums nicht angemessen erfassen können. Dôgen ist fest davon überzeugt, dass dies vor allem erst durch die Erfahrung im Zustand der Zazen-Praxis möglich ist. Dann können wir die Zusammenhänge und die gesamte Situation so nehmen, wie sie wirklich ist, und handeln, wenn Änderungen möglich und notwendig sind. Ein solcher Geist wird von einem großen Meister wie folgt gekennzeichnet:

"Mein Geist bewegt sich nicht, ganz gleich, wie viele Male er dem Frühling begegnet."
Dôgen
fügt mit seinen eigenen Worten hinzu:
"Ein lebloser Körper beschreibt etwas, was niemals jemand erfahren hat, deshalb weiß niemand, was er ist."

Damit wird die Ruhe und Ausgeglichenheit im Samadhi angesprochen und in Beziehung zu etwas scheinbar Leblosem, das aber gerade die Wirklichkeit des Universums und der Zazen-Praxis ist. Eine hektische Aktivität ist zweifellos Tun, das Dôgen aber nicht für sinnvoll hält und dessen Lebendigkeit man als künstlich und unwirklich beschreiben muss.

Das obige Koan des leblosen Körpers soll sicher auch dazu dienen, dass man sich von emotions-gesteuerten Gedanken und Vorstellungen löst, die mit einer Wasserleiche verbunden sind. Viele Zweifel und Fragestellungen können allein durch solche bedrohlichen Bilder heraufbeschworen werden und Dôgen sagt uns, dass wir dies sicher in unserem Leben auch viel zu häufig so tun. Wenn der tote Körper nicht mehr an irgendetwas haftet, so kann dies auch als Gleichnis für den erwachten Menschen gesehen werden, der die Gier aufgelöst hat und der frei ist und nicht von Gedanken und Emotionen behindert wird. Dôgen sagt hierzu:

"Selbst wenn ein lebloser Körper (nur) ein lebloser Körper ist, wenn er in seinem Handeln das Gleiche erfährt wie die ganze Existenz, mag (dieser leblose Körper) alles umfassen und er mag das all-umfassende Selbst sein."

Dôgen öffnet damit einen neuen Horizont, in dem wir Bescheidenheit feststellen können, dass wir so vieles auf dieser Welt und in unserem Leben mit dem Verstand nicht durchdringen und erfassen können.
Dôgen sagt schließlich hierzu:

"Es geht hier nicht darum, dass etwas aufgehört hat zu atmen, sondern (die Wirklichkeit ist unfassbar wie) ein Blinder, der viele andere Blinde führt. Die unendliche Existenz von uns selbst und vom Universum, die aber nicht dualistisch zu unterscheiden sind, ist wie der Zustand des Samadhi und des Ozeans. Dies ist die Wirklichkeit bei der Zazenpraxis."

Sonntag, 17. Februar 2008

Die reine buddhistische Praxis bewahren und sie weitergeben (Teil 3)

Meister Dôgen sagt uns, dass Bodhidharma nicht nur die Sitzpraxis nach China brachte, sondern betont, dass die reine Praxis nur bewahrt und weiter gegeben werden kann, wenn sie auch die buddhistische Lehre und ein mitfühlendes Handeln gegenüber anderen Menschen selbst umfasst:
Übersetzung des Shôbôgenzo ins Spanische
"Wie könnte jemand, der ein Herz hat, die mitfühlende Güte (des Meisters) als etwas Unbedeutendes betrachten, und wie könnte jemand, der ein Herz hat, nicht darauf hoffen, seine Güte zu vergelten ... Bodhidharmas große Güte überragt sogar die unserer Eltern. Vergleicht also niemals die wohlwollende Liebe unseres Dharmavorfahren mit den Eltern für ihr Kind."


Damit werden unser moralisches Handeln gegenüber anderen Menschen und unser Verhalten ihnen gegenüber angesprochen. Nishijima Roshi betont, dass wir „kind“ und „soft“ im Umgang mit anderen sein sollten, auch wenn wir meinen, dass der andere im Unrecht ist. Dies bedeutet nicht, dass wir die Tatsachen und unsere Einschätzung nicht klar äußern sollen, sondern dass wir jeden harschen und aggressiven Stil vermeiden sollten. Leider ist dies bei einigen Vertretern des „harten“ Zen nicht immer der Fall. Dôgen hat sich hierzu in diesem Sinne im Shôbôgenzô im Kapitel über das soziale Handeln klar geäußert.
Die buddhistische Lehre muss von einem Meister auf den anderen übermittelt werden, damit der Buddha-Dharma lebendig bleibt und richtig verstanden, erfahren und gelebt wird. Die Zen-Meister sollten also menschlich nicht "verdorrten Bäumen und toter Asche" gleichen, sondern durch die freundliche und verständnisvolle Art im Umgang mit ihren Schülern und überhaupt mit allen Menschen den Kern der buddhistischen Lehre kraftvoll weiter geben.

Dôgen bedauert, dass Japan damals ein rückständiges Land war, in dem es solche Meister nicht gab, und in dem sowohl das Lesen der Sûtra-Texte als auch die Zazen Praxis unterentwickelt waren. Zweifellos hängt seine eigene Entscheidung, derart umfangreiche Schriften wie das Shôbôgenzô zu hinterlassen damit zusammen, dass er diese lebendige Tradition auch schriftlich klar fixieren wollte. Wir können uns in der Tat darüber freuen, dass diese Werke bis zum heutigen Tag authentisch erhalten sind und nunmehr sogar in westlichen Sprachen studiert werden können. Die Übertragungs-Linien von wahren lebenden Meistern dürfen dabei nicht vernachlässigt werden. Wie Nishijima Roshi betont, sind in neuerer Zeit vor allem Kodo Sawaki und Renpo Niwa zu nennen, die auch durch die Wirren der z. T. finsteren neueren Geschichte in Japan die wahre buddhistische Lehre durch ihr eigenes Leben und Handeln bewahrt und an uns übermittelt haben. Dôgen hielt es für wichtig, dass wir diese alten Meister von ganzem Herzen verehren, die durch ihr Wirken dafür gesorgt haben, dass der Buddha-Dharma überhaupt heute noch lebendig und authentisch ist. Er beklagte jedoch, dass so viele Menschen im damaligen Japan "blindlings die (kostbaren) Juwelen und die (wertvolle) Zeit vorübergehen ließen" und den großen Schatz der buddhistischen Lehre nicht erkannten und nicht annahmen. Er sagt:

"Wir leben in diesem abgelegenen Land und unser Körper und Leben sind derartig niedrig stehend. Wie könnten wir auch nur zögern, unsere armseligen Körper und unser Leben auf dem großen Weg zu verlieren, wenn wir die Gelegenheit hätten, den wahren Dharma des Tathâgata zu hören?"

Dôgen unterstreicht die außerordentliche Bedeutung von Bodhidharma, der als erster Meister einer authentischen Linie den wahren Dharma nach China brachte und die fühlenden Wesen erlöste. Er sagt wörtlich:

"Bevor der erste Vorfahre im Dharma (in China) aus dem Westen kam, hatten die Chinesen noch niemals einen Schüler des Buddha gesehen, bei dem der Dharma direkt von einem rechtmäßigen Nachfolger zum nächsten übertragen worden war."

Er vergleicht dies damit, dass die Udumbara-Blume erblühte, da dies außerordentlich selten vorkommt und sagt:

"Wer nicht den wahren Samen einer lang gereiften Weisheit hat, kann niemals der entfernte Nachkomme der Wahrheit, Vorfahren im Dharma sein."

Er warnt uns davor, dass wir uns an Formalitäten und äußere Begriffe klammern und damit die wahre Lehre verfehlen. In der Tat ist es letztlich unmöglich, einen Text aus früheren Zeiten richtig und vollständig zu verstehen, wenn es nicht eine lebendige Verbindung zu den Lebensumständen und dem Sinn gibt, in denen ein solcher Text verfasst wurde. Auf diesen Sachverhalt hat auch der moderne Philosoph Gadamer hingewiesen und damit zunächst unter Sprachwissenschaftlern eine erhebliche Kontroverse ausgelöst. Für Dôgen ist dieses Dilemma nur durch die Weitergabe der reinen Praxis zu lösen.
Für die Schüler ist es wichtig, dass sie sich nicht vom lebendigen Vortrag eines wahren Meisters abkoppeln und nur ihren eigenen Interpretationen und ihrem eigenen Verständnis folgen. Dies würde den notwendigen und auch angestrebten Lernprozess, der im Buddhismus immer ganzheitlich zu verstehen ist, erschweren oder unmöglich machen. Solche Schüler würden

"daher den wahren Dharma verfehlen. Sie lesen zwar die Sûtra und Kommentare, begreifen aber nicht deren tiefen Sinn."

Aus diesem Grund ist die direkte Weitergabe des Dharma so außerordentlich wichtig und sie darf in den verschiedenen Traditionen des Buddhismus auch nicht abreißen, sonst geschieht es leider, dass "die unwissende Mehrheit noch lange im Gestrüpp der Sûtra und Kommentare haften bleibt." Obgleich die Aufgabe von Bodhidharma in China so wirklich schwierig und entbehrungsreich war und er die lange gefährliche Seereise von Indien auf sich nahm, hat er sich dieser Verantwortung gestellt und damit den Keim für die großartige Entwicklung des Buddhismus in Ostasien gelegt.

Dôgen fordert uns auf, nicht in rein körperlicher Bequemlichkeit zu leben, sondern sich ganz der Aufgabe zu widmen, die Wahrheit zu erlangen und zu erwachen. Dabei habe es keine große Bedeutung, ob man intelligent sei oder nicht, sondern es kommt allein darauf an, selbst die klare Entscheidung zu treffen, die Wahrheit zu erlangen, sich auf den Buddhaweg zu begeben, die Lehre zu studieren, einen wahren Meister zu finden und nicht zuletzt Zazen zu praktizieren. Er unterstreicht dann, dass es für uns ein großes Glück bedeutet, der buddhistischen Lehre überhaupt begegnet zu sein und ihr zu folgen. In früheren Zeitaltern sei dies nicht möglich gewesen, weil das Genie Gautama Buddha die Lehre des Buddha-Dharma noch nicht entwickelt und weiter gegeben hatte. Dôgen sagt dazu:

"Daher gibt es einen Weg, um das unendliche Mitgefühl des großen Vorfahren im Dharma zu vergelten, nämlich einen Tag lang die reine Praxis zu bewahren."

Er erwähnt das beeindruckende Gleichnis, dass ein Dämon seine früheren Gebeine schlug, weil er zu Lebzeiten nicht die reine Praxis bewahrt hatte. Umgekehrt gibt es die Überlieferung, dass ein Gott sich vor seinem eigenen Skelett niederwarf, weil er dankbar war, dem Buddha-Dharma begegnet und der buddhistischen Praxis gefolgt zu sein. Dôgen sagt, dass es letztlich nicht von großer Bedeutung ist, ob man auf dem Weg Kälte und Hitze ertragen muss, ob die Nahrung üppig oder dürftig ist und ob man in eine reiche wohlhabende Gesellschaft oder Familie geboren wurde oder nicht. Er betont vielmehr:

"Fürchtet nur eines, nicht zu praktizieren. Nicht zu praktizieren zerstört den Menschen und die Wahrheit."

Er erzählt dann die Geschichte von Bodhidharmas erstem Nachfolger des Meister Taiso Eka: Dieser hatte von dem fremden Meister aus Indien gehört und nahm im Einvernehmen mit seinem damaligen Meister eine weite Wanderung auf sich, um den großen Gast kennen zu lernen und bei ihm den Buddha-Dharma zu studieren. Es wird berichtet, dass er dann durch tiefen Schnee und bei bitterer Kälte im Winter zur Höhle hinaufstieg, aber Bodhidharma ihn zunächst gar nicht beachtete, vermutlich, weil er seine Ernsthaftigkeit prüfen wollte. Bis dahin hatte dieser in der Tat in China noch keinen wirklichen Schüler kennengelernt und so war er wohl entsprechend vorsichtig. Es wird berichtet, dass Bodhidharma zu Eka folgendes sagte:

"Wie könnte jemand hoffen, das wahre Fahrzeug mit geringem Verdienst und beschränktem Wissen mit einem oberflächlichen und eitlen Geist zu finden? Alle Anstrengungen und Mühsalen wären nutzlos."

Dôgen nennt den zweiten Vorfahren im Dharma, Meister Eka, einen "wirklich starken Fels unter den Menschen und Göttern und einen großen Lehrer und Führer für die Götter und Menschen."


Er betont den Gegensatz zwischen der reinen Praxis und der Gier nach Ruhm, Ehre und persönlichem Gewinn und bedauert, dass man durch die Abhängigkeit von einer solchen Begierde den wahren Dharma verfehlt und dadurch ein unglückliches Leben führen muss. Durch ein solches unseliges Streben werde man dazu verführt, Unrechtes zu tun und Vergeltung zu üben. Sicher verkennt Dôgen nicht, dass dies häufig in der Welt vorkommt und er selbst hatte bekanntlich bei seinen ersten Begegnungen in China einige böse Erfahrungen durchzustehen, weil etablierte Rollenträger im damaligen chinesischen Buddhismus neidisch auf ihn waren und ihm sogar nach dem Leben trachteten.
Dôgen geht im Folgenden auf die Beziehung der alten großen Meister zu Kaisern, Königen und Ministern ein und lobt die Standhaftigkeit der Meister, weil sie nicht durch die Geschenke und Ehrungen der herrschenden Klasse in Abhängigkeit gerieten. Er führt mehrere Beispiele an, bei denen teure Geschenke und Ehrentitel ausgeschlagen wurden oder auch scheinbar sehr wichtige Einladungen des Kaisers in seinen Palast dankend abgelehnt wurden. Auf diese Weise konnten sie die eigene Unabhängigkeit auf dem Buddha-Weg bewahren. In der damaligen Zeit setzten sie damit ihr eigenes Leben aufs Spiel, da die Herrscher ein solches Verhalten überhaupt nicht gewohnt waren und es leicht als Missachtung ihrer eigenen Ehre einstuften.

Er erwähnt den Zenmeister Dai-i, der die reine Praxis dadurch bewahrte, dass er weder mit Königen noch mit Ministern vertraulichen Umgang pflegte. Er lehrte u. a. , dass die Dinge und Phänomene dieser Welt nicht mystifiziert werden sollten, sondern dass sie nur als natürliche Dinge und Phänomene zu betrachten seien. Daher seien Gold und Silber oder andere wertvolle Gegenstände nur etwas Materielles, von denen man sich nicht abhängig machen dürfe. Dadurch wurde die reine Praxis bewahrt.
Dôgen bestätigt, dass solche herausragenden Meister und Menschen immer wichtige Schüler anziehen, obgleich sie sich selbst gar nicht darum bemühen und keine Werbung für sich machen. Die Schüler kommen auf der Suche nach der buddhistischen Wahrheit aus freier Entscheidung zu ihnen. Dies sei zum Beispiel typisch für die beiden großen Meister Seppo und Gensa, die in den vielen Koan-Geschichten erwähnt werden, und deren Gespräche eine große pädagogische Kraft entfaltet haben und immer noch entfalten. Er spricht in gleicher Weise von Zenmeister Isan, der sich eine Stroh-Hütte in einem weit abgelegenen Gebiet des Gebirges baute und dort praktizierte. Er sagt dazu:

"Obwohl es dort kein Klostergebäude und keine Vorräte gab, verwirklichte und bewahrte er vierzig Jahre lang die reine Praxis. Als das Kloster später im ganzen Land berühmt wurde, sammelten sich dort hervorragende Schüler."

Er zitiert dann einen anderen großen Meister, der sich von Spenden und Zuwendungen vollständig unabhängig gemacht und entschieden hatte, dass die Vorräte der Nahrungsmittel in 365 gleiche Teile für das ganze Jahr aufgeteilt wurden und dass an jedem Tag nur ein entsprechender Anteil für das tägliche Essen zur Verfügung stand. Wie umfangreich das Essen ausfiel, war also davon abhängig, wie viele Mitglieder das Kloster jeweils hatte. Bei einer großen Anzahl gab es für die Einzelnen nicht viel zu essen. Er sagte:

"Es mangelt uns nicht an der Schönheit der Landschaft, die Blumen wissen zu lachen und die Vögel zu singen ... Wenn der Frühlingswind einsetzt, singen verdorrte Bäume Drachenlieder."

Er verdeutlichte so, dass es viele Schönheiten und positive Bereiche in dieser Welt gibt und dass man sich frei und glücklich schätzen kann, auch wenn man nicht über materiellen Reichtum verfügt und davon abhängig ist.
Dôgen berichtet von verschiedenen Meistern und Schülern, die ihr Leben lang das Kloster nicht verließen, dort lebten und nicht in ihre frühere Heimat zu ihren Familien und ehemaligen Freunden gingen, um diese zu besuchen. Er verdeutlicht, dass sonst vielleicht die Gefahr bestünde, dass sie von der reinen Praxis abweichen und irritiert würden, weil sie dort an ihr früheres Leben anknüpfen und in frühere Fehler und Unklarheiten zurückfallen würden. Dies gilt zum Beispiel für den großen Meister Baso, der den bekannten Satz geprägt hat:

"Der Geist hier und jetzt ist Buddha."

Damit ist gemeint, dass der Geist nicht etwas außerhalb von Raum und Zeit ist, sondern ganz im Gegenteil, konkret in der Gegenwart an diesem Ort im Kloster verwirklicht wird. Deswegen sei es nicht erforderlich überall im Land herumzuwandern oder Orte des früheren Lebens aufzusuchen. Dort gäbe es nichts Neues und Wichtiges, sondern es besteht im Gegenteil die Gefahr besteht, dass man von seiner buddhistischen Praxis abweicht und in frühere Verhaltensweisen zurückfällt.
Dôgen regt an, sich mit der Frage zu befassen, was der Satz bedeutet: "Nicht nach Hause zurückkehren." Sicher will er damit andeuten, dass das wirkliche Zuhause dort ist, wo man den Dharma praktiziert und bewahrt und nicht wo man vielleicht zufällig geboren wurde und aufgewachsen ist. Er gibt hierzu selbst keine eigenen Antworten, sondern will uns anregen, dass wir uns selbst diese Frage stellen, sie vertieft untersuchen, sie durchdenken und treffende Antworten finden.
Dôgen rühmt seinen eigenen Meister Tendo Nyojô, der ein Purpurgewand des Kaisers und den Titel eines Meisters freundlich dankend ablehnte und sich so seine Unabhängigkeit bewahrte. Dôgen sagt dazu:

"Dies war wahrhaftig das Bewahren der reinen Praxis. Weshalb? Weil die Sucht nach Ruhm und Ansehen schlimmer ist, als die Gebote zu brechen. Die Gebote zu brechen ist ein Unrecht des Augenblicks, aber die Sucht nach Ruhm und Ansehen ist ein lebenslanges schlechtes Verhalten."

Dies ist in der Tat ein außerordentlich wichtiges Zitat und es macht deutlich, dass Unrechtes zu tun, zwar falsches Handeln im Augenblick ist und daher auch geändert werden sollte. Die Freiheit, nichts Unrechtes zu tun und das Rechte im Tun zu verwirklichen, ist im Buddhismus von zentraler Bedeutung. Dies ist eine Frage des Augenblicks. Das Streben nach Vorteil, Ruhm und Gewinn hält jedoch meist das ganze Leben an und steuert das Denken und Handeln der betroffenen Menschen. Es kann nur sehr viel schwerer geändert werden. Man muss es loszulassen und vergessen, damit das Unrechte und Falsche durch das Handeln im Augenblick abgeschüttelt wird, denn im nächsten Augenblick können wir im Einklang mit der Moral des Universums handeln.
Dôgen zitiert als Gegensatz zum oben Gesagten einen leitenden Mönch eines Kloster, den er während seiner Reise in China kennenlernte, der die reine Praxis leider nicht bewahrte sondern ganz anders handelte und den Buddha-Dharma falsch lehrte. Dasselbe galt für die Mönche jenes Klosters, von denen Dôgen sagt:

"Sie waren nur darauf aus, offizielle Gäste zu treffen und ihnen den Hof zu machen, (der leitende) Mönch hatte nicht die geringste Ahnung vom Wesentlichen des Buddha-Dharma, er war nur süchtig nach Ruhm und Gewinn."

Dôgen betont, dass man die Mönche und Schüler auf dem Buddhaweg nicht allein lassen darf, um sich nur den materiellen Einnahmen und scheinbar wichtigen Kontakten zu widmen. Dies sei genau das Gegenteil von der reinen Praxis. Am Ende dieses Kapitels zitiert er noch einmal seinen eigenen Meister:

"Seit meinem neunzehnten Lebensjahr habe ich viele Klöster in allen Regionen Chinas besucht, aber es gab keinen Meister, der die anderen Menschen lehren konnte."

Dies macht deutlich, dass bereits im dreizehnten Jahrhundert der Buddhismus in China an Kraft verloren hatte und im Niedergang begriffen war. Dôgen sagt, dass allein sein eigener Lehrer Tendo Nyojô die wahre Praxis der alten Meister bewahrt und weiter gegeben hat. Er verstand sicher seine eigene Aufgabe so, dass er den wahren Buddhismus nach Japan bringen sollte und damit die Weitergabe bis zum heutigen Tag ermöglichte.
Dôgen beendet dieses spannende und aussagekräftige Kapitel mit folgendem Zitat:

"Ob ihr ein großer oder kleiner Eremit, ein ganzer oder ein halber Mensch seid, ich rate euch unbedingt, die zehntausend Dinge und Angelegenheiten loszulassen und wie die Buddhas und Vorfahren im Dharma die reine Praxis zu bewahren.“

Sonntag, 3. Februar 2008

Start des Dharma Gesprächskreises Berlin am 28.03.2008

Einführung in Dogens Shôbôgenzô

Mario Trinkhaus und ich werden in diesem Jahr einen Gesprächskreis zu zentralen Themen von Meister Dogens großartigem Werk „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ (Shôbôgenzô) starten.
Ich möchte versuchen, bei den jeweiligen Einführungen die oft schwierigen aber äußerst wertvollen Texte verständlich zu erläutern. Dabei sollen neben dem Quellenwerk des Kristkeitz-Verlages auch die im Internet veröffentliche Texte des Blog verwendet werden. Dadurch kann man sich sicher ganz gut vorbereiten. Dies soll dann die Grundlage für eine offene Diskussion mit möglichst vielen Fragen sein.
Für Fortgeschritten und Einsteiger geeignet!

Folgende Termine und Themen gibt es 2008:

28.03 Streben nach der Wahrheit und inneren Freiheit, (Kap. Bendôwa)

16.05. Was ist der umfassende Geist bei Meister Dogen? (Kap. Shin fukatoku u. Soko shin ze butsu)

27.06. Verwirklichung und Gleichgewicht in dieser Welt, (Kap. Genjôkôan)

29. 08 . Dogens Sein-Zeit in unserem jetzigen Leben, (Kap. Uji)

31.10 Das Geheimnis der Buddha-Natur, (Kap. Busshô)

Darüber hinaus sind auch Einzelgespräche möglich.

Antai-an
Raum des Friedens
Veitstraße 44
13507 Berlin-Tegel
bei
Mario Trinkhaus
Tel.: 434 02 838
Mail: info@matri.de

Bitte hier für weitere Informationen anklicken.

Yudo J. Seggelke

Freitag, 1. Februar 2008

Die reine buddhistische Praxis bewahren und sie weitergeben (Teil 2)

„Das Bewahren der reinen Praxis“ und deren Weitergabe an die Schüler und Nachfolger wird von Meister Dôgen im Kapitel 30 (Gyoji) behandelt, das in der großen Ausgabe des Shôbôgenzô aus zwei Teilen besteht und das längste und umfangreichste Kapitel ist.

Nishijima Roshi beim Vortrag
Es ist zwar theoretisch nicht so anspruchsvoll wie die großen Grundlagenkapitel, z. B. „Das verwirklichte Universum“ (Genjô Kôan), „Die Sein-Zeit“ (Uji), „Das Sutra der Berge und
Wasser“ (Sansui gyô) oder „Die Buddhanatur „(Busshô).
Aber es handelt sich um außerordentlich kraftvolle und wichtige Aussagen, die auch für den praktischen Weg des Buddha-Dharma eine große Motivationskraft und Leitbild-Funktion haben. In diesem Kapitel wird Wesentliches zur Geschichte des Buddhismus in Indien und China zusammengefasst, und anhand der historischen Beschreibungen bekommen wir einen lebendigen Einblick in das Leben und die Lehren der großen Meister.
Dôgen legt dabei den größten Wert auf eine umfassende Darstellung, die nicht nur die Lehre und Theorie umfasst, sondern vor allem auch das wirkliche Handeln, also die reine Praxis und deren authentische Weitergabe an die Nachfolger, die den wahren Buddha-Dharma oder wie Dôgen es nennt, "die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges" mit großer Verantwortung für das Echte weitergeben. Dôgen lehnt sowohl die Überbetonung der Theorie und Lehre als auch eine einseitige Zen-Praxis bestimmter Schulen ab, denn auch die bisweilen zu beobachtende Theorie-Feindlichkeit einiger „Zen-Buddhisten“ führt nicht weiter. Beides gehört unbedingt zusammen.
Ohne tief greifende Kenntnisse der buddhistischen Lehre ist es außerordentlich schwierig, den wahren Buddhismus zu erlernen, sodass Meister Dôgen auch eine zu einseitige Koan-Praxis nicht für fruchtbar hält. Bekanntlich reiste er suchend und hoffend nach China, obgleich die Koan-Praxis bereits in Japan angekommen war, um dort den umfassenden Buddha-Dharma kennenzulernen, zu studieren und zu erfahren.

Dôgen hält die Zazen-Praxis des Shikantaza für unverzichtbar auf dem Buddhaweg, und diese reine Praxis war in seiner Zeit zunächst in Japan unbekannt. Es ist sein großes Verdienst, dass er sie bei seinem eigenen Meister Tendô Nyojô von Grund auf erlernte und diese Praxis dann in Japan einführte und z. B. die erste große Zazen-Halle für Shikantaza errichtete. Er verwendet dafür kräftige und poetische Formulierungen:

"Zazen ist das Tor des Friedens und der Freude zum Buddha-Dharma" oder "beim Zazen lässt man Körper und Geist fallen" aber auch "beim Zazen durchstößt man den Himmel."
Es ist unbestritten, dass es zunächst einiger Willenskraft bedarf, um täglich Zazen zu praktizieren, und nicht nur wenn man an einer Sesshin teilnimmt, dort in der Gruppe zusammen sitzt und ein Lehrer oder Meister die Leitung innehat und motiviert. Auch Nishijima Roshi hält die tägliche Praxis für unverzichtbar und empfiehlt uns dringend, zweimal am Tag Zazen zu praktizieren. Nur dann könne man den Zustand des inneren und äußeren Gleichgewichts in seinem Alltag aufrechterhalten, an der kosmischen Kraft von Ruhe und Gelassenheit teilhaben und mit richtigen intuitiven Entscheidungen schnell und ungehindert handeln.
Am Anfang des zweiten Teils dieses Kapitels beschäftigt sich Dôgen ausführlich mit Meister Bodhidharma, der aus Süd-Indien kommend nach China ging, dort die reine Praxis lehrte und an seinen Nachfolger weitergab. Er sagt dazu:

"Bodhidharma kam in ein unbekanntes Land: Gewöhnliche Menschen, die an ihrem Körper und an ihrem Leben hängen, könnten nicht mal einen solchen Gedanken fassen. Es muss allein das Bewahren der reinen Praxis und das daraus entstandene große Mitgefühl gewesen sein, die Bodhidharma veranlasste, den Dharma (in China) weiterzugeben, um alle fühlenden Wesen von ihren Täuschungen zu erlösen."

Nach Dôgens Verständnis gab es damals in China eine verwirrende Diskussion über theoretische Fragen und Probleme des Buddhismus, obgleich umfangreiche Übersetzungen der Sanskrit-Texte ins Chinesische bereits geleistet worden waren. Es mangelte jedoch an der umfassenden Praxis von Körper und Geist, und vor allem war die Zazen-Praxis in China noch unbekannt. Daher war der Buddhismus theorie-lastig und in rituelle Formen eingezwängt, die zwar eigentlich den buddhistischen Sinn vermitteln sollten, die aber häufig durch ihre erstarrte Form genau das Gegenteil erzeugten. Dôgen fährt dann fort:

"Dies war so, weil das Universum der zehn Richtungen die wahre Wirklichkeit ist. Dies war so, weil (Bodhidharma) selbst das große Universum der zehn Richtungen war und weil das ganze Universum der zehn Richtungen das ganze Universum der zehn Richtungen ist."

Hier wird also die wahre buddhistische Lehre und Praxis mit der Wirklichkeit in der Welt und im Universum gleichgesetzt. Buddhismus kann daher auf keinen Fall spekulative Philosophie sein, so interessant und beeindruckend derartige Glasperlenspiele des Verstandes auch sein mögen. Aber häufig führen sie von der Wirklichkeit fort, und wer sich darin verliert und verstrickt, wird nach Gautama Buddha leiden müssen, weil er sich aus den Verstrickungen und Verfilzungen der Täuschungen nicht mehr lösen kann. Der Verstand wirkt also für psychisches Leiden oft wie eine Sackgasse, aus der man sich oft allein nicht befreien kann. Wer will in seiner psychischen Entwicklung schon ohne Notwendigkeit zurückgehen, um an eine frühere Stelle zu gelangen, wo sich die bessere und richtige Alternative eröffnet und wo dann auch ein neuer Lernprozess auf uns wartet? Dies ist für die meisten nicht einfach! Aber "Zen-Geist“ ist „Anfänger-Geist", wie der berühmte Titel des großen Meisters Shunryu Suzuki lautet.

Bodhidharma war der Erbe und Thron-Nachfolger eines großen und reichen Königreiches in Südindien und entschloss sich dessen ungeachtet die lange, gefährliche und aufwendige Reise nach China zu unternehmen, wie ihm dies sein eigener buddhistischer Lehrer geraten hatte. Es wird berichtet, dass er ein verhältnismäßig großes Schiff mit vielen Mönchen zur Verfügung hatte, um nach China zu reisen, eine damals sehr ungewöhnliche und auch gefährliche Fahrt über viele Tausende von Seemeilen bis zum nördlichen China. Er landete im Jahre 523 in einem Hafen nicht weit von Shanghai entfernt und wurde dort vom zuständigen Gouverneur in aller Form empfangen. Dieser meldete dem Kaiser Bu (oft auch Wu genannt) die Ankunft des Meisters, und da sich dieser außerordentlich stark im Buddhismus engagiert hatte, heißt es, dass er hochbeglückt war und Bodhidharma einen Boten als Geleit entgegen sandte.
Dôgen beschreibt dann im Einzelnen das berühmte Gespräch zwischen dem indischen Meister und Kaiser Bu: Dieser fragte:

"Seit ich den Thron bestieg, kann niemand die Klöster zählen, die ich errichten, die Sutra, die ich kopieren, und die Menschen, die ich Priester werden ließ. Welche Verdienste habe ich damit gewonnen?"
Bodhidharma
antwortete mutig und kurz in seiner ehrlichen Art: "Nicht das geringste Verdienst."
Der Kaiser war natürlich verblüfft und fragte weiter:

"Weshalb sind damit keine Verdienste gewonnen?"

Wir können annehmen, dass der Kaiser damals an eine recht vereinfachte Form der Karma-Lehre glaubte, dass man nämlich durch gute Taten besonders gutes Karma anhäufen kann, sodass man eine ausgezeichnete Wiedergeburt im nächsten Leben erlangt oder vielleicht sogar schon direkt ins Nirwana eingehen kann. Der Meister sagte aber unverblümt:

"All dies sind nur die unbedeutenden Resultate der Menschen und Götter, die das Überflüssige erzeugen. Sie sind wie Schatten, die den Erscheinungen folgen. Obwohl sie existieren, sind sie nicht wirklich."

Dieses Gespräch zeigt, dass sich hier zwei bedeutende Menschen ihrer Zeit begegnen, die auf ganz unterschiedlichen Ebenen denken, handeln und reden. Bodhidharma stammte aus einem reichen Königshaus, das dem Kaiser Bu sicher durchaus ebenbürtig war, wenn man überhaupt einen solchen Vergleich heranziehen will. Aber er hatte die Welt des äußeren Glanzes, der Macht und des Reichtums verlassen und kam als einfacher Buddhist an den Hof des chinesischen Kaisers. Er wollte dort den wahren Buddhismus und die reine Praxis lehren und hatte die lange und beschwerliche Reise sicher nicht auf sich genommen, um sich bei Kaiser Bu in einen spekulativen Small Talk einzulassen. Dieser ließ jedoch nicht locker und war sicher ein gebildeter Mann, sodass er weiter fragte:

"Was ist wahres Verdienst?" Bodhidharma antwortete:
"Die reine Weisheit, die wunderbar und vollkommen ist. Ein Körper, der aus sich selbst heraus leer und ruhig ist. Ein solches Verdienst ist jenseits dieser (materiellen) Welt."

Sicher konnte Kaiser Bu mit diesen Aussagen überhaupt nichts anfangen und musste seinen ersten Anlauf für ein interessantes und anregendes Gespräch mit dem großen Meister aus Indien wohl abschreiben. Aber er setzte ein zweites Mal an und fragte:

"Welche ist die höchste aller heiligen Wahrheiten?" Bodhidharma antwortete:
"Sie ist strahlend, offenkundig und nicht heilig."

Er wollte sicher damit ausdrücken, dass der Buddhismus die Wirklichkeit selbst ist, während der Zusatz "heilig" von den Menschen vergeben wird und eine Idee ist, die das Wesentliche der Wirklichkeit oft verschleiert und zu schwärmerischen Idealisierungen führt.
Kaiser Bu versuchte es noch ein drittes Mal und fragte:

"Wer (aber) ist der Mensch, der vor mir steht?", und der Meister antwortete:
"Ich weiß es nicht."
Dôgen
schließt dieses Gespräch in seinen eigenen Worten ab:

"Der Kaiser konnte (das Ganze) nicht verstehen und der Meister wusste, dass die Zeit noch nicht reif war."

Dieses berühmte Gespräch wirft ein helles Licht auf den Buddhismus des Jahres 523 in China, bevor Bodhidharma dort die reine Praxis lehren konnte. Es waren zwar bereits sehr umfangreiche Übersetzungsarbeiten geleistet worden und es gab viele Klöster mit Mönchen und Äbten, die übrigens damals vom Kaiser selbst eingesetzt wurden. Der Kaiser Bu war sicher an der buddhistischen Lehre sehr interessiert, hatte eine erhebliche Vorfreude auf die Begegnung mit dem großen indischen Meister gehabt, aber das Gespräch ging dann gründlich daneben. Bodhidharma hat dabei außerordentlich großen Mut bewiesen, überhaupt vor Kaisers Thron offen und unmissverständlich zu reden, obgleich dies dem Kaiser sicher überhaupt nicht gefallen konnte und dieser es sicher nicht gewohnt war, ein offenes Gespräch zu führen. Er war wohl hauptsächlich von Schmeichlern und Ja-Sagern umgeben, denen ihre eigene Karriere und ihr eigenes Leben wichtiger waren als ein direkter ehrlicher Dialog.

Es wird berichtet, dass Meister Bodhidharma dann heimlich den Kaiserhof und die Hauptstadt verließ, sicher auch, weil er um sein Leben fürchten musste. Er wanderte dann weiter in nördliche Richtung in das Reich der Wei-Dynastie und fand im Kloster Shorin Unterkunft, wo er seine Zazen-Praxis unbeirrt, ruhig und kraftvoll fortsetzte.
Es wird berichtet, dass er verleumdet wurde, und dass man ihm nach dem Leben trachtete und ihn vergiften wollte. Dôgen führt hierbei einen Übersetzer indischer Herkunft als potentiellen Mörder an, der etwa zwanzig Jahre früher nach China gekommen war und der offensichtlich fürchtete, dass Bodhidharma seinen Ruhm schmälern könnte. Vielleicht würde er sogar auf Übersetzungsfehler aufmerksam machen Dieser Übersetzer hatte auch nicht die Dharmaübertragung erhalten und war daher selbst kein Meister in einer authentischen Übertragungslinie wie Bodhidharma. Wie einseitige Theorie-Lehrer des Buddhismus können Übersetzer zwar durch ihre Sprachkenntnisse eine Übertragung in eine fremde Sprache leisten, aber wenn sie nicht Teil der reinen Praxis sind, muss ihnen der wahre Inhalt verborgen bleiben. Damit wird auch sicher ein mögliches Problem des Westens bei buddhistischen Übersetzungen angesprochen. Es ist verständlich, dass die Übersetzer dann fürchten müssen, ihr Ansehen und ihren Ruhm zu verlieren, wenn sie in Konkurrenz zu einem echten Meister stehen.

Dôgen führt außerdem einen chinesischen „Lehrer der Gebote“ als weiteren potentiellen Mörder von Bodhidharma an, denn auch dieser soll versucht haben, ihn zu vergiften und damit auszuschalten. Wir können daraus schließen, dass sich damals in China bereits ein umfangreiches Regelwerk mit vielen Geboten und Festlegungen entwickelt hatte und dass es erhebliche formale Vorschriften für Abläufe und Verhaltensweisen gab, die für die Mönche bindend waren und bei Verletzung schwere Strafen nach sich zogen. Ein Spezialist auf diesem Gebiet der formalen Gebote muss sicher ebenfalls den wahren Meister fürchten, weil er die Gebote und Texte für das buddhistischen Verhalten zwar überwacht, aber deren tiefen Sinn und Moral in seinem eigenen Leben und Beruf überhaupt nicht verwirklichen kann.
Auch hier drängt sich ein Vergleich mit der Gegenwart auf: Manche verwechseln formale Vorschriften des Zen-Buddhismus und auch anderer buddhistische Traditionen mit dem wirklichen Inhalt des Buddha-Dharma. Derartige Gebote haben sicher die Funktion, den Buddhaweg zu stützen und der Lehre eine äußere Form zu geben. Aber sie sind in Gefahr, sich zu verselbstständigen und nicht zuletzt dazu benutzt zu werden, um andere bei Regelverstößen zu erwischen, um sie dann bloßzustellen und möglichst auch zu bestrafen.
Nach Dôgen kann es keinen Gegensatz von Form und Inhalt geben, sodass das buddhistische Handeln mit Verständnis, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Sanftheit maßgeblich ist und in seiner Bedeutung wesentlich höher eingestuft werden muss als formale Vorschriften und deren Beachtung. Der Buddhismus ist positiv, lebensbejahend, friedlich und wirklichkeitsbezogen, wie Nishijima Roshi immer wieder betont, und dies darf auch nicht bei Formvorschriften und Regeln für das richtige Verhalten beiseite gelassen werden.

Ein wahrer Meister wie Bodhidharma musste sich also leider den Verleumdungen des Übersetzers und des Gebote-Lehrers aussetzen und sogar um sein Leben fürchten, weil beide Rollenträger einen wahren Meister als gefährlichen Konkurrenten einstuften, den sie unbedingt auszuschalten wollten. Es wird berichtet, dass Bodhidharma sich auf derartige Konkurrenzkämpfe überhaupt nicht einließ, sondern die beiden Herren zwar freundlich behandelte, aber gab sich keinen Illusionen hin, was diese im Schilde führten. So setzte er unbeeindruckt seine Zazen-Praxis fort, weil er wusste, dass es von größter Bedeutung war, sein eigenes inneres und äußeres Gleichgewicht zu behalten, um überhaupt den wahren Dharma und die reine Praxis in China lehren zu können.

Meister Dôgen betont dann die außerordentlich große Bedeutung der Arbeit von Bodhidharma in China und äußert seine tiefe Dankbarkeit, denn ohne diesen wäre die buddhistische Praxis überhaupt nicht nach Ostasien gekommen und hätte auch ihn selbst nicht erreicht. Er sagt:

"Wenn der erste Vorfahre im Dharma (in China) nicht vom Westen gekommen wäre, wie hätten die Menschen der Länder im Osten den authentischen Buddha-Dharma sonst sehen und hören können? Sie hätten sich nur nutzlos mit den Namen und Formen von Sandkörnern und Steinen befasst. Jetzt können sogar (die Menschen) in unserem weit abgelegenen Land (Japan), die sich in Felle kleiden und Hörner auf dem Kopf tragen, den wahren Dharma hören ... Dass wir alle erlöst wurden, ist einzig dem Bewahren der reinen Praxis unseres großen Vorfahren zu verdanken, der den Ozean überquerte."
Er sagte weiter:
"(China) war nicht der Ort, wohin ein großer Heiliger, der den Schatz des Dharma empfangen und bewahrt hatte, gehen würde, es sei denn, er besäße die Kraft großer Beharrlichkeit und unendlicher Güte."

Dôgen lehnt dann wieder den Begriff "Zen"als Unterscheidung von einem "anderen Buddhismus" ab, da es sich hierbei nicht um eine buddhistische Schule handelt, wie er überhaupt die Aufsplitterung in verschiedene Schulen grundsätzlich ablehnte und vor den Folgen der gegenseitigen Abgrenzung und Ideologisierung warnte. Für ihn gab es nur einen einzigen Buddha-Dharma, nämlich die
„Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, die authentisch von einem Buddha zum anderen und von einem Nachfolger zum nächsten übertragen worden ist."

Ohne Meister Bodhidharma wäre der wahre Buddhismus nicht in Ostasien, also in China, Korea und Japan, angekommen und hätte auch uns im Westen nicht von dort erreicht.