In seinem Werk Shôbôgenzô schildert Dôgen in dem
umfassenden und außerordentlich tiefgründigen Kapitel über die Buddha-Natur
seine eigenen Erfahrungen als Suchender, der sich mit vordergründigen
Argumenten und theoretischen Ratschlägen nicht zufriedengeben konnte.
Um die Lehre und die
Schriften Dôgens verstehen zu können, ist es wichtig, seine Grundlagen zumindest
in den zentralen Punkten, die der Schlüssel zu seinem gesamten Lebenswerk sind,
zu kennen. Diese Grundlagen werden von G.
W. Nishijima so entschlüsselt,
dass Dôgens Aussagen wesentlich durch seinen Ansatz der Vier Lebensphilosophien, die verschiedene Dimensionen des Zugangs
zur Wahrheit und Wirklichkeit sind:
Materielle Sichtweise,
ideelle und idealistische Sichtweise,
Handeln und Organisation und
viertens die Erleuchtung,
also die höchste Lebensform des
Menschen.
Eine übersichtliche
Beschreibung verschiedener buddhistischer Schulen findet der Leser in dem Band
des Buddhistischen Studienverlags zum
Thema „Buddha-Natur“[i].
Die Lehre und das
Verständnis der Buddha-Natur im tibetischen Buddhismus ist eng mit dem Glauben
an die Wiedergeburt verbunden. Im Zen des Handelns
im Hier und Jetzt hat die zukünftige
Reinkarnation nach meinem Verständnis dagegen eine geringere Bedeutung.
Gleichwohl wäre eine Gegenüberstellung mit Dôgens Ausführungen sicher
außerordentlich spannend.
Der Dalai Lama hat seine Lehre über die Buddha-Natur in einem kleinen
Buch[ii] in
Form von Fragen niedergelegt, und Ringu
Tulku Rinpoche äußert sich kurz dazu in einem Video von YouTube, ohne
allerdings Einzelheiten zu erläutern und zu kommentieren.
Mein Eindruck ist, dass die
Erfahrungen und Lehren zur Buddha-Natur im Zen-Buddhismus und im tibetischen
Buddhismus sich zwar in bestimmten Bereichen decken, aber in anderen nicht
unwesentlich voneinander abweichen.
Gemeinsam ist ihnen die
Ablehnung des âtman aus der alten
indischen Tradition (z.B. den Upanishaden),
also eines absolut konstanten Seelen- und Wesenskerns des Menschen, der
unverändert durch die Wiedergeburten wandert und sich schließlich als
Individualität im Nirvâna auflöst und auf diese Weise mit Brahman vereinigt und
verschmilzt.[iii]
Eine vertiefte Analyse der Buddha-Natur im tibetischen Buddhismus und im Zen bei
Dôgen muss allerdings einer späteren Arbeit vorbehalten bleiben.
Stephen Batchelor bezeichnet in seinem Buch zu Nâgârjunas Philosophie des
Mittleren Weges, MMK, das Kapitel zum Tathâgata als Buddha-Natur und
unterstreicht damit deren fundamentale Bedeutung für den Buddhismus.[iv]
Ich halte Dôgens Texte zur
Buddha-Natur für außerordentlich ergiebig und von großem Nutzen für unser
Leben, allerdings nicht gerade einfach zu verstehen. Genau dort möchte ich
ansetzen: bei möglichst guter Verständlichkeit nicht zu vereinfachen oder zu
verbiegen und nicht hinzu zu fantasieren.
[i] Wachs, Marianne (Hrsg.): Buddha-Natur,
Themenschwerpunkt. In: Form ist Leere – Leere Form
[ii] Dalai
Lama: Die Buddha-Natur. Tod und
Unsterblichkeit im Buddhismus
[iii] Seele, Katrin: „Das bist Du!“ „Das Selbst“ (âtman)
und das „Andere“ in der Philosophie der frühen Upanisaden und bei Buddha
[iv] Batchelor, Stephen: Nagarjuna: Verse aus der Mitte,
Kapitel 22, S. 126 f.