Mittwoch, 29. Januar 2020

ZEN-Bogenschießen und die fließende Energie Chi


Kalligraphie Buddha-Mind.


Kürzlich hatte ich ein klares Erlebnis der fließenden und befreienden Energie Chi (japanisch Ki) beim Bogenschießen auf La Gomera. Diese Energie wird beim Kyudo fließend aufgebaut, gesammelt  und entlädt sich kraftvoll im Jetzt beim Schuss.

Sie entlässt den Pfeil zum Fliegen und wir fühlen uns befreit und happy: fließender Aufbau der Spannung, klares Halten im Chi und Loslassen! Wow!! Entspannung, Glückswellen, Klarheit. 

Neben unserer kleinen Hütte habe ich mir dort eine verkürzte Schießbahn zum Kyudo eingerichtet. Nach Eugen Herrigel ist Kyudo die wirkungsvolle Praxis dieser Zen-Kunst. 

Der Begriff Chi kommt bekanntlich bei Tai Chi und Chi Gong vor, beides Übungen aus China zur nachhaltigen Verbesserung der Lebens-Energie, Verlängerung des Lebens, Vorsorge gegen Demenz und insgesamt besserer Beweglichkeit, sei es geistig, psychisch und körperlich. Das ist eben das ganze Zusammenwirken des Menschen durch Befreiung von Blockaden und Stauungen: Gutes Fließen unserer Lebens-Energie kommt mit Chi zu uns und verstärkt sich. So wirken die Chi-Energie und unser im ganzen Körper vernetztes Faszien-System dynamisch zusammen.

Übrigens beruht die Heilmethode der Osteopatie wesentlich auf der Lehre des Chi, der chinesischen Medizin und dem Faszien-System. Sie wird ergänzt durch die moderne westliche Wissenschaft. Es geht darum, den aufgestauten und unterbrochenen Chi-Fluss wieder in Gang zu setzen oder den erschöpften Energiefluss zu aktivieren und zu verstärken. Solche Behandlungen durch erfahrene Therapeuten können wahre Wunder bewirken.

Ich bin sicher, dass dieses Fließen von Chi  eine zentrale Praxis gerade des Chan- und Zen-Buddhismus ist und bei der verschiedenen Übungen sehr gut trainiert wird. Denn die alte chinesische Praxis und Weisheit hat sich bekanntlich mit dem Buddhismus verbunden und ihn sehr wirkungsvoll zur Blüte gebracht. Ich verstehe auch das gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung (pratitya samutpada) Buddhas als Verwirklichung einer solchen spirituellen kräftig fließenden Energie. 

Damit werden die quälenden "spirituellen Krankheiten" von Materialismus, Dualismus, Aktionismus, Ideologien, Zynismus, Nihilismus, Extremismus, abstrakter Verkopfung und anderen menschlicher Verarmungen zur Ruhe gebracht und ausgeschaltet. Denn wie wissenschaftlich erwiesen, ist Spiritualität beim Menschen natürlich und genetisch vorgeprägt: Aber wie bringen wir sie zur Entfaltung? Dabei kann japanisches Bogenschießen tatsächlich helfen!

Ist die Zazen-Praxis nicht wie ein buddhistisches Tai Chi ohne äußere Bewegung? Überwindet dieses Sitzen nicht die Blockaden des inneren Chi-Flusses? Wie Meister Dogen und Nishijima sagen: "Nichts als Sitzen", das ist der freie Fluss des Nicht-Denkens ohne Stress, Unruhe und sonstige Fixierungen. Sie fügen hinzu: "Zazen ist kein Konzentrations-Zen".

Bei der Praxis des Rinzai-Zen  ist das Wirken der heilenden Chi-Energie genauso überzeugend: Während der Arbeit am Koan wird Chi-Energie aufgebaut und mit zunehmendem Energie-Fluss gesammelt. Wenn Chi die notwendige Schwelle erreicht hat, lösen sich die menschliche Blockaden plötzlich auf und Klarheit durchströmt uns. Isolierte Geistes-Schulung reicht eben nicht. Solches Erleben hat sehr große Ähnlichkeit mit dem japanischen Bogenschießen!

Das Chi-Erlebnis war für mich wie eine Erfahrung des Mysteriums der Buddha-Natur, die nach Dogen niemals als Entität oder Substanz verwirklicht werden kann: Und sicher nicht durch den grübelnden, denkenden oder arroganten Geist allein. Auch philosophische Intellektualität führt nicht weiter, genau so wenig wie nur das Auswendig-Lernen buddhistischer Texte. Wo soll sich dabei denn der ganzheitliche Fluss von Chi entwickeln?
Man sollte diesen Energie-Fluss im Gleichgewicht und in Harmonie selbst erleben! Im Westen spricht man auch von Flow.
Ich möchte auf ein ausgezeichnetes neues Buch zum Kyudo hinweisen: Neméth,R.: Kyudo im Wandel.

Zum Video: Erwachen und Bogenschießen

Für Spezialisten: Vertiefung zur Energie der Mitte

Die Hütte auf La Gomera, Januar 2020. Bitte Anklicken zum Vergrößern




Montag, 6. Januar 2020

Erwachen und Gehirnforschung


Das Erwachen im Buddhismus wird manchmal so erklärt, als ob man aus dem nächtlichen ´ungeistigen´ Schlaf der Nacht aufwacht und dass der Geist erst dann zum Bewusstsein erwacht und Wichtiges beitragen könne. Der Geist sei also beim Schlafen wie ohnmächtig oder tot oder würde erst danach aus irrealen Träumen aufwachen. Der Geist könne im Schlaf also nichts Sinnvolles beitragen. Das ist nach verlässlichen Ergebnissen der Gehirnforschung ganz falsch!

Denn unser Gehirn ist im Schlaf hoch aktiv und leistet Großartiges: Es ordnet zum Beispiel neue Informationen des Tages in das bereits vorhandenen Wissen und Können ein und arbeitet daran, unvernetzte Einzelheiten zu einem harmonischen Ganzen zusammen zu fügen. Dazu vernetzt sich das Kurzzeit-Gedächtnis mit unserem ganzen Gehirn und Geist und zwar sehr dynamisch gerade in der Schlafphase. Und dabei stört uns im Schlaf kein willentliches oder doktrinäres Denken! Das unbewusste Wissen ist oft klüger, vernünftiger und umfassender als das intellektuelle bewusste Wissen. Davon kann also das Bewusstsein lernen. Das ist meines Erachtens ein sehr wichtiger Beitrag zur buddhistischen Leerheit: Sich gut und positiv entwickeln ohne Doktrinen, Vorurteile oder sonstige Hemmnisse. Der Schlaf ist also von Natur aus klug und von großer Wirksamkeit für das Erwachen. Hättest Du das gedacht? Wir sollten aber erwachen aus den unnatürlichen Ideologien, Vorurteilen, Verzerrungen und Illusionen, die durch Gier, Hass, Eitelkeit und Ego-Stress getrieben werden.  

Die buddhistische Weisheiten und Übungen entwickeln positiv und verlässlich unser Bewusstes, Nicht-Bewusstes und deren Wechselwirkung als Ganzheit. Dadurch kann sich das Wahre Ich befreien und wir verwirklichen gute neue Lebensbereiche der Freude, des Friedens, des Gleichgewichtes und neuer Lebens-Energien, wahrscheinlich also des Großen Friedens. Das kann ich durch die Erfahrung meines eigenen Lebens bestätigen. 

Und wir wissen recht genau, dass bewusstes Denken, Planen, Erinnern, Handeln usw. im sogenannten Frontal-Hirn nur ein sehr kleiner Teil des gesamten Gehirns und Geistes ist: Das Verhältnis von Bewusstem zu Nicht-Bewusstem ist etwa eins zu zweihundert tausend. Das heißt, dass wir wichtige Zusammenhänge, wichtiges Wissen und wichtige Fähigkeiten nur in Wechselwirkung von Bewusstem und Nicht-Bewusstem erkennen und verbessern können. Nur so können wir uns wirklich heilsam entwickeln. Das ist der große intuitive Geist des Zen: Denken auch aus dem nicht bewussten Denken. Und diese Klarheit kann und sollte geübt und trainiert werden.

Was sagt dazu mein Lehrer Zen-Meister Nishijima? Er verwendet den Begriff Intuition für diese wichtige geistige und psychische Tatsache. Intuitive Klarheit entwickelt man vor allem bei der Zazen-Meditation und bei stressfreiem gesundem Schlaf. Meister Dogen sagt also: "Zazen ist Denken aus dem Nicht-Denken". Das ist unser großer umfassender Geist. Er hat viel mehr Möglichkeiten und Potentiale als die meisten Menschen glauben.

Intellektuelles Denken und Zwangs-Gedanken verhindern klares intuitives Denken und Begreifen wichtiger Lebens-Zusammenhänge - und die zusammen-wirkende Ursachen. Daher ist die dringende Bitte an unser eigenes verengtes, doktrinäres Denken:

"Bitte störe mich nicht auf dem Weg zur Klarheit meines Lebens".

Aber das ist keine grundsätzliche Ablehnung des Denkens, sondern eine fundamentale und notwendige Erweiterung des Denkens auf dem Weg des Erwachens und damit des Lebens-Glücks.

Bestimmte Probleme und damit verbundenes Leiden werden wir immer mal wieder erleben und erfahren. Sie können leichter gelöst werden, als man glaubt, solange man im Teufelskreis des verengten Denkens gefangen ist. Man kann den Teufelskreis verlassen. Grübeln ist Zeitverschwendung! Und es geht im Zen um das Handeln. Intuitives klares Wissen und Können der Praxis ermöglicht nach Buddha ein gutes Leben, so dass sich unnötiges Leiden auflöst und zur Ruhe kommt. Ideologien, Vorurteile und vor allem Gier und Hass verhindern dieses intuitive umfassende Können und Wissen. Diese Ideologien machen unfrei und sind typisch für Verblendung und damit für Schmerzen und Leiden.

Zurück zum Aufwachen am Morgen: In solchen Augenblicken gibt es oft klare wirksame Lösungen für psychisch verknotete und komplexe Probleme. Das hast Du sicher auch schon erlebt! Ähnliches gilt für die Zazen-Meditation, sie löst verknotete Gefühle und Gedanken. So können gute Lösungen in unserem Leben in der Wechselwirkung von Bewusstem und Nicht-Bewusstem (pratitya samutpada) reifen und ganz neue Klarheit bringen. Aber bitte keine Hektik, keinen Stress, kein sinnlich übertriebenes Wollen, kein Übel-Wollen, keine Trägheit und keine Zweifelsucht. Das sind zusammen mit dem Intellektualismus die Hemmnisse auf dem Weg des Erwachens, wie Buddha in aller Klarheit erkannte.[1] Solche Hemmnisse verhindern ein erfülltes Leben und erzeugen Leiden. Sie sind völlig überflüssig.

English translation

Vertiefung für Interessierte



[1] Gäng, Peter: Meditationstexte des Pali-Buddhismus I, S.39 f.

Donnerstag, 2. Januar 2020

Was ist Erleuchtung?

(Von Nishijima Roshi, Übersetzung: Yudo Seggelke Roshi)

Erleuchtung ist die reale Erfahrung, dass wir genau hier und jetzt in der wirklichen
Welt leben, die sich grundsätzlich von unserem Denken und von der Sinneswahrnehmung unterscheidet und beides weit übersteigt.[1] Es ist eigentlich eine einfache Tatsache, dass wir genau in dieser Wirklichkeit des gegenwärtigen Augenblicks leben. Vor etwa 2.500 Jahren fand Gautama Buddha diese Tatsache und lehrte sie vielen Menschen, welche die Wahrheit ernsthaft studieren und erlangen wollten. Sie strengten sich sehr an, um diese Wahrheit direkt zu erfahren. Solche menschlichen Anstrengungen wurden in den vielen Jahrhunderten seit jener Zeit vielfach unternommen. Sie sind unauflösbar mit der Zazen-Praxis des Buddhismus verbunden, da diese eine enorme Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit auszeichnet, die Menschen zur Wahrheit und zum Glück zu führen.

Die Arten der Erleuchtung
Seit jeher kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen um verschiedene Arten der Erleuchtung, nämlich einerseits um die plötzliche Erleuchtung, japanisch Ton-go, und andererseits die allmähliche Erleuchtung, japanisch Zen-go. Der Begriff Ton-go bedeutet, dass plötzlich eines Tages die Erleuchtung erscheint, wenn wir fortgesetzt und über eine ziemlich lange Zeit Zazen praktiziert haben. Ton heißt „schnell“ und go „Erleuchtung“. Im Gegensatz dazu bedeutet bei dem japanischen Wort Zen-go der Begriff Zen „allmählich“. Zen-go steht also für eine allmähliche Erleuchtung. Meister Dogen bestätigte sowohl Ton-go als auch Zen-go.

Verschmelzung der plötzlichen und allmählichen Erleuchtung
Nachdem ich diese Theorie der Erleuchtung gefunden hatte und sie sich immer wieder als richtig erwies, entwickelte sich bei mir durch die Praxis des Zazen Schritt für Schritt ein Verständnis der verschiedenen buddhistischen philosophischen Fragen und Probleme und schließlich erreichte ich das meines Erachtens vollständige Verständnis der buddhistischen Lehre. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass es für mich ohne die Einsicht in den klaren Zusammenhang von buddhistischer Erleuchtung und dem Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems nicht möglich gewesen wäre, die umfassende Bedeutung der buddhistischen Lehre und Philosophie als Gesamtsystem überhaupt zu verstehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich sonst niemals die höchste Bedeutung des Buddhismus überhaupt erfahren hätte.
Der Kernpunkt der Kontroverse zwischen den Anhängern der plötzlichen Erleuchtung (Ton-go) und der allmählichen Erleuchtung (Zen-go) kann nun geklärt und damit dieses Problem gelöst werden. Wir bauen dabei auf der Theorie des Zazen auf, nach der die erste Erleuchtung genau und unmittelbar das Gleichgewicht im Zazen und des vegetativen Nervensystems ist.

Zazen und die Lebensphilosophie des Handelns
Wenn wir die theoretische Seite des Zazen erklären wollen, stoßen wir auf ein bestimmtes Problem, das wir zuerst angehen sollten. Zazen kann nämlich auf keinen Fall in den Bereich des Denkens und der gedanklichen Überlegungen eingeordnet und auch nicht der Sinneswahrnehmung zugerechnet werden. Zazen gehört tatsächlich in den Bereich des Handelns im Hier und Jetzt. Wir sollten bei der buddhistischen Theorie im Wesentlichen dem Grundsatz der vier Lebensphilosophien folgen: Idealismus, Materialismus, Handeln und die Wirklichkeit selbst. Diese vier Lebensphilosophien kann man wiederum in zwei Gruppen gliedern, sodass wir auf der einen Seite den Idealismus und Materialismus haben und auf der anderen Seite das Handeln und die Wirklichkeit selbst. Dabei sind Idealismus und Materialismus in der europäischen und amerikanischen Kultur weit verbreitet, denn beide philosophische Richtungen und Weltanschauungen sind seit der antiken griechisch-römischen Kultur im Westen immer weiterentwickelt worden.

Das wirkliche Handeln kann niemals in der Vergangenheit stattfinden und es kann auch niemals in der Zukunft liegen, sondern das wirkliche Handeln geschieht nur genau hier im jetzigen Augenblick. Dagegen ist die Vergangenheit nur Erinnerung und die Zukunft nur gedachte Erwartung. Eine solche wirkliche Zeit der Gegenwart ist Grundlage des Handelns im gegenwärtigen Augenblick.

Deshalb sagte einer alter Meister: "Erleuchtung ist Feuerholz tragen und Wasser schöpfen!"

Weiterlesen für besonders Interessierte: vollständiger Text 








[1] Nishijima, G. W. : Aus meinem Leben. Wirklichkeit und Buddhismus