Sonntag, 30. Mai 2021

Dein verwirklichtes Leben!

Nishijima Roshi
 

Dogen beschreibt seine eigene Erfahrung des Erwachens und der Erleuchtung, die er in China erlebte. Vorher, in Japan, konnte er trotzt intensivster Bemühung, besonders in der Theorie, dabei nicht weiter kommen, vermutlich weil er so ehrlich zu sich selbst war. In seinem berühmten Werk Shobogenzo beschreibt er in seiner mächtigen Sprache dann die Befreiung und das Erwachens aus dem kleinem Ich und aus der Pseudo-Wirklichkeit. Denn es geht um die selbst erlebte Wahrheit, zusammen mit seinem wahren Meister.

"Buddhas Wahrheit zu erlernen ist sich selbst zu erlernen. Sich selbst zu erlernen ist sich selbst zu vergessen. Sich zu vergessen ist von unzähligen Dharmas erfahren zu werden, (also von den Dingen und Phänomenen der Welt). Von den unzähligen Dharmas erfahren zu werden ist unseren Körper und Geist fallen zu lassen, genau so wie den Körper und Geist der externen Welt"

Das sind für mich Worte wie Hammerschläge der großen Wahrheit. Das ist ZEN ohne Wenn und Aber von jemandem, der nicht abschreibt, sondern selbst erfahren und erlebt hat, was er schreibt. Das sind Wahrheiten, die wir im Westen so dringend brauchen, im Westen mit abgegriffenem Medien-Sprech, mit populistischen digitalen Netzen, mit Horror-Videos und dem geheuchelten Glück der Werbung.

Was sagt uns Dogen? Ist diese berühmte Kurzfassung der Erleuchtung nicht paradox und in sich widersprüchlich? Nein, ganz im Gegenteil! Dogen spricht von zwei verschiedenen Welten, einer der normalen Seichtigkeit und einer des Erwachens, also dessen Klarheit, Freude und des Glücks.

Denn wir müssen unser altes kleines unselbständiges Ich durch Buddhas Praxis und Erfahrung zur Ruhe kommen lassen, also vergessen. Dann sind wir offen für die großen Wahrheit. Sie gibt uns das wahre Glück, von der die Werbung nur lügt. Dann sind wir offen für die wunderbare Wirklichkeit der Dinge und Phänomene unseres Lebens, also unserer Familie, unserer Freunde, unseres Berufs und der Natur.

Eine solche Erleuchtung sei nicht immer bewusst, sagt Dogen. Denn der Intellekt und das eigene alte Bewusstsein sind zu begrenzt für Buddhas große Wahrheit, die wir selbst verwirklichen. Der Erwachte vergisst vielleicht sogar die Erinnerungen und Spuren daran. Aber die Wirkung dieser "vergessenen Spuren" der Freiheit ist für uns und andere eine "lange, lange" Zeit wirksam.

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Dienstag, 18. Mai 2021

Öffne das Tor zur Wahrheit deines Selbst

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Dogen beginnt das erste Kapitel seines berühmten Werkes Shobogenzo mit Zen-Worten, die wie die Schläge einer Glocke im Jetzt wiederhallen und weit in Raum und Zeit tragen:

"Wenn die Buddhas den höchsten Zustand der Wahrheit erfahren und wirklich erleben, sind sie im Besitz des Höchsten, das ohne unheilsame Absicht ist".[1]

Dogen spricht die wirklich erleuchtete Meister der großen und authentischen Übertragungslinien häufig als Buddhas an. Warum? Weil sie dem historischen Buddha gleichkommen. Sie wussten, dass jeder Mensch diese höchste Form des Lebens verwirklichen kann. Also auch Du und ich.

Die Methode ist die Meditations-Praxis des Zazen, wenn Körper, Geist und Gefühle zur Ruhe kommen oder "fallen gelassen" werden, wie Dogen sagt. Dann verschwinden unheilsame Dogmen und Vorurteile genau wie Zwangs-Gefühle und Zwangs-Gedanken. Auch das tägliche oberflächliche geistige Geplapper verschwindet natürlich und fast von selbst. Wir leeren uns von den drei Giften Gier, Hass und Verblendung. Wir lassen den Glauben an Pseudo-Substanzen verschwinden. Und wir sind frei von Verkrampfungen, Wiederholungs-Zwängen und heiligem Getue. Wie Meister Bodhidharma zum chinesischen Kaiser sagte: "Nichts von heilig, leere Weite" und dann kommt die ganze wunderbare Fülle des Lebens zu uns!

"Diese einzigartige Methode ist Samadhi und Zazen, wenn wir das Selbst empfangen und es als unser Leben benutzen".


Welches Selbst ist gemeint? Sicher nicht der dogmatisierte âtman, nicht das aufgeblasene Ego und auch nicht das jammernde Mini-Ich. Und schon gar nicht ein fantasiertes Nichts. Gemeint ist das Selbst der Zazen-Methode, einfach sitzen, weder grübeln noch von Gefühlen überwältigt sein. Einfach in der authentischen Sitzhaltung sitzen, mit geradem und aufrechtem Rücken. Genau so kannst du die Sperren wegräumen.

Öffne jetzt die Tür zu deinem wahren Selbst, aufmachen für die ganze Fülle des Lebens!

Hört sich das wie ein Wunder an? Ja, und ich bin nach 50 Jahren Zazen-Praxist fest davon überzeugt: Es ist ein Wunder, das wir wirklich erfahren und erleben. Ein Selbst das unabhängig und voll Empathie sein kann. Ein Selbst, das auch den Kampf-Modus in unsere Welt auspacken und wieder einpacken kann, wenn es sein muss.

Auch wenn wir diese Wirklichkeit nicht logisch restlos erklären können. Wozu auch, wenn es tatsächlich wirkt und funktioniert. Das ist das authentische Tor Buddhas zum Frieden und zur Freude. Nach Nagarjuna ist die Leerheit von Gier, Hass und Verblendung, also von Dogmen und Nichtwissen, genau der Türöffner zum Befreiungs-Weg.

Wie öffnet sich dieses Tor? Einfach jeden Tag Zazen praktizieren, morgens und abends 10 Minuten oder auch mehr. Die positive Wirkung ist garantiert. Mein Lehrer Nishijima nannte es die Erste Erleuchtung und er hat recht. Ich bin übrigens überzeugt, dass dabei auch das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet wird und unser Gehirn flutet.

Dogen weiter: "Diese große Wahrheit ist im Überfluss in den Menschen vorhanden". Aber sie bleibt unsichtbar, wenn wir nicht praktizieren und sie nicht erfahren. Diese Wahrheit kann dann nicht verwirklich und erlebt werden.


Authentische Zazen-Meditation

[1] Dogen, Shobogenzo, englische Fassung von Nishijima S. 1, deutsche Fassung von mir


Samstag, 1. Mai 2021

Die Sieben tiefen Weisheiten deiner Mitte

 

Die zentrale Botschaft des Mittlerer Weges, MMK, lautet: Das dynamisches lebendige Ganze und die wahre Mitte des Menschen sind nicht zu trennen. Buddha und Nagarjuna bezeichnen dieses Ganze als gemeinsames Entstehen in Wechselwirkung, das im Gleichgewicht ist.. Dabei geht es besonders um verbundenen Funktionen der lebenden Netze und deren Teilsysteme, wie die Neurowissenschaften und Ökologie verlässlich sagen. Oder anders ausgedrückt: der Mensch ist ein selbst lernendes interaktives System. Übrigens sind die modernen sozialen digitalen  Netze unserem Neuro-Netz nachgebildet. Sie sind also selbst-lernend und deshalb so leistungsfähig. Wenn wir uns in diesem Ganzen und unserer Mitte bewegen und uns von den drei Giften, also Gier, Hass und Verblendung, befreien, erlangen wir Freiheit, Glück und Erleuchtung. Wir können das Leiden nach den Vier Edlen Wahrheiten überwinden und den Achtfachen Pfad mit Buddhas Theorie und Praxis gehen und verwirklichen.

Besonders die Verblendungen sind häufig unbewusst verfestigt und nicht immer leicht zu erkennen. Sie sind durch Extreme, Radikalismus und Egoismus aber auch durch das Gegenteil wie Kummer, Jammer, Gram, Klagen und Verzweiflung gekennzeichnet. Wer den Verblendungen durch doktrinäre Schein-Werte und Pseudo-Substanzen im Geist und überhaupt in der Natur erliegt, hat nach Buddha und Nâgârjuna keine Chance auf Freiheit und Erleuchtung. Denn die Verblendung ist ja eines der drei fundamentalen Gifte des Buddhismus und die zu Grunde liegende Philosophie ist fehlerhaft und in sich widersprüchlich. Die spirituellen Genies Buddha, Nagarjuna und Meister Dogen haben klar erkannt und gelehrt, dass wir uns von diesen Giften befreien könne. Denn der Mensch sowie die Dinge und Phänomene sind von Natur leer von giftigen Ideologien und Verblendungen des Pseudo-Selbst. Das ist die wichtigste Bedeutung der Leerheit im Mittleren Weg. Wir müssen uns also von erstarrten Ego-Ideologien und Pseudo-Werten entgiften, um frei zu sein. Nagarjuna untersucht nun im MMK mit großer philosophischer Präzision die grundsätzlich falschen Doktrinen der Pseudo-Natur, des Pseudo-Ich und der Pseudo-Substanzen in damaligen angeblich buddhistischen Sekten. Er verwendet zur Falsifizierung eine ausgefeilte Logik und beweist, dass die Philosophie des Pseudo-Ich und der Pseudo-Substanz falsch sind. Damit entlarvt er den Dualismus.

 Die zentralen Aussagen des Mittleren Weges sollen nun in sieben tiefen Weisheiten zusammengefasst werden:

Erleuchtung und Freiheit kommen aus der Mitte und nicht aus Ideologien und Extremen. In der Mitte ist die Kraft des inneren Friedens und des guten Handelns. In der Mitte verwirklichen wir unser Gleichgewicht und die Mitte  macht den Unterschied!

Befreiung ist das gemeinsame gute Entstehen in Wechselwirkung und die volle Ganzheit des Lebens. Dagegen erzeugen verblendete Pseudo-Substanzen und Zerstückelungen Leiden und Plagen. Was ist eine der wunderbarsten Wechselwirkungen? Die Dankbarkeit zu anderen und zum eigenen Leben!

Leerheit ist die Befreiung von den drei Giften, also Gier, Hass und Verblendung. Durch diese Entgiftung entstehen Freude, Glück und geistige Klarheit. Das ist die wahre Natur. Besonders wirkungsvolle Wege zur rechten Leerheit sind nach meiner Erfahrung die Zen-Übungen der Meditation, Zazen, des japanischen Bogenschießens und der Zen-Flöte.

Das âtman-Selbst und die Philosophie der sogenannten  Eigen-Substanzen sind Pseudo-Wahrheiten. Sie blockieren unsere Freiheit, verhindern wichtige Lernprozesse und die Überwindung unseres Leidens.

Geben ist besser als Nehmen. Denn ethisches Handeln und gutes Karma sind heilsames Leben. Sie befreien uns jetzt und in Zukunft von doktrinärem Ballast. Das ist übrigens durch die Gehirnforschung klar nachgewiesen.

Nirvâna ist die wirkliche Freiheit des erwachten Menschen im Hier und Jetzt, genau in diesem Leben. Es macht keine Sinn, sich in illusionären Zukunfts-Welten zu verlieren.

Die Zwölf Glieder der Befreiung Buddhas führen zur Erleuchtung. Das ist der berühmte Mittlere Weg zur Freiheit des Geistes und der Lebenspraxis. Er wird dann nicht durch Extremismus, Unmoral ein Pseudo-Ich blockiert, denn diese führen Schritt für Schritt ins Leiden.

 Weiterlesen Sieben Weistheiten

Empathie, Wechselwirkung und Gehirnforschung

 Ist wirklich alles Leiden?