Dienstag, 26. Dezember 2017

Wirbelndes Licht


Für den großen Meister Padmasambhava, der auch „Lotos-Entstandener“ genannt wird, standen die Schönheit und Bewegung der Welt, das Licht und die Helligkeit im Mittelpunkt seiner spirituellen Erfahrung.

 Für mein Verständnis der Dynamik und Prozesshaftigkeit des Buddhismus ist dieser Meister deshalb besonders spannend: Dynamik, Veränderungen und Lichtenergien sind für ihn von zentraler Bedeutung. Sie bilden den Gegensatz zu einem statischen Weltbild der Dinghaftigkeit, unbeweglicher Zustände und unveränderlicher Substanzen, das auch von Nâgârjuna entschieden abgelehnt wird und dem Zen-Buddhismus ebenfalls völlig fremd ist. Ein statisches, um nicht zu sagen erstarrtes Welt- und Lebensbild gibt den Menschen nur eine scheinbare Sicherheit. Es ist gekennzeichnet durch eine Verengung des Geistes und führt nach meiner Erfahrung früher oder später zum Leiden.
Daher folge ich gern der Lebensphilosophie des Wandels und der Transformation.

In den letzten Jahren sind zum ersten Mal mehrere Übersetzungen und Interpretationen der Texte des großen buddhistischen Meisters Padmasambhava in deutscher Sprache erschienen.[1] Er hat neben Nâgârjuna wichtige Grundlagen vor allem des tibetischen Buddhismus erarbeitet und lebte im achten Jahrhundert nach der Zeitenwende vermutlich im östlichen Iran, nicht weit entfernt von der Grenze zum heutigen Afghanistan. Inzwischen gilt als gesichert, dass in dieser Region die Manichäer und Gnostiker einen großen Einfluss ausübten. Ihre Anschauungen haben vermutlich Eingang in Padmasambhavas Lehre gefunden

Etwa 600 Jahre nach Nâgârjuna und vermutlich weitgehend unabhängig vom chinesischen Chan entwickelte Meister Padmasambhava seine Lehre, die einen Höhepunkt des Tantra-Buddhismus[2] darstellt, der uns heute auch im tibetischen Original zugänglich ist. Sicher fehlen noch genauere Analysen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei großen buddhistischen Meister Nâgârjuna, Dôgen und Padmasambhava. Gerade deswegen möchte ich hier ein markantes Zitat bringen, das sich durch tiefgründige Poesie und große Glaubwürdigkeit auszeichnet:

„Aus dem Zentrum des Daseins, die reine sichtbare Erscheinungsform der dem Himmelsraum (gleichenden) wirbelnden Spiralbewegung (des Seins),
sie haben sich als ein strahlendes Licht manifestiert, unaufhörlich schöpferische Fähigkeiten:
Diese seinsmäßige Turbulenz hat sich als meine schöpferische Fähigkeit erwiesen.
Und das strahlende Licht ist die schöpferische Kraft meines Spiels (und meiner freudigen Bewegung).“[3]

Das Dasein wird als wirbelndes Licht bezeichnet, ist also Bewegung und Helligkeit. Dabei steht nicht fest, welches Dasein gemeint ist – dasjenige des Kosmos oder unser eigenes. Meines Erachtens spricht der Autor beides an, indem er uns die reine und wahre Erscheinungsform unseres Lebens und der Welt vor Augen führt. Und worin besteht eigentlich der Unterschied?

Das Licht bezeichnet Padmasambhava als unsere unaufhörliche, sich immer weiterentwickelnde schöpferische Fähigkeit. Seine Versen drücken die freudige Entwicklung im Buddhismus aus, sie sind weder negativ und deprimiert noch dogmatisch, sondern spielerisch, heiter wie ein Tanz und voller Kraft und Dynamik. Das ist der wahre Buddhismus!







[1] Padmasambhava, Buddhistische  Studienverlag 
[2] Peter Gäng, Übersetzer
[3] Guenther, Herbert: Wirbelndes Licht, S. 47

Sonntag, 17. Dezember 2017

Der Mönch Shikan erfährt den wahren Ton

Die Koan-Frage seiner Meisters lautete:

"Sag mir einen Satz über den Zustand, den du hattest, bevor deine Eltern geboren waren, ohne dass du aus irgendeinem Text oder Kommentar zitierst.“

Er strengte seinen Körper und Geist an, so sehr es ihm überhaupt möglich war, und er versuchte, sein umfangreiches Wissen aus den Schriften und buddhistischen Sûtras auszublenden, aber ohne jeden Erfolg.

Shikan verließ schließlich das Kloster und folgte den Spuren des großen Landesmeisters Daisho[1]. Er zog sich auf einen Berg zurück und lebte dort allein, im Einklang mit der Natur und der buddhistischen Wahrheit. An dem Ort, an dem auch der legendäre Meister gelebt hatte, baute sich Shikan eine einfache Hütte mit einem Strohdach. Er pflanzte Bambus und – wie Dôgen es ausdrückt – „machte ihn zu seinem Freund“.

Eines Tages geschah etwas für ihn völlig Unerwartetes: Als er seinen Weg vor der Hütte fegte, löste sich ein Kieselstein vom Boden, traf auf das Rohr des Bambus und erzeugte dabei einen Ton: „Bong“ !! Indem Shikan jäh und unmittelbar den Ton wirklich und ohne jeden intellektuellen und doktrinären Anspruch hörte, war er direkt in der Wirklichkeit angekommen. „Bong“ – das ist die Wahrheit zu hören, das ist die Natur: einfach, direkt und unkompliziert! Und die Wahrheit der Natur ist auch im Universum und in uns selbst. So einfach und wunderbar sind das Leben und das Universum.

Shikan nahm ein erfrischendes Bad, reinigte sich gründlich, entzündete ein Räucherstäbchen und machte in tiefer Dankbarkeit Niederwerfungen in die Richtung des Berges und Klosters seines Meisters Dai-i. Der Klang des Kieselsteins, der das Bambusrohr traf, vertrieb alle überkomplexen Theorien, Vorstellungen und angestrebten Ziele. Weil er wirklich hörte: Bong, klar, wunderbar, groß! Plötzlich waren die Wirklichkeit und Shikan selbst eine umfassende strahlende Ganzheit.

Gerade die enge Beziehung zur Natur und die Offenheit dafür sind eine große Chance, zur Wirklichkeit und Wahrheit zu finden. Dann wird die ich-zentrierte Selbstinszenierung[2] oder eigene narzisstische Überhöhung[3] völlig ausgeschaltet. Gerade intellektuell hochbegabte Menschen mit einem scharfen Verstand und einem hervorragenden Gedächtnis für die Lehren und Kommentare geraten besonders in Gefahr, einer Selbstüberschätzung zu erliegen.

Dadurch wird jedoch der direkte Zugang zum Sehen, Hören und zur Wirklichkeit versperrt, denn diese verwirklichen sich jenseits von analytisch geprägter Kompetenz und ausgefeilter Rhetorik und festgelegtem Reflexionsvermögen.

Dôgen zitiert dazu Shikan:
„Der große Meister Shikan verfasste schließlich die folgenden Verse:
‚Bei einem einzigen Aufprall (des Kiesels) verlor ich das (alte) Erinnern,
nicht länger muss ich (starre) Selbstdisziplin üben.
Es gibt keine Spuren irgendwo:
Das wahre Verhalten geht über Ton und Form hinaus.‘“






[1] Meister Daisho war Nachfolger des großen Meisters Daikan Enô, er starb 775.
[2] Mentzos, Stavros: Hysterie. Zur Psychodynamik unbewusster Inszenierungen
[3] Fromm, Erich; Suzuki, Daisetz Teitaro; Martino, Richard de: Zen-Buddhismus und Psychoanalyse

Montag, 11. Dezember 2017

Flow und Dynamik des Lebens im Zen


Seit Buddha und Dôgen wissen und erfahren wir: Diese Welt, das Universum und das Leben sind die Verwirklichung allen Handelns und aller Aufgaben. Das dynamische Ganze unseres Lebens ist nichts Statisches, sondern es beruht auf dem Handeln je im Augenblick, in dem wir unsere Aufgaben und Verantwortung wahrnehmen.

Das sind die Augenblicke der Wirklichkeit und der höchsten Wahrheit, die dem Menschen überhaupt zugänglich sind. Und solche Augenblicke sind nicht absolut voneinander getrennt, sondern prozesshaft verbunden: Ohne Prozesse und deren Augenblicke kein Leben und keine Dynamik. So können wir das Wunder des Gleichgewichts im Augenblick erleben:

Die Wirklichkeit ist gemeinsames Entstehen in Wechselwirkung. Das ist die Dynamik und der ungestörte Flow des Lebens.

Vor Allem sind diese Wechselwirkungen zugleich die Voraussetzungen für unsere Veränderungs-Prozesse und unsere Emanzipation.

Buddha hat diese tief greifende Transformation des gesamten Menschen erkannt und durch seine Lehre und Praxis für die Menschheit verfügbar gemacht.

Wenn wir leben, handeln wir meist intuitiv. Aber wie klar ist unsere Intuition oder ist sie nur Bauchgefühl ohne Nutzung des neuronalen Netzes? Durch die Zazen-Meditation erlangen wir intuitive Klarheit und blitzschnelles Handeln, wenn es sinnvoll ist. Wenn unser Geist etwas aber krampfhaft festhalten will, sich isoliert oder wenn aufgeladene Emotionen und Bewertungen uns wie in einem Gefängnis eingemauert haben, dann sind dogmatische und eindimensionale Theorien nicht mehr weit. Und die Menschen klammern sich an erstarrte, angeblich authentische Lehren, Doktrinen und Begriffe. Dann erstarrt die lebenden Dynamik und Kreativität unseres Lebens.

Genau davon werden wir durch den buddhistischen Weg befreit: Meister Nagarjuna analysiert im zweiten Kapitel des Mittleren Weges (MMK) präzise das wirkliche Gehen und Bewegen, die mit dem Glauben an die unveränderliche Existenz eben nicht richtig erfasst werden können. Dieser erstarrte Substantivismus scheitert bei den wichtigen Entwicklungsprozessen des Lebens und den Augenblicken der großer Wirkkräfte

Dann sind wir unvermittelt im Flow und im Glück!

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Buddha: spirituelle Gleichheit der Frau


Buddha handelte im alten Indien geradezu revolutionär: Für ihn war es selbstverständlich, dass Frauen genau die gleichen Potentiale und Fähigkeiten haben, um die spirituelle volle menschliche Umwandlung also die Transformation der gesamten Persönlichkeit zu verwirklichen wie Männer. Frauen und Männer haben das selbe Potential zur Erleuchtung.

Ich bin manchmal verwundert, dass es nicht in allen buddhistischen Gruppen selbstverständlich ist, dass Frauen alle Aufgaben und Funktionen übernehmen können, sondern spirituell benachteiligt werden. Es soll sogar buddhistische Gruppen geben, in denen Führungsfunktionen den Männern vorbehalten sind. Oder schlimmer noch, dass die Frauen durch sexuelle Dienste der Erleuchtung der Männer gerecht werden sollen. Sie würden das nur nicht erkennen, weil sie nicht erleuchtet seien.

Der bekannte buddhistische Wissenschaftler D. J. Kalupahana sagt: "In der Tat, Buddhismus war die erste religiöse Tradition, die die Fähigkeiten der Frau anerkannte, den höchsten spirituellen Zustand zu erlangen wie Männer"[1]. Buddha hat sich selbst einbezogen, wie auch jeder, der es ihm gleich tat. Durch eigenartige interessenbezogene Legenden und Organisationsformen versuchten manche religiöse männliche Eliten, diese Tatsachen zu verwischen und sogar ins Gegenteil zu verkehren. Buddhas damalige Sangha stand allen Frauen selbstverständlich und gleichberechtigt offen. Und jeder Mann und jede Frau können in diesem Leben Erleuchtung erlangen. Übrigens unterstreicht Zen-Meister Dogen Buddhas Klarstellung zur Spiritualität der Frau mit der für ihn typischen Deutlichkeit!

Buddha war auch strikt gegen das unethische Kastenwesen der damaligen Gesellschaft. Aus jeder Kaste konnten Männer und Frauen völlig gleichberechtigt in seine Sangha eintreten. Die damalige Religion hatte demgegenüber durchsetzen können, dass die Einteilung in die Kasten göttliche absolute Wahrheit sei und durch die absoluten wahren heiligen Schriften der Veden und Upanishaden gesichert werde. Diese Wahrheiten seien ewig, unveränderlich und dürften niemals angetastet werden. Durch die Behauptung dieser absoluten Göttlichkeit wurde die schreiende soziale und politische Ungerechtigkeit verborgen.

Das alles wischte Buddha selbstverständlich beiseite.

Die großen Veränderungen in der damaligen Gesellschaft durch Buddha konnten sich u. a. durch diese beide fundamentalen Neuerungen durchsetzen.





[1] David J. Kalupahana: A History of Buddhist Philosophy, Continuities and Dicontinuities, S.27 f.

Mittwoch, 29. November 2017

Berg-stilles Lächeln


Für Dôgen ist es wichtig, dass auf Bildern die Rundheit des Mondes sich ganz konkret durch den Körper manifestiert, der auf dem Dharma-Sitz Platz genommen hat. Die symbolischen Gesten der großen Meister, also zum Beispiel das Heben einer Augenbraue, müssten bildlich festgehalten werden, fügt er hinzu und verweist auf die berühmten Worte Bodhidharmas an seine Schülerin und seine Schüler, dass sie seine Haut, sein Fleisch, seine Knochen und sein Mark haben und dass der Schatz des wahren Dharma-Auges im „bergstillen“ Zustand sitzen muss. Wenn das Gesicht lächelnd erstrahlt, gehöre das als Symbol der Befreiung zum runden Mond.[i]

„Wenn diese Bilder sich aber von der Form des Mondes unterscheiden, dann fehlt ihnen das Merkmal der Wirklichkeit, sie lehren nicht den Dharma, sie sind ohne Klang und bildlichen Ausdruck, und sie haben keine wirkliche Funktion.“

Hier charakterisiert Dôgen bildliche Darstellungen, die niemals die Wahrheit der Buddha-Natur entstehen lassen. Zweifellos ist es schwierig, das Erwachen und die Erleuchtung eines Menschen in Form eines Bildes oder eines Freskos wiederzugeben. Aber gerade in der chinesischen und japanischen Malerei und Bildhauerei wurden ganz ungewöhnliche Ausdrucksformen des tiefen inneren Friedens verwirklicht. Ihre Anziehungskraft hält nicht zuletzt aufgrund dieser künstlerischen Darstellung des Buddhismus bis heute an. Und achten Sie auf die Form Ihrer Lehrer und Mitsitzenden!

Dôgen besteht darauf, dass Nâgârjunas bildliche Darstellung als runder Mond solchen Anforderungen genügen muss. Anders ausgedrückt: Der wahre Körper muss in seiner Reinheit und Natürlichkeit gemalt werden, damit er die Wirklichkeit und das Symbol des runden Mondes sein kann.

Die Rundheit ist im Buddhismus auch ein Symbol für den ausgeglichenen Zustand des Zazen und des Lebens sowie für die Wirklichkeit.

Aber eine solche Rundheit darf man nicht allein materiell und oberflächlich verstehen, also nicht der Rundheit etwa einer Münze oder des Reiskuchens gleichsetzen. Dôgen drückt sich so aus:

„Der Körper manifestiert die Rundheit des Mondes, und die Form der Wirklichkeit ist die Form des vollen Mondes.“

Denn: Die Zazen-Praxis im Lotossitz ist der runde Vollmond des Erwachens und der Buddha-Natur.






[i] Kap. 68, ZEN Schatzkammer, Bd. 3, S. 81 ff.: „Das Symbol der seltenen Udumbara-Blume (Udonge)

Freitag, 10. November 2017

Den gemalten Reiskuchen nicht essen


Dôgen besuchte auf seiner Reise nach China viele Klöster und war häufig enttäuscht, dass der wahre Buddhismus an Kraft und Lebendigkeit verloren hatte. Er sah auch das berühmte Bild Nagarjunas in der Form des runden Mondes und sagt glasklar: "Bilder müssen die Wirklichkeit darstellen". Aber welche Wirklichkeit? Das ist die Soheit, das ist die Alltags-Erleuchtung von "Feuerholz tragen und Wasser schöpfen", also weder illusionärer Idealismus noch magerer Materialismus. Deshalb schätze ich selbst den Zen so sehr!

Bedauerlicherweise seien diese Soheit und Wirklichkeit im China der Song-Zeit kaum richtig verstanden und wiedergegeben worden:

Es war für sie unmöglich, (das Geschehen) mit dem Körper zu beschreiben, mit dem Geist zu beschreiben, es im Raum zu beschreiben oder es auf einer Wand darzustellen.“

Und wie steht es heute mit dem Zen und dem Verständnis von Dôgen und Nagarjuna? Nishijima Roshi wurde bei der Frage des wahren Buddhismus in seinen letzten Lebensjahren mit über 90 kämpferisch und sagte mir, dass er gerade auf den Westen setzten würde. Das ist m. E. unser Auftrag.

Aber weiter zu Dôgen: Vergeblich hätten die Menschen mit ihren Pinseln einen runden Kreis wie einen runden Spiegel oberhalb des Sitzes von Nâgârjuna gezeichnet. Diese Darstellung sollte Nâgârjuna zeigen, der sich als die Rundheit des Mondes manifestiert. Dôgen wundert sich darüber, freundlich ausgedrückt, dass keiner seit vielen Jahrhunderten kritisiert hatte, dass solche Zeichnungen oberflächlich seien. Er spricht von einem „Metallsplitter in den Augen der Menschen“, bezeichnet diese Bilder als Pfusch und bedauert sehr, dass dadurch die tiefe spirituelle Bedeutung der Manifestation von Nâgârjunas Körper überhaupt nicht korrekt dargestellt wurde.

Solche minderwertige Malerei beschreibt er treffend als „gemalten Reiskuchen“ – ein Gleichnis dafür, dass die zentrale Botschaft verfehlt wird. Mit dem gemalten Reiskuchen kann man nämlich den eigenen Hunger nicht stillen, dies ist nur mit dem wirklichen Reiskuchen möglich.[i]

Das heißt auch, dass man die Abbildungen der Wirklichkeit nicht mit der Wirklichkeit selbst verwechseln darf. Ein wahres Bildnis Nâgârjunas ist daher gerade nicht das Gleiche wie das kritisierte Bild des Reiskuchens, sondern muss die volle Wirklichkeit des erleuchteten großen Meisters darstellen. Und den digitalen Reiskuchen kann man schon gar nicht essen.

Ohne Frage schätzt Dôgen buddhistische Bilder und Malerei außerordentlich hoch und stellt an sie deshalb klare Qualitätsanforderungen: Zum Beispiel dürfen Bilder niemals vereinfachen oder romantisieren. Er erklärt, dass der Buddha-Dharma gar nicht authentisch übermittelt werden könnte, wenn es keine Bilder und Statuen gäbe, die durch die künstlerische und spirituelle Tiefe sogar oft stärker auf Menschen und ihr Leben einwirken als Sprache und Geschriebenes.






[i] Kap. 40, ZEN Schatzkammer, Bd. 2, S. 133 ff.: „Was bedeutet das Bild eines Reiskuchens? (Gabyô)

Montag, 6. November 2017

Die wahre Form des Körper-Wissens


Dôgen erklärt "knallhart", dass man das „Körper-Wissen“ erweckt haben sollte, um die wahre Form zu sehen. Man darf nicht nur auf die schönen Worte hören und seien sie noch so faszinierend. Er sagt über Menschen, die ihre eigene wahre Natur nicht kennen:

„Sie haben mit ihren Augen niemals“ etwas Ähnliches gesehen wie „den formlosen Zustand des Samâdhi, dessen Gestalt den Vollmond wiedergibt“.

Sie hören nur auf die Worte und können die falschen imponierenden Gesten und den erlernten Ausdruck des Gesichtes nicht vom wahren Buddha-Dharma unterscheiden. Wenn wir das durchschauen, können wir uns vor falschen Lehrern schützen, die uns und unser Vertrauen vielleicht missbrauchen werden, wenn wir von ihnen abhängig geworden sind. Dazu gibt es heute traurige Beispiele!

Dôgen schätzt Meister Kanadeva, den Nachfolger Nagarjunas, sehr und sagt, dass er
ein Würdiger des halben Sitzes und ein führender Meister der Sangha ist, überzeugend und authentisch auf dem halben Sitz des leitenden Meisters.“

Der Hinweis auf den „halben Sitz“ greift die Geschichte auf, in der Gautama Buddha seinem Nachfolger Mahâkâshyapa eben den halben Sitz der Leitung der Sangha anbot und damit zum Ausdruck brachte, dass er im voll vertraue und die Fortsetzung der eigenen Arbeit des wahren Buddhismus übergeben werde. Dôgen bedauert, dass es selbst ernannte Meister gegeben habe, die sich brüsteten, authentische Nachfolger Buddhas zu sein, und allerlei ungenaue Schriften verfassten. Sie würden sogar behaupteten, dass diese von Nâgârjuna selbst geschrieben worden seien.

Hier mein Tipp: Fragen Sie höflich Ihren Lehrer, ob er im Mittleren Weg (MMK) Nagarjunas sattelfest ist. Kann er überzeugend die Leerheit als das "gemeinsames Entstehen in Wechselwirkung" erklären? Denn der Chan- und Zen-Buddhismus haben das MMK Nagarjunas als unbestreitbare Grundlage: Ohne MMK kein Zen, wie mein Lehrer Nishijima Roshi sagte. Und Leerheit ist keineswegs das absolute Nichts, sondern der lebende vernetzte Prozess des wahren Lebens ohne (!) den Glauben an unveränderliche Substanzen und absolute Dogmen. Deshalb ist Kanadeva der authentische Nachfolger Nagarjunas.

Für Dôgen ist die Bedeutung der Buddha-Natur ganz offensichtlich und von transparenter Klarheit. Der Zustand, in dem sich der Körper manifestiert, lehrt die Buddha-Natur klar, eindeutig und vollkommen überzeugend. Die Physis der Buddhas zeigt sich als „geschicktes Mittel“, das im Lotos-Sûtra beschrieben wird.[i] Damit ist gemeint, dass diejenige Art und Weise zu lehren gewählt wird, die bei den jeweiligen Menschen am besten für dem Weg der Befreiung wirksam ist und überzeugt. Sie werden dort abgeholt, wo sie gerade jetzt sind. Sie werden so durch den Lehrer am besten motiviert, ihre Probleme zu überwinden und das Leiden zur Ruhe kommen zu lassen. Viele leiden nämlich, weil sie Leiden mit Nicht-Leiden verwechseln (MMK, Kapitel 23).

Es ist keine Frage, dass die Ausstrahlung und nonverbale Kommunikation eines wahren Lehrers eine große, direkte Kraft hat, die Menschen selbst zu stärken. Allerdings sollten diese dafür offen und aufnahmefähig sein und dürfen nicht nur an den Worten kleben. Und der Lehrer sollte aufgrund eigener Erfahrung Treffendes an die Teilnehmer übermitteln können. Einstudierte großartige Gesten und scheinbar charismatische Verhaltensweisen reichen nicht aus, um die Buddha-Natur physisch und direkt zu offenbaren.

Dann können sich große Augenblicke der Wechselwirkung und Ganzheit ereignen: "Nicht Zwei sondern Einer", wie ein großer Chan-Meister sagte.






[i] Kap. 17, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 125 ff.: „Die Dharma-Blume der Wahrheit dreht die Blume der Dharma-Welt (Hokke-ten-hokke)“

Sonntag, 29. Oktober 2017

Meister Fuke, ein unbequemer "Zen-Knochen"


Dôgen zitiert eine Stelle aus einem Kôan-Gespräch zwischen Meister Rinzai und Meister Fuke,[i] dem von Rinzai Grobheit vorgeworfen wurde. Fuke möchte ich als "verrückten Heiligen" bezeichnen, ein unkonventioneller ja querköpfiger "Zen-Knochen", der einen untrüglichen Sinn für Direktheit und Ehrlichkeit besaß. Er ist mir auch deswegen sympathisch, weil er der Ahnherr der Meditationsflöte Shakuhachi ist, die ich selbst regelmäßig spiele und sehr schätze. Mit der Zen-Flöte kann man wirklich nicht lügen.

Meister Fuke stieß bei einer gemeinsamen Einladung zusammen mit Meister Rinzai und hochgestellten Persönlichkeiten mit Absicht den gesamten Tisch mit Essen um, weil ihm das theoretische, spirituelle Gerede von Meister Rinzai auf die Nerven ging. Dieses berühmte Kôan-Gespräch ist auch im Shinji Shôbôgenzô enthalten und von Nishijima Roshi eingehend kommentiert worden.[ii]

Offensichtlich will Dôgen damit von einer abstrakten Sichtweise, spirituellen Fantasien und intellektueller Spitzfindigkeit zum real Körperlichen des Hier und Jetzt kommen. Er fügt hinzu, dass es notwendig sei, die Subjektivität abzulegen, denn es gehe nicht um die Individualität des Selbst, sondern um die Physis der Buddhas:

„Der sich manifestierende Körper selbst ist jenseits des (nur) sichtbaren Körpers und jenseits der Welt der einzelnen skandhas. Die äußere Erscheinung ist zwar gleich wie die der skandhas, aber sie demonstriert die konkreten (und wahren) Mittel der Lehre von Meister Nâgârjunas für die anwesenden Menschen und ist die wirkliche Physis der Buddhas.“ Und weiter heißt es bei Dôgen:

„Die Ganzheit der Dharma-Lehre transformiert den Augenblick (!) und ist die Manifestation eines freien Körpers, der jenseits von (nur materiellen) Tönen und dem Sichtbaren ist.

Die Augenblicke kommen und gehen und sind die gegenwärtige Erscheinung eines ganz natürlichen Kreises.“

Dôgen kommt dann auf Nâgârjunas Nachfolger Kanadeva zu sprechen, der als einziger der Anwesenden volle und tiefe Einsicht in die Rundheit des Mondes hatte und den sich manifestierenden Körper als wahre wunderbare Natur der Buddhas erkannte.

„Die anderen (Teilnehmer von Nagarjunas Dharma-Rede) sagen nur, dass die Buddha-Natur nicht durch die Augen gesehen wird, nicht durch die Ohren gehört wird, nicht durch den Geist erkannt wird usw. Sie wissen nicht, dass der sich manifestierende Körper selbst die Buddha-Natur ist.“

Dôgen betont hier besonders, dass die Buddha-Natur etwas ist, das sich durch den Körper selbst manifestiert und verwirklicht. Das bedeutet aber, dass sie auch gesehen und gehört werden kann, sie ist nicht unsichtbar wie ein Geist – allerdings in einem erweiterten Sinne und nicht nur als materielle Dimension der äußeren Form. Es geht gerade nicht um einen abgehobenen isolierten Geist!

Wer sich vor Missbrauch und Verführung schützen will, sollte nicht nur den schönen Worten glauben, sondern die Harmonie und Klarheit des ganzen Menschen, Lehrer oder Meister, genau anschauen. Gibt es eine intuitive und ganzheitliche Vertrauensbasis oder stimmt an dem Menschen vor mir irgendetwas nicht? Dann sollte man lieber Abstand einhalten.







[i] Shinji Shobogenzo Bd. 1, Nr. 96
[ii] ebd.

Freitag, 20. Oktober 2017

Die wahre Natur des Menschen sehen



Wer auf dem Weg ist, die wahre NATUR des Menschen, also die Buddha-Natur, zu sehen, reduziert sich nicht allein auf die äußere Form. Gerade in Familien und in der Partnerschaft sollten wir auf Feinheiten im Ausdruck des Gesichts und auf die ganze Körpersprache achten. Wie verändert sich die Sprache des Gesichts und des Körpers in Wechselwirkung mit unseren eigene Worten und unserer Tonlage? Machen wir, dass sich ein Lächeln zeigt, das uns mehr über den inneren Prozess beim anderen sagt, als der formale Inhalt des Gespräches? Und: Die wahre Natur ist keine Erinnerung und keine Erwartung, denn beides ist recht unzuverlässig, sondern genau dasjenige, was im AUGENBLICK da ist. Diese tiefe Weisheit des Zen wird von der modernen Gehirnforschung voll bestätigt.

Laut Nishijima und Cross unterscheidet Dôgen zwei verschiedene Arten des Sehens.[i] Zum einen geht es um das materielle Sehen der äußeren Form, also um eine oft eingeengte Dimension der Wahrnehmung mit den Augen. Zum anderen ist das intuitive, umfassende Sehen und Schauen gemeint, das für den Lernprozess und die Erfahrung der Buddha-Natur maßgeblich ist.

Dôgen untersucht Nâgârjunas Lehre mit großer Sorgfalt. Er beginnt damit, dass der Körper die Rundheit des Mondes manifestiert und die Physis der Buddhas damit zeigt. Er interpretiert die Physis und Rundheit des Mondes also sehr konkret als Form und nimmt damit Abstand von einer esoterischen und nicht-körperlichen Erklärung. Auch diese Rundheit will genau beobachtet sein!

Nishijima und Cross erläutern, dass Nâgârjuna aber von seinem Körper-und-Geist redet, der ganz konkrete Eigenschaften habe, aber gleichzeitig eine ungeteilte Ganzheit mit dem Universum sei.[ii] Es geht also um die spirituelle und konkrete umfassende Ganzheit.

Dôgen grenzt sich konsequent von jenen ab, denen der eigene Körper fremd geworden ist. Sie seien nicht nur ignorant gegenüber der Rundheit des Mondes, sondern auch gegenüber der Physis der Buddhas. Insbesondere kritisiert er törichte Menschen, welche

die Rundheit des Mondes als die Manifestation eines fantastisch transformierten (übernatürlichen!) Körpers“

bezeichnen. Solche Versionen gibt es auch heute bei manchen buddhistischen Lehrern. Das führt aber von der klaren Wirklichkeit fort in die spekulative Scheinwelten der Illusionen und gibt falschen Heiligen den angestrebten Raum für Macht und Missbrauch. Dies ist nach Dôgen eine völlig abwegige Idee derjenigen, die keine authentische Übertragung von Buddhas Wahrheit empfangen hätten.

An welchem Ort und in welchem Augenblick mag es eine andere Manifestation eines ganz anderen Körpers geben?“,

fragt er und erklärt, Nâgârjuna habe ganz einfach wie jeder andere Mensch auf seinem Sitz gesessen. Er habe sich als Meister ganz konkret manifestiert, jenseits von diffusen Begriffen oder Vorstellungen wie Existenz und Nicht-Existenz oder von Unsichtbarkeit oder Sichtbarkeit:

„Es ist genau der Körper, der sich genau (und umfassend) manifestiert.“

Anschließend führt Dôgen aus, dass die Rundheit des Mondes symbolisch für die Erleuchtung und die Buddha-Natur steht:

„Dieser Ort ist der Ort, wo etwas Unfassbares da ist. Erkläre es (wenn du willst) als fein, oder erkläre es als grob.“ 





[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 16, Fußnote 71
[ii] ebd., Fußnote 72

Freitag, 13. Oktober 2017

Die Rundheit des Mondes


Die Buddha-Natur wird ganzheitlich und maßgeblich durch die äußere Form zum Beispiel eines Meisters offenbar. So manifestiert sie sich als Wirklichkeit. Gerade bei nicht authentischen Meistern kann man daher durch genaue und geschulte Beobachtung erkennen, ob sie ihre Schüler vielleicht missbrauchen oder nicht. Wenn zwischen dem wahren Buddhismus und dem Handeln eine Lücke klafft, kann das einer genauen Beobachtung nicht entgehen. Ich möchte z. B. an die Probleme bei Sogyal Rinpoche erinnern, denn für den Missbrauch ist das falsche Vertrauen der Schüler notwendig.

Dôgen fügt dann eine weitere Erläuterung hinzu, die sicher oft zu Missverständnissen Anlass gibt:

„Der formlose(nicht fixierte) Zustand des Samâdhi in seinem körperlichen Zustand stellt den vollen Mond dar. Die (wahre) Bedeutung der Buddha-Natur ist offensichtlich und klar in aller Transparenz.“

Nishijima und Cross erläutern hierzu, dass damit nicht gemeint ist, dass es sich um einen unsichtbaren imaginären Zustand des Samâdhi handelt, sondern dass fixierte und starre Formen des Samâdhi ausgeschlossen werden sollen. Der Zustand Nâgârjunas ist also nicht fixiert und festgelegt, sondern beweglich je nach dem Hier und Jetzt.[i]

Nach der Überlieferung verschwand der Kreis des vollen Mondes umgehend, und der Meister saß auf seinem Sitz und lehrte die versammelten Menschen:

„(Dieser) Körper manifestiert die Rundheit des Mondes,
dadurch zeigt (der Körper) die physische (Form) der Buddhas.
Die Lehre des Dharma hat keine fixierte Form.
Die wahre Funktion ist jenseits von Tönen und Sichtbarem.“

Dôgen verdeutlicht anschließend noch einmal in eigenen Worten, dass die wirkliche Funktion jenseits der Manifestation von Tönen und Sichtbarem ist und dass es keine festgelegte Form gibt, wie der Buddha-Dharma gelehrt wird. Auch hierbei soll also keine dogmatische Fixierung erfolgen. Ich vermute, dass falsche Lehrer häufig mit fixierten Formen, Gesten und Posen arbeiten.

Er geht er auf die einzelnen Aussagen und Geschehnisse der geschilderten und sehr bekannten Überlieferung der Manifestation der Buddha-Natur zu Nâgârjuna und Kanadeva ein. Dabei legt er Wert auf ein tiefgründiges und spirituelles Verständnis, das die wesentlichen buddhistischen Schwerpunkte aufzeigt und erläutert.

Es ist klar, dass wir die Buddha-Natur verwirklichen können, aber dies ist unmöglich, wenn Ich-Stolz vorherrscht. Dieser kann in sehr verschiedenen Formen und Varianten auftreten und ist nicht immer leicht als solcher zu erkennen. Auch in buddhistischen Gruppen kommt es vor, dass äußerliche Bescheidenheit und Höflichkeit verbergen, dass der betreffende Mensch eigentlich überheblich und von der eigenen Großartigkeit erfüllt ist.

Oft basiert die versteckte Arroganz auf dem Gefühl der Überlegenheit in der buddhistischen Theorie oder Praxis. Solche Menschen sind meist sehr empfindlich, wenn ihre überzogene Selbstdarstellung in Gefahr gerät und angezweifelt wird. Sie reagieren dann oft erstaunlich aggressiv, sodass deutlich wird, dass die bescheidene und höfliche äußere Form nur eine dünne, oberflächliche Schicht ist. Der Buddha-Dharma ist sozusagen in das Innere des Menschen nicht vorgedrungen, sondern beschränkt sich auf äußere Verhaltensweisen und sein Gebaren.
Es gibt vielfältige Möglichkeiten, den Ich-Stolz zu überwinden, erklärt Dôgen:

Aber sie sind alle (Methoden) der Verwirklichung der Buddha-Natur, die wir als Verwirklichung durch die Augäpfel und das Sehen mit den Augen lernen sollten.“






[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 15, Fußnote 69

Montag, 2. Oktober 2017

Die Buddha-Natur und der Körper Nâgârjunas

Dôgen berichtet, dass Nâgârjunas den Buddha-Dharma tiefgründig und sehr lebendig erläuterte. Die Zuhörer waren von der Treffsicherheit und Klarheit seiner Erläuterungen so beeindruckt, dass sie ihre vorherigen begrenzten Meinungen ablegten und sich der Fülle seiner Lehre öffneten. Ihr eingeschränkter Geist war verschwunden.

Wie es heißt, saß Nâgârjuna auf seinem Sitz vor ihnen und manifestierte und offenbarte seinen „freien Körper, der dem perfekten Kreis des Vollmonds zu gleichen schien“. Die Buddha-Natur manifestierte sich so als Körper Nâgârjunas.

Dann macht Dôgen seine zentrale Aussage zur Verbindung der Buddha-Natur mit dem Körper:
„Alle dort Versammelten hörten nur den Klang des Dharma. Sie sahen nicht die Form des Meisters.“

Der Nachfolger Nâgârjunas, Meister Kanadeva, erkannte dies ganz klar und fragte die Menschen: „Wisst ihr, was diese Form ist, oder nicht?“

Man kann sich diese Situation sehr gut vorstellen: Der große Meister Nâgârjuna legt die buddhistische Lehre in einem neuen und tiefgründigen Sinne aus und erläutert die Buddha-Natur, sodass die versammelten Menschen ganz von seinen Ausführungen gefangen waren, sie waren ganz Ohr. Aber zu hören reicht nicht, um die umfassende Wirklichkeit gerade eines erleuchteten großen Meisters zu erfahren. Dazu gehören seine Ausstrahlung, seine Gesten, seine Mimik und selbstverständlich der gesamte Körper. Dôgen nennt hierzu mehrere Beispiele von großen Meistern, die den Buddha-Dharma durch ihre Gestik und Mimik ganz wortlos lehrten.

Nachdem Kanadeva die Versammelten auf die Gleichheit des Körpers von Nâgârjuna und der Rundheit des Mondes als Symbol der Erleuchtung aufmerksam gemacht hatte, sagten sie:

„Die gegenwärtige (Form) ist etwas, das unsere Augen niemals vorher gesehen haben, unsere Ohren vorher niemals gehört haben, unser Geist niemals gekannt hat und unsere Körper vorher niemals erfahren haben.“

Das heißt, dass sie sich nun auch der konkreten körperlichen Form des Hier und Jetzt geöffnet hatten und nicht nur buddhistische Informationen mit ihren Ohren hörten. Kanadeva fasste dies folgendermaßen zusammen:

Der Ehrwürdige manifestiert hier die Form der Buddha-Natur, um sie uns zu zeigen.“


Freitag, 8. September 2017

Freude oder unehrliche Doppelmoral


Die Umwelt, andere Menschen, die Aufgaben und soziale Verantwortung werden im Alltag häufig zurückgestellt. Bringt uns das wirklich Vorteile?

Die Achtsamkeit in Gautama Buddhas Lehre und der Achtfache Pfad sind aber etwas ganz anderes. Dort geht es im Gegenteil um die Öffnung nach außen, anderen Menschen gegenüber und eine klare Selbsterkenntnis. Dadurch kann er dem Gefängnis des Ich-Leidens entkommen. Dies ist sicher in Zeiten des Individualismus besonders schwierig, weil diese Lebensphilosophie ja gerade die Besonderheit und Einzigartigkeit des Individuums und des Ich betont. Egoismus, Ich-Zentrierung, Abschottung von anderen und der Umwelt treten dabei fast selbstverständlich als große Gefahren für den Menschen auf. Die erhoffte Freiheit durch die Emanzipation des Egos bleibt aber ein unrealistischer Traum, der Enttäuschung und sogar Gefühle des Misserfolgs nach sich zieht. Was bringt das Gegenteil? Es macht Spaß!

Der Ich-Stolz tritt psychologisch oft in Form der Opferrolle auf und ist dann nicht leicht zu erkennen. Was bringt das? Keine Freude! Der Betreffende fühlt sich permanent benachteiligt, in seinem Wert missachtet und ungerecht behandelt. Er sieht sich als Spielball anderer und böser Mächte. Dies geht meistens mit dem Gefühl der eigenen moralischen Überlegenheit einher: „Ich muss leiden, weil ich ein guter und idealistischer Mensch bin.“ Im Ergebnis kreist ein solcher Mensch dauernd um sich selbst und merkt nicht, dass er sich damit in einen eigenen, selbst gebauten Käfig einschließt. Auch die Opferrolle kann also starker Egoismus sein, der den Buddha-Weg blockiert.[i]

Der bekannte Fernsehjournalist Ulrich Wickert fasste dies in seinem Buch Der Ehrliche ist der Dumme zusammen. Wer immer ehrlich sei, werde Opfer der unmoralischen Welt. Ist das richtig? Nein, bestimmt nicht immer. Dies mag vielleicht für die Unterhaltungsbranche gelten, deren Sinn für die Realität bekanntlich besonders gering ist, die von Täuschungen und Illusionen lebt und in der rücksichtslose Karrieristen das Rennen machen und hohe Einkommen erzielen. Selbstverständlich gilt dies nicht für alle in der Medienbranche Tätigen, viele sind sich ihrer Verantwortung durchaus bewusst und handeln danach.

Der Stellenwert der Medien als kritische Begleiter der Mächtigen und Reichen ist völlig unbestritten und sollte auch keineswegs diskreditiert werden. Aber nicht selten kommt dabei eine unehrliche Doppelmoral zum Zuge: Die Kritik an anderen ist dann verbunden mit einer egoistischen Rücksichtslosigkeit von Populisten, die unbedingt im Rampenlicht stehen wollen.

Doch nun zu Nâgârjuna: Seine Zuhörer in Südindien fragten ihn etwas naiv: „Ist die Buddha-Natur groß, oder ist sie klein?“ Seine Antwort zeugt von dem tiefen Verständnis des Buddha-Dharma, das mit dem Dôgens übereinstimmt:

„Die Buddha-Natur ist nicht groß und nicht klein. Sie ist nicht weit und nicht schmal. Sie ist ohne Glück und ohne Belohnung. Sie stirbt nicht und wurde nicht geboren.“

Er argumentiert hier also im Wesentlichen mit der Negation von naiven Vorstellungen und Vorurteilen über die buddhistische Lehre zur Buddha-Natur. Angaben mit Maß, Zahl und Gewicht bezeichnet er als unwesentlich, und darüber hinaus erklärt er, dass es sich bei der Buddha-Natur nicht um seichte Glücksgefühle und vordergründige Belohnungen, zum Beispiel im Sinne der vereinfachten Karma-Lehre, handelt. Auch er lehnt jede dinghafte Vorstellung ab, etwa die Aussage, dass die Buddha-Natur geboren wird und stirbt.
Und was bringt die Buddha-Natur? Sie macht Freude!




[i] vgl. Freud, Anna: Das Ich und die Abwehrmechanismen

Freitag, 25. August 2017

Nagarjuna: Den Ich-Stolz beseitigen


Dôgen berichtet ausführlich von dem großen indischen Meister Nâgârjuna des Mittleren Weges und der Leerheit. Was sagt dieser große indische Meister zur zur Buddha-Natur?.[i] Er legt den Schwerpunkt auf die unauflösbare Verbindung der Buddha-Natur mit dem Körper und der Form. Eine getrennte Buddha-Natur von dem Handeln im Alltag und von anderen Menschen lehnt er ab!

Nâgârjuna stammte aus dem Westen Indiens[ii] und ging dann nach Südindien. Seine Lebensgeschichte ist von vielen zum Teil fantastischen Mythen umrankt, aber zweifellos ist er einer der wichtigsten Meister des Buddhismus insgesamt, und er gilt als bedeutendster Meister des Madhyamaka, Mahâyâna in Indien, Tibet, China Japan usw.. Als größte Leistung wird ihm die Formulierung der Leerheit und des Entstehens in Wechselwirkung – zwei Eckpunkte des Buddhismus – zugeschrieben. Es ist spannend, wie Dôgen die Lehre Nâgârjunas interpretiert.

Er schreibt, dass damals im Süden Indiens eine stark vereinfachte Lehre des Karma-Gesetzes vorherrschte. Es war das Ziel der meisten Buddhisten, als Gegenleistung für gute Taten ein gutes Karma zu erhalten, das ein glückliches Leben und vor allem eine gute Wiedergeburt garantierte. Ihr zentrales Anliegen war also ganz einfach das „Karma-Glück“. Aus ihrer Sicht war die Lehre von der Buddha-Natur unwichtig und sogar nutzlos, weil sie zum Karma-Glück nichts beitragen konnte.

Nâgârjuna sagt aber etwas ganz anderes:
„Wenn ihr die Buddha-Natur verwirklichen wollt, müsst ihr zuerst den Ich-Stolz überwinden und beseitigen.“

Er bezeichnet die egozentrierte Haltung des Ich-Stolzes als gravierende Hürde, die es den Menschen unmöglich macht, die Buddha-Natur zu verwirklichen. Das heißt, dass jeder egoistische Ich-Bezug und jede Konzentration allein auf sich selbst die Erfahrung dessen, was mit Buddha-Natur bezeichnet wird, verhindert. Das Streben nach dem eigenen Vorteil durch ein gutes Karma muss als spiritueller Egoismus gesehen werden.

Die meisten psychischen Störungen, die in der neueren Psychologie untersucht werden, sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sich die Menschen hinter einer oft unüberwindlichen Ich-Barriere verschanzen und aus diesem selbst gewählten und eingeübten Gefängnis nicht mehr herauskommen. Viele neuere Interpretationen der Achtsamkeit tappen ebenfalls in die Falle der Ich-Zentrierung, indem man die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit allein auf sich selbst bezieht und sich dabei auf sein Selbst fixiert anstatt sich zu öffnen und Empathie zu entwickeln.




[i] Kap. 15, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 141 ff.: „Die Buddhas und Vorfahren im Dharma (Busso)“
[ii] Das Leben Nâgârjunas ist von Legenden gekennzeichnet, vermutlich lebte er zwischen 150 und 250 nach der Zeitenwende.

Samstag, 12. August 2017

Ungläubiges Staunen


Dôgen arbeitet die tiefere Bedeutung der Begriffe „konstant“ und „unveränderlich“ heraus, das ist der Gegensatz zum Prinzip Buddhas der Veränderung, Emanzipation Entwicklung und Innovation. Die Trennung von Subjekt und Objekt sei die Ursache der scheinbaren unveränderlichen Konstanz, bei welcher der Geist vom Augenblick und der Sein-Zeit der Menschen getrennt ist.

Dôgen formuliert dies in der Sprache des Zen-Buddhismus so:
„Zusammengefasst gilt: Dasjenige ohne Konstanz und Dauerhaftigkeit, wie das Veränderliche: das Gras, die Bäume und der Wald, ist genau die Buddha-Natur.“

Denn die Natur, in diesem Fall die nicht-empfindenden Wesen, ist Augenblick für Augenblick genau in ihrem natürlichen Zustand. Die nicht-empfindenden Wesen sind niemals erstarrt und unveränderlich und gleichen nicht einem menschlichen Geist, der von Ideologien, materieller Gier, innerem Zwang und Abhängigkeiten okkupiert ist. Auch Länder, Berge und Flüsse seien niemals konstant und starr, auch sie seien die Buddha-Natur. Wer das erkannt hat, ist auf dem Weg der Erleuchtung und Freude.

Dôgen ist sich bewusst, dass eine solche Aussage in manchen buddhistischen Gruppen ungläubiges Erstaunen hervorruft, weil sie den tradierten Meinungen widerspricht, die sich angeblich auf die Sûtras von Gautama Buddha beziehen. Er drückt sich in diesem Zusammenhang recht drastisch aus:

„Wenn (solche Menschen) erstaunt sind und zweifeln, sind sie Dämonen und keine Buddhisten.“

Der Begriff des bedingten Entstehens wird auch heute noch häufig ausschließlich als prozesshafter Verlauf entlang der linearen Zeit verstanden. Dieser theoretische Gedanke ist zwar nützlich, um zum Beispiel eine ökologisch heile Umwelt für zukünftige Generationen zu erhalten. Mit Recht werden Joanna Macy und andere engagierte buddhistische Umweltschützerinnen und Umweltschützer nicht müde, darauf mit Nachdruck hinzuweisen.[i]

Aber die existenzielle und spirituelle Wirklichkeit ist auch nach meiner festen Überzeugung genau mit dem Augenblick verknüpft. Der existenzielle Augenblick kennt aber keine Aspekte wie Konstanz oder Nicht-Konstanz. Er ist die Existenz-Zeit ohne zeitliche Dauer. Augenblicke entstehen unaufhörlich und vergehen wieder, und genau in diesen Augenblicken ist die Zeit gleichzeitig Wirklichkeit und Existenz.[ii]

Aber die Augenblicke sind absolut isoliert und getrennt voneinander, wie bei einigen Zen-Buddhisten zu hören ist. Das wäre eine metaphysische Doktrin, die in der Wirklichkeit nicht gefunden werden kann. Denn ohne Zweifel sind dies auch Aktivitäten des Gehirns, das keine absolutern Trennungen kennt und permanente Dynamik des neuronalen Netzes kennzeichnet.

Das Geheimnis der Buddha-Natur ist die lebendige Wechselwirkung des Entstehens und die klare überintellektuelle Kraft des Augenblicks. Das sind die Kernaussagen zur Überwindung des Dualismus und des Leidens.



[i] Macy, Joanna: Geliebte Erde, gereiftes Selbst. Mut zu Wandel und Erneuerung
[ii] vgl. Seggelke, Yudo J.: Strahlende Zeit zum Handeln. Im Auge des Zen, Bd. 2

Freitag, 4. August 2017

Die Ganzheit von Körper-und-Geist


Dôgen betont, dass alle wichtigen Meister – vor allem diejenigen, die eine Zen-Übertragungslinie begründet haben – den Zustand, ohne Dauerhaftigkeit zu sein, im Augenblick erfahren und gelebt haben.

Denn das Leben und die Wirklichkeit sind niemals konstant, starr und ohne Veränderung. Gerade die Überwindung des Leides erfordert Prozesse der Veränderung und Emanzipation. Wenn man diesen Zustand im Augenblick selbst lehrt, praktiziert und an sich erfährt, ist das die Buddha-Natur. Aber ohne den Körper ist ein solcher Zustand überhaupt nicht möglich, das macht Dôgen eindeutig klar, denn es geht immer um die Ganzheit von Körper-und-Geist. Nur dann verwirklicht sich die Buddha-Natur.[i]

Der Buddha-Zustand der Wahrheit ist unauflösbar mit dem Körper und Handeln verbunden. Der Buddha-Zustand und die menschlichen Funktionen als Buddha sind natürlich und frei von Illusionen, Täuschungen, Übertreibungen und Extremen.

Extremismus ist ohne die Buddha-Natur!

Natürlich heißt in diesem Zusammenhang keinesfalls simpel und untrainiert, sondern die Natürlichkeit ist der höchste Zustand der Praxis und des Trainings und erfordert jahrelange ausdauernde Übung. Das weiß jeder Sportler, jeder Künstler und kreativ Tätige aus eigener Erfahrung.

Ein solcher Zustand ohne Dauerhaftigkeit tritt selbstverständlich auch bei Laien auf. Er ist also nicht vom Priesterstand oder vom Leben als Nonne oder Mönch abhängig. Mit dieser Feststellung kritisiert Dôgen einige auch mir seltsam erscheinenden Ansichten von sogenannten Buddhisten, die glauben, dass allein Mönche in der Lage wären, Erleuchtung zu erlangen und die Buddha-Natur zu verwirklichen.

Daher müsse eine Frau zunächst als Mönch wiedergeboren werden, um dann Zugang zur Buddha-Natur zu bekommen – eine groteske Vorstellung, die dem Buddhismus geradezu ins Gesicht schlägt.

Dôgen distanziert sich mehrfach im Shôbôgenzô scharf von solchen Diskriminierungen der Frauen. Leider gibt es auch heute noch buddhistische Länder, in denen Nonnen keine vollwertige Ordination erhalten können.



[i] Kap. 17, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 152 ff.: „Die Dharma-Blume der Wahrheit dreht die Blume der Dharma-Welt (Hokke-ten-hokke)“; Kap. 33, ZEN Schatzkammer, Bd. 2, S. 80 ff.: „Der Bodhisattva des großen Mitgefühls und des Helfens (Kannon)

Montag, 17. Juli 2017

Angst und Lebenssicherheit im Buddhismus


Die scheinbare Lebenssicherheit, die man durch die Selbstüberhöhung gewinnt, kann die eigene Angst und die eigenen Minderwertigkeitsgefühle nicht wirklich besiegen, denn sie ist Selbstbetrug und daher eine Scheinlösung. Der Mensch ist im Sinne von Joanna Macy in diesem Fall fixiert und kein offenes System; er kann am „Tanz des Lebens“ nicht teilnehmen.[i]

Auch die amerikanische Zen-Meisterin Joko Beck beschäftigt sich vor allem mit Problemen der Angst, Selbstüberschätzung, des Ich-Bezuges und der überstarken Ich-Grenzen, die hauptsächlich die Funktion von psychischen Schutzwällen haben.[ii] Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit Teilnehmern ihrer Sesshins und Seminare hat sie festgestellt, dass damit jedoch nur ein höchst brüchiger Schutz erreicht wird.

Eines ihrer zentralen Anliegen ist es, sich dieser Grenzen und Angstbarrieren bewusst zu werden, um sie dann abbauen und neue Kräfte entwickeln zu können. Joko Beck rät, das Leben einfach anzunehmen und dadurch „heil zu sein für das Leben“. Sie empfiehlt Offenheit und gesunden Realismus, wenn man etwas tun will, also eine realistische Eigenbewertung in Bezug auf die Zukunft.

Die Verhärtungen und Erstarrungen von Körper und Geist müssen aufgelöst werden, damit Körper und Geist wieder „fließen“ können. Man muss beweglich und offen für die Umgebung und für sich selbst werden, dann kann die Dualität von Ich und Objekt überwunden werden, und neue Energien fließen einem zu. Aber das ist gewiss leichter gesagt als getan.

Was rät uns nun Dôgen, um diese Probleme zu lösen?
Die Bedeutung des Ausdrucks „Was ohne Dauerhaftigkeit ist“, geht weit über das hinaus, was Nicht-Buddhisten aber auch einige buddhistische Gruppen darunter verstehen. Nishijima und Cross erläutern hierzu, dass Dôgen damit auf das Sanskritwort anitya anspielt, das im Allgemeinen die prozesshaft gedachte Vergänglichkeit, Veränderlichkeit und Nicht-Ewigkeit bedeutet.[iii]

Häufig versteht man unter anitya im Buddhismus das bedingte Entstehen, also die vernetzten Veränderungen. Diese werden wiederum im Zusammenhang mit der Leerheit (shunyata) gesehen, die andauernd und unveränderlich sei. Dies ist nach Dôgen und Nishijima Roshi aber eine unzureichende Erklärung.

Es geht hier vielmehr um den ganz kurzen Augenblick, der ja von Natur aus niemals dauerhaft und konstant ist und sich als Zeitdauer nicht vernünftig darstellen lässt.
Da laut Dôgen die Wirklichkeit und Wahrheit des Lebens, hier also die Buddha-Natur, genau im Augenblick mit uns identisch ist, handelt es sich um eine ganz neue Interpretation der Veränderlichkeit und der Buddha-Natur.




[i] vgl. Macy, Joanna: Geliebte Erde, gereiftes Selbst. Mut zu Wandel und Erneuerung
[ii] vgl. Beck, Charlotte Joko: Einfach Zen
[iii] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 13, Fußnote 61