Dienstag, 26. Dezember 2017

Wirbelndes Licht


Für den großen Meister Padmasambhava, der auch „Lotos-Entstandener“ genannt wird, standen die Schönheit und Bewegung der Welt, das Licht und die Helligkeit im Mittelpunkt seiner spirituellen Erfahrung.

 Für mein Verständnis der Dynamik und Prozesshaftigkeit des Buddhismus ist dieser Meister deshalb besonders spannend: Dynamik, Veränderungen und Lichtenergien sind für ihn von zentraler Bedeutung. Sie bilden den Gegensatz zu einem statischen Weltbild der Dinghaftigkeit, unbeweglicher Zustände und unveränderlicher Substanzen, das auch von Nâgârjuna entschieden abgelehnt wird und dem Zen-Buddhismus ebenfalls völlig fremd ist. Ein statisches, um nicht zu sagen erstarrtes Welt- und Lebensbild gibt den Menschen nur eine scheinbare Sicherheit. Es ist gekennzeichnet durch eine Verengung des Geistes und führt nach meiner Erfahrung früher oder später zum Leiden.
Daher folge ich gern der Lebensphilosophie des Wandels und der Transformation.

In den letzten Jahren sind zum ersten Mal mehrere Übersetzungen und Interpretationen der Texte des großen buddhistischen Meisters Padmasambhava in deutscher Sprache erschienen.[1] Er hat neben Nâgârjuna wichtige Grundlagen vor allem des tibetischen Buddhismus erarbeitet und lebte im achten Jahrhundert nach der Zeitenwende vermutlich im östlichen Iran, nicht weit entfernt von der Grenze zum heutigen Afghanistan. Inzwischen gilt als gesichert, dass in dieser Region die Manichäer und Gnostiker einen großen Einfluss ausübten. Ihre Anschauungen haben vermutlich Eingang in Padmasambhavas Lehre gefunden

Etwa 600 Jahre nach Nâgârjuna und vermutlich weitgehend unabhängig vom chinesischen Chan entwickelte Meister Padmasambhava seine Lehre, die einen Höhepunkt des Tantra-Buddhismus[2] darstellt, der uns heute auch im tibetischen Original zugänglich ist. Sicher fehlen noch genauere Analysen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei großen buddhistischen Meister Nâgârjuna, Dôgen und Padmasambhava. Gerade deswegen möchte ich hier ein markantes Zitat bringen, das sich durch tiefgründige Poesie und große Glaubwürdigkeit auszeichnet:

„Aus dem Zentrum des Daseins, die reine sichtbare Erscheinungsform der dem Himmelsraum (gleichenden) wirbelnden Spiralbewegung (des Seins),
sie haben sich als ein strahlendes Licht manifestiert, unaufhörlich schöpferische Fähigkeiten:
Diese seinsmäßige Turbulenz hat sich als meine schöpferische Fähigkeit erwiesen.
Und das strahlende Licht ist die schöpferische Kraft meines Spiels (und meiner freudigen Bewegung).“[3]

Das Dasein wird als wirbelndes Licht bezeichnet, ist also Bewegung und Helligkeit. Dabei steht nicht fest, welches Dasein gemeint ist – dasjenige des Kosmos oder unser eigenes. Meines Erachtens spricht der Autor beides an, indem er uns die reine und wahre Erscheinungsform unseres Lebens und der Welt vor Augen führt. Und worin besteht eigentlich der Unterschied?

Das Licht bezeichnet Padmasambhava als unsere unaufhörliche, sich immer weiterentwickelnde schöpferische Fähigkeit. Seine Versen drücken die freudige Entwicklung im Buddhismus aus, sie sind weder negativ und deprimiert noch dogmatisch, sondern spielerisch, heiter wie ein Tanz und voller Kraft und Dynamik. Das ist der wahre Buddhismus!







[1] Padmasambhava, Buddhistische  Studienverlag 
[2] Peter Gäng, Übersetzer
[3] Guenther, Herbert: Wirbelndes Licht, S. 47