Samstag, 22. Dezember 2018

Wie erschaffen wir die verlässliche Wirklichkeit für den Weg der Befreiung?


In dem neuen Heft von Buddhismus Aktuell behandelt der bekannte Buddhologe Johannes Litsch die wichtige Frage, wie verlässlich wir eigentlich die Wirklichkeit erkennen. Er formuliert: "Wie wir unsere Wirklichkeit erschaffen"[1]. Diese Frage ist eng mit Buddhas Lehre von der rechten Sichtweise verbunden, die zentral für den Achtfachen Pfad und die Vier Edlen Wahrheiten ist. Denn es geht darum, Leiden und Schmerzen zu überwinden und sich zur Freiheit und Emanzipation zu verwirklichen. Ich halte diese Fragen für außerordentlich wichtig, um belastbare Grundlagen des Buddhismus gerade bei uns im Westen zu gewinnen.

Denn dadurch können wir nicht zuletzt den Missbrauch unredlicher Gurus und Meister an ihren SchülerInnen und Vertrauenden unschädlich machen:[2] Wir benötigen also verlässliche Grundlagen des Buddhismus und seiner großartigen und wirkungsvollen Praxis, um mit solidem Wissen den Missbrauch zu enttarnen und öffentlich machen zu können.

Wir gewinnen die rechte Sichtweise der Wirklichkeit nach Buddha und Meister Nagarjuna, indem wir die Extreme von absoluter Existenz oder absoluter Nicht-Existenz vermeiden. Unter diesen beiden oft ideologischen Begriffen kann ich mir ohnehin kaum etwas Vernünftiges vorstellen, obgleich sie, oft unbewusst, auch im Buddhismus weit verbreitet sind. 

Hier wird überflüssiges  Wort-Geklingel wohl als Philosophie verkauft. Buddha hatte daher mit der Enttarnung einer angeblich ewigen Existenz oder der totalen Nicht-Existenz von Menschen und Dingen gerade die Kernaussagen seiner eigenen Lehre der Befreiung und Lebensfreude geschaffen. Das ist die Lehre und Praxis des guten Lebens und unseres gelungenen Lebens, das seit der Antike auch die großen Philosophen im Westen umgetrieben hat. Und im Zen heißt es schlicht: "Erleuchtung ist Feuerholz tragen und Wasser schöpfen": Also gerade kein Wort-Geklingel!

Mit diesen Fragen habe mich seit vielen Jahren beschäftigt und im neuen Buch "Sternstunden des Buddhismus" zusammengefasst: Im frühen Buddhismus, in Nagarjunas Mittlerem Weg und Dogens Zen-Buddhismus. Dabei habe ich 15 Jahre lang mit meinem Lehrer Nishijima Roshi über diese Wahrheiten Buddhas zusammenarbeiten können, was mich mit tiefer Dankbarkeit erfüllt. Das Vorwort schrieb Zen-Meisterin Doris Zölls, Leiterin des Benediktushofes.

Ich begrüße daher von ganzem Herzen, dass an diesen verlässlichen und soliden Grundlagen des Buddhismus nunmehr verstärkt gearbeitet wird.

Dabei ist die Kernaussage Budhhas zum gemeinsamen Entstehen in Wechselwirkung (pratitya samutpada) der maßgebliche Schlüssel zur Frage, wie wir die Wirklichkeit klar erkennen und was nicht erkannt werden kann. Denn Ideologien, Illusionen, Spekulationen und Dogmen schaden dem Erkennen der Wirklichkeit und verwischen die Grenzen des Erkennens. Und das führt zu Leiden und Schmerzen, also gerade nicht zur Befreiung, Emanzipation, Lebensfreude und Erleuchtung.


Zu diesen Themen habe ich einige Texte in meinem Blog der buddhistischen Philosophie verfasst, Hier die links:

Wieder-Entdeckung der Mitte,
Täuschung und Ethik,
Präambel des Mittleren Weges, MMK,


[1] BUDDHISMUS AKTUELL 1/2019, S. 58 ff.
[2] Im selben Heft, S. 52 ff.

Dienstag, 18. Dezember 2018

Gutes Leben und Buddhas Achtfacher Pfad (Teil 1)


(Aus meinem neuen Buch "Sternstunden des Buddhismus")

Buddha erklärte nach dem Erwachen seinen Askese-Freunden den Achtfachen Pfad, das war seine erste Lehrrede. Er und seine Freunde hatten freiwillig  gemeinsam viel in der schmerzhaften Askese gelitten und gekämpft, jetzt gab es die  wahre Lösung. Dieser Weg führt ohne schmerzhafte Askese zu einem guten Leben und überwindet vielfältiges Leiden, das ja leider Realität in unserem Leben ist. Denn Leiden und Schmerzen kann man nicht einfach wegdiskutieren.

Dieser Weg der Befreiung und Lebensfreude ist die zentrale Erkenntnis Buddhas nach seiner langen und oft schmerzhaften Suche. Sie ist keine bloße Theorie oder abgehobenen Philosophie, sie ist seine bewährte eigene Erfahrung. Und jeder kann diesen Weg des guten Lebens gehen, und sie ist theoretisch gut begründet. Ich meine, dem können wir vertrauen. Buddha suchte nämlich nichts weniger als die Wahrheit für den Sinn und die Erfüllung in unserem Leben. Und dieser Befreiungs-Weg hat sich seit 2500 Jahren bewährt. Er hat heute im Westen nichts von seiner praktischen Kraft und Wirkung verloren. Im Gegenteil: Wir können diese Hilfen und diesen Rat heute dringender gebrauchen denn je! Dadurch lösen sich auch Stress und Angst, die Entfremdung durch Über-Technisierung und die schmerzliche Isolation des modernen Lebens auf.

Zen-Meister Dōgen untersucht und beschreibt den Achtfachen Pfad ausführlich in seinem großen Werk Shōbōgenzō, und zwar im Kapitel zum Erwachen. Seine tiefgründige und sehr praktische Beschreibung des Weges für ein gutes Leben sind damit die Verbindung des frühen authentischen Buddhismus mit dem Zen-Buddhismus und zum Mahāyāna. Denn Erwachen ist nichts anderes als die Klarheit für ein wirklich gutes Leben.[i]

Der erste sogenannten Zweig dieses Pfades ist die rechte Sichtweise, die vor allem durch die Klarheit entsteht, den Buddha-Weg zu gehen. Verhindert wird solche Klarheit durch das Nicht-Wissen und die falsche Sichtweise. Die rechte Sichtweise ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen und beschränkt sich nicht auf die visuelle Wahrnehmung durch die Augen. Durch die rechte Sichtweise werden wir nicht immer wieder neu irritiert und sehen den Sinn und das Ziel unseres Lebens und Zusammenlebens.

Der zweite Zweig ist der rechte Entschluss, also die rechte Gesinnung und Zielsetzung, die über theoretische Abstraktionen und Spekulationen hinausgehen und keine nur eigennützigen Absichten hegen. Buddha erklärt, dass dies eine „Gesinnung ohne Übelwollen“ und ohne Häme sei. Es ist der einfache Entschluss, niemanden zu verletzen und sich von unmoralischem falschen Handeln und Denken zu verabschieden. Diese Gesinnung ist auch die gute Wechselwirkung von Körper-und-Geist. Dōgen sagt dazu:

„Wenn wir das Denken in der Wirklichkeit erwecken, sind wir jenseits vom Ich und überschreiten die äußere Welt. Zur gleichen Zeit gehen wir direkt nach Vārānasī (Buddhas Ort der Lehre), indem wir genau im Augenblick der Gegenwart die konkreten Tatsachen denken.“

Er betont hier sowohl den gegenwärtigen Augenblick als auch die konkreten Tatsachen der Wirklichkeit, die einbezogen werden müssen. Also keine Versprechungen, die zu schön sind, um wahr zu sein.

Als dritter Zweig des Achtfachen Pfades ist die rechte Rede zu nennen, die den gesamten Körper-und-Geist umfasst. Sie ist für die Lehre des Buddha-Dharma  von großer Bedeutung. Buddha legt hierbei Wert darauf, dass wir Lügen, fake-news und Hinterhältigkeit vermeiden, niemanden verleumden und nicht grob und verletzend sondern mitfühlend und sorgsam mit anderen Menschen umgehen.

Der vierte Zweig betrifft das rechte Handeln. Hier geht es um gemeinsames Entstehen und gutes Handeln in Wechselwirkung. Nicht zuletzt darum, keinem zu schaden, kein Leben zu vernichten, sich nicht ungerechtfertigt zu bereichern und sich nicht ungesteuerter Sucht und Rücksichtslosigkeit zum Nachteil anderer Menschen hinzugeben. Zweifellos ist damit auch der sexuelle Missbrauch gemeint, vor allem mit Abhängigen und Minderjährigen. Hier heißt es, die Augen offen zu halten und mutig einschreiten, wenn Kinder in Gefahr sind.





[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 4, S. 32ff.

Sonntag, 9. Dezember 2018

Der Wendepunkt in Buddhas Leben: Erwachen mit der Natur


(Aus dem Buch: "Begegnung mit dem wahren Drachen" von G. W. Nishijima, Übersetzung Yudo J. Seggelke)

Buddha erkannte (nach langer schmerzhafter Askese), dass Asketentum kein Weg zur Wahrheit war, sondern nur zum Tod. Er wusste auch, dass der Tod nicht die Freiheit war, nach der er suchte.
Diese Erkenntnis war ein grundsätzlicher Wendepunkt im Leben Gautama Buddhas. Bis dahin hatte er nach der Wahrheit wie nach einem Wunschtraum gestrebt. Dieser Traum hatte ihn dazu gebracht, alle möglichen Arten von extremen Übungen zu versuchen und große Schmerzen, Entbehrungen und Härten durchzustehen. Aber jetzt erkannte er, dass solche extremen Praktiken ihn niemals zum Frieden bringen konnten und ihm niemals Glück und eine ausgeglichene Lebensweise ermöglichen würden.

Daher verließ Gautama Buddha kurz entschlossen ohne Bedauern und ohne weitere Erklärung den Ort seiner asketischen Praxis und wanderte am Ufer eines kleinen Flusses entlang. Dort traf er ein Mädchen, das einen Krug mit Milch trug. Als das Mädchen die elende und abgemagerte Gestalt des ehemaligen Prinzen sah, wusste sie, dass er unbedingt Nahrung brauchte, um nicht zu sterben. Sie bot ihm ihre Milch an, er nahm sie an und trank sie langsam voller Dankbarkeit.

Bald kehrten auch die früheren Kräfte in seinen gequälten Körper zurück. Er fühlte sich zum ersten Mal seit Jahren entspannt und wohl. Er verstand auf eine direkte und einfache Weise die große Bedeutung von Essen und Trinken im Leben der Menschen. Er sah zum ersten Mal, dass ein gesunder Körper und ein friedlicher Geist kein Gegensatz sind. Er entschied sich, ein neues Leben zu beginnen: ein einfaches und maßvolles Leben mit einfachen und angemessenen Aktivitäten.

Er fand einen schönen Baum am Ufer eines Flusses und unter den schützenden Ästen bereitete er sich einen angenehmen Sitzplatz. Als er dort unter dem Baum saß, ließ er sich in der natürlichen Sitzhaltung mit gekreuzten Beinen nieder, die ihm seit seiner Zeit der asketischen Schulung vertraut war. Jetzt saß er jedoch ohne besonderes Ziel und ohne asketische Absicht. Er saß nur – ruhig und friedlich.

 In der Ruhe dieses friedlichen Zustandes konnte Gautama Buddha sehen, was wirklich um ihn herum war. Er sah Bäume, Steine und Blätter. Er hörte die Vögel singen. Er spürte das Schlagen seines Herzens und die Kühle des Schweißes auf seiner Stirn. Er sah und fühlte alles genauso, wie es war und dies war wirklich wunderbar.

Ganz früh am Morgen, als er unter dem Baum saß, sah er einen einsamen Stern, hell und strahlend am östlichen Himmel. In diesem Augenblick entdeckte er, dass das ganze Universum wunderbar und lebendig war. Jeder Stern, jeder Baum, jeder Grashalm hat gleichen Anteil an dieser Vollkommenheit, die das gesamte Universum umfasste.

Gautama Buddha wusste, dass diese Vollkommenheit die große und einfache Wahrheit ist, die er so viele Jahre lang gesucht hatte. Er wusste nun ohne jeden Zweifel und mit klarer Sicherheit, dass die Wahrheit in jedem Ding und jeder Sache gegenwärtig ist  an jedem Ort und in jedem Augenblick. Er wusste, dass der Weg der Wahrheit, der Weg des Wissens und der Erfahrung dieser Wahrheit darin besteht, direkt an der sich entfaltenden Wirklichkeit des Lebens teilzuhaben. Die Wahrheit besteht darin, sich selbst im einfachen Handeln, im Tun, zu verwirklichen, so z. B. mit ganzem Herzen und mit ganzem Geist zu sitzen. Das Sitzen, der reine und einfache Vorgang des Sitzens, in der alten Haltung der Meister, war für Gautama Buddha das Tor zum wunderbaren Universum, das Tor zur wirklichen Welt. Dies war die Wahrheit selbst.