Montag, 27. Februar 2012

Den Frühling nicht verpassen!




Dōgen führt seine tiefgründigen Überlegungen zum wahren Frühling in der Sein-Zeit fort:
„Es trifft aber nicht zu, dass (die Vorstellung) des momenthaften Ablaufs der Zeit der (wirkliche) Frühling ist. Weil der Frühling genau der (wirkliche) Verlauf je im Augenblick der Zeit ist, hat die (jeweils in Augenblicken) fortschreitende Zeit schon die Wirklichkeit im Hier und Jetzt der Frühlingszeit (und damit konkreten Frühling) verwirklicht. Wir sollten (dieses) im Einzelnen untersuchen, indem wir zu (dieser Frage) zurückkehren und sie verlassen, immer wieder.“

Der Frühling umfasst ganz verschiedene konkrete Situationen, die alle ganzheitlich den Verlauf im Augenblick kennzeichnen und gerade nicht auf Erwartungen und Vorstellungen beschränkt sind. Hier wird ganz deutlich, dass Dōgen den Frühling nicht als eine gedachte Zeitstrecke versteht, die auf den Winter folgt und vom Sommer abgelöst wird. Eine solche Überlegung würde die abstrakte Vorstellung der linearen mechanischen Zeit voraussetzen. Aber die mechanische Zeit hat keine existentielle Kraft, sie ist kein wirkliches Leben, der wahre Frühling ist etwas anderes!


Wenn wir die Existenz des Frühlings genau untersuchen, besteht er aus verschiedene, sehr reale Zustände und Augenblicke, wie zum Beispiel die Erfahrung der milden Luft, des Eintreffens der Zugvögel, der grünen frischen Blätter, der plätschernden Bäche und der in den verschiedensten Farben blühenden Blumen.


Nishijima Roshi erläutert hierzu: „Wir sollten auch untersuchen, ob wir nur die Bezeichnung ‚momenthafter Verlauf‘ des Frühlings verwenden. Aber es gibt nichts anderes als den Frühling selbst. Der momenthafte Verlauf des Frühlings geht Augenblick für Augenblick unausweichlich durch den Frühling selbst.“ Und weiter: “Daher wird der Verlauf der Augenblicke genau zur Zeit des Frühlings verwirklicht.“


Und weiter: "Denn der Augenblick der Sein-Zeit und der Frühling sind nur im Jetzt identisch. Auf diese Weise sollten wir die Situationen im Einzelnen immer wieder wirklich erfahren.“

Aus diesen einzelnen Augenblicken der Sein-Zeit der lebendigen Erlebnisse setzt sich der Frühling wirklich zusammen. Der Begriff und die Vorstellung sind nur eine abgeleitete Abstraktion und daher ohne Kraft und wirkliche Frühlings-Energie. In der Abstraktion geht die Kraft verloren. Es sind also jeweilige Momente einer existenziellen Erfahrung des Handelns und Schauens, die jenseits von Denken und Reden liegen.

Diese verschiedenen Situationen und Augenblicke nennt Dōgen das momenthafte Verlaufen der Zeit. Demnach gibt es nichts anderes als diese Augenblicke des wirklichen Erlebens und Erfahrens und des intuitiven Verstehens in der gegenwärtigen Zeit. Die abstrakte Vorstellung und Bezeichnung „Frühling“ muss durch das Existenzielle der Augenblicke ersetzt werden, die jeweils da sind. Dann leben wir wirklich. Nur diese Augenblicke haben die Qualität der lebendigen Wirklichkeit, nicht jedoch der Begriff oder die Vorstellung des Frühlings. Wenn wir diese Augenblicke verpassen, verpassen wir den Frühling!

Dienstag, 21. Februar 2012

Das Jetzt des Frühlings



Die eigenen Anstrengungen auf dem Weg der Befreiung können wir nur selbst unternehmen, sie können uns nicht von anderen abgenommen werden, auch nicht von einem Meister oder Guru. Ein solcher kann für uns nur als Lehrer, Berater und Trainer fungieren, die Arbeit des Handelns müssen wir jedoch selbst leisten, denn Befreiung ist eigenes Handeln:


„Wir sollten in der Praxis lernen, dass ohne unsere eigenenAnstrengung in der Gegenwart, Augenblick für Augenblick, nicht ein einziger Dharma und auch nicht ein einzelnes Ding jemals wirklich existieren und von einem Augenblick zum nächsten fortdauern kann.“


Hier betont Dōgen, dass eine solche Anstrengung fortlaufend aber jeweils im Augenblick zu erbringen ist. Laut Nishijima Roshi können wir nur dann ein Element der Wirklichkeit und ein Ding oder Phänomen der Wirklichkeit überhaupt erfahren und intuitiv erkennen. Dies gilt für die ganze Vielfalt unserer Welt, sei sie dunkel oder strahlend und leuchtend. Aber durch den Augenblick wird sie leuchtend. Es führt also nicht weiter, die Hände in den Schoß zu legen, die Übungspraxis auszusetzen und sich romantisierend und theoretisch mit der Sein-Zeit zu beschäftigen. Diese Aufgabe können wir auch nicht an jemand anders abgeben, auch nicht an einen Lehrer, Priester oder Meister:

„Wir sollten niemals lernen, dass das Fortschreiten von einem Augenblick zum nächsten wie die kontinuierliche Bewegung des Windes und Regens von Osten nach Westen ist.“


Mit der Analogie der Windbewegung ist die Vorstellung der linearen Zeit angesprochen, die im Gegensatz zum Hier und Jetzt der Sein-Zeit steht. Ein solches scheinbar kontinuierliches Zeit-Modell entspringt intellektuellem Denken und der Vorstellung, ist aber nicht die spirituelle Erfahrung des Jetzt in der Wirklichkeit. Spiritualität und Befreiung gibt es nur im Jetzt! Das bedeutet natürlich nicht, dass es durchaus sinnvollen Anwendungen der linearen Zeit gäbe; man benötigt sie zum Beispiel, wenn man sich zu einer bestimmten Uhrzeit für eine Besprechung treffen möchte.


Aber eine solche lineare Zeit ist nicht die existenzielle Erfahrung, sondern nur ein organisatorischer Rahmen, in dem sich hoffentlich die Wirklichkeit einer offenen und herrschaftsfreien Kommunikation als Sein-Zeit ereignen kann. Die lineare Zeit ist also bestenfalls der Rahmen für das Erlebnis der Erleuchtung, die sich immer im Jetzt ereignet.


Was ist das Jetzt des Frühlings? Am Beispiel des Frühlings veranschaulicht Dōgen die Unterschiedlichkeit der linearen Zeit und der Sein-Zeit: Das unmittelbare Erleben und Erfahren des Frühlings durchstößt die Vorstellung der abstrakten Zeit und berührt uns existenziell und zentral.

„Der momenthafte Verlauf des Frühlings geht zum Beispiel unausweichlich Augenblick für Augenblick durch den Frühling selbst.“


Wir sollten uns also von einer Abstraktion des Frühlings in Gedanken oder Emotionen verabschieden und den Frühling wirklich handelnd im Jetzt erleben. Maßgeblich ist der Augenblick des konkreten Erlebens. Das heißt vor allem: Wir gehen nicht durch eine von uns getrennte Vorstellung, die wir „Frühling“ nennen, hindurch. Dann würden wir den wunderbaren Frühling nämlich ganz verpassen, unwiederbringlich.

Mittwoch, 15. Februar 2012

Mit Bemühen gibt es Erwachen



„An vielen Orten werden die Wesen der Sein-Zeit des Landes und des Wassers durch unsere eigenen Anstrengungen (beim Zazen) verwirklicht. Die vielen Arten von Wesen und die vielen individuellen Wesen, die als Sein-Zeit in der Dunkelheit und Helligkeit (leben), sind alle Verwirklichungen unserer eigenen Anstrengung und die Fortsetzung unserer Anstrengung, Augenblick für Augenblick.“

Was will Dōgen damit sagen? Vor allem, dass die Wirklichkeit der Welt durch unsere eigene Wirklichkeit entsteht, die immer die Sein-Zeit ist. Das ist die Überwindung der Dualität durch unsere Praxis, dann verwirklichen wir unser Leben und das Universum! Das ist die Überwindung vieler Arten des Leidens.


Nishijima Roshi hebt ebenfalls hervor, dass es unserer eigenen, fortgesetzten Anstrengung in jedem Augenblick bedarf, damit eine Wirklichkeit oder auch eine nur Sache realisiert werden kann: „In der dunklen und in der hellen Welt sind die vielfältigen Tiere und verschiedenen Menschen durch unsere großen Anstrengungen verwirklicht worden. Sie sind durch die Fortsetzung unserer eigenen Anstrengungen je im Augenblick offenbar geworden.“

Dōgen behandelt dieses Thema ausführlicher im Kapitel über die Verwirklichung des Universums und unseres Lebens (Genjo koan). Ohne unser eigenes Bemühen seien überhaupt keine Verwirklichung und kein Erwachen möglich. Damit macht er eindeutig klar, dass es eine lässige, mühelose Verwirklichung der Sein-Zeit und damit die Erleuchtung nicht gibt. Das Gleichgewicht erreicht man nicht ohne Aufwand und nicht ohne Anstrengung, die sich jeweils im Augenblick durch die Einheit von Praxis und Erfahrung – wie zum Beispiel beim Lotos-Zazen – verwirklicht.

Die Sein-Zeit des Augenblicks kann aber andererseits als Wirklichkeit nicht durch unser falsches Verhalten verhindert oder gebremst werden. Die Augenblicke schreiten voran, ganz gleich, ob wir dies wollen oder nicht. Sie sind einfache Realität. Wenn wir sie verpassen, vergeuden wir das wahre Leben. Das ist genau so, als wenn wir ein teures Konzert besuchen, aber die Musik verpassen, weil wir sie nicht wirklich erleben, sie rauscht an uns vorbei und wir haben nichts davon.

Dōgen greift bei dieser Aussage auf die alten Gleichnisse der himmlischen Götter zurück, die nach der Legende zur Rechten oder zur Linken durch unsere Praxis erscheinen. Diese göttlichen Symbole entstehen aber durch unser eigenes Bemühen, so wie die verschiedenartigen Lebewesen des Landes und der Meere in ihrer Wirklichkeit der Sein-Zeit durch unsere Anstrengung erscheinen. Das ist zweifellos eine unerwartete Aussage für unsere westliche Kultur. Die Götter sind dabei die symbolische Figuren für unser mögliches Glück im Leben.

Donnerstag, 9. Februar 2012

Zen-Kreis Berlin

Liebe Zen-Freundinnen und Zen-Freunde,

ich möchte zu unserem nächsten Treffen des ZEN-Gesprächskreises am

Samstg, 3. März 2012 um 18.00Uhr

in unserem Zentrum in Berlin-Kreuzberg einladen.

Thema ist:

Die Kraft der ZEN-Meditation.

Bitte hier für den Text klicken


Link:
http://www.jujisan.de/

Dabei will ich auch auf die authentische Lehre von Gautama Buddha zum Samadhi eingehen.
Vor allem steht natürlich der ZEN von Dogen im Vordergrund.

Herzlich
Yudo

Montag, 6. Februar 2012

Menschliche Hautsäcke erkennen nicht die Sein-Zeit

Nishijima Roshi betont, dass man durch Denken und den buddhistischen Idealismus allein niemals das Erwachen wirklich erreichen kann, weil solches Denken weitgehend Illusion und Einbildung bleibt. Dōgen dazu:


„(Menschliche) Hautsäcke erkennen (Zeit nur) als Weggehen und Kommen (!). Niemand hat sie als Sein-Zeit durchdrungen, die an ihrem Ort weilt: Wie viel weniger könnte irgend(jemand) erfahren, dass die Zeit durch das Tor (des Dualismus bereits) hindurchgegangen ist?“

Die für unsere Ohren etwas drastische Bezeichnung „menschlicher Hautsack“ verwendet Dōgen für die gewöhnlichen Menschen, die den Buddha-Dharma nicht suchen und sich nicht auf den Weg der Befreiung gemacht haben. Für solche Menschen sei es leider unmöglich, die Zeit als Sein-Zeit zu erfahren und die Zeit sowohl als eine Folge von Augenblicken als auch als Augenblick selbst zu erfahren. Damit verharren sie bei der linearen Zeit in der Unterscheidung von Subjekt und Objekt, also im Dualismus. Dieser Dualismus markiert gleichzeitig die Trennung vom Subjekt und Objekt sowohl beim Idealismus als auch bei dessen Negation, dem Materialismus.


Dōgen weist im Folgenden darauf hin, dass es von zentraler Bedeutung sei, das „Unfassbare“, man kann auch sagen das Göttliche, in der Sein-Zeit zu erlangen, was allerdings vielen Menschen verwehrt sei, selbst wenn sie ihren Ort im Dharma gefunden hätten. Die Wirklichkeit von Bodhi und Nirvāna ist nach Dōgen die Sein-Zeit, also wirkliche Existenz, unabhängig davon, wie gewöhnliche Menschen dies interpretieren oder verstehen mögen.


Dieser Ansatz ähnelt dem Inhalt eines Gedichtes von Daikan Enō, das im Shōbōgenzō im Kapitel über das Lotos-Sūtra vorkommt. Daikan Enō sagt darin, dass die Wirklichkeit des Universums, die er als Dharma-Blume bezeichnet, sich ganz unabhängig davon dreht, ob wir an dieser wunderbaren Wirklichkeit teilhaben oder nicht. Das heißt, selbst wenn wir uns durch unsere festgefahrenen Meinungen und Bewertungen von der Wirklichkeit entfernt haben, dreht sich die Dharma-Blume der großen Wahrheit weiter. Dies ist auch gleichzeitig eine tröstliche Aussage: Wenn wir aus unseren Illusionen und Täuschungen erwacht sind, finden wir direkt den Zugang zu dieser wunderbaren Wirklichkeit der Dharma-Blume, die immer da war.


Dōgen führt seinen Gedanken fort:
Kurz gesagt verwirklicht sich die Sein-Zeit, ohne dass die (üblichen) Begrenzungen und Behinderungen beendet sind.“


Wir alle leben in sozialen und gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen, die einerseits als Begrenzungen empfunden werden, aber andererseits unser Leben überhaupt erst ermöglichen. Die Wirklichkeit der Sein-Zeit ist jedoch trotz dieser Bedingungen vorhanden, die durch Grenzen, Restriktionen sowie „Käfige und Netze“ in der Lebenswelt gegeben sind. Viele Zwänge gibt es nur in unserem Gehirn! Sie können aufgelöst werden.