Raumeindruck von Tokei-In
Koku setzt sich aus zwei Worten zusammen, Ko bedeutet leer oder ohne etwas und ku bedeutet Raum, Luft oder auch Leerheit. Der Begriff Koku wird im Zen-Buddhismus häufig verwendet, und hat immer wieder Anlass zu Missverständnissen und esoterischen Spekulationen gegeben. Er gleicht damit dem Begriff Mu oder Ku in dem bekannten Koan der Rinzai-Linie, mit der Bedeutung „nichts dergleichen“.Raum und Zeit haben seit dem Beginn der menschlichen Kultur immer wieder Philosophen und große Denker angeregt, und es wurden verschiedene Theorien und philosophische Erklärungen hierfür gesucht und gelehrt. Auch in China wurde dies aufgegriffen und an alte indische Tradition angeknüpft.
Nishijima Roshi hat im Einzelnen zu diesem Kapitel erläutert, dass Dôgen den Raum hier überwiegend nach der zweiten Lebensphilosophie des Materiellen, also der Form, beschreibt. Wir würden dies heute als naturwissenschaftliche Dimension bezeichnen.
Dôgen behandelt die buddhistischen Themen nach Aussage von Nishijima Roshi immer aus den verschiedenen Dimensionen in den vier Lebensphilosophien. In diesem Kapitel überwiegt die materielle Sichtweise, aber sie geht gegen Ende des Kapitels in den höchsten Zustand der umfassenden Wirklichkeit des Buddhismus über. Dies ist die vierte Lebensphilosophie. Damit überschreitet Dôgen die einseitige materielle Sichtweise unserer sinnlichen Wahrnehmung des Sehens und Hörens usw.
Dôgen behandelt das Thema des Raumes sehr tiefgründig und direkt auf die Wirklichkeit bezogen. Damit eröffnet er im Zen-Buddhismus für diese Frage eine neue Dimension. Er greift dabei auf verschiedene Koan-Geschichten und Dialoge berühmter Meister zurück. Im Bd. 1, Nr. 96 des Shinji-Shobogenzo wird ein viel gerühmtes Koan-Gespräch zwischen Meister Rinzai und Meister Fuke wiedergegeben. Rinzai neigte eher zu einem theoretischen und z. T. spekulativem Verständnis des Buddhismus, während Fuke oft radikal die Wirklichkeit des Hier und Jetzt ins Zentrum rückte. In der Koan-Geschichte sagte Rinzai:
"In den Sutras heißt es, dass ein Haar den großen Ozean verschlingen kann und ein Mohnkorn den Berg Sumeru. Sind dies auch Beispiele "mystischer Fähigkeiten" oder "glänzender Leistungen" oder sind sie nur wirkliche Tatsachen, wie sie sind?"
Meister Fuke stieß daraufhin mit einem Ruck den gedeckten Tisch um, an dem sie als Gäste mit den Gastgebern zusammen Platz genommen hatten und sagte:
"Dieser Ort, an dem wir existieren, ist unfassbar."
Meister Fuke wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Aussage und Frage von Meister Rinzai viel zu theoretisch und spekulativ ist und handelt abrupt und sicher auch nicht gerade höflich, indem er mit einem jähen Ruck den gedeckten Tisch mit Speisen und Getränken umwarf. Offensichtlich ärgert er sich über die abstrakten Gedankengänge von Rinzai und wollte ohne viel Worte durch direktes Handeln aus den theoretischen „Denknestern“ herauskommen.
Seine Worte: "Dieser Ort, an dem wir existieren, ist unfassbar" enthält mehrere Teilaussagen, die wir kurz untersuchen wollen. Im ersten Teil heißt es "Dieser Ort" und damit unterstreicht Fuke, dass dieser Ort ganz wirklich vorhanden ist. Er sagt dann. dass wir an dem Ort „existieren" und auch hierfür gilt, dass er die wirkliche Existenz des Menschen bestätigt und darauf aufbaut. Er behauptet also nicht, dass es z. B. nur den Geist gäbe und dieser die eigentliche Wirklichkeit sei, oder dass der Mensch nur ein Traumgebilde ist, dem keine Wirklichkeit zukommt. Bekanntlich gibt es im Buddhismus bestimmte Strömungen, die nur dem Geist die Qualität der Wirklichkeit geben und die materielle Wirklichkeit der Welt ablehnen oder als unwesenentlich beiseite schieben.
Im dritten Teil des Satzes sagt er, dass dieser Ort „unfassbar“ ist. Er spricht damit unmissverständlich die Begrenztheit des Denkens und der Wahrnehmung von uns Menschen an. Die Wirklichkeit des hiesigen Ortes übersteigt das, was wir denken, sagen und wahrnehmen können und wir sollten uns dessen in Klarheit und Bescheidenheit bewusst sein. Demgegenüber hatte Rinzai von mystischen und paradoxen Zusammenhängen gesprochen, die in der Tat ganz im Bereich des Denkens, der Spekulation und der Vorstellung angesiedelt sind und kaum mit der Wirklichkeit in Verbindung gebracht werden können.
Mit diesem Kapitel sagt Dôgen also, dass es um diesen ganz konkreten Ort geht und nicht um irgendeine spekulative, esoterische Vorstellung von Leerheit und Raum. Er unterstreicht die herausregende Bedeutung dieses Zitates und sagt, dass die buddhistischen Vorfahren im Dharma durch diese Worte selbst wirklich waren. Er betont dann, dass quantitative Maße und abzählbare Kategorien des Raumes ungeeignet sind, um dessen Wirklichkeit ganz zu beschreiben, selbst wenn zwanzig Kategorien in einem wichtigen Sutra hierzu angeführt werden. Da der Raum dieses Ortes die unfassbare Wirklichkeit ist, müsste man eher davon sprechen, dass es unendlich viele Kategorien gibt.
Dôgen zitiert dann ein zunächst sehr eigenartig erscheinendes Koan-Gespräch der alten großen Meister aus dem 8. Jahrhundert, das etwas verkürzt wie folgt lautet: Der Zenmeister Shakkyo fragt den Mönch Seido, der später selbst Meister wurde:
"Verstehst du, wie man den Raum ergreift?"
Daraufhin macht Seido mit seiner Hand eine Bewegung, als ob er nach dem Raum greift, ob er also etwas Konkretes ergreift. Dies überzeugt Meister Shakkyo jedoch nicht und er sagt unverblümt, dass Seido es nicht versteht, den Raum wirklich zu greifen. Dieser bittet den Meister daraufhin, es ihm zu zeigen.
Der Meister ergreift daraufhin plötzlich mit festem Griff die Nase Seidos und zieht kräftig an ihr. Dieser hat einen stechenden Schmerz in der Nase und schreit auf. Er sagt dem Meister unter Schmerzen:
"Es ist sehr brutal mit Gewalt an der Nase eines Menschen zu ziehen, aber ich war direkt in der Lage, frei zu werden."
Meister Shakkyo fügt noch hinzu, dass er diesen Schmerz hätte vermeiden können, wenn er von Anfang an in der Lage gewesen wäre, den Raum direkt und wirklich zu erfassen.
Dôgen erläuter im Folgenden, dass es darum geht, ob Seido im buddhistischen Sinn den Körper als Hände und Augen vollständig verwirklicht hat wie der großen Meister Shakkyo. Der Raum ist eine Wirklichkeit, der aus der Sicht des Zen-Buddhismus in seiner natürlichen Reinheit beschmutzt wird, wenn man ihn durch unnötige Theorie verzerrt und verändert. Die Frage, ob man den Raum ergreifen kann bedeutet also, ob man ihn in seiner natürlichen Wirklichkeit und Reinheit versteht und gleichzeitig weiß, dass man ihn mit dem Verstand nicht begreifen kann, weil er unfassbar ist.
Unsere Welt und unsere Umgebung sind in der Tat ohne die räumliche Dimension und damit ohne den Raum nicht vorstellbar. Alle konkreten Dinge besitzen eine räumliche Dimension und Anordnung im Universum. Wir würden in einer imaginären Scheinwelt leben, wenn es diesen konkreten Raum nicht gäbe. Es ist anzumerken, dass der Raum in der altindischen Lehre ein materielles Element war, so wie Erde, Feuer, Wasser usw.. Dôgen erklärt, dass Seidos Greifbewegung mit der Hand zwar ein Teil der Wirklichkeit des Raumes erfasst habe, aber nicht das Wesentliche und den Kern im Sinne der buddhistischen Lehre.
Meister Shakkyo war fest davon überzeugt, dass es keinen Sinn habe, die wirkliche Bedeutung des Raumes mit Worten zu erklären, sodass er unvermittelt und für Seido sehr schmerzlich direkt handelte. Dieser plötzliche Schmerz durchbrach die Mauer der bisherigen Vorstellungen und des Denkens und befreite Seido von seinen lang fixierten Blockaden. Dôgen sagt weiterhin, dass Seido dadurch nicht nur unmittelbar die Wirklichkeit des Raumes in der Praxis erlernt habe, sondern dass er sich damit auch zum ersten Mal selbst wirklich begegnet sei.
Dôgen verweist auf ein anderes bekanntes Koan (Shinji Shobogenzo, Bd. 2, Nr. 1) mit einem Gespräch zwischen den großen Meistern Daikan Enô und Nangaku, in dem es um die Einheit von Praxis und der verwirklichten Erfahrung geht. Wenn diese Einheit zerstört werde, geht die Wirklichkeit zwangsläufig verloren und wird gleichzeitig beschmutzt. Eine unverschmutzte Einheit sei aber das wesentliche Merkmal aller Buddhas und großen Meister und diese Einheit sei rein, lebendig und authentisch von einem Meister zum anderen übertragen.