Sonntag, 31. August 2008

Die Wirklichkeit des Raumes (Teil 1)

Dieses Kapitel (Kap. 77) hat die japanische Bezeichnung Koku und bedeutet Raum oder leerer Raum, oder wie wir es hier genannt haben, die Wirklichkeit des Raumes.
Raumeindruck von Tokei-In
Koku setzt sich aus zwei Worten zusammen, Ko bedeutet leer oder ohne etwas und ku bedeutet Raum, Luft oder auch Leerheit. Der Begriff Koku wird im Zen-Buddhismus häufig verwendet, und hat immer wieder Anlass zu Missverständnissen und esoterischen Spekulationen gegeben. Er gleicht damit dem Begriff Mu oder Ku in dem bekannten Koan der Rinzai-Linie, mit der Bedeutung „nichts dergleichen“.

Raum und Zeit haben seit dem Beginn der menschlichen Kultur immer wieder Philosophen und große Denker angeregt, und es wurden verschiedene Theorien und philosophische Erklärungen hierfür gesucht und gelehrt. Auch in China wurde dies aufgegriffen und an alte indische Tradition angeknüpft.

Nishijima Roshi hat im Einzelnen zu diesem Kapitel erläutert, dass Dôgen den Raum hier überwiegend nach der zweiten Lebensphilosophie des Materiellen, also der Form, beschreibt. Wir würden dies heute als naturwissenschaftliche Dimension bezeichnen.

Dôgen behandelt die buddhistischen Themen nach Aussage von Nishijima Roshi immer aus den verschiedenen Dimensionen in den vier Lebensphilosophien. In diesem Kapitel überwiegt die materielle Sichtweise, aber sie geht gegen Ende des Kapitels in den höchsten Zustand der umfassenden Wirklichkeit des Buddhismus über. Dies ist die vierte Lebensphilosophie. Damit überschreitet Dôgen die einseitige materielle Sichtweise unserer sinnlichen Wahrnehmung des Sehens und Hörens usw.

Dôgen behandelt das Thema des Raumes sehr tiefgründig und direkt auf die Wirklichkeit bezogen. Damit eröffnet er im Zen-Buddhismus für diese Frage eine neue Dimension. Er greift dabei auf verschiedene Koan-Geschichten und Dialoge berühmter Meister zurück. Im Bd. 1, Nr. 96 des Shinji-Shobogenzo wird ein viel gerühmtes Koan-Gespräch zwischen Meister Rinzai und Meister Fuke wiedergegeben. Rinzai neigte eher zu einem theoretischen und z. T. spekulativem Verständnis des Buddhismus, während Fuke oft radikal die Wirklichkeit des Hier und Jetzt ins Zentrum rückte. In der Koan-Geschichte sagte Rinzai:

"In den Sutras heißt es, dass ein Haar den großen Ozean verschlingen kann und ein Mohnkorn den Berg Sumeru. Sind dies auch Beispiele "mystischer Fähigkeiten" oder "glänzender Leistungen" oder sind sie nur wirkliche Tatsachen, wie sie sind?"

Meister Fuke stieß daraufhin mit einem Ruck den gedeckten Tisch um, an dem sie als Gäste mit den Gastgebern zusammen Platz genommen hatten und sagte:

"Dieser Ort, an dem wir existieren, ist unfassbar."

Meister Fuke wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Aussage und Frage von Meister Rinzai viel zu theoretisch und spekulativ ist und handelt abrupt und sicher auch nicht gerade höflich, indem er mit einem jähen Ruck den gedeckten Tisch mit Speisen und Getränken umwarf. Offensichtlich ärgert er sich über die abstrakten Gedankengänge von Rinzai und wollte ohne viel Worte durch direktes Handeln aus den theoretischen „Denknestern“ herauskommen.

Seine Worte: "Dieser Ort, an dem wir existieren, ist unfassbar" enthält mehrere Teilaussagen, die wir kurz untersuchen wollen. Im ersten Teil heißt es "Dieser Ort" und damit unterstreicht Fuke, dass dieser Ort ganz wirklich vorhanden ist. Er sagt dann. dass wir an dem Ort „existieren" und auch hierfür gilt, dass er die wirkliche Existenz des Menschen bestätigt und darauf aufbaut. Er behauptet also nicht, dass es z. B. nur den Geist gäbe und dieser die eigentliche Wirklichkeit sei, oder dass der Mensch nur ein Traumgebilde ist, dem keine Wirklichkeit zukommt. Bekanntlich gibt es im Buddhismus bestimmte Strömungen, die nur dem Geist die Qualität der Wirklichkeit geben und die materielle Wirklichkeit der Welt ablehnen oder als unwesenentlich beiseite schieben.

Im dritten Teil des Satzes sagt er, dass dieser Ort „unfassbar“ ist. Er spricht damit unmissverständlich die Begrenztheit des Denkens und der Wahrnehmung von uns Menschen an. Die Wirklichkeit des hiesigen Ortes übersteigt das, was wir denken, sagen und wahrnehmen können und wir sollten uns dessen in Klarheit und Bescheidenheit bewusst sein. Demgegenüber hatte Rinzai von mystischen und paradoxen Zusammenhängen gesprochen, die in der Tat ganz im Bereich des Denkens, der Spekulation und der Vorstellung angesiedelt sind und kaum mit der Wirklichkeit in Verbindung gebracht werden können.

Mit diesem Kapitel sagt Dôgen also, dass es um diesen ganz konkreten Ort geht und nicht um irgendeine spekulative, esoterische Vorstellung von Leerheit und Raum. Er unterstreicht die herausregende Bedeutung dieses Zitates und sagt, dass die buddhistischen Vorfahren im Dharma durch diese Worte selbst wirklich waren. Er betont dann, dass quantitative Maße und abzählbare Kategorien des Raumes ungeeignet sind, um dessen Wirklichkeit ganz zu beschreiben, selbst wenn zwanzig Kategorien in einem wichtigen Sutra hierzu angeführt werden. Da der Raum dieses Ortes die unfassbare Wirklichkeit ist, müsste man eher davon sprechen, dass es unendlich viele Kategorien gibt.

Dôgen zitiert dann ein zunächst sehr eigenartig erscheinendes Koan-Gespräch der alten großen Meister aus dem 8. Jahrhundert, das etwas verkürzt wie folgt lautet: Der Zenmeister Shakkyo fragt den Mönch Seido, der später selbst Meister wurde:

"Verstehst du, wie man den Raum ergreift?"

Daraufhin macht Seido mit seiner Hand eine Bewegung, als ob er nach dem Raum greift, ob er also etwas Konkretes ergreift. Dies überzeugt Meister Shakkyo jedoch nicht und er sagt unverblümt, dass Seido es nicht versteht, den Raum wirklich zu greifen. Dieser bittet den Meister daraufhin, es ihm zu zeigen.
Der Meister ergreift daraufhin plötzlich mit festem Griff die Nase Seidos und zieht kräftig an ihr. Dieser hat einen stechenden Schmerz in der Nase und schreit auf. Er sagt dem Meister unter Schmerzen:

"Es ist sehr brutal mit Gewalt an der Nase eines Menschen zu ziehen, aber ich war direkt in der Lage, frei zu werden."

Meister Shakkyo fügt noch hinzu, dass er diesen Schmerz hätte vermeiden können, wenn er von Anfang an in der Lage gewesen wäre, den Raum direkt und wirklich zu erfassen.
Dôgen erläuter im Folgenden, dass es darum geht, ob Seido im buddhistischen Sinn den Körper als Hände und Augen vollständig verwirklicht hat wie der großen Meister Shakkyo. Der Raum ist eine Wirklichkeit, der aus der Sicht des Zen-Buddhismus in seiner natürlichen Reinheit beschmutzt wird, wenn man ihn durch unnötige Theorie verzerrt und verändert. Die Frage, ob man den Raum ergreifen kann bedeutet also, ob man ihn in seiner natürlichen Wirklichkeit und Reinheit versteht und gleichzeitig weiß, dass man ihn mit dem Verstand nicht begreifen kann, weil er unfassbar ist.

Unsere Welt und unsere Umgebung sind in der Tat ohne die räumliche Dimension und damit ohne den Raum nicht vorstellbar. Alle konkreten Dinge besitzen eine räumliche Dimension und Anordnung im Universum. Wir würden in einer imaginären Scheinwelt leben, wenn es diesen konkreten Raum nicht gäbe. Es ist anzumerken, dass der Raum in der altindischen Lehre ein materielles Element war, so wie Erde, Feuer, Wasser usw.. Dôgen erklärt, dass Seidos Greifbewegung mit der Hand zwar ein Teil der Wirklichkeit des Raumes erfasst habe, aber nicht das Wesentliche und den Kern im Sinne der buddhistischen Lehre.

Meister Shakkyo war fest davon überzeugt, dass es keinen Sinn habe, die wirkliche Bedeutung des Raumes mit Worten zu erklären, sodass er unvermittelt und für Seido sehr schmerzlich direkt handelte. Dieser plötzliche Schmerz durchbrach die Mauer der bisherigen Vorstellungen und des Denkens und befreite Seido von seinen lang fixierten Blockaden. Dôgen sagt weiterhin, dass Seido dadurch nicht nur unmittelbar die Wirklichkeit des Raumes in der Praxis erlernt habe, sondern dass er sich damit auch zum ersten Mal selbst wirklich begegnet sei.

Dôgen verweist auf ein anderes bekanntes Koan (Shinji Shobogenzo, Bd. 2, Nr. 1) mit einem Gespräch zwischen den großen Meistern Daikan Enô und Nangaku, in dem es um die Einheit von Praxis und der verwirklichten Erfahrung geht. Wenn diese Einheit zerstört werde, geht die Wirklichkeit zwangsläufig verloren und wird gleichzeitig beschmutzt. Eine unverschmutzte Einheit sei aber das wesentliche Merkmal aller Buddhas und großen Meister und diese Einheit sei rein, lebendig und authentisch von einem Meister zum anderen übertragen.

Sonntag, 24. August 2008

Frage von Markus zum Kapitel Genjo Koan

Hallo Herr Seggelke,

Danke für die nochmalige Erklärung der einzelnen Sätze. Ich glaube ich habe die Probleme, die ich beim zweiten Satz hatte, jetzt gelöst.

Das Handeln ist implizit in Satz 3 angesprochen, da es Voraussetzung für die Phase 4 ist. ..."Die Interpretation des 3. Satzes als Handeln wird wohl nur aus dem Gesamtverständnis und persönlicher Erfahrung erkennbar, Mangels dessen kam meine Frage.

"... Im Kapitel Genjo Koan wird es in einem gesonderten folgenden Abschnitt vertieft behandelt.“

Meinen Sie damit den direkt folgenden Abschnitt: „Es ist Täuschung …“ oder einen anderen?
Vielen Dank,
Markus

Lieber Markus,

vielen Dank für Ihre Frage. Da ich den ersten Band vom Shobogenzo verliehen hatte, kann ich leider erst jetzt antworten.Die wesentlichen Aussagen des genannten Absatzes vom Kap. 3, Genjo Koan haben Sie m. E. sehr gut erfasst:

Der erste Satz spricht die buddhistische Lehre, also den Buddha Dharma an. Denn ohne die Sûtras und die Lehre wie z. B. das Shobogenzo könnten wie wohl kaum den Zugang zum Buddhismus bekommen.

Der Zweite Satz handelt von der Form und der Vielfalt der Welt, in der wir leben. Ohne diese Außenwelt könnten wir auch nicht existieren. Der Zen-Buddhismus legt darauf ebenfalls ein großes Gewicht.

Der Dritte und vierte Satz sprechen die höchste Möglichkeit der Überwindung des Dualismus, also des Erwachens zur Wirklichkeit, an und integrieren die ersten beiden Dimensionen, nämlich die buddhistischen Lehre und die Form. Die Form als zweite Dimension wird so mit dem Erwachen oder der Leerheit der vierten Dimension verschmolzen: „Form-Leere, Leere-Form“.

Dogen erklärt dies sehr kompakt im Kap. 2 „Das Paramita der großen Weisheit“. Dazu ist Handeln, also die dritte Lebens-Dimension, notwendig.Das Handeln und Erleben im Zazen sind nicht statisch

Genau genommen kommt die Dimension des Handelns nach Nishijima Roshi in jedem Kapitel vor.Im Genjo Koan (Shobogenzo, Bd. 1, S. 57 ff) möchte ich auf folgende Zitate als Beispiele hinweisen:

Erste Hauptaussage:Wie von Ihnen erwähnt: „Es ist Täuschung, wenn wir uns selbst zwingen…zu üben und zu erfahren. Es ist Erwachen, wenn die zehntausend Dinge uns selbst auf natürliche Weise üben und erfahren.“

Wenn wir Körper und Geist benutzen, (nur) um Formen zu sehen und Klänge zu hören, nehmen wir immer nur einen Teil wahr.“ Dies ist also die nur materielle Sicht, die die ganze Wirklichkeit nicht erfahren kann.

Aber auch folgende Aussagen sind wesentlich:
Den Weg zu ergründen, heißt sich selbst zu ergründen…“
Gleichnis vom Boot (S. 58): „Wenn wir jedoch unmittelbar handeln…“
Gleichnis vom Boot (S. 59): „…aber wir erkennen und begreifen sie nur, soweit unsere Praxis" und "unser Studium…es ermöglichen

Das Gleichnis der Fische und Vögel (S.59-60) baut ganz auf dem Handeln und der Aktivität des natürlichen Lebens auf: Die Frage lautet: Was ist das Handeln in der Welt und welchen Platz hat es in der Wirklichkeit des Dharma?

Weiter:„Dasselbe gilt, wenn ein Mensch die Buddha-Wahrheit wirklich praktiziert und erfährt“.

Dies kommt daher, dass dieses Wissen und die vollkommene Verwirklichung des Buddha-Dharma (dasselbe sind).“

Schließlich zielt die ganze Koan-Geschichte von Zen-Meister Ho-tetsu auf das Handeln ab, als er sich ohne Worte Luft zur Kühlung zufächelte und der Mönch dadurch das Erwachte erlebte.Nach Dogen ist also der höchste Zustand immer mit wahrem Handeln verbunden. Es wird im Shobogenzo neben den speziellen Zazen-Kapiteln vielfach erläutert.Folgende Kapitel sind hauptsächlich zu nennen, die ganz wichtigen habe ich gekennzeichnet:

10. Erzeugt kein Unrecht
17. Die Blume des Dharmas dreht die Blume des Dharmas (Lotos-Sutra nach Dogen)
23. Das reine und würdevolle Handeln der Buddhas
30. Das Bewahren der reinen Praxis
33. Bodhisattva-Handeln
41. Die Dynamik des ganzen Universums
45. Die vier Arten des sozialen Handels der Bodhisattvas
57. Die Übertragung von Angesicht zu Angesicht
64. Der Alltag ( und das Handeln)
76. Die große Praxis
84. Das Karma in den drei Zeiten
89. Das Gesetz von Ursache und Wirkung

Vor allem in den Kapiteln 10., 23., 33., 45. und 89. wird dann die notwendige Verbindung mit der Moral beim Handeln hergestellt.

Vielen Dank für Ihre präzisen Fragen.
Herzlich
Yudo

Freitag, 22. August 2008

Samadhi als Erfahrung des Selbst (Teil 2)

Den Dharma zu hören und ihn zu lehren, vollzieht sich mit unserem ganzen Körper in jedem Augenblick, in unserem ganzen Leben. Dadurch lassen wir nach Dôgen unser Leben nicht sinnlos vergehen und erweitern unsere Praxis von einer Stunde zu einem Tag und von einem Jahr zum ganzen Leben.
Buddhastatue in der Höhle von Datong

Dabei sei es nicht wichtig, alles intellektuell und durch Unterscheidung vollkommen zu begreifen, weil wir sonst endlose Weltzeitalter abwarten müssten. Dies sei auch gar nicht möglich, denn "denn der Geist kann nicht erfasst werden."

Die Übertragung durch einen wahren Meister hat eine sehr große Bedeutung, weil sonst der wahre buddhistische Zustand überhaupt nicht erreicht werden kann und zwar als körperlich-ganzheitliche Erfahrung. Dies gilt auch bei einer angeborenen hohen Intelligenz des Schülers. Dôgen sagt wörtlich:

"Das Selbst als körperliche Erfahrung zu verwirklichen und die externe Welt als körperliche Erfahrung zu verwirklichen, ist die große Wahrheit der buddhistischen Vorfahren im Dharma."

Damit schiebt er einen Riegel vor eine einseitige geistige oder intellektuelle Vorstellung, die lehrt, dass der Körper bei der Verwirklichung des Selbst keine Rolle spielt. Auch im Buddhismus gibt es die von Dogen abgelehnte Vorstellung, dass alles nur unkörperlicher Geist sei. Im Buddha- Dharma geht es für den Menschen um die Einheit von Körper und Geist, die Überwindung der ideellen und materiellen Sicht durch das Handeln und das Erlangen der Wirklichkeit selbst. Dann ist der Dualismus überwunden, der nicht einmal für psychologische Probleme geeignet ist und spirituellen Lebensbereichen überhaupt nicht gerecht werden kann.
Dôgen fasst das Gesagte noch einmal zusammen:

"Wenn primitive Menschen jedoch die Worte "Erfahrung des Selbst" und "Verwirklichung des Selbst" usw. hören denken sie, dass wir die Übertragung von einem (wahren) Lehrer nicht erhalten müssen, sondern (nur) durch uns selbst studieren sollten. Dies ist ein großer Fehler."

Dôgen erläutert im zweiten Teil dieses Kapitels am Beispiel des angeblichen Meisters Soko ein falsches und verkürztes Verständnis der Erfahrung des Selbst. Soko hatte zunächst eine theoretische Ausbildung über Sûtras und Kommentare absolviert und begann das Lernen in der Praxis bei dem authentischen Zen-Meister Dobi. Soko lebte von 1088 bis 1163, also etwa einhundert Jahre, bevor Dôgen in China weilte, und damit bereits in einer späten Phase des Zen- Buddhismus, als es nicht mehr viele wahre Meister gab. Dôgen berichtet, dass Meister Dobi seinem Schüler Soko nicht sein Innerstes und das Auge des Buddhismus offenbarte, weil dieser dafür noch nicht reif sei. Dôgen drückt dies wie folgt aus:


"Zen-Meister Soko setzte sein Lernen in der Praxis für eine recht lange Zeit fort, aber er war unfähig, (Meister) Dobis Haut, Fleisch, Knochen und Mark zu ertasten."

Als Soko erfuhr, dass es die Möglichkeit gäbe, die Bestätigung der Dharma-Übertragung selbst dadurch zu forcieren, dass man ein brennendes Räucherstäbchen trotz der Schmerzen im Ellbogen fest hält, bedrängte er dadurch seinen Meister Dobi auf diese Weise. Aber Dobi erlaubte ihm die Dharma-Nachfolge nicht und erklärte ihm, dass er nicht übereilt und ungeduldig danach streben, sondern im Hier und Jetzt sorgfältig und ausdauernd praktizieren solle. Er sagte:

"Ich missgönne dir die Übertragung nicht, aber du bist einfach noch nicht mit den (wahren) Augen ausgestattet."

Soko beharrte jedoch auf seinem Anliegen und widersprach dem Meister:

"Ursprünglich beschenkt mit den wahren Augen erfahre ich das Selbst und verwirkliche das Selbst. Wie kann es sein, dass du mir die Übertragung nicht gibst?"

Er wollte damit klipp und klar sagen, dass er bereits die Erleuchtung erlangt habe und dass es für ihn völlig unverständlich sei, dass sein Meister ihm die Dharma-Übertragung vorenthält. Er selbst war also nicht in der Lage, sich richtig einzuschätzen. In seiner Vorstellung und in seinem Geist war er bereits erleuchtet und meinte, die Erfahrung des wahren Selbst erlangt zu haben. Auch heute gibt es ähnliche Beispiele. Manche haben z. B. unter Drogeneinfluss subjektiv den unerschütterlichen illusionären Glauben, sie seien erleuchtet. Sie lassen sich dann von anderen entsprechend bewundern.

Es wird berichtet, dass Meister Dobi damals nur lächelte und es dabei bewenden ließ. Dôgen berichtet weitere Begebenheiten von Soko und dem Meister Dobi, die verdeutlichen, dass Soko sogar die Verantwortung für seine eigene schwierige Entwicklung und für vorhandene Probleme auf seinen Meister abwälzte. Sicher nicht zuletzt dadurch verhinderte er selbst den eigenen positiven Lernprozess.

Soko setzte dann seine Praxis unter einem anderen Meister, Tando, fort und studierte das Diamant-Sûtra. Meister Tando war jedoch nicht davon überzeugt, dass Soko das Diamant-Sûtra wirklich erfahren habe. Er bezeichnete ihn als einen intellektuell ausgerichteten „hohen Priester“, der die Wirklichkeit dieses Sûtra nicht erfahren könne. Auch nach längerer Schulung unter Meister Tando machte Soko keine grundsätzlichen Fortschritte, obgleich er verschiedene Bereiche des Buddhismus erlernt habe. Tando sagte zu ihm:


"Aber es gibt genau einen Punkt, der in dir noch nicht gegenwärtig ist. Erkennst du, was es ist oder nicht?"

Er erläuterte ihm, dass er zwar während des Hörens einer Dharma-Rede Verständnis für den Buddhismus entwickeln würde, dass er aber nach dem Verlassen der Dharma-Halle mit dem Buddha-Dharma nicht mehr vertraut sei. Soko selbst äußerte dazu, dass es sein eigener Zweifel sei, der ihn behindern würde. Meister Tando empfahl ihm kurz vor seinem Tod, einen anderen Meister aufzusuchen und dort seine Studien und vor allem seine Praxis fortzusetzen.

Soko versuchte mit aller Gewalt immer wieder, die Erleuchtung zu erlangen und wollte unbedingt ein berühmter Meister werden. Aber der eine Punkt, von dem Meister Tando gesprochen hatte, fehlte ihm deswegen. So kam es, dass er diesen Punkt nicht erlangen konnte aber sich auch nicht von diesem Gedanken, der in ihm bohrte, befreien konnte. Soko gelang es nicht, seine Zweifel wirklich anzugehen, auszuräumen und sie zu überwinden.


Er hatte nach Dôgen leider nicht den wahren großen Zweifel am Leben, der notwendig ist, um bescheiden zu sein und durch den man erkennt, dass der „Geist nicht erfasst werden kann“. Ohne wirkliche Grundlagen strebte er mit großer Anstrengung danach, die Bestätigung der Dharma-Übertragung zu bekommen. Dies ist nach Dôgen


"ein vollständiges Fehlen des Willens zur Wahrheit und ein vollständiges Fehlen der Achtung und Wertschätzung der Alten (Meister)."

Damit wird auch gesagt, dass er nachlässig praktizierte, weil sein Geist auf das egoistische Ziel der Dharma-Übertragung und Erleuchtung gerichtet war und nicht auf die Praxis selbst. Es fehlte der aufrichtige Wille zur Wahrheit.
Dôgen sagt dazu:


"Durch die Gier nach Ruhm und durch die Liebe zum Profit wollte er in das innerste Heilige des buddhistischen Vorfahren im Dharma einbrechen. Es ist bedauerlich, dass er die Worte des buddhistischen Vorfahren im Dharma ignoriert. Er versteht nicht, dass die Achtung und Wertschätzung der Alten genau die Erfahrung des Selbst ist."

Dôgen bezeichnet dies als Selbsttäuschung und sagt, dass Soko die Grundlage zur Wirklichkeit fehlen würde.
Bei dem nächsten Meister Engo hatte Soko nach der Überlieferung eine mystische Verwirklichung, als dieser auf seinen Zen-Sitz stieg. Meister Engo bestätigte aber nicht dessen Verwirklichung und sagte: "Du hast niemals den großen Dharma geklärt."

Bei einer späteren Lehrrede über die Existenz und Nichtexistenz in der Lehre von Nâgârjuna erlangte Soko "den Zustand des großen Friedens und der Freude im Dharma." Auch dies berichtete er seinem Meister Engo, der allerdings lachte und sagte: "Ich überlege, ob ich dich getäuscht habe."

Dôgen sagt in aller Klarheit, dass die berichtete mystische Verwirklichung und der Zustand des großen Friedens und der Freude im Dharma nicht das Wesentliche gewesen seien und fügt hinzu: "Denkt nicht, dass (Soko) wichtig ist."


Er sei nur ein Schüler des Lernens in der Praxis geblieben und könne auf keinen Fall auf die gleiche Stufe wie Meister Engo, seinem letzten Lehrer, gestellt werden. Dieser sei ein ewiger Buddha.

Dogen bedauert, dass Soko später selbst Lehrer wurde und Schüler sowie Mönche angeleitet habe und sagt: "Die Worte, die er hinterließ, erreichen niemals die Randgebiete des großen Dharma." Dessen ungeachtet werde Soko von Unwissenden der späteren Zeit in die Nähe der großen Vorfahren im Dharma gerückt. Dies sei aber beschämend. Alle kundigen Meister seien sich darin einig, dass er auf keinen Fall erleuchtet gewesen sei. Gleichwohl hatte er in den späteren Zeiten viele Schüler, und diese kritisierten Meister Dobi scharf, dass er ihm die Dharma-Übertragung und den Zugang zu seinem Innersten verwehrt habe.

Dôgen sagt am Ende des Kapitels allerdings, dass es in seiner eigenen Zeit, als er in China nach einem wahren Lehrer suchte, noch wesentlich schlechter um den Buddha-Dharma bestellt sei. Er fügt hinzu:


"In seinem ganzen Leben hat der sog. Meister Soko nicht die Worte verstanden: "Erfahrung des Selbst" und "Verwirklichung des Selbst."


Daher sei es auch unmöglich, dass seine nachfolgenden Schüler diese Worte verstehen könnten. Diese Worte des Selbst und der externen Welt beinhalten ohne jeden Zweifel "den Körper-Geist und die Augen der großen buddhistischen Meister, die ewige Buddhas sind.“

Sonntag, 17. August 2008

Einführung in Dogens Shôbôgenzô

Mario Trinkhaus und ich haben in diesem Jahr einen Gesprächskreis zu zentralen Themen von Meister Dogens großartigem Werk „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ (Shôbôgenzô) gestartet.

Ich möchte versuchen, bei den jeweiligen Einführungen die oft schwierigen aber äußerst wertvollen Texte verständlich zu erläutern. Dabei sollen neben dem Quellenwerk des Kristkeitz-Verlages auch die im Internet veröffentliche Texte des Blog verwendet werden. Dadurch kann man sich sicher ganz gut vorbereiten. Dies soll dann die Grundlage für eine offene Diskussion mit möglichst vielen Fragen sein. Für Fortgeschritten und Einsteiger geeignet!

Demnächst gibt es folgendes Thema:

Dogens Sein-Zeit in unserem jetzigen Leben, (Kap. Uji)

Freitag, 29. August 2008 um 19.00 Uhr

Darüber hinaus sind auch Einzelgespräche möglich.

Ort: Antai-an Raum des Friedens

Veitstraße 44

13507 Berlin-Tegel
bei Mario Trinkhaus

Tel.: 030 434 02 838

E-Mail: info@matri.de Bitte hier für weitere Informationen anklicken.


Yudo J. Seggelke

Sonntag, 10. August 2008

Samadhi als Erfahrung des Selbst (Teil 1)

In diesem Kapitel behandelt Dôgen die Selbsterfahrung im Samadhi, also im Zustand des Gleichgewichts und des Zazen (Kap. 75, Jisho-zanmai). Dabei bedeutet das japanische Wort ji das Selbst und sho erfahren.

Zanmai erscheint häufig im Shôbôgenzô und bedeutet Samadhi oder Zazen. Dôgen erläutert aufgrund seiner tiefen eigenen Erfahrung, vor allem durch seinen Meister Tendô Nyojô, dass man sein wahres Selbst im Gleichgewicht des Zazen erfährt. Er lehnt gleichzeitig ein nur intellektuelles Verständnis der Erleuchtung ab. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum im Buddhismus, dass man allein durch die Arbeit des Geistes, zum Beispiel durch Konzentration, die Erleuchtung erlangen kann. Nach Dôgen ist dies nur ganzheitlich von Körper und Geist in der praktischen Erfahrung des Zazen und des Lebens möglich.

Er kritisiert hier mit aller Deutlichkeit einen "Meister" Dai-e-Soko, der als ein Begründer des Koan-Zen gilt, und aus der Sicht von Dôgen diese Methode falsch verstanden hatte. Trotzdem hatte er Schüler und Nachfolger, die an ihn glaubten. Ein geistiger oder gar mystischer Zustand der angestrebten Erleuchtung allein ist für Dôgen ganz allgemein ein fundamentaler Irrtum, der unbedingt vermieden werden sollte, weil er immer wieder in eine Sackgasse und häufig sogar zur Selbstüberheblichkeit führt.
Dôgen zitiert am Anfang dieses Kapitels:

"Was die Buddhas und Vorfahren im Dharma authentisch übermittelt haben, ist das Samadhi als der Zustand der Erfahrung des Selbst. Dies wurde von allen Buddhas und (auch) den Sieben Buddhas (weitergegeben)."

Diese Formulierung verwendet Dôgen häufiger im Shôbôgenzô, zum Beispiel in den Kapiteln 10, 20, 32 und 52.
Er fügt dann ein zweites ganz wesentliches Zitat an, das einen Dialog des großen Meisters Daikan Enô mit einem seiner Dharma-Nachfolger Nangaku Ejo enthält. Dies wird in den Kapiteln 7 (Sich waschen und reinigen), 29 (Das Etwas) und nicht zuletzt im Shinji-Shôbôgenzô (Buch 2, Nr. 1) im Einzelnen behandelt. Danach fragt Daikan-Enô:

"Stützt du dich auf die Praxis und Erfahrung oder nicht?"
Nangaku
antwortet:
"Es ist nicht so, dass es keine Praxis–und–Erfahrung gibt, aber es ist unmöglich, diese zu verunreinigen."

Dôgen sagt dazu:

"Denkt daran, dass die Vorfahren im Dharma selbst die nicht verunreinigte Praxis–und–Erfahrung sind, und sie sind (auch) der Samadhi der buddhistischen Vorfahren im Dharma, (und zwar) der Donnerschlag, Wind und der rollender Donner."

Damit verdeutlicht Dôgen, dass die praktische Erfahrung im Zustand des Gleichgewichts "das Auge" der großen buddhistischen Meister ist, also den Kern der Lehre bezeichnet. Es geht nicht um theoretische und intellektuelle Erkenntnisse, die unabhängig vom Körper und der Praxis des Zazen erreicht werden könnten. Die Erfahrung bezeichnet ebenfalls das Ganzheitliche von Körper und Geist und ist nicht auf den Verstand reduziert.

Daikan Enôs Frage an seinen hervorragenden Schüler Nangaku, ob dieser sich auf die Praxis und Erfahrung stützt, trifft den Kern des Buddhismus, der in Ostasien in so ausgezeichneter Weise herausgearbeitet wurde. Nangaku bestätigt in seiner Antwort zunächst, dass die Praxis und Erfahrung in der Tat als Wirklichkeit besteht. Er fügt jedoch den moralischen Aspekt der Reinheit hinzu, der unterstreicht, dass die Zazen-Praxis selbst rein sein müsse, also frei von Gier nach Ruhm, Macht und Geld.

Wenn die Zazen-Praxis selbstgefällig zum Aufbau des Egos, des eigenen Ruhms oder anderer vordergründiger Ziele ausgeübt wird, geht sie an dem Wesentlichen des Buddhismus vorbei. Nangaku sagt noch mehr: Die wahre Praxis und Erfahrung des Samadhi kann nicht verunreinigt werden, weil sie sonst den Charakter des Gleichgewichts und des Erwachens verliert. Damit ist die Moral unauflösbar mit dem Zustand des Gleichgewichts und der Einheit im Samadhi verbunden und kann nicht getrennt werden. Eine Trennung hat zwangsläufig die Verunreinigung zur Folge! Diese reine Einheit von Praxis und ganzheitlicher Erfahrung zeichnet alle Buddhas und großen Meister aus. In dem Koan fügt Daikan Enô hinzu, dass dies für ihn, für seinen Schüler Nangaku und für alle Buddhas gilt.

Dôgen fasst dann in einem beeindruckenden großen Bogen die wahre Lehre des Buddhismus zusammen, die in den vorangehenden 74 Kapiteln aus verschiedenen Sichtweisen beleuchtet und dargelegt wurde. Am Beispiel des sog. Meisters Soku, der als ein Begründer der oft falsch verstandenen Koan-Methode gilt, arbeitet er heraus, wann die Erfahrung des Selbst auf dem falschen Wege ist.

Nach Dôgen ist es wichtig, einem guten Lehrer zu folgen, der ein guter Freund ist. Er sollte auch ein Freund der Tugend sein, also ein Lehrer, der den Buddhismus beispielhaft vorlebt und anderen hilft und sie motiviert, ebenfalls ein Zazen-Leben zu führen. Dadurch machen beide gemeinsame Erfahrungen und begegnen wirklich der externen Welt, die dann nicht mehr als extern und getrennt erfahren wird. Wir folgen dabei den Umständen und fahren fort, uns zu verändern, während wir mit den Menschen zusammenleben. Wir werfen die Bequemlichkeit des Körpers fort und finden den Dharma für den eigenen Körper. Dôgen formuliert:

"Dies ist das kraftvolle Handeln, einem guten Lehrer zu folgen und es ist die tatsächliche Bedingung, das Selbst auszuloten und das Selbst anzupassen."

Genauso wichtig ist es, den Sûtras zu folgen, wenn wir

"die Haut, das Fleisch, die Knochen und das Mark des Selbst untersuchen und uns von der Haut, dem Fleisch, den Knochen und dem Mark des Selbst befreien. Pfirsichblüten sind zu sehen und sie treten von selbst vor die Augen. Der Klang des Bambus wird von den Ohren selbst donnernd gehört."

Damit spricht Dôgen die Geschichten zweier berühmter alter Meister an: einer erlebte das große Erwachen beim Anblick der blühenden Pfirsichbäume in einem Tal. Der andere erwachte, als er den Klang hörte, der von einem Ziegelstück erzeugt wurde, das einen Bambus traf.

Dôgen verdeutlicht, dass mit den Sûtras das ganze Universum der zehn Richtungen, also die Berge, die Flüsse, die Erde, das Gras, die Bäume, das Selbst und die anderen gemeint sind. Es ist das alltägliche Handeln, zu essen, die Kleidung anzulegen, sich zu bewegen und sich nach dem Buddha-Dharma zu handeln. Es geht dabei immer um den ganzen Körper-Geist, der in der Praxis lernt und handelt.
Dôgen sagt weiter:

"Wir empfangen diesen Zustand von anderen und wir teilen diesen Zustand den anderen mit. Zur gleichen Zeit ist es das lebendige Herausspringen der Augen selbst, die vom Selbst und von anderen frei werden. Es ist genau die Übertragung von meinem Mark selbst, das vom Selbst und anderen befreit ist."

Hier spricht Dôgen also die Befreiung des Egos, also des materiellen oder ideellen Selbst, an und unterstreicht gleichzeitig die Befreiung der Unterscheidung vom Selbst und den anderen. Die wahren Augen und das Mark seien jenseits des gewöhnlichen Selbst und jenseits von anderen. Dies sei von den Vorfahren im Dharma und den großen Meistern authentisch übertragen worden. Durch die Sûtras werden die Begriffe und Vorstellungen von der Leerheit und der Existenz zerbrochen und überwunden.
Dôgen fügt hinzu:

"Wir lernen in der Praxis, dass das Selbst unausweichlich Anstrengung und Aufwand ist“.

Damit tritt er der Vorstellung entgegen, dass man ohne Anstrengung und ohne Zazen-Praxis das wahre Selbst bereits besitzt und sich nicht besonders darum bemühen muss. Er sagt:

"In diesem Lernen in der Praxis verlassen wir das Selbst und erfahren das Selbst als genaue Entsprechung (von Buddha)."

Er fährt fort, dass nur durch die authentische Übertragung von einem rechtmäßigen Nachfolger zum anderen die konkreten Hilfsmittel empfangen werden, damit wir das Selbst wirklich erfahren und verwirklichen. Im Folgenden beschreibt Dôgen die verschiedenen Lebensphilosophien, die für die Verwirklichung und Erfahrung des Selbst zu nennen sind. Es geht daher um die Teilwahrheit der ideellen Sichtweise, um die konkrete materielle Sichtweise der vielen Dinge und Phänomene in der Welt, um das Handeln und vor allem um die Wirklichkeit selbst, die der höchste Zustand des Menschen ist. Zur Lehre des Buddha-Dharma sagt er:

"Wenn wir andere daran hindern, den Dharma zu hören, wird (nicht zuletzt) verhindert, dass wir selbst den Dharma hören."

Sonntag, 3. August 2008

Zur deutschen Übersetzung von "Begegnung mit dem wahren Drachen"

In einem Hotel in Tokyo, in dem ich mich vor vielen Jahren wegen einer beruflichen Konferenz aufhielt, wurde mir ein Fax von dem großen zenbuddhistischen Meister, Gudo Wafu Nishijima, zugestellt. In dem Fax hieß es, dass er sich darauf freue: "to have a talk on Buddhism together."


Dies hat mich damals sehr berührt. Ein großer, weltweit bekannter Zenmeister wollte mit mir aus dem Westen, den er gar nicht kannte, ein persönliches Gespräch über Buddhismus führen. Da war nichts von Hierarchie, von Oben und Unten oder von Härte eines Asketen zu spüren, sondern ganz im Gegenteil, er freute sich auf ein anregendes Gespräch unter Menschen wie Du und ich.

Wir vereinbarten dann ein Treffen nach dem Vortrag in seinem Zentrum in der City von Tokyo im ersten Stock eines modernen Hochhauses. Zunächst praktizierten dort die Teilnehmer gemeinsam Zazen vor einer weißen Wand, wobei mir ein Schüler von ihm freundlich und hilfreich das Nötige erklärte.

Dann gingen wir hinüber zu dem Vortragsraum. Ich schaute mich um, es waren meist junge Menschen, ein munteres Völkchen, aus vielen Ländern der Welt, die sich hier eingefunden hatten. Es herrschte eine Atmosphäre der lebendigen Erwartung auf den Vortrag. Ich gewöhnte mich dann schnell an die japanische Aussprache von Meister Nishijima und staunte allerdings nicht schlecht, als er sagte: "Buddhismus ist Zazenpraxis und Zazenpraxis ist Buddhismus."

Seit längerer Zeit hatte ich mich mit Buddhismus beschäftigt und auch praktiziert, hatte Niederwerfungen gemacht, ein Mantra auswendig gelernt, koreanische Gesänge gelernt und viele buddhistische Retreats bei der großen Meisterin Dae Poep Sa Nim besucht. Die einfache Aussage von Meister Nishijima kam mir wie ein Schlag eines Bildhauers vor: Buddhismus ist Zazen. Ich schaute mich um, es gab bei den Zuhörern keine Verwunderung oder gar Empörung, das war in der Tat für mich sehr überraschend.

Nach dem Vortrag stellte ich mich vor und er lud mich zu dem Gespräch in sein Zentrum in einem anderen Stadtteil ein. Wir fuhren mit der S-Bahn quer durch Tokyo dort hin. Er arbeitete damals intensiv an einer völlig neuen Übersetzung des großen indischen Mahayana-Meisters Nagarjuna mit dem Titel "Der Gesang des Mittleren Weges“. Er erzählte mir, dass er seit über einem Jahrzehnt Sanskrit gelernt habe und fest davon überzeugt sei, dass dieser Meister bisher nicht richtig übersetzt und verstanden worden sei.

Man muss bedenken, dass er damals schon Ende siebzig war, aber durch seine Lebendigkeit und geistige Beweglichkeit viel jünger wirkte. Er konnte durch seine freundliche, einfache Art schnell einen direkten, natürlichen Draht in einem Dialog aufbauen.
Am Ende des Gesprächs schenkte er mir sein Buch "To Meet The Real Dragon" und zwei Bände von Dogens Shobogenzo, die er zusammen mit Chodo Cross übersetzt hatte. Er gab mir mit auf den Weg, dass das Drachenbuch eine gute Einführung in Dogens oft komplexe und schwer zu verstehende umfassende Lehre des Buddhismus sei.

Als ich dann im Flugzeug nach Deutschland saß, wurde bald das Licht ausgedreht, während ich die kleine Leselampe über meinem Sitz anknipste und anfing, in dem Drachen-Buch zu lesen. Schon nach wenigen Seiten war ich ganz gefangen von der einfachen, und kräftigen Sprache. Alle Müdigkeit war wie fort geblasen.

Ich dachte mir: Dies ist das wichtigste Buch, das ich seit langer Zeit gelesen habe. Besonders faszinierend waren seine Ausführungen über die westliche Kultur und Philosophie, die aus der Sicht eines Ostasiaten in holzschnittartiger Klarheit die Eckpunkte unserer westlichen Zivilisation und Kultur beschrieb. Während des gesamten Fluges von fast zwölf Stunden las ich ohne Unterbrechung in dem Buch. Das ganze große Flugzeug war abgedunkelt und nur meine kleine Leselampe gab das nötige Licht. So habe ich während des Fluges fast das ganze Buch durchgelesen.

Wir vereinbarten später, dass ich eine deutsche Übersetzung anfertigen würde. Mit Meister Nishijima bin ich nun seit über dreizehn Jahren eng verbunden. Ich wurde sein Schüler und habe inzwischen die Dharma-Übertragung von ihm erhalten. Es ist mir ein tiefes Bedürfnis, seinen klaren optimistischen Buddhismus durch die Übersetzung dieses Buches auch in Deutschland weiter zu verbreiten. Inzwischen sind auch die französische, spanische und hebräische Übersetzung erschienen und eine schwedische ist in Vorbereitung.

Der Drachen ist ein Fabeltier, das sowohl im Osten als auch im Westen von beeindruckender Stärke beschrieben wird, aber durchaus unterschiedliche moralische Bedeutungen hat. In Ostasien überwiegt der positive Aspekt, denn der Drache hilft dort den Menschen. Er verbindet durch seine Fähigkeit zu fliegen den Himmel, die Erde und auch das Wasser und trägt die Perle der großen Weisheit unter dem Kinn.

Im Westen denken wir vor allem an ein Furcht erregendes, böses Untier, das vom jungen Helden Siegfried getötet wurde und schon viele Menschen verschlungen hatte. Siegfried befreite Brunhild und gewann durch seinen Sieg den Nibelungenschatz. Er wurde durch das Drachenblut bis auf eine einzige Stelle unverwundbar. Häufig ist der Drachen das Symbol für das wilde Tier in uns Menschen, das besiegt und unterworfen werden muss.

In neuerer Zeit ist allerdings auch im Westen festzustellen, dass die positive Aspekte des Drachen zunehmen, wie zum Beispiel in dem Märchenbuch „Die Unendliche Geschichte“ von Michael Ende, wo der Drachen mit seinen großen Fähigkeiten und Kräften den Menschen hilft. Eine psychologische Interpretation sieht in dem Drachen das Gleichnis für das Unbewusste, das durchleuchtet und integriert werden sollte. Der Therapeut hilft dabei, den Schrecken zu ertragen. So kann der Drachen durchaus als symbolische Brücke zwischen Ost und West wirksam werden.

Der Buddhismus ist von einer positiven, lebensbejahenden Kraft und Weltanschauung durchdrungen, besonders im Zen. Dies wird auch immer wieder von Nishijima Roshi betont. Danach ist der natürliche Zustand des Menschen dann im Gleichgewicht, wenn wir Zazen praktizieren und auf dem Buddhaweg sind. Dann verliert der Drachen auch im Westen seine Schrecken und gibt den Menschen im Gegenteil unerwartete Kraft und Lebensfreude. Dann begegnen wir dem wahren Drachen. Das ist genau das Thema dieses Buches: Die Wirklichkeit ist eine wunderbare Wahrheit, vor der wir nicht davon laufen sollten, weil sie genau unsere Natur ist und uns heilt.

Dieses ist ein ungewöhnliches Buch über den Zen-Buddhismus, das als Einführung ausgezeichnet geeignet ist. Es wird zum ersten Mal in deutscher Sprache vorgelegt. Auch schwierige Teile der Lehre werden kompetent, zeitnah und unkompliziert dargestellt und erklärt. Dies ist in der Tat nicht häufig anzutreffen.

Den Leserinnen und Lesern wünsche ich viel Freude und hoffe, dass sie den Weg des Gautama Buddha besser verstehen, ihn selbst beginnen oder mit verstärkter Freude fortsetzen.