Gautama Buddha wurde in eine geschichtlich äußerst widersprüchliche und unruhige Zeit hineingeboren. Wahrscheinlich war er über die damaligen völlig gegensätzlichen Weltanschauungen von Idealismus und Materialismus im alten Indien sehr beunruhigt. Nishijima Roshi vermutet, dass Buddha sich deshalb so radikal entschieden hatte, sein ganzes Leben der Lösung dieses grundsätzlichen Problems der Menschheit zu widmen.
Nach seinen fast übermenschlichen, aber zunächst weitgehend vergeblichen Anstrengungen habe er schließlich doch den hervorragenden und außerordentlich kraftvollen Lösungsweg gefunden, wie wir uns durch das Erwachen befreien können. Dieser Buddha-Weg beruht auf den vier Lebensphilosophien und bildet eine Einheit mit der Meditation sowie der Zazen-Praxis.
Um ein tieferes Verständnis der kulturellen Ausgangslage Gautama Buddhas und der damaligen Zeit zu ermöglichen, sollen nun einige historische Fakten ergänzt werden. Hans W. Schumann arbeitet in seinem Buch "Der historische Buddha" für das 6. Jahrhundert vor der Zeitenwende heraus, dass das religiöse und spirituelle Leben in Indien damals sehr verflacht war.
Die magischen Opferzeremonien der Brahmanen wurden in dieser Zeit zunehmend komplizierter und kostspieliger. Die Brahmanen hatten ihre religiöse und finanzielle Macht immer mehr ausgebaut und waren auf der anderen Seite spirituell jedoch weitgehend verkümmert. So ist es verständlich, dass sich bereits ein Jahrhundert vor Gautama Buddha Bestrebungen zur religiösen Erneuerung in Indien entwickelten, die auch auf ihn einen deutlichen Einfluss ausübten.
Die Gesänge und Rituale der Brahmanen besaßen nach damaligem Glauben magische Gewalt und Kraft, mussten aber in detaillierter und genau festgelegter Form und Ausdrucksweise vorgetragen werden. Schumann führt hierzu aus:
„Denn wenn nicht mehr die (religiöse) Gesinnung des Opfernden, sondern der Beachtung der korrekten Form die ausschlaggebende Bedeutung zukam, war es ratsam, dass der Opferherr die Götterbewirtung einem Fachmann anvertraute. Die Männer, die aufgrund ihrer Beherrschung der Formalien und ihrer Kenntnis des magisch wirksamen Wortes (brahman) den Opfervollzug auftragsweise übernahmen und mit der Zeit als die Opfertechniker und Kultexperten schlechthin galten, erhielten den Berufs- und späteren Kastennamen ‚Brahmanen’.“
Man glaubte damals in religiösen Kreisen fest daran, dass durch Fehler im Vollzug des Rituals der magischen Worte und Sätze schwerer Schaden auf die Gemeinschaft und den Einzelnen zukommen würde. Daher war es von größter Bedeutung, dass diese komplizierten Rituale und magischen Verse vollkommen beherrscht und absolut richtig und ohne den kleinsten Fehler korrekt vorgetragen wurden. Schumann fährt fort:
„Mit zunehmender Komplizierung der Kulte entwickelten die Opfer-Brahmanen außerordentliche Überheblichkeit und zwar nicht allein den Opferherrn sondern ebenso den Göttern gegenüber. Aussagen wie ‚die Götter hängen vom Opfer ab’ finden sich in den Brahmana-Texten häufig.“
Vor diesem Hintergrund sei es durchaus nachvollziehbar, dass die religiösen Inhalte bereits vor der Zeit Buddhas viel zu stark formalisiert, erstarrt, spirituell weitgehend ausgehöhlt und schal geworden waren. Gleichzeitig gelang es der Kaste der Brahmanen, ihre Macht gewaltig auszudehnen und ihren Reichtum gigantisch zu vermehren. Sie behaupteten unwidersprochen, dass sogar die Götter von ihnen abhängig seien und stuften sich damit selbst hierarchisch höher als diese ein. Das ist wahrhaftig erstaunlich.
Aus dieser Beschreibung geht klar hervor, dass es einer grundsätzlichen Erneuerung des gesamten spirituellen Lebens bedurfte, um aus der damaligen Sackgasse herauszukommen. Daraus entwickelte Gautama Buddha die umfassende Lehre und Praxis der Emanzipation und Befreiung, die uns von Meister Dogen und Nishijima Roshi authentisch übermittelt wurde. Damit sind wir „im Auge des ZEN“.