Mittwoch, 25. Mai 2022

Die Natur gibt Ruhe, vermindert Angst: Wir sollten sie erleben und schützen

 


In diesem Kapitel öffnet Meister Dôgen die tiefe Weisheit unserer Verbindung und heilende Einheit mit der Natur, also mit Bergen, Flüssen, dem Meer und Bäumen, Blumen, Hecken, Büschen usw. In dem Augenblick, wenn diese lebende Ganzheit gelingt, verwirklicht sich bei uns die Buddha-Natur und entwickelt ihre heilende Kraft! So wird überzeugend berichtet, dass mehrere alte Meister das große Erwachen, inneres Gleichgewicht und ihre Erfüllung mit und in der Natur erlebten.

Im authentischen Buddhismus ist die Lotosblume seit der Zeit Gautama Buddhas ein poetisches und wunderbares Symbol des heilsamen Dharma und der menschlichen Wahrheit ohne Leiden. Bei meinem kürzlichen Wandern in Südtirol waren es für mich der blaue Enzian und die wunderbare Bergwelt.

In der Natur finden wir das ruhige Gleichgewicht und die Kraft des Mittleren Weges. Eine solche Balance wird dann weder durch galoppierende Gedanken noch durch aufgewühlte Emotionen gestört, denn sie ist stabil, auch bei äußeren und inneren Störungen. Die Natur hat in ihrer Reinheit und Schönheit eine tiefe, ausgleichende Wirkung auf den Menschen. Auch wenn man verunsichert, beunruhigt, geängstigt ist oder von endlosen Gedanken-Zirkeln umgetrieben wird, kann man sich für die erhabene Schönheit, Ruhe und den Frieden der Natur öffnen und findet zum inneren Frieden zurück. Die Blumen, Pflanzen und Bäume sind daher wirklich das Leitbild für ein ausgeglichenes menschliches Leben. Der Mensch findet zur Ruhe und Ausgeglichenheit zurück, wenn er die Natur ganz in sich aufnimmt. Denn wenn Du in der Natur wanderst und die Augen schließt, dann sind Außen und Innen das selbe. Versuche es selbst einmal selbst! Dadurch entstehen neue Klarheit, neuer Lebensmut und neue Kreativität in unserem Leben.

Für Nishijima Roshi sind Natur und Universum die Wahrheit und Wirklichkeit selbst. Danach gibt es zwischen der buddhistischen Wahrheit einerseits und der Natur andererseits überhaupt keinen Unterschied und keine Trennung, sondern im Gegenteil, es besteht eine umfassende lebendige Einheit. Nach seiner Erfahrung und seinem Denken sind das Universum und die Natur sogar mit Gott identisch. Er sagt einfach und klar, dass Gott nicht kleiner als das Universum sein könne. Und es ist nicht vorstellbar, dass Gott größer als das Universum und die Natur sei, weil dann eine Trennung von Gott und Universum behauptet würde; dies könne aber nicht sein. Damit ist für Nishijima Roshi ganz klar, dass die Natur und das Universum die göttliche Wahrheit selbst sind.

Dôgen berichtet von einem alten Meister, der von einem Mönch gefragt wurde:

„Kann die Natur den Buddha-Dharma lehren oder nicht?“

Der Meister antwortete: „Sie lehrt den Dharma immer kraftvoll und ohne Unterbrechung.“

Ein anderer großer Meister führte ein ähnliches Gespräch mit seinem eigenen Lehrer, um herauszufinden, wie die Natur ohne störende Emotionen den Dharma lehrt. Er verfasste dann das folgendes Gedicht:

„Welch ein Geheimnis, dass die Natur den Dharma lehrt.

Wenn wir ihn nur mit den Ohren hören, ist es letztlich schwer, ihn zu verstehen.

Wenn wir seine Stimmen auch durch die Augen hören,

können wir beides genau erkennen.“


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Donnerstag, 5. Mai 2022

Der Wille zur Wahrheit ist Kompass in unserem Leben

Über den Willen zur Wahrheit sagt Dōgen:

„Bei dem Streben nach Buddhas Wahrheit sollten wir den Willen zur Wahrheit als das Wichtigste ansehen. Menschen, die wissen, was es mit dem Willen zur Wahrheit auf sich hat, sind (leider) selten. Wir sollten diese (Wahrheit nur) unter solchen Menschen erkunden, die sie klar erkennen.

Im Zen und im authentischen Buddhismus wird Wahrheit  pragmatisch und nicht absolut oder dogmatisch verstanden: Es geht um das Hier und Jetzt, sehr konkret um Handeln, Denken und Fühlen. Jeder Mensch, wird nach eigenem Erleben, eigenen Erfahrungen und eigenem Bedenken vorankommen. Die Lehre und ein Lehrer oder Meister können die Richtung weisen, fundierte und bewährte Hilfestellungen geben und hoffen, dass der Funke der Suche nach der Wahrheit überspringt. Dann können eigene Kräfte und Energien beim Schüler freisetzt und entwickelt werden. Der Wille zur Wahrheit wird sich auf dem Buddha-Weg immer mehr verfeinern und genauer werden. Das ist der fortschreitende Lernprozess . Das ist der Kompass, der uns auch bei Sackgassen und Fehlentwicklungen immer wieder in die richtige Richtung zurückführt. Aber Dōgen sagt nicht, dass diese Wahrheit ein abgegrenztes intellektuelles oder philosophischen Wissen ist, das sich nicht mehr weiterentwickelt und quasi dinghaft und endgültig ist. Denn Philosophie heißt Philosophieren und nicht nur statisches Wissen.

Dōgens Kapitel über den Willen zur Wahrheit hat also eine direkte Verbindung zum Achtfachen Pfad der Befreiung und eines heilsamen Lebens. Die Achtsamkeit und Meditations-Praxis spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle. Dōgen selbst hatte auf seiner langen Suche nach der wahren buddhistischen Lehre in Japan und auch in China viele Schwierigkeiten zu überwinden, bis er endlich seinen wahren Lehrer gefunden hatte. Durch die Zazen-Praxis in Wechselwirkung mit der buddhistischen Lehre fand er schließlich den befreienden Ausweg aus dem Lebenslabyrinth

Er macht unmissverständlich deutlich, dass nur in dieser unauflösbaren Verbindung von Theorie und Praxis, von fundierter Lehre und Meditation, wirkungsvoll nach dem authentischen Buddha-Lehre gesucht werden kann. Auf diesem Weg verändert sich der ganze Mensch, es kommt zur Transformation der Persönlichkeit und zu einer neuen Klarheit psychischer und spiritueller Zustände und Wechselwirkungen.

Dogen gibt ein überraschendes Zitat für die Suche nach der Wahrheit:

"Die Praxis ist nicht durch das Sitzen selbst begrenzt, sondern sie schlägt den (großen) Raum an und klingt wie das Anschlagen der Glocke, das sich vor und nach dem Glockenschlag fortsetzt.“

In diesem Gleichnis wird die Wirkung der Meditation poetisch auf den Punkt gebracht: Wenn wir morgens und abends meditieren, bleibt die Wirkung am Tag in der Folgezeit erhalten, gibt Kraft und verleiht uns Klarheit und Handlungsfähigkeit im Alltag. Nishijima Roshi nennt dies die dauernde Kraft des Zazen:

„Der Einfluss der Zazen-Praxis ist niemals auf die Zeit begrenzt, in der man tatsächlich Zazen praktiziert.“

Dōgen rät uns, einen wirklich überzeugenden Menschen und Lehrer zu suchen, der die Wahrheit des Lebens klar erkannt und sein Leben deutlich danach eingerichtet hat. Gleichzeitig warnt er vor solchen Lehrern, die zwar behaupten, dass sie den Willen zur Wahrheit besitzen, aber in Wirklichkeit nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Man erkenne aber nicht immer sofort, ob jemand tatsächlich den Weg der Wahrheit suche oder es nur vorgebe.

Links: Neu: Buddhismus für Einsteiger

Vertiefung zur Wahrheit.