Sonntag, 28. Dezember 2008

Dharma-Gesprächskreis Berlin

Mario und Ich möchten herzlich zum nächsten Termin unseres Gesprächskreises einladen:

17.01.2009: Das Lotos-Sutra der wunderbaren Dharmablume (Hokke ten Hokke)

Die großartige Interpretation von Meister Dogen
aus dem Shobogenzo
Mit kurzer Zazen-Periode

Samstags: Uhrzeit 18:00 bis ca. 19.30 Uhr


Zen Dôjô Tegel - Antai-an
Mario Trinkhaus

Veitstrasse 44
13507 Berlin

GermanyTel.: +49 30 43402838 (Dojo)

Tel.: +49 30 45084098 (Wohnung)


E-Mail: matri2061@yahoo.de

Internet: http://de.profiles.yahoo.com/matri2061

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Grüße zu den Festtagen


Nishijima Roshi und ich möchten Ihnen zu den Festtagen und zum neuen Jahr von ganzem Herzen alles Gute wünschen:
Das Tor des Friedens und der Freude

Dienstag, 23. Dezember 2008

Das Gleichnis der vier Pferde (Teil 1)

In diesem Kapitel (Kap. 85, Shime) wird das intuitive Verständnis zwischen Schüler und Lehrer durch das alte indische Gleichnis der vier Pferde beschrieben. Dieses bezieht sich auf das Verhältnis des Reiters zu seinem Pferd, und wie schnell und intuitiv dieses bemerkt, was der Reiter will und in welche Richtung der Ritt gehen soll.

Es geht also darum, ob das Pferd intuitiv und genau reagiert, ohne dass der Reiter sein Kommando explizit übermittelt.
Es werden dabei vier Typen der Pferde unterschieden: Erstens: Das Pferd bemerkt die Absicht des Reiters, wenn dessen Peitsche sich zeigt, ohne dass diese überhaupt benutzt wird. Zweitens: Die Peitsche berührt das Fell des Pferdes und dieses weiß dann, was der Reiter will. Drittens: Der Reiter trifft das Fleisch des Pferdes. Viertens: Die Peitsche muss den Knochen treffen, damit das Pferd überhaupt bemerkt, was es tun soll, um dann entsprechend zu handeln. Dabei können wir den Reiter als unser eigenes Leben verstehen, dass manchmal wirklich hart zuschlagen kann.

Dieses Gleichnis wird auf den Lernprozess des Schülers bezogen: Im ersten Fall versteht der Schüler intuitiv, was der Lehrer will, ohne dass dieser seine Absicht formuliert oder explizit zum Ausdruck bringt. Zweitens: Der Lehrer benötigt nur einen klaren Hinweis, um die Richtung und Wahrheit des Buddha-Dharma an den Schüler zu übermitteln. In den Fällen drei und vier sind dann sehr deutliche Signale erforderlich, damit der Schüler merkt, worum und in welche Richtung es geht. Der Lehrer muss eventuell zu sehr drastischen Maßnahmen greifen, damit der Lernprozess überhaupt in die richtige Richtung gelenkt und damit der Schüler wach wird, was zu tun ist.

Dôgen zitiert dazu eine Geschichte von Gautama Buddha wie folgt: Eines Tages besuchte ein Nicht-Buddhist den Ort, wo Buddha weilte und sagte zu ihm:

"Ich bitte (zur Belehrung) nicht um Worte, und ich bitte nicht um keine Worte."

Der Weltgeehrte saß daraufhin eine Zeitlang auf seinem Sitz, ohne etwas zu sagen. Dann machte der Mann Niederwerfungen und bedankte sich überschwänglich für das Wohlwollen und das große Mitgefühl. Bei ihm seien tatsächlich die Wolken der Illusionen und Täuschungen aufgelöst worden, sodass er zur Wahrheit gelangen konnte.
Der Schüler Ananda fragte den Buddha, was der Nicht-Buddhist erlangen konnte, obgleich Buddha überhaupt keine Belehrung gegeben und sich nicht mit Worten an ihn gewandt habe. Der Weltgeehrte sagte:

"Es war wie ein gutes Pferd in der Welt, das die Form der Peitsche sieht und (schon) galoppiert."
Hier wird das Gleichnis der vier Pferde verwendet, bei dem der Besucher von Gautama Buddha mit dem guten Pferd verglichen wird, das sofort und in aller Klarheit intuitiv das Wesentliche erkennt und in Handeln umsetzt. Dazu bedarf es keiner Worte. Beim Gleichnis des Pferdes braucht der Reiter nicht die Peitsche zu benutzen und sei es auch nur, um das Fell des Pferdes zu berühren. Dôgen erwähnt, dass viele gute Lehrer dieses Gleichnis bei ihrer Arbeit verwenden, um den Schülern bei ihren Lernprozessen zu helfen. Manchmal bedarf es nur eines kleinen Hinweises des Lehrers, während ein anderes Mal viele Jahre der intensiven Unterweisung erforderlich sind, um auf dem Weg des Buddha-Dharma in die richtige Richtung voranzuschreiten. Dôgen sagt dazu:

"Wir sollten erkennen, dass der Weltgeehrte zwei verschiedene Arten des Lehrens verwirklichte: Heiliges Schweigen und heiliges Reden. Jene, die durch das (obige Gleichnis in den Buddha-Dharma) hinein gehen, sind wie die guten Pferde in der Welt, die nur die Form der Peitsche sehen und schon galoppieren. Jene, die durch das Erkennen des Lernens eintreten, das sogar jenseits des heiligen Schweigens und heiligen Redens ist, gleichen diesen (Pferden) ebenfalls."

Nishijima Roshi und M. Cross erklären in der Fußnote hierzu, dass damit das intuitive Verstehen der gesamten Situation gemeint ist und dass der Schüler unmittelbar und ohne Zögern handelt, genau wie die guten Pferde in dem obigen Gleichnis. In ähnlicher Weise zitiert Dôgen den Meister Nagarjuna, der die Zuhörer und Schüler mit dem guten Pferd vergleicht, wenn er für sie den Dharma lehrt. Dôgen bemerkt dazu, dass viele zwar den Buddha-Dharma suchen, aber in falsche Richtungen gehen. Es sei von großer Bedeutung, wie schnell sie auf den richtigen Weg kommen und dies sei das selbe, als wenn die guten Pferde schon richtig handeln, wenn sie die Peitsche nur sehen, ohne dass sie von ihr berührt oder gar getroffen werden.
Wenn wir einen wahren Lehrer gefunden haben, können wir den Buddha-Dharma auch lernen, wenn wir vorher nicht leiden mussten und nicht einmal die Dharma-Rede hören. Wir lernen dann in jedem Augenblick und fortwährend, ohne dass es der Worte des Lehrers bedarf. Schon das Handeln des Meisters gibt uns viele Hinweise und Unterstützungen für den Buddha-Weg, so dass verbale Erklärungen überhaupt nicht mehr erforderlich sind. Dabei kann es große zeitliche Unterschiede geben, wann der Schüler die Hinweise des Lehrers vollständig erkennt. Das intuitive Verstehen vollzieht sich nicht immer sofort, wie es das Gleichnis des Pferdes beschreibt, das die Peitsche nur sieht, ohne sie spüren zu müssen.

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Der Mönch in der vierten Meditationsstufe der Vertiefung, Teil 2 (Dhyana).

Dôgen zitiert eine Geschichte aus dem alten Indien, wo ein Mönch ebenfalls in den Irrtum der eigenen Erleuchtung verfallen war, aber dies nicht zuletzt durch die Hilfe des Meisters klar erkannte.
Kloster Ehei-ji, früherer Haupteingang
Er gab dann seinen Irrtum zu und akzeptierte den notwendigen Lernprozess. Dadurch konnte er sich von der Blockade und den Fesseln seiner Illusion lösen und sich fortentwickeln. Wenn man erkennt, dass man kein Arhat ist, die höchste Stufe des Buddha-Weges also noch nicht erreicht hat, beginnt der wahre Lernprozess. Die selbstgerechte Überschätzung verfliegt, sodass ein ehrliches, einfaches Handeln und Lernen in der Praxis möglich wird.
Dann vermeidet man, die Schuld auf Buddha und seine Lehre zu schieben und hütet sich davor, den Buddha herabzusetzen oder gar zu verleumden. Dies war nämlich der eigentliche Grund, warum der vorherige Mönch in die Hölle kam. Wenn der Geist wieder frei wird, lösen sich illusionäre und maßlose Visionen von selbst auf. Dann hat die Wirklichkeit wieder eine Chance. Besonders gefährlich ist es, sich selbst als voll erleuchtet anzusehen und sich auf die gleiche Stufe wie Gautama Buddha oder die großen Meister zu stellen.

Dôgen vergleicht solche Menschen mit den nicht-buddhistischen Philosophen in der Zeit von Gautama Buddha und zitiert einen Meister der Vergangenheit:
"Auch als der große Meister (Buddha) in der Welt war, gab es Menschen mit falschen Gedanken und Sichtweisen. Wie viel schlechter sind jene nach dem Dahinscheiden (des Tathagata), die keinen Lehrer haben und unfähig sind, irgendeine Meditation zu erlangen."

Solche Irrtümer und Fehler gäbe es sogar bei jenen, die die vierte Vertiefung in der Meditation erreicht haben. Dies gilt nach Dôgen in erhöhtem Maße für Menschen, die diese Vertiefung überhaupt noch nicht erlangt haben. Sie versinken sinnlos in der Gier nach Ruhm und sind berauscht vom eigenen Vorteil und Gewinn. Sie kriechen und dienern nach Unterstützung der Mächtigen und wollen unbedingt eine weltliche Karriere hinlegen. Dôgen sagt, dass es damals im großen Königreich der Sung viele solcher falsch informierten und törichten Menschen gibt:
"Sie sagen, dass der Buddha-Dharma und die Methoden des Konfuzius und Laotse das selbe sind und sich nicht unterscheiden."
Damit wird sicher der Opportunismus der damaligen Zeit angesprochen.
Dôgen berichtet dann von einem Mönch mit dem Namen Shoju, der 1208 gestorben ist, also eine Generation vor Dôgen gelebt hatte, der ein umfangreiches Werk in dreißig Bänden veröffentlichte. Er verglich die Lehren von Gautama Buddha, Konfuzius und Laotse mit einem dreibeinigen Kessel, bei dem diese drei Lehren eine wunderbare stabile Einheit bilden würden. Wenn ein Bein fehlte, würde der Kessel umfallen. Er sagte:

"Ich habe erkannt, dass die Essenz, die der Konfuzius lehrt, die Redlichkeit ist. Die Essenz dessen, was das Tao lehrt, ist das Loslösen. Die Essenz der Lehre von Shakyamuni besteht darin, die Natur zu sehen. Redlichkeit, Loslösen und Natur zu sehen haben verschieden Namen (aber) sind dieselbe Substanz. Wenn wir den Punkt meistern, an dem sie sich annähern, gibt es nichts, das nicht genau im Einklang mit dieser Wahrheit ist."

Dôgen bedauert, dass es viele Menschen gäbe, die solches falsche Denken und falsche Sichtweisen hätten. Dieses sei schwerwiegender, als wenn man die vierte Vertiefung in der Meditation mit der Arhatschaft verwechselt. Im Verhältnis zum Buddhismus seien die anderen Lehren nämlich ungenau und für die Lebenspraxis wenig geeignet. Daher könne man sie überhaupt nicht als qualitativ gleichwertig ansehen.
Dôgen zählt dann die wichtigsten Merkmale der Wirklichkeit des Buddhismus auf, die Nishijima Roshi z. B. durch die vier Lebensphilosophien des Idealismus, Materialismus, des Handelns im Augenblick und des höchsten Zustandes des Gleichgewichts und Erwachens kennzeichnet. In der Tat sucht man eine derartige tiefgründige und zugleich realistische Genauigkeit bei den Lehren von Konfuzius und Laotse vergebens. Obgleich ein Sutra des großen Daikan Enô den Begriff „die Natur zu sehen“ scheinbar enthält, sei dies kein verlässlicher Originaltext, sondern eine Fälschung.
Es handelt sich dabei niemals um die Worte des großen Daikan Enô, sondern sie stammen von einem unzuverlässigen Nachfolger, der nicht vertrauenswürdig sei. Dôgen wehrt sich insbesondere dagegen, dass Konfuzius und Laotse wahre Bodhisattvas seien, die zur großen Lehre des Buddha-Dharma gehören und den wahren Kern des Buddhismus lehren.
Nishijima Roshi bemerkt in der Fußnote zu diesem Kapitel, dass in der späteren Zeit die Lehren von Konfuzius und Laotse in China erheblich an Bedeutung gewonnen haben und dass sich die Regierung und die gesamte Obrigkeit mehr oder minder deutlich vom Buddhismus abwendeten.
Dies mag z. T. den Niedergang des Buddhismus in China nach dem 11. Jahrhundert erklären. Sicher gab es in dieser Zeit auch sog. Meister, die ihr Fähnchen opportunistisch nach dem Wind der offiziellen Politik drehten und bewusst oder unbewusst eine solche Vermischung lehrten. Es gab in jener Zeit in China auch Strömungen, die den Buddhismus ganz ablehnten, weil er nicht in China selbst entstanden sei, sondern aus einer fremden Kultur importiert wurde.
Sie griffen daher stärker auf die nationalen Philosophen Konfuzius und Laotse zurück und versuchten den Einfluss des Buddhismus zurückzudrängen. Es gab sogar regelrechte Verfolgungen der Buddhisten und in der Tat ging die große Blütezeit des Zen-Buddhismus damit zu Ende. Dôgen betont immer wieder, wie wichtig es für ihn selbst war, einen wahren buddhistischen Meister gefunden zu haben, nachdem er ihn mehrere Jahre in China vergeblich gesucht hatte.
Dôgen zitiert dann die Lehre von Chuang-tzu, der sagte:

"Vornehmheit und Niedrigkeit, Leiden und Freude, Richtig und Falsch, Gewinn und Verlust: alles dies ist nur der natürliche Zustand."

Dôgen betont dagegen, dass die obigen Zustände sich nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung, also dem Karma, richten und Bewertungen sind. Sie sind daher keineswegs natürlich und die Wirklichkeit selbst, so wie sie ist. Es handele sich um menschliche Bewertungen, die zwar eventuell Konsens in der jeweiligen Gruppe oder in der Mehrheit der Gesellschaft seien, aber überhaupt nicht der wahren Wirklichkeit entsprechen.

Dôgen wendet sich dann gegen die Lehre des Konfuzius, der eine angeborene und weitgehend festgelegte und konstante Intelligenz des Menschen lehrte. Im Gegensatz dazu sei das Wesentliche im Buddha-Dharma gerade der Lernprozess des Menschen. Denn jeder könne dem Weg Gautama Buddhas folgen, wenn er ausdauernd Zazen praktiziert, die Buddha-Lehre studiert und einen wahren Lehrer hat.

Dôgen zitiert dazu den zweiten chinesischen Nachfolger im Dharma, Taiso Eka:

„Die Lehren des Konfuzius und Laotse betreffen nur die Kunst der Höflichkeit und enthalten Kriterien für das (richtige, äußere)Verhalten. Die Schriften von Chuang tzu und I-ching (Lehre des Yin und Yang) sind unvollkommen in Bezug auf die ausgezeichnete Wahrheit (des Buddha-Dharma)“.
Wenn es den zweiten Nachfolger im Dharma nicht gegeben hätte, wäre nach Dôgen die Lehre Buddhas in China überhaupt nicht weitergegeben worden.

Am Ende dieses Kapitels beschäftigt sich Dôgen mit verschiedenen indischen Philosophen und deren Lehren, die sich später allerdings Gautama Buddha angeschlossen haben. Einige vertraten z. B. die Lehre, dass alle Fragen in einer differenzierenden und kontroversen Diskussion zergliedert werden müssten, um zur Wahrheit zu gelangen. Andere sagten, dass jeder Gelehrte nur seine eigene Wahrheit verkündet und alles andere ablehnt. Gautama Buddha habe dagegen in aller Klarheit gelehrt, dass es nur eine einzige Wahrheit und eine einzige Lehre des großen Buddha-Dharma gäbe.
Wer nur auf seiner eigenen subjektiven Wahrheit beharrt, sei an sein Ich gefesselt, neige zur Überheblichkeit und würde sich nur selbst bespiegeln. Eine intellektuelle Erklärung des Nirvana sei völlig unbrauchbar, da dies nur in der Praxis erlernt werden könne. Wer im Wettstreit der Argumente gewinnen würde, fällt nach Dôgen nur in seine eigene Grube der eingebildeten Überlegenheit.
Wer aber im Streitgespräch verliert, versinke in die düstere Stimmung der Unterlegenheit. Beides sei daher nicht sinnvoll und entspricht nicht dem Mittleren Weg. Weiterhin seien Begriffe wie „Leerheit“ oder „Substanz“ nicht die Wahrheit und Wirklichkeit dieser Welt selbst, denn diese können nur praktisch erfahren und erlebt werden und übersteigen Begriffe und Sprache.

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Der Mönch in der vierten Meditationsstufe der Vertiefung, Teil 1 (Dhyana).

In diesem Kapitel (Kap. 90, Shizen-biku) geht es Dôgen um die irrtümliche Selbsteinschätzung eines Mönchs, der in der vierten Stufe der Meditation war und meinte, er sei ein großer, heiliger Arhat.


Tempel Kencho ji in Kamakura, Eingangstor
Im Theravada gibt es vier Stufen der buddhistischen Entwicklung bis hin zum Arhat, der als vollkommener Mensch wie ein Buddha in das Nirvana eingeht. Dôgen hatte in einem anderen Kapitel herausgearbeitet, dass es nur einen einzigen Buddhismus gibt, dass also eine Unterscheidung zwischen Mahayana und Theravada (Hinayana) irreführend sei.

Er nimmt hier außerdem eine Abgrenzung zu den chinesischen Philosophen Konfuzius, Laotse und anderen vor und betont die Einzigartigkeit von Gautama Buddha und seiner Lehre, die nicht mit den anderen Philosophen und Weisen verwechselt und vermischt werden dürfe.
In der Meditation erreicht man verschiedene Zustände von Körper und Geist, die dazu verführen können, dass man sich gemäß der Lehre des Theravada dauerhaft in einem der vier heiligen Zustände wähnt. Diese Zustände, die auch Wirkungen genannt werden, sind

erstens: „Stromeintritt“.
Damit ist gemeint, dass man in den Strom des Buddhismus eingetreten ist und nicht wieder zurückfällt.

Zweitens: „Einmal-Wiederkehr“. Dies bedeutet in der Lehre der Wiedergeburt (Reinkarnation), dass man nur noch einmal auf dieser Welt wiedergeboren wird, bevor man in das Nirvana eingeht.

Drittens: „Nicht-Wiederkehr“. Das bedeutet, dass man nicht noch einmal in dieser Welt wiedergeboren wird, also den Kreislauf der Geburten beendet hat. Dies war ein großes und angestrebtes Ziel des Theravada-Buddhismus, dass man nämlich den leidhaften Kreislauf der Wiedergeburten nicht wieder durchlaufen muss.

Viertens: die Stufe des „Arhat“. Dieser hat die höchste Form des Buddhismus erreicht, ist also ein vollkommener Mensch, wie Gautama Buddha selbst.

Nach Peter Gäng kann man die meditativen Vertiefungen wie folgt kennzeichnen:

1. Geistiges Erfassen und Durchdenken, Freude und Glücksgefühl in der Abgeschiedenheit.
2. Einheit und sogenannte „Einspitzigkeit“ des Geistes. Das geistige Erfassen und Durchdenken kommen zur Ruhe.
3. Klar bewusste Achtsamkeit. Die Freude macht dem alles durchdringenden tiefen Glücksgefühl Platz.
4. Das Glücksgefühl verschwindet, und es bleibt eine ruhige Achtsamkeit.

Es ist aber die große Frage, wann dies nur eingebildete Zustände der Menschen sind und wann sie der Wirklichkeit entsprechen. Wieweit verschmelzen sie mit unserem Alltag und verwirklichen sich im Handeln mit anderen Menschen? Oder sind sie vielleicht nur ein „Sonntagsgefühl“, das keine Kraft und Dauer hat?

Vereinfacht kann man sagen, dass diese meditativen Vertiefungen bestimmte Zustände in der begrenzten Zeit der Meditation sind. Diese dürfen nach Dôgen nicht mit der Wirklichkeit z. B. des heiligen Arhat verwechselt werden, die als Wirkung bezeichnet wird. Er sagt, dass es sich beim Arhat um die höchste Stufe des Erwachens handelt, die er auch Nirvana nennt.
Dôgen betont in diesem Kapitel, dass eine solche irrtümliche Verwechslung klar erkannt werden muss und warnt uns davor, dass wir uns in solche Zustände der Erleuchtung hineinträumen, die nicht die Wirklichkeit selbst sind.

Derartige Zustände sind dann Illusionen und müssen in Enttäuschungen oder sogar tiefer Verzweiflung enden. In der Meditation kann man in der Tat wunderbare Erlebnisse haben, aber das darf nicht dazu führen, dass man überheblich wird. In einem solchen Zustand wird das Ego oft immer größer. Einige Psychologen bezeichnen dies als „Ich-Inflation“, in der man glaubt, ein Heiliger zu sein und eventuell dabei sogar von seiner Umgebung bestätigt wird.

Dann ist der notwendige Lernprozess meist zu Ende und der Mensch entwickelt sich auf dem Weg des Buddha-Dharma rückwärts. Unter dem Deckmantel der eigenen Heiligkeit und spirituellen Großartigkeit macht sich in Wirklichkeit Rücksichtslosigkeit und Egoismus breit. Ein solcher Mensch ist kein Buddhist mehr und haftet an Ruhm, Anerkennung, Macht und wird oft sogar geldgierig. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dann dieser Traum des Größenwahns durch die Konfrontation mit der Wirklichkeit zerplatzt. Die Inflation des Egos bricht dann in sich zusammen!

Am Anfang des Kapitels zitiert er den großen Meister Nagarjuna wie folgt:

"Unter Buddhas Schülern gab es einen Mönch (Bhikshu), der die vierte Vertiefung in der Meditation (Dhyana) erlebte und sich sehr viel darauf einbildete. Er dachte, dass er dauerhaft die vierte (und höchste) Stufe (des Arhat) erlangt hatte.

Bereits als er die erste Stufe der Vertiefung in der Meditation erreicht hatte, dachte er, er hätte den ersten (dauerhaften) Zustand des großen Stromeintritts erlangt. Als er die zweite Vertiefung in der Meditation erlebte hatte, dachte er, dass dies der wirkliche Zustand der Einmal-Wiederkehr sei. Und als er die vierte Vertiefung in der Meditation erlebte hatte, dachte er, dass es die (wahre und dauerhafte) Wirkung der Arhatschaft sei. Deshalb wurde er sehr stolz auf sich selbst und versuchte nicht, weiter (auf dem Buddha-Weg) voranzukommen.
Als sich sein Leben dem Ende zuneigte, hatte er jedoch die Vision, dass auf ihn nur die Form einer mittleren Existenz zukommt. Diese gilt für (einen Menschen, der) die vierte Vertiefung in der Meditation (zwar erlebt hat, aber kein Arhat ist). Dies erzeugte in ihm eine ganz falsche Sichtweise. "


Er dachte: "Dies ist nicht Nirvana. Der Buddha hat mich getäuscht!" Deswegen wurde dieser Mönch dann sogar in der Avici-Hölle wiedergeboren. Buddha sagte ihm, dass sein Leben eines einsamen Mönches nun zu Ende sei. Der Mönch wollte sich damit aber nicht abfinden und sagte, dass er doch in Zazen gesessen und die Gelöbnisse eingehalten habe. Buddha sagte zu ihm: "Alles beruht auf deiner Einbildung." Als er die vierte Vertiefung in der Meditation erlebt hatte, dachte er, dies wäre die vierte und höchste Stufe (eines erleuchteten Arhat). Der Mönch dachte aber nach wie vor, dass er ein Arhat sei. Nun sei er wiedergeboren, aber Buddha habe ihn getäuscht.“
Gautama Buddha verfasste dazu folgende Verse:

"Trotz seines umfangreichen Wissens, der Beachtung der Gelöbnisse und der Meditation
hätte er aber (unbedingt) noch den (wahren) Dharma erlangen müssen, durch den die Maßlosigkeit beendet wird.
Obgleich er die obigen Tugenden besaß,
war es für ihn schwer, an die Tatsache (seiner eigenen Maßlosigkeit) zu glauben.
Dass er in die Hölle fiel geschah, weil er den Buddha verleumdet hat.
Dies war jedoch nicht mit der vierten Vertiefung in der Meditation verbunden."


Dôgen erklärt, dass es bei dieser Geschichte darum geht, dass jemand die Vertiefung in der Meditation mit der Wirklichkeit auf dem Wege zum Arhat verwechselt. Besonders gefährlich sei es, wenn man stolz und eingebildet wird. Man glaubt dann, ein heiliger Arhat zu sein, dies sei aber tiefgehende Illusion. Als Folge ist man nicht mehr lernfähig auf dem Buddha-Weg. Dôgen beschreibt in einem anderen Kapitel die notwendige Weiterentwicklung nach dem Erwachen und unterstreicht, dass man immer weiter Zazen praktizieren und an seinem Verhalten arbeiten müsse. Dies gilt auch, wenn man die Erleuchtung erlangt habe und ein großer Meister oder Buddha sei.

Dôgens Warnung müssen wir in der Tat sehr ernst nehmen, denn es gibt in den buddhistischen Gruppen immer wieder Menschen, die fest davon überzeugt sind, dass sie erleuchtet sind und den höchsten menschlichen Zustand dauerhaft erreicht haben. Dôgen warnt hier ausdrücklich davor, dass auch die Praxis des Zazen keine absolute Sicherheit vor einem solchen Irrtum gibt. Jede Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit aufgrund der Tatsache, dass man die Gelöbnisse einhält, sei völlig unangebracht und blockiere die weitere positive Entwicklung.

Er betont außerdem, dass der obige Mönch sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat und keinen verlässlichen Lehrer habe. Eine solche Isolation führt oft zur Überschätzung des eigenen buddhistischen Entwicklungsstandes und werde zum Feind der buddhistischen Lehre und Praxis. Der lebendige, ehrliche Austausch mit anderen Mitgliedern der Sangha, vor allem mit einem wahren Lehrer, ist nach Dôgen unbedingt erforderlich, um die geschilderte Sackgasse des Buddha-Weges zu vermeiden. In einem solchen Fall werde Richtig und Falsch verwechselt und man haftet an seinen eigenen überzogenen subjektiven Vorstellungen und an dem Stolz auf sich selbst.Er fasst noch einmal die Fehler des obigen Mönches zusammen: Er besaß keine Klarheit, um den Unterschied der vierten Vertiefung während der Meditation einerseits und den wirklichen Zustandes eines wahren Arhat andererseits zu erkennen.

Er verließ ohne erkennbaren Grund seinen Lehrer und lebte isoliert in der Einsamkeit. Er hatte auch keinen stetigen Kontakt zu einem Ort des Buddhas und hörte nicht regelmäßig den wahren Dharma. Durch eine solche isolierte Lebensweise verliert der Mensch völlig das Einschätzungsvermögen, wie es um ihn steht, und gerät leicht in arrogante Selbstüberschätzung und wähnt sich in dem höchsten heiligen Zustand im Buddhismus.

Die Fehler der eingebildeten eigenen Heiligkeit sind dann unvermeidbar. Unzureichendes Wissen der buddhistischen Lehre, mangelnde Einschätzung von sich selbst und nicht zuletzt die Trennung von einem wahren Lehrer sind die wesentlichen Ursachen für diese Fehlentwicklung. Von großer Bedeutung sei es, eigene Irrtümer klar zu erkennen und daraus zu lernen.

Freitag, 28. November 2008

Kalligrafie von Nishijima Roshi

Die Kalligrafie bedeutete "Shôbôgenzô", also die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, wie das vierbändige Werk von Meister Dôgen. Die deutsche Übersetzung gibt es beim Kristkeitz-Verlag.
Nishijima Roshi hat die Kalligrafie Anfang dieses Monats gezeichnet


Mittwoch, 26. November 2008

Die acht Wahrheiten wirklich großer Menschen (Teil 2)

4. Mit Fleiß praktizieren
Dabei kommt es darauf an, ausdauernd zu praktizieren und nicht in seinen Bemühungen zu erlahmen. Nach Gautama Buddha wird dann überhaupt nichts schwierig und unübersteigbar sein. Er sagt:
„Ein steter Tropfen, der andauernd nieder fällt, ist wirklich in der Lage, einen Fels zu durchbohren."
Klosteranlage in Kamakura
Das Gegenteil sei ein Mensch ohne Ausdauer, der einen Bohrer angesetzt hat, um Feuer zu erzeugen, aber leider aufhört, kurz bevor das Feuer sich wirklich entzündet.

5. Nicht die Achtsamkeit verlieren
Dabei kommt es vor allem auf die richtige Achtsamkeit für andere an und nicht auf den oft sentimentalen Selbstbezug, wie es heute zum Teil zu beobachten ist. Wenn man psychologisch dauernd um sich selbst kreist, sich selbst beobachtet und interpretiert, ist das bestimmt nicht die von Gautama Buddha gelehrte Achtsamkeit. Er setzt hierbei dabei vor allem auf gute Lehrer, denen wir uns anvertrauen und unter deren Leitung wir auf dem Buddha-Weg weiter lernen.

Durch eine solche Achtsamkeit können uns auch "die Banditen der Not" nicht erobern. Wir sollten daher fortwährend unsere Gedanken steuern und sie im richtigen Ort des Geistes halten. Wer seine Achtsamkeit verliert, verliert seine Tugend. Wir seien durch die Achtsamkeit im Kampf des Lebens wie durch einen Panzer geschützt.

6. Den Zustand des Gleichgewichtes von Dhyana praktizieren
Dies bedeutet, dass wir ohne Störung im Zazen und im Dharma verweilen. Gautama Buddha sagt, dass durch die Steuerung des Geistes der Zustand des Gleichgewichts vorhanden sein wird. Wenn wir im Zustand des Gleichgewichts sind, zerstreut sich unser Geist nicht, sondern ist gesammelt. Gautama Buddha vergleicht dies mit einem Leitungssystem für das Trinkwasser, das kein Leck hat und dicht ist, sodass kein Wasser unnütz versickert und verloren geht.

7. Weisheit praktizieren
Buddha sagt:
Wenn ihr Mönche Weisheit habt, dann werdet ihr ohne Gier und Anhaftung sein“.
Es sei wichtig, dass wir uns dauernd sorgfältig beobachten und darüber reflektieren, wie wir denken und handeln, was sich also in unserem Geist ereignet. Wir müssen möglichst schnell durchschauen, wenn wir von der Gier nach Ruhm und Profit getrieben werden. Dadurch sind wir in der Wahrheit des Dharma und erreichen die Befreiung. Ist dies nicht der Fall, so unterscheiden wir uns grundsätzlich von den Menschen der Wahrheit, seien es Nonnen, Mönche oder Laien.

Die Weisheit sei wie ein stabiles Schiff, mit dem wir den Ozean des Alterns, der Krankheit und des Todes überqueren wollen und können. Sie sei eine großartige Fackel für die Dunkelheit der Unwissenheit und eine gute Medizin für kranke Menschen. Er sagt:
"Wenn ein Mensch das Licht der Weisheit besitzt, ist er oder sie jemand mit klarer Sichtweise, auch mit dem Fleisch und den körperlichen Augen."

8. Sich nicht in müßigen Diskussionen verlieren
Dadurch dass wir uns von Unterscheidungen und Abwertungen anderer fernhalten, verwirklichen wir vollkommen die reale Form und Wirklichkeit des Lebens. Aufgebrachte Diskussionen verwirren nach Gautama Buddha den Geist. Wir können uns dann nicht von diesen Verwirrungen befreien, selbst wenn wir in ein Kloster eingetreten sind. In der Tat sind derartige hitzige, oft aggressiv geführte Diskussionen wenig geeignet, um auch nur ein Stück Wahrheit zu finden und zu befördern.
Dann wird Gautama Buddha zitiert:

"Ihr Mönche solltet euch dauerhaft anstrengen, mit ungeteiltem Geist die Wahrheit der Befreiung anzustreben. Alle Dharmas dieser Welt, die sich bewegen oder bewegungslos sind, vergehen ohne Ausnahme und haben keine stabile Form. Lasst es zu, dass ihr für eine Weile einhaltet und nicht mehr redet. Die Zeit muss weitergehen, und ich schicke mich an, zu sterben. Dies ist meine letzte Unterweisung."

Dôgen bedauert am Ende dieses Kapitels, dass in seiner eigenen Zeit viele Menschen die obigen acht Wahrheiten nicht kennen und auch nicht erlernen wollen. Wer jedoch Zugang zu ihnen hat, kann sich glücklich schätzen, weil er auf diese Weise gute Wurzeln für sein eigenes Leben besitzt. Dôgen bezeichnet seine Zeit als heimtückisch und dekadent und sagt:

„Der große wahre Dharma des Tathagata durchdringt (trotzdem) die tausendfache Welt. Wäre der untadelige Dharma (bei uns) noch nicht vorhanden, so sollten wir ihn ohne Zögern erlernen. Seid nicht träge oder faul.“

Dieses Kapitel wurde im Todesjahr von Dôgen, also 1253, niedergeschrieben. Sein Schüler und Nachfolger Ejo fügte ein Nachwort hinzu und sagte, dass Dôgen eigentlich plante, einhundert Kapitel des Shôbôgenzô zu schreiben, dies aber wegen seiner schweren Krankheit und seines Todes nicht möglich gewesen sei. Dies bedauerte er sehr. Er bat darum, dieses Kapitel zu kopieren und zu erhalten und für die Nachwelt zu bewahren.

Dienstag, 18. November 2008

Die acht Wahrheiten wirklich großer Menschen (Teil 1)

Nach der Überlieferung hat Gautama Buddha kurz vor seinem Tod zusammenfassend diese acht Wahrheiten eines großen Menschen, also eines Buddhas oder Bodhisattvas, gelehrt (Kap. 95, Hachi-dainingaku).

Garten des Klosters Kensho-ji in Kamakura

Die acht Wahrheiten sind in der Fassung von 95 Kapiteln des Shôbogenzô das letzte, das Dôgen lehrte und niederschrieb, als er schon schwer krank und vom Tode gezeichnet war. Es ist also die letzte Lehr-Rede von Gautama Buddha und auch von Dôgen und wir sollten sie mit großer Sorgfalt studieren. Sie fasst die wichtigsten Regeln für ein wahres buddhistisches Leben recht einfach und Praxis orientiert zusammen. Diese Regeln sind keine Dogmen und genau so wie die 16 Bodhisattva-Gelöbnisse als Hilfe für das tägliche Leben gedacht.

Es wird heute angenommen, dass Dôgen an Tuberkulose litt, die damals meist unheilbar war. Er kehrte zwar zur besseren ärztlichen Behandlung von Ehei-ji nach Kyoto zurück, erholte sich aber nicht mehr und verstarb dort. Er war damals 53 Jahre alt.

Dôgen sagt zu Anfang dieses Kapitels, dass man den ruhigen und ausgeglichenen Lebenszustand erreicht, wenn man diese acht Wahrheiten verwirklicht. Er spricht davon, dass man in das Nirvana eingeht und meint damit vor allem den Zustand des Gleichgewichts im Hier und Jetzt, der nicht zuletzt in der Zazen-Praxis verwirklicht wird.
Im Folgenden werden die acht Wahrheiten dargestellt und nach Dôgen kurz erläutert.

1. Geringe Begierde
Damit ist gemeint, dass wir nicht Dingen hinterher jagen sollen, die wir noch nicht besitzen, aber unbedingt haben wollen. Dazu gehören vor allem die Objekte der fünf Begierden durch die Sinnesorgane: der Augen, Ohren, Nase, Zunge und der Haut. Diese Begierden werden durch die verschiedenen Formen der sinnlichen Wahrnehmung hervorgerufen und angestachelt. Dôgen zitiert Gautama Buddha, der sagte, dass das Leiden grenzenlos ist, wenn wir diesen Begierden hemmungslos und unkontrolliert nachjagen. Wenn jemand diese Begierden jedoch „im Griff hat“, sie steuert und klein hält, befreit er sich von ihrer Dominanz und damit auch vom Leiden. Solche Menschen schmeicheln auch nicht um des eigenen Vorteils willen und kriechen nicht vor denen, von denen sie die Objekte der Begierde ergattern möchten. Dann sind wir ohne Sorgen und Furcht, haben umfassende Freiheit, großen Spielraum im eigenen Leben und sind nicht unzufrieden.

2. Erkennen der eigenen Zufriedenheit.
Damit ist vor allem angesprochen, dass wir in unserem Leben mit den Dingen und Umständen zufrieden sind, die wir besitzen. Wenn wir eine solche Zufriedenheit klar erkennen, dann überwinden wir die verschiedenartigen Leiden in unserem Leben und erleben einen Ort des Überflusses, der Freude und des Friedens. Wenn wir eine solche Zufriedenheit nicht kennen, könnten wir sogar an einem himmlischen Ort leben und wären trotzdem immer unzufrieden und frustriert. Er zitiert dazu Gautama Buddha:
"Jene Menschen, die die Zufriedenheit nicht kennen, sind arm, selbst wenn sie materiell reich sind, und jene, die die Zufriedenheit kennen, sind reich, selbst wenn sie äußerlich arm sind. Wer nicht zufrieden ist, wird permanent von den fünf Begierden umgetrieben."

3. Freude in der Ruhe haben
Wir sollten uns von lärmenden unruhigen Gruppen fernhalten und einen ruhigen Ort suchen. Viele empfinden in einer solchen Abgeschiedenheit große Langeweile, aber der dauernde Trubel ist sicher der falsche Weg für ein Leben im Gleichgewicht. Gautama Buddha vergleicht diese Situation mit einem Schwarm von Vögeln, die auf einem Baum sitzen und dauernd in großen Sorgen und Ängsten sind, dass dieser zusammenbricht und umfällt. Er sagt außerdem:
"(Jene), die an die Welt gefesselt sind und ihr anhaften, versinken in verschiedenartiges Leiden, wie ein alter Elefant, der im Sumpf versinkt und selbst nicht in der Lage ist, wieder herauszukommen."

Mittwoch, 12. November 2008

Die große buddhistische Praxis und das Gesetz von Ursache und Wirkung (Teil 2)

Klostehof von Tokei-in


Nishijima Roshi bemerkt in seinem Kommentar zu dieser Koan-Geschichte im Shinji-Shôbôgenzô, dass es nicht um die Frage der Wiedergeburt geht, sondern dass die Verwirklichung des Buddha-Dharma im Hier und Jetzt und das Handeln im Mittelpunkt stehen. Das Gesetz von Ursache und Wirkung sei der materialistisch und naturwissenschaftlich orientierten zweiten Lebensphilosophie zuzuordnen und basiert auf einen linearen Zeitablauf von der Vergangenheit zur Gegenwart und in die Zukunft. Dies entspricht unserer üblichen Zeitvorstellung.


Durch den direkten Kontakt zum wahren Meister Hyakujo verwirklichte der alte Mann genau im Augenblick die in diesem Kapitel beschriebene große Praxis, und dies war genau seine Verwandlung zu einem natürlichen und freien Zustand. Der Meister benutzte also keinesfalls magische Zauberformeln oder mysteriöse, übernatürliche Kräfte, um den alten Mann vom Körper eines Fuchses zu befreien und zur Wirklichkeit zu führen. Dies wird von Dôgen in seiner Erläuterung ausdrücklich betont. Die Worte des Meisters brachten den alten Mann zur Klarheit hier und jetzt, die er vorher, als er selbst gelehrt hatte, noch nicht besaß.


Dôgen verdeutlicht, dass es bei dieser Koan-Geschichte nicht um die Ebene der Worte geht und dass das Gesetz von Ursache und Wirkung hundertprozentig für die große Praxis gilt. Es ist aber auch richtig, dass eventuelle Widersprüche in der umfassenden Wirklichkeit des Hier und Jetzt überschritten werden. Eine theoretische Erörterung dieser beiden gegensätzlichen Aussagen verliert also jede Bedeutung, wenn der Augenblick der großen Praxis da ist.

In der obigen Koan-Geschichte wird ein zweiter wichtiger Punkt angesprochen, als der junge Obaku die theoretische Frage stellte, ob der alte Mann einen Fehler gemacht habe oder nicht, und was passiert wäre, wenn er in keinem Augenblick fehlerhaft gehandelt hätte. Er wird daraufhin gebeten, direkt zum Meister vorzutreten, und indem er dem Meister einen Klaps gibt, beantwortet er selbst durch das Handeln seine eigene spekulative theoretische Frage. Damit ist diese theoretische Frage ganz überflüssig geworden.

Der Klaps als direkte wirkliche Verbindung zwischen Meister und Schüler ist direktes Handeln im Hier und Jetzt und übersteigt die Ebene des Denkens, Redens und Spekulierens. Dieses Handeln ist die große Praxis. Der Meister ist trotz des Klapses nicht über seinen Schüler verärgert, sondern klatscht ganz im Gegenteil in die Hände und bricht in schallendes Gelächter aus. Damit bestätigt er, dass sein Schüler Obaku die große Praxis verwirklicht hat.

Der Meister sagt dann, dass der Bart eines konkreten Fremden rot ist. Dies ist eine spezifische Aussage zur Wirklichkeit. Sie kann auch verallgemeinert werden, dass nämlich ein roter Bart immer zu einem Fremden gehört. Nishijima Roshi erläutert dies so, dass der Meister das Handeln seines Schülers ganz direkt bestätigt, indem er das Gleichnis des roten Bartes, das in China allgemein gebräuchlich war, konkret verwendet. Dies ist in unserer westlichen Logik eine induktive Schlussfolgerung vom Speziellen zum Allgemeinen.


Der zweite Teil des Satzes des Meisters ist der logisch umgekehrte Weg der Ableitung einer konkreten Schlussfolgerung von einer allgemeinen Aussage. Dies ist eine Deduktion. Der Meister wolle damit seinem Schüler nahe legen, dass es in der Wirklichkeit des Lebens immer mehrere Alternativen gibt und dass man vom Konkreten zum Allgemeinen aber auch vom Allgemeinen zum Konkreten gehen kann und soll. Dies kann im Denken vollzogen und in Worte gefasst werden, um es zu kommunizieren. Dadurch dass Lehrer und Schüler gemäß diesem Koan gemeinsam die große Praxis verwirklicht haben, können sie in völliger Übereinstimmung handeln und sprechen. Dôgen schätzte diese Koan-Geschichte sehr.

In dem folgenden Text des Kapitels analysiert er tiefgründig die einzelnen Schritte und Sätze dieses Koans. Er warnt uns jedoch, dass wir derartigen alten Geschichten allzu gläubig lauschen und uns keine eigenen realistischen Gedanken dazu machen. Es sei zum Beispiel völlig unüblich, eine Begräbniszeremonie losgelöst von den tradierten Handlungen in einem buddhistischen Kloster zu vollziehen, und es sei darüber hinaus ausgesprochen seltsam, dass der Meister einem alten Mann eine doch recht spekulative Geschichte seiner Verwandlung in einen wilden Fuchs einfach und sofort glaubt.


Dôgen fragt zum Beispiel, ob es sich um fünfhundert Leben eines Menschen, also dieses alten Mannes und früheren Meisters, handelt oder um fünfhundert Leben eines wilden Fuchses. Er fragt weiterhin, wie es denn möglich sei, dass ein Fuchs überhaupt den wahren Meister erkennt und fügt hinzu, dass der Fuchs doch eigentlich nur seinen eigenen Geist erkennen kann.
Auf der konkretistischen Ebene dieses Koans gibt es also viele Fragen und Widersprüche und Dôgen bittet uns, diese nicht einfach beiseitezuschieben. Das Koan selbst sei die große Praxis. Der "stinkende Fellsack des wilden Fuchses" gleicht vielleicht auf diese Weise der berühmten Perle im Haarzopf, die als Gleichnis für den Reichtum und die Schönheit unseres Lebens in der Wirklichkeit verwendet wird.

Nach Nishijima Roshi ist dieses Kapitel eine großartige Zusammenfassung der wichtigen Elemente von Dôgens buddhistischer Lehre und enthält die vier Lebensphilosophien, nämlich der idealistischen und materialistischen Sichtweise, des Handelns und der großen Praxis der Wirklichkeit, die über Denken und sinnliche Wahrnehmung hinausgeht. Sowohl die Verwandlung des alten Mannes und Realisierung der großen Klarheit der Praxis, als auch das Handeln des jungen Mönches Obaku, der später selbst ein großer Meister wurde, sind genau diese Praxis im Augenblicks des Hier und Jetzt.


Das Gesetz von Ursache und Wirkung hat seine Richtigkeit in der materialistischen und naturwissenschaftlichen Sichtweise, und dort ist es unbedingt zu einhundert Prozent gültig. Dies lehrte schon Gautama Buddha. Im Augenblick der großen Praxis gibt es keine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und daher fallen Ursache und Wirkung zusammen; und dies wird z. B. beim Zazen wirklich erfahren. Nach Nishijima Roshi ist es das Herzstück des Buddhismus, denn dieser ist nicht nur eine Lehre und Theorie, die sich an den verstandesmäßigen Geist wendet, sondern ist die Wirklichkeit im Hier und Jetzt selbst. Dadurch wird das Leiden überwunden, und im Gleichgewicht und Handeln gibt es die Freiheit für den Menschen.

Der alte Mann sagte, dass er auf diesem selben Berg vor langer, langer Zeit gelehrt hatte und seitdem im Körper des wilden Fuchses bzw. des alten Mannes bei der Dharma-Rede anwesend war. Dass es sich genau um denselben Berg handelt, ist jedoch nach Dôgen eine gedachte Abstraktion. Man kann die Frage, ob es sich um denselben Berg handeln würde oder nicht, sowohl mit Ja als auch mit Nein beantworten. Die Wirklichkeit gibt es aber nur im Augenblick, und dann spielt die zeitliche Identität des Berges keine Rolle.

Dôgen warnt uns, dass wir voreilig und unbedacht verbal behaupten, dass im Augenblick der großen Praxis das Gesetz von Ursache und Wirkung immer gilt oder ob es sozusagen im Augenblick der großen Praxis, in dem es keine lineare Zeit gibt, außer Kraft gesetzt ist. Diese Frage könne man theoretisch und intellektuell überhaupt nicht lösen, sondern sie erhält ihre Klarheit in der Praxis und Dôgen rät uns, "in der Praxis zu lernen."

Er erläutert, dass nicht alle Fehler automatisch dazu führen, dass man in den Körper eines wilden Fuchses fällt. Denn wenn dieses zuträfe, müssten in der Zeit der letzten dreihundert Jahre in China sehr viele Menschen als wilde Füchse herumlaufen. Er will sicher damit sagen, dass diese Koan-Geschichte einen großen Wert hat und die Wahrheit des Buddhismus sehr genau bezeichnet. Aber es gäbe in der damaligen Zeit viel schlimmere falsche Lehren von so genannten Meistern als diese Aussage des alten Mannes, dass etwas nicht unter das Gesetz von Ursache und Wirkung fällt.


Er warnt uns auch voreilig zu glauben, dass wir vorübergehend in den Körper eines wilden Fuchses fallen und dann nach der großen Erleuchtung diesen Körper wieder abstoßen und dann wunderbar "zur ursprünglichen Essenz zurückkehren." Dies sei eine Irrlehre, die nicht zum Buddhismus gehöre, wenn behauptet würde, dass wir zu unserem ursprünglichen Selbst zurückkehren, nachdem wir die große Erleuchtung erlangt haben. Er fragt dazu feinsinnig, ob es vielleicht die große Erleuchtung des wilden Fuchses sei oder die eines Menschen, der in den Körper des wilden Fuchses geschlüpft sei.

Am Ende dieses Kapitels bringt Dôgen in einem Gedicht seine hohe Wertschätzung für Meister Hyakoju und diese Koan-Geschichte zum Ausdruck:

"Hyakojus Worte durchdringen alle Richtungen,
doch er hat das Versteck des wilden Fuchses noch nicht verlassen.
Obakus Fersen berühren den Boden,
doch schien er auf dem Pfad der Gottesanbeterin (des Zweifels) fest zu sitzen.
Mit einem Klaps und dem Händeklatschen
gibt es (dann) einen, (und) nicht zwei (Menschen).
Die roten Bärte sind Fremde, und die Bärte der Fremden sind rot.
Damit sagt er also auch, dass sowohl die Meister Hyakoju als auch Obaku weit auf dem Weg des Buddha-Dharma vorangeschritten sind und dass es im Handeln eine Einheit zwischen den Menschen in der Wirklichkeit und dem Universum gibt. "

Freitag, 7. November 2008

Buddha-Natur: Neuerscheinung als Buch

Auf eine interessante Neuerscheinung zu dem großen Thema der Buddha-Natur möchten Peter Gäng und ich hinweisen. Es ist die erste umfassende Veröffentlichung dazu in Deutsch!
Die bekannte Herausgeberin Marianne Wachs schreibt:

Dieses Thema wird von allen Seiten beleuchtet, von verschiedenen buddhistischen Schulrichtungen aus erklärt und zur alltäglichen Praxis in Beziehung gesetzt.
Dabei sind einige der wichtigsten indischen Quellentexte zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt worden, sodass man sich ein eigenes fundiertes Bild machen kann.

Von mir stammt der Beitrag aus dem Zen-Buddhismus, Meister Dogens Shobogenzo. Dies war auch Thema des Dogen-Gesprächskreises in Frankfurt, des Dharma-Gesprächskreises in Berlin und meine lecture bei der Sesshin im Kloster Tokei-in/Japan.

Das Buch ist im Buddhistischen Studienverlag erschienen und kann in jeder Buchhandlung oder über das Internet bestellt werden.

Beim Verlag bestellen, bitte hier anklicken:
Buddhistischer Studienverlag:




Dienstag, 4. November 2008

Die große buddhistische Praxis und das Gesetz von Ursache und Wirkung (Teil 1)

Dieses äußerst wichtige Kapitel fasst die buddhistische Lehre eindrucksvoll zusammen und ist ohne die von Nishijima Roshi herausgearbeitete Lehre der vier Lebensphilosophien schwer verständlich.
Kloster Tokei-in, während der Sesshin 2008

Das Gesetz von Ursache und Wirkung gehört der zweiten Sichtweise oder Lebensphilosophie an, da es als Grundlage die lineare Zeit verwendet. Es kann damit als naturwissenschaftlich beziehungsweise pragmatisch-materialistisch bezeichnet werden. In allen Kapiteln des Shôbôgenzô gibt es wichtige Aussagen zu den vier verschiedenen Sichtweisen oder Lebensphilosophien. Dabei integriert der vierte höchste Zustand der umfassenden Praxis und intuitiven Klarheit auch die drei anderen Sichtweisen. Dieser wird im Allgemeinen als Erwachen oder Erleuchtung bezeichnet.

In der Einleitung (Kap. 76, Dai-shugyo) erwähnt Nishijima Roshi die beiden im Zen-Buddhismus häufig diskutierten Aussagen, ob das Gesetz von Ursache und Wirkung auch für die große Praxis des Augenblicks und der Erleuchtung gilt oder nicht. Die klare Gegenaussage lautet, dass dieses Gesetz immer und überall und daher auch für die große Praxis gilt. Er sagt zu diesem Kapitel:

"Aber Meister Dôgen dachte, dass der Unterschied zwischen diesen beiden Erklärungen nur dem Bereich des intellektuellen Denkens angehört und dass die Situation in der Wirklichkeit eine solche Unterscheidung nicht aufweist. Er erklärte, dass ein Mensch der großen Praxis sowohl die Ablehnung als auch Bestätigung des Gesetzes von Ursache und Wirkung überschreitet, indem er hier und jetzt in der wirklichen Welt handelt. Die höchste Wirklichkeit gibt es nur im jetzigen Augenblick, direkt unmittelbar und in ganzer Realität. Dies ist die große Praxis, um die es in diesem Kapitel geht.“

Es ist eine alte, immer neu diskutierte große Frage in der Menschheit, ob unser Leben vorherbestimmt, also determiniert ist oder ob wir die Freiheit besitzen, so zu handeln, wie wir es wollen. Eine solche freie Entscheidung baut vor allem auf rationalen Überlegungen auf und ist von unserer Vernunft geprägt. Materialisten glauben meist an die Determination und fehlende Willensfreiheit im Leben, während Idealisten die Freiheit des Geistes und des Willens in den Vordergrund stellen.
Wenn das Gesetz von Ursache und Wirkung allgemein gilt, müsste man eigentlich annehmen, dass es keine Freiheit bei den einzelnen Entscheidungen geben kann. Dann wäre unser Leben nämlich vollständig vorausbestimmt und wir könnten nicht wählen, nicht entscheiden und hätten keinen freien Willen. Trifft dies in unserer Wirklichkeit zu?

Nach Dôgen sind wir in der Übungspraxis des Zazen und des Handelns ganz im Augenblick, sodass eine gedankliche Beziehung zur Vergangenheit und Zukunft nach der Vorstellung der linearen Zeit keine Bedeutung hat. Wenn dies so ist, können wir aber genau im Augenblick frei entscheiden und sind nicht vollständig durch die Entwicklungen und Prozesse aus der Vergangenheit gebunden und festgelegt.
Nach Dôgen handelt es sich jedoch nicht um eine übernatürliche, mystische Situation, wenn wir uns von der Vorstellung der Vergangenheit lösen, sondern es ist der natürliche Zustand, der gerade diese Freiheit des Augenblicks ermöglicht. Die Festlegungen durch Gier, Hass und andere zementierte alte Vorstellungen werden nach der buddhistischen Lehre durch die Übungspraxis des Zazen überwunden, und damit ist man im Augenblick frei. Dies ist aber keine theoretische Überlegung wie im Idealismus, die nur als Glaube oder Ideologie im Geist der Menschen besteht. Es ist vielmehr die Wirklichkeit des Handelns im Augenblick selbst und damit das große Erwachen und die große Praxis, die Dôgen in diesem Kapitel tiefgründig und anhand mehrerer Koan-Geschichten für uns ausbreitet.
Er betont, dass ein solcher Zustand der Freiheit genau im Zazen des Hier und Jetzt besteht und dass dies genau der Zustand des Buddhas ist. Wichtig dabei ist, dass "Körper und Geist", also die üblichen Vorstellungen des Ich, „fallen gelassen werden“ und dass man beim Zazen "aus dem Grund des Nichtdenkens denkt." Indem wir also das gewöhnliche unterscheidende Denken verlassen, können wir auch die Festlegungen und Determinationen der Vorstellungen aus der Vergangenheit auflösen, die sich bei uns im Geist verfestigt und fixiert haben.
Im Zazen ist man im Augenblick frei von fixierenden Gedanken und Gefühlen, denn es gibt sie gar nicht. Diese haben uns gewöhnlich im Griff und programmieren uns in einer bestimmten oft recht starren Struktur. Derartige festgelegte Vorstellungen sind meist mit starken Gefühlen und Affekten verbunden, die mit großer psychischer Energie an bestimmten Fixierungen festhalten und damit verhindern, dass wir uns frei von falschen Festlegungen der Vergangenheit in eine neue Richtung bewegen können. Dôgen sagt uns, dass wir dies "in der Praxis lernen" sollen und dadurch zur Freiheit gelangen.

Daraus wird deutlich, dass es sich bei der Frage von Determinierung und Freiheit um ein schwieriges und komplexes Problem handelt. Für Dôgen ist es klar, dass wir dies nur in der großen Praxis lösen können, die auf einer anderen Ebene der Wirklichkeit das Problem überflüssig macht und auflöst. Dann wird auch der Wiederholungszwang, der so häufig im menschlichen Leben wirksam und zu beobachten ist, nachhaltig überwunden. Dadurch können wir den Teufelskreis des Leidens, der sich selbstähnlich durch unser ganzes Leben zieht, durchbrechen und in der jeweiligen Situation offen für etwas Neues und Wichtigeres, und wie die Theravadins sagen würden, „Heilsames“, sein.

Zur Beleuchtung seiner eigenen tiefen Erfahrung der großen Praxis beginnt Dôgen dieses Kapitel mit der bekannten Koan-Geschichte eines früheren Meisters, der immer wieder als wilder Fuchs geboren wurde, weil er vor langer Zeit als Lehrer das Karma-Gesetz verneint hatte. Er bittet Meister Hyakujo darum, ihn von dem Körper des wilden Fuchses zu befreien. Er müsse solange wieder geboren werden, bis die negative Wirkung seines früheren Fehlers bei der Buddha-Lehre aufgelöst und beendet sei.
Dieses Koan wird auch im Shinji-Shôbôgenzô, Bd 2, Nr. 2 und im Kapitel 89 "Tiefer Glaube an das Gesetz von Ursache und Wirkung" eingehend behandelt.
Im Folgenden soll dieses Koan-Gespräch kurz erläutert werden: Als der große Zen-Meister Hyakujo seine informelle Lehrrede im Kloster hielt, war immer auch ein alter Mann anwesend, der zusammen mit den Mönchen zuhörte und danach fort ging, weil er nicht im Kloster lebte. Eines Tages blieb er jedoch nach dem Vortrag allein zurück, und auf die Frage des Meisters, wer er sei, sagte er:

"Ich bin kein Mensch. Vor sehr langer Zeit war ich Meister auf diesem Berg, und als mich ein Praktizierender fragte, ob die Menschen auch im Zustand der großen Praxis unter das Gesetz von Ursache und Wirkung fallen oder nicht, antwortete ich: „Sie fallen nicht unter das Gesetz von Ursache und Wirkung."
Seitdem bin ich fünfhundert Leben lang in den Körper eines wilden Fuchses gefallen. Ich bitte Sie, Meister, ein Wort zur spontanen Umwandlung für mich zu sagen. Ich möchte unbedingt den Körper des wilden Fuchses verlassen“.

Der alte Mann fragte dann selbst den großen Meister:

"Fallen auch die Menschen im Zustand der großen Praxis unter das Gesetz von Ursache und Wirkung oder nicht?"
Der Meister sagte: "Täusche Dich nicht selbst über Ursache und Wirkung."

Bei diesen Worten erlangte der alte Mann sofort die große Verwirklichung. Er machte Niederwerfungen und sagte:

"Ich bin den Körper eines wilden Fuchses bereits losgeworden und möchte gern auf dem Berg hinter dem Tempel bleiben. Darf ich es wagen, den Meister zu bitten, für mich die Begräbniszeremonie eines Mönchs durchzuführen?"

Später wurde tatsächlich der tote Körper eines Fuchses hinter dem Tempel gefunden. Der Meister leitete die Begräbniszeremonie im Kloster so wie von dem alten Mann erbeten. Am Abend hielt er die formale Dharma-Rede und erläuterte das Geschehene. Unter den zuhörenden Mönchen war der junge Meister Obaku, den Dôgen außerordentlich schätzte. Er stellte folgende Frage:

"Der alte Mann gab in der Vergangenheit eine falsche Antwort als Wort der Transformation und fiel für fünfhundert Leben in den Körper eines wilden Fuchses. Was wäre aus ihm geworden, wenn er ohne irgendeinen Fehler zu irgendeinem Augenblick weiter gemacht hätte?"
Der Meister sagte zu ihm: "Steig herauf (zu mir), ich will (es) dir sagen."

Obaku stieg schließlich hinauf zum Meister und gab ihm erstaunlicher Weise einen Klaps. Der Meister klatschte jedoch in die Hände, lachte aus vollem Hals und sagte:
"Du hast gerade(die Wirklichkeit) ausgedrückt, dass der Bart eines Fremden rot ist. Aber es ist auch eine Tatsache, dass ein roter Bart ein Fremder ist." Dôgen sagt dazu: "Dieses genau jetzt verwirklichte Koan ist die große Praxis selbst."

Mittwoch, 29. Oktober 2008

Die Wirklichkeit der zehn Richtungen des Universums (Teil 2)

Dôgen zählt dann die realen Dinge und Zusammenhänge des Kloster-Lebens auf und bringt sie mit den zehn Richtungen des Raumes in

Morgenstimmung im Kloster Tokei-in

Verbindung: Die Säulen des Klosters im Freien, die Steinlaternen und auch das Auge und Handeln. Er betont, dass bewertende Begriffe wie „rein“ oder „unrein“, aber auch „groß“ oder „klein“ ungeeignet sind, um diese konkrete Wirklichkeit zu beschreiben. Wir sollen diese so verstehen, wie sie ist, und die Realität von eigenen Bewertungen und subjektiven Vorstellungen klar trennen. Er wendet sich vor allem gegen die wechselseitige Herabsetzung und Diffamierung verschiedener buddhistischer Schulen und Traditionen und sagt:

"Wenn (die Buddhas) das Dharma-Rad drehen und den Dharma lehren, setzen sie sich nicht gegenseitig herab und sprechen nicht über Verdienste, Recht oder Unrecht der anderen. Vielmehr fördern sie einander und verneigen sich voreinander als Buddhas Schüler und als Buddhas."

Wer mit solchen Abwertungen um sich wirft, ist nach Dôgen ein Mensch außerhalb des Buddha-Weges oder sogar ein Dämon. Er betont, dass in den Sutras nirgends geschrieben steht, dass Gautama Buddha irgendjemanden diffamiert oder herabgesetzt hat. Wie können annehmen, dass Dôgen dies nicht ohne Grund hervorhebt, denn sicher gab es schon damals eine gewisse Tendenz, andere buddhistische Traditionen zu kritisieren und abzuwerten. Er hat sich zu diesem Problem in einem gesonderten Kapitel in diesem Sinne ganz eindeutig geäußert.
Im weiteren Verlauf des Kapitels zitiert Dôgen verschiedene große Meister zum Universum der zehn Himmelsrichtungen. Der Zenmeister Chosa Keishin sagte:

"Das ganze Universum der zehn Richtungen ist das Auge eines Mönchs."

Damit sei das Auge von Gautama Buddha gemeint, also die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges. Dieses wurde nach der Überlieferung im Zen-Buddhismus an den ersten Nachfolger im Dharma, Mahakashyapa, übermittelt. Dôgen versteht es hier allgemeiner, dass dieser Schatz nämlich an alle übergeben worden ist. Es wird daran erinnert, dass ein Bodhisattva unendlich viele Augen besitzt und so das Leid der Welt erkennt und helfend eingreift.
Das nächste Zitat lautet:

"Das ganze Universum der zehn Richtungen ist die alltägliche Rede eines Mönchs."

Damit wird die Bedeutung des Alltags und der alltäglichen Handlungen hervorgehoben, also nicht nur einer heiligen Rede am Feiertag oder zu besonderen Anlässen, sondern das natürliche, tagtägliche Reden und Kommunizieren. Die Worte sollten dabei klar und wahrheitsgemäß sein, also nicht doppelbödig, undurchschaubar, oder sogar Macht orientiert und von der eigenen Gier gesteuert.

Wichtig ist, dass die oft nicht eindeutige Sprache je nach Situation etwas anderes bedeuten kann und dass es darauf ankommt, herauszufinden, was der andere gerade benötigt und was wir für ihn tun können. Die Kraft der Sprache hat bei Dôgen eine besonders große Bedeutung und er sagt:

"Wer weiß schon, dass ein großer Mensch, der sich vom (unterscheidenden) Denken befreit hat, in der Rede seinen Körper, sein Gehirn und auch seine Rede selbst verwandelt."

Eine solche Rede sei natürlich wie die zehn Himmelsrichtungen und werde nicht von vorgefassten Meinungen, Bewertungen und fixiertem Denken eingeengt.
Das nächste Zitat lautet:

"Das ganze Universum der zehn Richtungen ist der ganze Körper eines Mönchs."

Damit wird auf die Legende verwiesen, dass Gautama Buddha direkt nach der Geburt auf den Himmel und auf die Erde zeigte und darauf hinwies, dass er selbst mit ihnen durch seinen Körper identisch ist und seine Lehre die Wahrheit ausdrückt. Wie in dem großen Kapitel zur Verwirklichung des Universums (Genjô kôan) herausgearbeitet wird, verwirklicht sich das Universum durch unser Handeln im Zustand des Gleichgewichts (Erwachen, Erleuchtung) und das Handeln ist durch den Körper "eines Mönchs" realisiert.

"Das ganze Universum der zehn Richtungen ist die strahlende Klarheit des Selbst."

Dôgen hat in einem gesonderten Kapitel die strahlende Klarheit im Buddhismus beschrieben. Das Selbst verwirklicht sich in der Einheit mit der Welt und dem Universum. Das „Selbst“ eines Menschen ist zunächst ein abstrakter Begriff, der aber durch das Handeln eines konkreten Menschen wirklich wird und eine konkrete Einheit bildet. Dôgen zitiert weiter:

"In der strahlenden Klarheit des Selbst existiert das ganze Universum der zehn Richtungen."

In der strahlenden Klarheit dieses Selbst sind nach Dôgen die vier Lebensphilosophien des Subjekts, Objekts, der Synthese im Handeln und der Wirklichkeit zusammengefasst. Das nächste Zitat lautet:

"Im ganzen Universum der zehn Richtungen gibt es niemanden, der nicht er selbst ist."

Als Erläuterung sagt Dôgen hierzu:

"Deshalb gibt es keinen einzigen hervorragenden Lehrer und keine einzige Handlung im ganzen Universum, die nicht er selbst und nicht sie selbst ist."

Damit spricht er sicher die möglichen Verfremdungen, Fremdsteuerungen und Deformationen an, denen die Menschen oft ausgesetzt sind und die ihnen so schwer zu schaffen machen. Wenn man seinen natürlichen, handelnden Zustand erreicht hat, ist man das „Wahre Selbst“, nicht mehr und nicht weniger. Dann gibt es keine Einschränkungen und Fixierungen, die durch dritte Kräfte erzeugt werden. Dann kann sich unser wahres Leben frei verwirklichen, und die wesentlichen Aufgaben werden in der uns zur Verfügung stehenden Lebenszeit tatkräftig wahrgenommen. Dôgen drückt dies durch einen zunächst schwer verständlichen Satz aus:

"Das Lebensblut eines jeden Selbst zahlt der Welt den ursprünglichen Preis seiner Strohsandalen zurück."

Die Formulierung der Strohsandalen wurde im Zen-Buddhismus für die Wanderungen der Mönche auf der Suche nach Wahrheit von einem Kloster und Meister zum anderen verwendet. Wenn diese Wanderungen sinnvoll waren, wird das so ausgedrückt, dass sie den Preis der durchgelaufenen Strohsandalen wert sind. Allgemein ausgedrückt heißt dies, dass wir die Möglichkeiten unseres Lebens sinnvoll ausschöpfen und den Buddha-Weg gehen. Die konkreten Dinge wie die Säulen der Tempel, also die Dinge der Formen und Materie, erscheinen dann immer wieder frisch und neu durch „Bodhidharmas Auge“ und „Gautamas Nasenlöcher“, also durch das wirkliche, lebendige Handeln.
Schließlich zitiert Dôgen den großen Meister Gensa, den er außerordentlich schätzte, mit seinem bekannten Ausspruch:

"Das ganze Universum der zehn Richtungen ist eine leuchtende Perle."

Gensa legte großen Wert auf die Unterscheidung von Fantasien, Traumgespinsten oder Täuschungen einerseits und der Wirklichkeit anderseits. In der Tat ist eine Perle die konkrete Wirklichkeit und sie hat ein wunderbares Leuchten und eine runde harmonische Form. Die leuchtende Perle ist etwas anderes als die "Gesichter von Dämonen" und die "schwarzen Höhlen (des begrifflichen Denkens)".

Dôgen gibt dann einen bekannten Ausspruch seines eigenen Meisters Tendô Nyôjo wieder, der die einfachen Handlungen wie das Tragen des Gewandes und das Essen der Mahlzeiten schätzte und sagte, dass er diese

"zu einem Ball aus formbarem Lehm machte, um seine älteren und jüngeren Mönchsbrüder damit zu schulen."

Dieses Gleichnis wurde nach Nishijima Roshi für die besonders intensive Schulung der Mönche verwendet. Ob der Meister Tendô Nyôjo einen solchen Ball symbolisch seinen Schülern an den Kopf warf, um sie aus den schwarzen Höhlen des unterscheidenden und zweifelnden Denkens und Fantasierens aufzuwecken, ist uns leider nicht bekannt.
Am Ende dieses Kapitels sagt Dôgen:

"Denn letztlich erfahrt und erforscht ihr die zehn Richtungen (nicht im Kopf, sondern) im wirklichen pulsierenden Leben selbst." Wörtlich heißt es im japanischen Text: "In den Nasenlöchern, die lebend sind."

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Die Wirklichkeit der zehn Richtungen des Universums (Teil 1)

Nach Nishijima Roshi wird in diesem Kapitel (Kap. 60, Juppo) die naturwissenschaftlich, konkrete Dimension der Welt und des Lebens untersucht, die sich vor allem in der vielfältigen Außenwelt der Dinge und Phänomene, also der unendlich vielen Dharmas widerspiegelt.

Der Buddhismus ist keine idealistische Religion, die eine ideale paradiesische Welt beschreibt und die konkrete hiesige Welt als Jammertal von untergeordneter Bedeutung abqualifiziert. Wie Nishijima Roshi in aller Klarheit ausdrückt, ist die buddhistische Lehre und Praxis ohne die konkrete Sicht und Erfahrungswelt unvollkommen, denn alle vier Lebensphilosophien des Idealismus, der naturwissenschaftlichen Materie und Energie, des Handelns im Augenblick und des höchsten Zustands des Erwachens bilden die Gesamtheit dieser großartigen buddhistischen Lehre und Praxis. Meister Dôgen arbeitet immer wieder die Begrenztheit nur einer einzigen der vier Lebensdimensionen heraus, sie sind aber alle erforderlich, um die Wirklichkeit zu beschreiben. Diese Realität, die es wirklich gibt, geht also über das Gedachte, Ideelle und das Materielle hinaus.
Im Buddhismus wird der Raum in unserem Universum mehrfach angesprochen und er kann verschiedene Bedeutungen haben. In diesem Kapitel ist es nicht der leere Raum, der auch mit dem Begriff Leerheit (shûnyatâ) bezeichnet wird, sondern es geht um die ganz konkrete Sicht und Erfahrungswelt des Raumes mit allen seinen Raum-Dimensionen. Dieser so verstandene Raum ist für die Analyse des Materiellen von großer Bedeutung und eines der indischen materiellen Elemente.

Nach ostasiatischer Lehre gibt es neben den vier Himmelsrichtungen, die wir kennen, also Norden, Osten, Süden, Westen auch die dazwischen liegenden Richtungen von Nordost, Südost, Südwest und Nordwest, sodass wir insgesamt acht waagerechte Himmelsrichtungen haben. Außerdem werden bei Dôgen die Himmelsrichtung Zenit, senkrecht nach oben, und Nadir, senkrecht nach unten, hinzu gezählt. Als Summe ergeben sich damit die zehn Himmelsrichtungen, die in diesem Kapitel untersucht werden.

In dieser konkreten Welt leben und handeln wir. Sie ist durch die moderne Naturwissenschaft und Technik in ganz hervorragender Weise analysiert worden und hat sehr nützliche Instrumente zur Erleichterung des Lebens hervorgebracht. Wir können hierbei z. B. die Medizintechnik und die modernen Kommunikations-Techniken wie Telefon und Internet anführen, die auch für die Brücke des Buddhismus zum Westen von großer Bedeutung sind. Diese Technologien dürfen nicht gering geschätzt werden, sondern sie sind im Gegenteil ganz wesentlicher Bestandteil unserer großartigen Welt, die zum Beispiel im Lotos-Sutra dichterisch und doch sehr real beschrieben wird. Bekanntlich schätzte Dôgen das Lotos-Sutra außerordentlich und hat gerade dessen Wirklichkeit betont. Er ist nicht in den Fehler mancher Kommentatoren verfallen, die darin eine märchenhafte idealistische und daher wirklichkeitsfremde Welt erkennen wollen.

Die konkrete Lebensphilosophie des Buddhismus beruht auch auf der sinnlichen Wahrnehmung, also dem Sehen, Hören, Tasten usw.. Es ist eine große Leistung des Zen-Buddhismus immer wieder auf den Unterschied von konkreter Wirklichkeit und idealistischen, abstrakten Vorstellungen hinzuweisen. Dies bedeutet nicht, dass Ideen, Gedanken, Vorstellungen und die buddhistische Lehre selbst als unwesentlich abgetan werden, sondern dass beide Dimensionen zum Leben und zum Buddha-Dharma gehören und auf keinen Fall vernachlässigt werden dürfen.

In der Naturwissenschaft und Technik werden die Fähigkeiten der menschlichen Sinnesorgane bekanntlich durch leistungsfähige Instrumente nachhaltig verbessert, sodass wir sehr kleine Dimensionen, zum Beispiel mit dem Mikroskop, genau betrachten können. Auch sehr große Zusammenhänge wie im Weltall können wir durch entsprechende Fernrohre und Teleskope, die sogar auf Satelliten montiert werden, untersuchen. Ein sorgfältiges an der Wirklichkeit orientiertes naturwissenschaftliches Beobachten wird daher im modernen Buddhismus sehr geschätzt. Es ist vor allem geeignet, spirituelle Träume auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen. Dies wäre für fehlgeleitete spirituelle Gruppen unter charismatischen aber unmoralischen „Meistern“ besonders wichtig.

Der Buddhismus ist keine materialistische Religion, die allein das Materielle und die äußere Form anbetet und für die Wirklichkeit hält. Die zweite Lebensphilosophie des Materialismus hat demnach zwar im Buddha-Dharma einen eigenen Stellenwert von großer Bedeutung, ist aber nicht die ganze umfassende buddhistische Religion.
Dôgen sagt am Anfang dieses wichtigen Kapitels:

"Ein Handeln ist genau dasselbe wie diese konkreten zehn Richtungen. Ein Augenblick des reinen Geistes ist dasselbe wie die hell glänzenden zehn Richtungen. (Mit diesen Worten) ist das Mark der Wahrheit (gesagt)."

Die materiell und räumlich verstandenen zehn Richtungen des Universums werden in diesem ersten Absatz mit dem Handeln und dem Augenblick und vor allem auch der moralischen Reinheit zu einer Einheit der Wirklichkeit verschmolzen. Durch die Formulierung "hell glänzend" wird das lebensbejahende und positive Weltbild des Buddhismus angesprochen, der keineswegs eine lebensfeindliche oder gar nihilistische Religion ist. Mit dem obigen Zitat wird ein nur materialistisches Weltbild klar überschritten.

Dôgen zitiert dann Gautama Buddha, dass es im ganzen Universum nur eine einzige Buddha-Lehre und Praxis gibt. Damit wird die Aufsplitterung in verschiedene Schulen, die sich leider teilweise sogar bekämpfen, total abgelehnt. Insbesondere werden die Hauptströmungen des Mahâyâna und Theravâda nicht getrennt, sondern als authentische buddhistische Lehre verstanden. Das Gleiche gilt u. E. in der heutigen Zeit für die Übertragungslinien des Sôtô, Rinzai und Sanbô Kyôdan. Die Lehre des Shôbôgenzo von Meister Dôgen ist in jedem Fall eine verlässliche Grundlage des Buddhismus.
Bekanntlich gab und gibt es im Zen-Buddhismus, der sich als Mahâyâna versteht, immer wieder Strömungen, die den Theravâda als veraltet ablehnen oder sogar als falsch bezeichnen. Dôgen hat auch an anderer Stelle im Shôbôgenzo klar Stellung bezogen und betont, dass es nur einen einzigen Buddhismus gibt, der authentisch auf Gautama Buddha zurückgeführt werden muss.
Im Folgenden betont Dôgen die konkrete und reale Seite der buddhistischen Lehre und formuliert dies z. B. wie folgt:

"Deshalb gibt es niemals die zehn Richtungen, wenn wir die Buddha-Länder nicht ergreifen und hier herbringen."

Durch die Worte "ergreifen" und "hier herbringen" soll besonders betont werden, dass es nicht um abstrakte ausgedachte Theorien geht, sondern um das wirkliche Hier und Jetzt in seiner räumlichen Dimension und Konkretheit der Form, Materie und Energie. Er sagt weiter:

"(Das Buddha-Land) zu ergreifen und zu benutzen bedeutet klar zu erkennen, dass das Gewicht von acht Ryo ein halbes Kin ist und es bedeutet zu erfahren und zu erforschen, dass dieses Buddha-Land der zehn Richtungen (so konkret und wirklich wie) sieben oder acht Fuß (Länge) ist."

Diese Formulierungen mögen vielleicht für uns im Westen etwas ungewöhnlich sein, betonen aber ganz eindeutig den konkreten Bezug und die konkrete Erfahrung der buddhistischen Lehre. Sie unterstreichen, dass wir in der realen Welt mit ihren räumlichen Dimensionen und Maß- und Gewichtseinheiten leben und handeln. Eine Flucht aus dieser Realität wird im Zen-Buddhismus als sinnlos und gefährlich angesehen und muss zum Leiden führen.Wie der bekannte Physiker H. P. Dürr betont, ergibt sich für die moderne Welt das Ziel einer Harmonie von der Naturwissenschaft und Technik mit der spirituellen Wirklichkeit.
Die rückwärts gewendete romantische Idealisierung früherer primitiverer und angeblich besserer Lebensformen, die ein magisches oder mythisches Weltbild (vgl. Ken Wilber) haben, führt zwangsläufig in die Irre. Von dort gibt es überhaupt keinen Weg zum höchsten Zustand des Erwachens oder der Erleuchtung, wie manche selbsternannten Lehrer leider behaupten! Wir möchten an Nishijima Roshis positiver Darstellung der modernen Instrumente der Kommunikationstechnik wie Telefon und Internet erinnern.
Z. B. können auch in abgelegenen Gebieten unseres Globus seine Interpretationen der buddhistischen Lehre durch seinen Internet-Blog der Dôgen-Sangha gelesen und verstanden werden. Eine solche weltweite buddhistische Kommunikation war in der Tat in der Zeit Dôgens unmöglich. Seine Reise von Japan nach China war zeitaufwendig und gefährlich, als er den wahren Buddhismus suchte und ihn bei seinem späteren Lehrer Tendô Nyôjo erlernen und praktizieren konnte.

Montag, 13. Oktober 2008

Die Wirkung des Karmas in den drei Zeiten (Teil 2)

Dôgen berichtet eine alte gleichnishafte Geschichte zum Karma-Gesetz, die die sofortige Wirkung des üblen Handelns beleuchtet: Ein Holzfäller hatte bei tiefem Schnee und heftigem Sturm in den Bergen vollständig seine Orientierung verloren und irrte mit zunehmender Angst und Panik umher.
Dichter Baumbestand beim Kloster Tokei-in

Der Schneesturm nahm immer noch an Stärke zu und der Mann wurde durch seine Unterkühlung immer schwächer. Als die Dämmerung hereinbrach, war er völlig verzweifelt und fühlte den Tod nahen. Da sah er plötzlich einen Furcht erregenden Bären, der tiefblaues Fell hatte und dessen Augen wie Fackeln leuchteten. Er erschrak zu Tode und war sicher, dass er nun sterben müsse. Dieser Bär war aber in Wirklichkeit ein Bodhisattva, der zu jener Zeit den Körper eines Bären angenommen hatte. Als er die Todesangst des Holzfällers sah, sagte er sanft und freundlich zu ihm, dass er sich nicht fürchten solle. Er wolle ihm im Gegenteil helfen, damit er aus der Lebensgefahr gerettet würde. Der Bär ging dann einige Schritte auf den Holzfäller zu, hob ihn hoch und trug ihn in eine Höhle, wo er ihn pflegte und versorgte.

Er brachte ihm als Nahrung süße Früchte und schmackhafte Wurzeln. Er wärmte ihn sogar mit seinem eigenen Körper, sodass der Mann bald seine Unterkühlung überwinden konnte. Nach etwa einer Woche war er so weit wieder genesen, dass er sich auf den Heimweg machen konnte. Inzwischen hatte sich der Schneesturm gelegt und der Kälteeinbruch war beendet, sodass für den Holzfäller keine Lebensgefahr mehr bestand. Der Bär begleitete ihn dann noch aus dem dichten Wald heraus, damit er sich nicht erneut verlaufen möge und sagte ihm freundlich auf Wiedersehen. Der Mann sank vor Dankbarkeit auf die Kniee und sagte:

"Wie kann ich deine Güte vergelten?"

Der Bär antwortete: "Jetzt möchte ich keinen weiteren Dank. Ich hoffe nur, dass du (später) in gleicher Weise, wie ich deinen Körper in den letzten Tagen beschützt habe, für mein Leben eintreten wirst."

Der Mann versicherte dies aus vollem Herzen und stieg ungefährdet aus den Bergen herab. Dort traf er dann zwei Jäger, die ihn fragten, ob es Tiere für die Jagd gäbe und ob er größeres Wild gesichtet habe. Der Holzfäller sagte, dass er nur einen Bären gesehen hatte. Die Jäger wollten den Bären natürlich aufspüren und töten und fragten daher nach dem Weg. Dieser antwortete:

"Wenn ihr mir zwei Drittel von der Beute gebt, werde ich euch den Weg zeigen."

Die Jäger waren damit einverstanden und sie machten sich gemeinsam auf den Weg. Die Jäger töteten dann den Bären, teilten sein Fleisch in drei Teile und gaben dem Holzfäller den versprochenen Anteil von zwei Dritteln. Dieser trat vor und wollte das Fleisch des Bären mit beiden Händen fassen und in Empfang nehmen, aber durch die Gewalt seines schlechten Karmas fielen seine beiden Arme plötzlich ab. In der Geschichte heißt es wörtlich, dass sie abfielen "wie die Perlen auf dem Faden, der durchgeschnitten wird, oder wie die Wurzeln des Lotus, die gekappt werden."

Die Jäger, deren normaler Beruf es nun einmal war, Tiere zu töten, waren durch diesen Vorfall allerdings tief beunruhigt und fragten den Mann, was es damit auf sich habe. Der Holzfäller erkannte plötzlich seine furchtbare Tat und erzählte den Jägern tief beschämt, wie er von dem Bären gerettet und gepflegt worden war. Die Jäger waren von diesem Verrat vollständig schockiert und konnten es nicht fassen, dass dieser Mann die selbstlosen Wohltaten des Bären so heimtückisch vergolten hatte.

Um dieses Unrecht wenigstens teilweise wieder gutzumachen beschlossen sie, das Fleisch einem Kloster zu spenden. Dort gab es einen älteren Mönch, der die Fähigkeit hatte, die Wünsche und Gedanken anderer zu erkennen und der sofort anfing, Zazen zu praktizieren, um zur Klarheit in diesem für ihn eigenartigen Fall zu kommen. Dabei erkannte er, was es mit dem Fleisch des Bären auf sich hatte. Mit intuitiver Weitsicht wusste er, dass dieser ein großer Bodhisattva war, der anderen mit Güte begegnete, ihnen half und ihnen viel Freude schenkte.

Er erzählte den anderen Mönchen des Klosters die furchtbaren Hintergründe und Zusammenhänge des Geschehens. Diese waren tief erschüttert und beschlossen, das Fleisch und die Knochen des Bodhisattva nach dem richtigen Ritus zu verbrennen und eine würdige Stupa zu bauen. Sie machten Niederwerfungen und spendeten Opfergaben für den Bodhisattva. Schlechtes Karma erzeugt entsprechendes tiefes Leid und dies tritt früher oder später mit absoluter Sicherheit ein.

Dies ist in der Tat eine furchtbare Geschichte. Wie kann es sein, dass der Holzfäller nach so kurzer Zeit, und nachdem er so viel selbstlose Hilfe und Unterstützung von dem Bären erfahren hatte, sich beim Zusammentreffen mit den Jägern vollkommen veränderte und sein Geist von der Gier nach dem Fleisch beherrschte wurde? Dôgen erläutert, dass die Gier einen Menschen in kurzer Zeit völlig „umdrehen“ kann, sodass er die Unterstützung und das Wohlwollen anderer total vergisst und mit brutaler Rücksichtslosigkeit zum eigenen Vorteil gegen sie handelt. Diese Geschichte mag zunächst übertrieben erscheinen, aber solche abrupten Sinnesänderungen können wir in der Tat bei manchen Menschen auch in der Gegenwart erleben.

In anderen Kapiteln des Shôbôgenzô arbeitet Dôgen heraus, was falsches und richtiges Handeln im Buddhismus bedeutet, z. B. in den Kapiteln über das Vermeiden von Unrecht, über das Bodhisattva-Handeln und das soziale Verhalten der Menschen. In den Kapiteln zum Gesetz von Ursache, Wirkung und Karma knüpft er an die indische Tradition an, dass gutes und schlechtes Handeln auf den Handelnden selbst immer und ohne jede Ausnahme zurückkommt. Selbst wenn zwischen dem Zeitpunkt des Handelns und der Wirkung eine größere Zeitspanne liegt, gilt dieses Gesetz mit absoluter Genauigkeit. Wer also die Philosophie des Handelns im Augenblick missbraucht, um sich aus der Verantwortung für moralisch falsches Handeln zu stehlen, handelt nicht nach dem Buddha-Dharma.

Dôgen führt dann weitere Geschichten zum Karma an, z. B., dass ein Eunuch eine fremde Herde von Bullen vor der Kastration rettete und selbst wieder seine natürliche Männlichkeit zurückerhielt. Er schildert auch das im Buddhismus bekannte Vergehen des Devadatta, der ein Vetter von Buddha war, der den Sangha spaltete und mehrere Anschläge auf das Leben Buddhas verübte. Diese schlugen aber zum Glück fehl, sodass Buddha weitgehend unverletzt überlebte. Es besteht kein Zweifel, dass diese schlimmen Taten auf Devadatta selbst zurückschlugen. Es wird berichtet, dass ihn schließlich alle seine Schüler verließen und er vereinsamt, alt, krank und tief derprimiert zu Buddha zurückkehrte.
Dôgen zitiert am Ende dieses Kapitels Gautama Buddha:

"Selbst wenn Hunderte von Zeitaltern verstreichen, geht das Karma, das wir machen, nicht unter. Wenn die Ursachen und Bedingungen zusammenkommen, werden die Wirkungen und Ergebnisse auf natürliche Weise empfangen."

Nach Nishijima Roshi geht es Dôgen hier nicht um die Frage der Wiedergeburt in späteren Leben, die im alten Indien überaus wichtig war und auch in einigen buddhistischen Linien bedeutsam ist, sondern um das Gesetz von Ursache und Wirkung. Im Mahâyâna sei dies in Japan z. T. leider wenig beachtet worden. Vor allem seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die neue Zeit sei dieser wichtige Teil der buddhistischen Lehre sehr vernachlässigt worden. Nach Dôgen trifft das Karma-Gesetz ohne jede Abweichung zu, das heißt, gute Taten wirken auf den Handelnden genauso wie schlechte Taten zurück.

Das Karma-Gesetz ist im Buddhismus der materiellen, naturwissenschaftlichen zweiten Lebensphilosophie oder Phase zuzuordnen und daher unabdingbarer Teil der Wirklichkeit. Dôgen hat dies in mehreren Kapiteln im Shôbôgenzô mehrfach behandelt und keinen Zweifel an seiner Richtigkeit gelassen. Es wirkt auch unabhängig davon, ob man daran glaubt oder nicht und ob man durch die unrichtige buddhistische Lehre auf einem irrtümlichen Wege geht.

Damit ergibt sich der genannte enge Bezug zu den Kapiteln über das Vermeiden von Unrecht, das Handeln der Bodhisattva und das richtige soziale Handeln. Wenn also in buddhistischen Gruppen Streit und Hass grassieren, mit welcher Begründung auch immer, so kommt das schlechte Karma auf die Handelnden ohne jede Ausnahme zurück. Missgunst und Neid sind bekanntlich oft in bestimmte Ideologien verpackt und "maskieren" sich auf diese Weise, aber auch hierfür gilt das Karma-Gesetz von Ursache und Wirkung. Hass erfülltes Denken und Handeln erzeugen bei dem Handelnden selbst die von Hass erfüllten Wirkungen, die ihn selbst treffen, vergiften und leiden lassen.

Dienstag, 7. Oktober 2008

Die Wirkung des Karmas in den drei Zeiten (Teil 1)

In der Zeit Dogens war der Glaube weit verbreitet, dass es im Mahâyâna-Buddhismus unwichtig sei, ob man sich wirklich gut oder falsch verhält, also gutes oder schlechtes Karma macht.
Das buddhistische Gesetz von Ursache und Wirkung wurde damit beiseite geschoben. Moralisch falsches Verhalten wurde nicht in Bezug auf die Wirkung oder das Karma verstanden. Das Karma-Gesetz sei zwar im Theravâda (Hînayâna) verankert, aber dieser sei durch den Mahâyâna überholt. Was sagt Dogen zu dieser These?

In der sog. Kamakura-Zeit wurde der politische und militärische Schwerpunkt Japans von der alten Hauptstadt Kyoto nach Kamakura bei Tokyo verschoben und die Kriegerkaste der Samurai beherrschte weitgehend die Machtstruktur des Landes. In jener Zeit hat sich die militärische Kriegs-Tradition Japans mit dem Buddhismus eng verbunden. In der Tat kann die Lebens-Philosophie des Augenblicks und des Hier und Jetzt dazu verführen, dass man die Folgen seines Handelns nicht mehr wichtig nimmt und mit einer "selbst gezimmerten" Moral seine eigenen unmoralischen Taten beschönigt. Aber ist das noch Gautamas Buddhas authentischer Buddhismus?

Wir können auch annehmen, dass in der imperialistischen Epoche Japans in der neueren Zeit eine solche Ideologie bei der militärischen und politischen Führung vorherrschte, bis die katastrophale Niederlage im Zweiten Weltkrieg dem ein Ende setzte. Auch einige sog. Zen-Meister negierten das Karma-Gesetz von Ursache und Wirkung. Sie behaupteten z. B. dass auch grausames und willkürliches Töten im Krieg überhaupt keine negativen Wirkungen in Form des Karmas hätten und dass dies im Krieg „natürlich“ sei. Eine solche Lebenshaltung ist nach dem Buddha-Dharma grundsätzlich falsch und es kommt darüber hinaus immer auf die konkrete Situation an. Dogen betont ganz klar die Einheit von Moral und Handeln und damit die intuitive, ganzheitliche Wahrheit im Augenblick. Dies darf aber nicht dazu verleiten, dass das Gesetz von Ursache und Wirkung abgelehnt oder für überholt erklärt wird.

Auch nach dem sog. gesunden Menschenverstand wird oft behauptet, es käme vor allem darauf an, dass böse Taten zum eigenen Vorteil nicht aufgedeckt würden und dass man dann ungeschoren oder sogar glücklich weiterleben kann. Dies sei für die moderne Gesellschaft ganz normal. In einigen Bereichen, wie z. B. im politisch administrativen Teilsystem der Gesellschaft, in dem es um die Macht geht, gilt es geradezu als intelligent, wenn die selbst erzeugten Ursachen des eigenen angestrebten Vorteils nicht erkennbar sind und man so „gute“ Machtgewinne erzielt.

Das selbe gilt im wirtschaftlichen Teilsystem, in dem es selbstverständlich und weitgehend moralisch anerkannt darum geht, den eigenen Gewinn zulasten anderer zu maximieren. Es heißt dann zum Beispiel: "Das ist intelligentes politisches oder wirtschaftliches Denken und Handeln." Eine moralische Abwägung in der konkreten Situation soll durch solche Sprüche offensichtlich gerade vermieden werden.

Der mittlere Weg des Buddhismus ist etwas anderes, ohne allerdings die politischen und wirtschaftlichen Bereiche unserer Gesellschaft zu verteufeln. Aber der politische Zweck eines Systems heiligt gerade nicht alle Mittel zur Ziel-Erreichung, wenn sie unmoralisch sind. Nach der buddhistischen Lehre ist das Gesetz von Ursache und Wirkung immer und ohne Ausnahme wirksam.

In diesem Kapitel (Kap. 84, Sanji-no-go), das zu den längeren im Shôbôgenzo gehört, erläutert Dogen das Karma-Gesetz für drei verschiedene Zeitstrecken. Häufig wird gegen dieses Gesetz nämlich eingewendet, dass die Wirkung nach der Tat nicht sofort und mit Sicherheit einsetzt, ganz gleich, ob diese nun positiv oder negativ ist. Deshalb sei das Gesetz fraglich. In diesem Kapitel wird von Dogen dargelegt, dass die Wirkung häufig später als erwartet eintritt; aber er betont, dass sie niemals ausbleibt. Er benutzt dabei das Gleichnis der Wiedergeburt in mehreren Leben, sodass eine positive oder negative Wirkung der Tat eventuell im nächsten Leben oder sogar erst nach vielen Wiedergeburten wirksam wird.

In diesem Zusammenhang sei an das Gleichnis des wilden Fuchses im grundlegenden Kapitel über das Gesetz von Ursache und Wirkung erinnert. Danach hatte ein Meister seine Schüler fälschlich oder zumindest unklar gelehrt, dass das Gesetz von Ursache und Wirkung für einen erwachten und erleuchteten Menschen nicht gilt, weil er ganz im Augenblick leben würde. Die lineare Zeit, die von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft verläuft, gäbe es daher in Wirklichkeit überhaupt nicht und damit auch nicht das Karma-Gesetz.

Nishijima Roshi erklärt dazu, dass das Gesetz von Ursache und Wirkung in der zweiten Lebensphilosophie der Naturwissenschaft und des Materialismus angesiedelt ist. Dort ist die lineare Zeit wirksam und auch diese ist ein wesentlicher Teil der Wirklichkeit. Dogen betont im jenem genannten Kapitel, dass das unerschütterliche und tiefe Vertrauen in dieses Gesetz wesentlich ist.

In dem hier behandelten Kapitel werden darüber hinaus verschiedene Gleichnisse für die drei zeitlichen Reichweiten des Karma-Gesetzes beschrieben. Die Wirkung tritt danach in verschiedenen Zeitspannen und eventuell zeitlich stark verzögert auf. Nishijima Roshi sagt dazu:

"Die Wirkung einer Handlung offenbart sich manchmal sofort. Manchmal nach einer kürzeren Zeitspanne und manchmal nach sehr langer Zeit. Im zweiten und dritten Fall ist es oft schwierig daran zu glauben, dass das ganze Universum vollständig durch das Gesetz von Ursache und Wirkung bestimmt ist."

Am Anfang dieses Kapitels wird ein Gespräch zwischen einem indischen Meister (19.ter Nachfolger im Dharma) und seinem Schüler, der später selbst sein Nachfolger wurde, zitiert. Der Schüler fragt den Meister:

"In meiner Familie glaubten mein Vater und meine Mutter immer (ohne Zweifel) an die drei buddhistischen Juwelen, aber sie mussten unter schlechter Gesundheit leiden und erlebten immer wieder Enttäuschungen bei ihren Unternehmungen. Eine Familie aus unserer Nachbarschaft hatte (demgegenüber) Berufe der Unberührbaren (Töten bei der Jagd, beim Schlachten und als Scharfrichter), aber sie waren immer bei guter körperlicher Gesundheit und ihr Handeln fügte sich harmonisch (in ihr Leben) ein. Warum haben sie ein gutes Schicksal und was ist unsere Schuld?"

Der Meister erklärte ihm daraufhin die Gesetzmäßigkeiten der drei Zeiten des Karma: kurz-, mittel- und langfristig und dass man nicht zu kurzfristig denken solle. Schlechte Taten werden nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung ohne jeden Zweifel auf den Täter zurückkommen, wenn man z. B. Lebewesen tötet, verletzt oder quält. Dies muss aber nicht zeitlich sofort nach der Tat folgen, sondern kann zeitlich später und verzögert auftreten. Diese Erklärung überzeugte den Schüler vollständig und seine Zweifel waren damit ausgeräumt. Er wurde später der Nachfolger und selbst ein großer buddhistischer Meister.

Das Karma-Gesetz wird häufig so erklärt, dass es wie der Schatten unauflösbar mit dem Menschen selbst verbunden ist. In gleicher Weise ist ein Geräusch oder Ton ohne jeden Zweifel mit der Schallquelle verbunden. Ursache und Wirkung weichen nach Dogen nicht um ein Hundertstel oder Tausendstel voneinander ab, selbst wenn Hunderttausende von Zeitaltern vergangen sind. Er sagt zu seinem eigenen Zeitalter, dass sehr viele Menschen in der Welt leben,

"die weder Ursache und Wirkung kennen, noch die karmische unauflösbare Koppelung verstehen. Sie kennen auch weder die drei Zeiten, noch können sie zwischen Gut und Schlecht unterscheiden."

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Bilder aus Japan

Teilnehmer der Sesshin in Tokei-in

Teilgebäude des Klosters


Das Glockenhaus


Zugang zum Kloster

Altar in Tokei-in

Zazen-Halle in Tokei-in

Garten des Kaisers in Tokyo


Garten des Kaisers in Tokyo