Dienstag, 16. Januar 2018

Worte des Erwachten


Die überlieferten authentischen Lehrreden Buddhas bilden ohne Zweifel die Grundlage für alle späteren buddhistischen Texte. Sie wurden zunächst mündlich weitergegeben und später aufgeschrieben, sie sind die Quellentexte in den verschiedenen Übertragungslinien in Asien und heute im Westen.

Um eine Beziehung zu Nagarjunas Mittleren Weg, an der ich gerade arbeite, zu stützen, möchte ich eine aussagekräftige Auswahl zu treffen, um die Kernpunkte der Befreiungslehre Buddhas für gründliche Untersuchung bereitzustellen.

Folgende Die Quellentexte seiner Befreiungslehre sind aus meiner Sicht von zentraler Bedeutung:

– Die Sieben Glieder des Erwachens
– Die Vier Edlen Wahrheiten zur Überwindung des Leidens
– Der Achtfache Pfad zur Aufhebung des Leidens
– Die Himmlischen Verweilungen (zur Ethik im frühen Buddhismus) 
– Der Mittlere Weg und die Vermeidung von Extremen
– Wichtige authentische Gleichnisse Buddhas
– Die Fünf Hemmnisse der Befreiung

Nicht zuletzt geht es Buddha und auch Nâgârjuna um das Vermeiden von unheilsamen unvereinbaren Extremen, also um die praktikable und fruchtbare Weiterentwicklung des Menschen auf dem Mittleren Weg, indem er im Lebensprozess seine eigene Mitte findet und damit Glück und Zufriedenheit in dieser Welt und im Zusammenleben mit anderen Menschen erlangt.

Der Buddhismus ist eine positive und lebensbejahende Lehre und Praxis, die uns Menschen kurz gesagt in zwei großen Entwicklungsschritten aus überflüssigen oder oft selbst verursachten Problemen, Leiden und Schmerzen herausführen kann um heitere Befreiung zu erlangen. Im ersten Schritt geht es darum, ein „normales“ Leben zu führen. Dazu müssen wir natürlich unser Leiden möglichst klar erkennen und die Ursachen und Wechselwirkungen mit verschiedenen Faktoren und Einflüssen gründlich und möglichst ohne Tabus analysieren: Das ist die zentrale Aussage der Vier Edlen Wahrheiten Buddhas für Körper, Psyche und Geist.[1]

Von besonderer Bedeutung sind dabei die Achtsamkeit und die rechte Sichtweise. Es bringt uns zum Beispiel nicht weiter, entweder einseitig immer bei anderen die Schuld für das eigene Leiden zu suchen oder umgekehrt sich immer nur selbst anzuklagen und sich alle Schuld zu geben, da beide Extreme der psychischen und sozialen Wirklichkeit nicht entsprechen.

Buddhismus ist der Mittlere Weg in der Wechselwirkung – gerade bei der Überwindung des Leidens und der Gewinnung möglichst großer Freiheit und Selbstbestimmung. Extreme sind meist hohle Ideologien, die uns verhärten, aber sie führen nicht zur freudigen psychischen, geistigen und spirituellen Bewegung und Befreiung. Der Mittlere Weg markiert Bewegung, Entwicklungen und die Überwindung eines erstarrten Ich-Kerns.

Aber der Buddhismus bleibt nicht beim ersten Schritt stehen, sondern er lehrt vielfältig und überzeugend den zweiten Schritt zum Erwachen und zur Erleuchtung. Laut Buddha kann jeder Erleuchtung erlangen, wenn er tatkräftig und fortlaufend wirkungsvoll praktiziert und seinen Geist schult.

Es geht darum, aus einem schwierigen dunklen, durch Angst, Kummer, Jammer, Gram und Verzweiflung bestimmten Leben herauszukommen, das Leiden zu überwinden und zur Freiheit und Leichtigkeit des Lebens zu gelangen, um an der Kraft und Wahrheit des Kosmos und des Lebens mit seinen fast unbegrenzten Möglichkeiten teilnehmen zu können.







[1] Gäng, Peter: Meditationstexte des Pali-Buddhismus I, S. 53ff.

Mittwoch, 3. Januar 2018

Zen und Bogenschießen: Spannung oder Loslassen?



In Herrigels weltbekannten Buch: "ZEN in der Kunst des Bogenschießens" heißt die berühmte Stelle:

"Da, eines Tages, nach einem Schuss, verbeugte sich der Meister tief und brach den Unterricht ab. ´Soeben hat Es geschossen´ rief er aus , als ich ihn fassungslos anstarrte". Und weiter: Dann "konnte ich die jäh aufbrechende Freude nicht unterdrücken".[1]

Der Autor, Philosoph von Beruf, beschreibt hier seine Erlebnisse von einem Japan-Aufenthalt, als er die Philosophie des Zen studieren wollte. Seine japanischen Freunde überredeten ihn zum Glück, eine praktische Zen-Kunst zu erlernen. Denn mit einseitigem noch so klugen Denken käme man beim Zen nicht wirklich weiter, ohne Praxis und Üben ginge es nicht. Das ist zweifellos richtig. Ich bin fest überzeugt, dass die geschulte Körper-Klugheit einer Zen-Kunst und das unglaubliche Potential des befreiten Unbewussten unser Leben gewaltig aktivieren, befreien und emanzipieren können. So eröffnen sich ganz überraschende neue Wirklichkeiten:

Das Es hätte dann auch in deinem Leben geschossen. Das Es, das ist "die jäh aufbrechende Freude". Warum sollte man diese Lebensfreude des Es denn auch unterdrücken?

Das Es ist kein Ding und keine Idee, nicht Subjekt und nicht Objekt und schon gar nicht die dualistische Trennung vom sogenannten Ich, dem Bogen, dem Pfeil, der Luft, dem Ziel usw.. Das Es ist die dynamische Wechselwirkung des gemeinsamen Entstehens (pratitya samutpada) und der gemeinsamen Entwicklung, wie Buddha sagte: Das ist die zentrale Kraft auf dem Achtfachen Pfad der Befreiung.

Meister Dogen hat dem Es oder Etwas ein eigenes Kapitel in seinem fulminanten Werk Shobogenzo gewidmet: "Was ist das Etwas, das uns jäh begegnet, jenseits von Denken und Wahrnehmung?" [2]Dieses Es oder Etwas sei die Wahrheit und Wirklichkeit selbst und nach der buddhistischen Lehre etwas ganz Selbstverständliches und Natürliches. Dogen sagt dazu:

"Deshalb mag das Etwas die Soheit der Klänge und Formen sein. Die Soheit von Körper-und-Geist mag das Etwas sein. Und die Soheit des Buddha mag das Etwas (oder Es) sein". Denn diese Soheit sei frei und leer von Ideologien, Doktrinen, Vorurteilen, Absolutismen, Extremen usw..

Wir wissen aus der modernen Gehirnforschung, dass Freude der beste "Lern-Turbo"[3] ist und nicht Tragik, Krise und Drama, wie manche uns vielleicht im Westen glauben machen wollen. Das wäre das falsche Erbe der griechischen Kultur und Philosophie. Und Herrigel war ja ein westlicher Philosoph, der sicher im festen Wissen der Überlegenheit westlichen Denkens nach Japan reiste aber dort etwas fundamental Neues lernte: Die aufbrechende Freude des klaren Augenblicks der größten Spannung und zugleich der Entspannung des Loslassens: Und dann fliegt der Pfeil auf seiner Bahn, genau mit deiner Energie und Genauigkeit des Augenblicks von Spannung-und-Loslassen.

In einem Video zum japanischen Bogenschießen Kyudo wird die Gehirnspannung eines alten Bogen-Meisters und eines amerikanischen guten Bogenschützens gezeigt: Genau im Moment des  Schusses sinkt die Gehirn-Spannung beim Japaner deutlich ab und steigt markant beim Amerikaner. Der Meister hat sicher dabei die tiefe Freude des wahren Bogenschusses, über den Amerikaner wird nichts berichtet.

Und was sagt Nietzsches Zarathustra dazu: "Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht über den Menschen hinauswirft, und die Sehne seines Bogen verlernt hat, zu schwirren"! Lassen wir also die Sehne schwirren und den Pfeil fliegen.

Das japanische Bogenschießen Kyudo zu erlernen, ist ein sehr langwieriger und komplexer Prozess. Daher versuchen wir gerade das meditative und dynamische Zen-Bogenschießen auch mit westlichen Bögen zu verwirklichen. Die Handhabung dieser Bögen lässt sich für uns im Westen viel zügiger erlernen.[4] Der umfassende ganzheitliche Zen-Körper-und-Geist kann sich dabei natürlich auch verwirklichen.
Dann gilt: "Es hat geschossen"!





[1] Herrigel, Eugen: Zen in der Kunst des Bogenschießens, Fischer Taschenbuch Verlag 2005, S.51
[2] Seggelke, Yudo J.: ZEN Schatzkammer, Einführung in Dogens Shobogenzo, Kap. 29, DONA-Verlag Berlin, Bd. 1, S. 261 ff.
[3] So der Gehirnforscher Manfred Spitzer
[4] Vgl. :Österle, Kurt: Zen im Weg des Bogens, Verlag Via Nova, 2016