Sonntag, 27. Februar 2011

Die Praxis ist das Anschlagen einer Glocke



Es ist für mich keine Frage, dass die trennenden Grenzen zwischen den Religionen überwunden werden können und müssen. Dabei kann die Zazen-Praxis einen wirkungsvollen Beitrag leisten, denn sie ist nicht auf den Buddhismus beschränkt. Dōgen sagt dazu:

Die Praxis ist nicht durch das Sitzen selbst begrenzt, sondern sie schlägt den (großen) Raum an und klingt wie das Anschlagen der Glocke, das sich vor und nach dem Glockenschlag fortsetzt.“

In diesem Gleichnis wird die Wirkung der Zazen-Praxis poetisch auf den Punkt gebracht: Wenn wir morgens und abends Zazen praktizieren, bleibt die Wirkung auch in der Folgezeit erhalten und verleiht uns Klarheit und Handlungsfähigkeit im Alltag. Nishijima Roshi nennt dies die dauernde Kraft des Zazen:

„Der Einfluss der Zazen-Praxis ist niemals auf die Zeit begrenzt, in der man tatsächlich Zazen praktiziert.“

Durch die morgendliche Zazen-Praxis ist es zum Beispiel möglich, die beruflichen und familiären Aufgaben besser und zügiger zu bewältigen. Besonders psychische Probleme wie die Über- oder Unterschätzung der eigenen Möglichkeiten können durch die Zazen-Praxis behoben werden; hektische Betriebsamkeit oder pessimistische Untätigkeit werden wirksam und nachhaltig überwunden. Dies kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.


Vor allem im Berufsleben treten heute häufig gravierende Versagensängste auf, umgekehrt führt auch eine Selbstüberschätzung zu unvernünftigem und der Situation und Sache nicht angemessenem Handeln, was nicht selten in einem Desaster endet. Beides wird durch den Mittleren Weg und die Zazen-Praxis in ein kraftvolles und tatkräftiges Gleichgewicht gebracht.


Dōgen betont zu diesem Thema, dass selbst zahllose Buddhas mit all ihrer Kraft und großen Buddha-Weisheit nicht ermessen könnten, was das Gute und die Tugend der Zazen-Praxis eines einzigen Menschen ist. Wesentlich ist dabei das Wort „ermessen“, das auf die materielle Dimension der Zahlen, Berechnungen und Kalkulationen der Menschheit hinweist. Die wahre Praxis kann laut Dōgen dadurch nicht erfasst und nicht im Entferntesten ausgelotet werden.

Sonntag, 20. Februar 2011

Unsere Einheit mit dem Universum


Dōgen beschreibt Zazen als einen Zustand von hoher Qualität, den er auch als hohes Niveau des Lebens bezeichnet.


„Das hohe Niveau des Zustandes der wirklichen (und wahren) Erfahrung erlaubt keinen müßigen Augenblick, wenn er (tatsächlich) aktiv ist.“
Dieser Zustand ermöglicht die aktive und ungetrübte Entfaltung jedes einzelnen Augenblicks und führt dazu, dass kein einziger Augenblick sinnlos verschwendet wird. Häufig treiben die Menschen jedoch ihre Aktivitäten aufgrund falscher und vordergründiger Absichten und gegen die tiefere Vernunft voran.
Dann gehen die Augenblicke der Wirklichkeit verloren.
Die Folgen sind entweder träge Unbeweglichkeit oder hektische Betriebsamkeit – beim Handeln können dann im Gegensatz zur Zazen-Praxis die notwendige Ruhe und das innere Gleichgewicht nicht wirksam werden.

„Zazen eröffnet auf diese Weise eine wunderbare und mystische Zusammenarbeit mit allen Dharmas (der Welt) und durchdringt vollständig alle Zeiten, auch wenn es nur ein Mensch ist, der einen Augenblick lang sitzt.“

Dōgen unterstreicht hier wieder die Überwindung des Dualismus, wodurch die „wunderbare und mystische Zusammenarbeit“ mit allen Dingen und Phänomenen (Dharmas) der Welt verwirklicht wird. Der Begriff „Zusammenarbeit“ bedeutet, dass es sich nicht um passives oder gar träges Herumsitzen und um Zeitvertreib beim Zazen handelt, sondern um befreites und befreiendes Tun und Handeln.
Dieses ist nach Dōgen nicht mit dem denkenden Verstand zu erfassen, sondern wird als mystisch und geheimnisvoll bezeichnet und überschreitet das dualistische und unterscheidende Denken. Die übliche Zeiteinteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird im Augenblick der Zazen-Praxis ebenfalls überschritten. Das Erstaunliche bei diesem Zitat ist die Aussage, dass bereits die richtige Zazen-Praxis eines einzigen Menschen all dies bewirkt.

„(Die Zazen-Praxis) vollzieht damit die ewige Arbeit der Buddhas im grenzenlosen Universum und deren prägenden Einfluss in der Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Für alle Menschen ist es vollständig dieselbe Praxis und Erfahrung.“
Die im Zazen verwirklichte Einheit des Menschen mit den anderen Menschen und dem Universum steht im obigen Zitat noch einmal im Mittelpunkt. Nishijima Roshi formuliert es so, dass alle Menschen in der ganzen Welt, die im selben Augenblick Zazen praktizieren, diese Einheit mit dem Universum gemeinsam und in der vollständig gleichen Art und Weise erfahren. Da heute eine globale Kommunikation mithilfe der modernen Techniken des Internets, Telefonierens und auch von Flugreisen möglich ist, haben diese Ausführungen Dōgens nun eine völlig neue Aktualität und Bedeutung erhalten. Denn es eröffnen sich tatsächlich neue großartige Möglichkeiten, trennende Grenzen zwischen den Menschen in der Welt zu überwinden.

Sonntag, 13. Februar 2011

Die Wirkungen der Zazen-Praxis

Die Praxis übt einen einen außerordentlich starken und nachhaltigen Einfluss auf den Praktizierenden aus. Ohne Praxis verpufft die buddhistische Lehre weitgehend! Nach Dōgen folgt der wahre, im Gleichgewicht befindliche Zustand

„den Wegen der intimen und mystischen Zusammenarbeit, sodass dieser Mensch, der unerschütterlich im Zazen sitzt, frei wird von Körper und Geist.“


Dadurch werden unreine, also mit der Ethik und Moral nicht übereinstimmende Sichtweisen „abgeschnitten“ und man erfährt und erlebt den Buddha-Dharma in seiner natürlichen und reinen Weise. Wenn wir im Zazen sitzen, kann man dies als Sitzen in der buddhistischen Wahrheit verstehen und dieser Einfluss verbreitet sich laut Dōgen nachhaltig und kraftvoll in der Welt. Damit werde auch der höchste Zustand der Buddhas weiter angehoben.
Anschließend bezieht er in der für den Zen typischen Weise die konkrete Wirklichkeit des Alltags ein:

„Zu dieser Zeit vollendet alles im Universum in den zehn Richtungen die Arbeit Buddhas: Boden, Erde, Gras und Bäume, Zäune, Mauern, Ziegel und Kieselsteine.“

Diese Formulierungen greifen den zentralen Ansatz des vorigen Kapitels Genjō-kōan über die Verwirklichung des Universums auf, nämlich dass sich durch unsere eigene Zazen-Praxis in der richtigen und reinen Form das Universum und wir selbst uns verwirklichen. Eine Wirklichkeit sei, so Dōgens Botschaft, ohne diesen Gleichgewichtszustand in der Praxis gar nicht möglich und Nishijima Roshi ergänzt, dass sonst nur im Denken und in den Ideen „gelebt“ würde.


Dōgen findet hier Worte von großer Prägnanz, wenngleich die Aussagen für uns westliche Menschen gewiss zunächst neu und überraschend sind. Es geht dabei um die Einheit der konkreten Dinge und Phänomene, die in der obigen Aufzählung enthalten sind, und somit um die einheitliche mystische Kraft des Buddha-Dharma in der Wirklichkeit der Praxis.
Dōgen verstärkt im Folgenden seine Ausführungen noch:

„Diesen Menschen, die das Gute empfangen, das auf diese Weise von Wind und Wasser erzeugt wird, wird auf unerklärliche Weise geholfen durch den feinen und durch Denken nicht erfassbaren Einfluss Buddhas. Und sie zeigen den unmittelbaren Zustand der Verwirklichung.“


Besonders interessant ist bei diesem Zitat die Erwähnung des Windes und des Wassers, die im Allgemeinen nur als materielle Elemente angesehen werden. Dōgen möchte hier jedoch über die materielle Dimension hinausweisen, ohne diese auszuklammern und abzuwerten. Wind und Wasser werden als Wirklichkeit unmittelbar und in mystischer Einheit mit dem Buddha-Dharma erlebt und erfahren.


Mit dem Begriff Mystik ist aber keineswegs etwas Dumpfes, Mythisches oder Magisches gemeint. Im Gegenteil: Er bezeichnet sozusagen das geheimnisvoll Natürliche, das nicht an materielle Formen und Strukturen gebunden ist, sondern im höchsten Zustand der Praxis im Augenblick Klarheit und Kraft verwirklicht. Und die Menschen, von denen im obigen Zitat die Rede ist, seien mit Buddhas großer Tugend ausgestattet, was sie in die Lage versetze, ihr Handeln in bemerkenswerter Weise auszuweiten und voranzubringen:


Sie durchdringen das Innere und Äußere des ganzen Universums mit dem Buddha-Dharma, der grenzenlos, ohne Verschwinden, undenkbar und nicht berechenbar ist.“

Sonntag, 6. Februar 2011

Höchste Wertschätzung der Zazen-Praxis

Wenn es bei Dōgen heißt, dass die ganze Welt des Dharma die Haltung Buddhas einnimmt, bedeutet dies, dass die Welt dann und nur dann in ihrer wahren Wirklichkeit zusammen mit uns selbst existiert. Das ist eine kühne und weitreichende Aussage! Dōgen bringt damit seine höchste Wertschätzung der Zazen-Praxis zum Ausdruck, denn die Verwirklichung des Menschen ist gleichzeitig die Befreiung von allen Täuschungen, Illusionen, von der Gier nach vordergründigen Vorteilen wie Ruhm, Geld, Macht, und Ansehen. Nishijima Roshi formuliert dieses Grundprinzip wie folgt:

„Ein menschliches Verhalten kann das ganze Universum sofort verändern.“

Damit ist der Dualismus der üblichen Trennung von menschlichem Ich, der Umwelt und des Universums, und vor allem von anderen Menschen, überwunden und beendet. Dies ist die Kernaussage der buddhistischen Lehre und des buddhistischen Heilsweges, der uns aus der Umklammerung von Angst, Größenwahn und Leid befreit.
Die drei Formen des Verhaltens bedeuten in der buddhistischen Lehre das Verhalten des Körpers, des Mundes beim Reden und des Geistes beim Denken. Diese drei Lebensbereiche werden nach Dōgen durch den Samādhi, also das Zazen, zur Wirklichkeit gebracht. Das heißt, unser Körper überwindet die Lebensphilosophie des Materiellen und unser Reden und Denken überwinden die eindimensionale Lebensphilosophie des Idealismus. Dies ist nach Gautama Buddha der wesentliche Schritt zur Emanzipation aus dem Teufelskreis des Leidens und so vieler schwerwiegender und oft nicht umkehrbarer Fehlentwicklungen in unserem Leben.


Nishijima Roshi betrachtet die Zazen-Praxis als das wahre und reine Handeln, das die Trennung von Subjekt und Objekt ausschaltet und dadurch den Zugang zur Wirklichkeit ermöglicht. Der Buddhismus geht also einen fundamentalen Schritt über intellektuelles Philosophieren sowie naturwissenschaftliches Beobachten und Denken hinaus, so wichtig beide Bereiche für den Menschen und die menschliche Gesellschaft sein mögen. Aber sie stellen jeweils nur Teilwahrheiten oder bestimmte Aspekte der Wahrheit dar und sind damit nur eine Teilsicht der Welt. Als solche müssen sie klar erkannt werden, damit man im Leben nicht in die Irre geht.


Dōgen unterstreicht in diesem ersten Teil des Kapitels immer wieder mit kraftvollen Worten die Bedeutung der Zazen-Praxis: Sie erhöhe die Dharma-Freude und erneuere die Großartigkeit der Verwirklichung zur Wahrheit. Körper-und-Geist würden beim Praktizieren unmittelbar klar und rein. Dies sei die große Erfahrung der Befreiung und dadurch verwirkliche sich der natürliche, ursprüngliche Zustand des Menschen. Es gehe dabei nicht um das Ansammeln von Erfahrung und die rückwärtsgewandte Erinnerung, sondern um das unmittelbare Erleben im Augenblick selbst: „(Diese Menschen) sitzen aufgerichtet als Könige des Bodhi-Baumes, in einem Augenblick drehen sie das große Dharma-Rad, das der unübertroffene Zustand des Gleichgewichts ist, und sie legen den höchsten natürlich-schlichten und tiefgründigen Zustand der Prajnya-Weisheit dar.“