Der japanische Begriff Busshô setzt sich zusammen aus dem Wort butsu, das „Buddha“ bedeutet, und shô, was im Deutschen „Natur“ heißt. Busshô ist gleichbedeutend mit dem
Sanskrit-Begriff buddhata und lässt
sich übersetzen mit „Buddha-Natur“.
In den meisten
buddhistischen Traditionen wurde buddhata
als einen Kern oder ein Potenzial und eine Möglichkeit verstanden, die Wahrheit
oder das Erwachen zu erlangen. Dabei entstand die Vorstellung, dass es sich
quasi um einen „Buddha-Kern“ handelt,
der durch gute Taten und gutes Karma wachsen würde und sich so weiterentwickeln
könnte. Es gab daher auch die Theorie, dass es eine spezielle Eigenschaft des
Menschen sei, die entwickelt werden müsste und in irgendeiner Weise wiedergeboren
würde.
Nishijima und Cross erklären
jedoch in ihrer Einleitung zu diesem Kapitel des Shôbôgenzô:
„In der Sicht (von Meister Dôgen) ist
die Buddha-Natur weder ein Potenzial noch eine natürliche Eigenschaft, sondern
ein Zustand oder eine Bedingung von Körper und Geist im gegenwärtigen
Augenblick.“[i]
Das heißt nichts anderes,
als dass die Buddha-Natur sich im Handeln im Augenblick verwirklicht und keine
abstrakte oder spezielle Eigenschaft ist, die zum Beispiel in der Zukunft durch
bestimmtes Training realisiert werden kann. Man könne auch nicht sagen, dass
die Buddha-Natur der Inhalt vom Körper oder Geist sei.
Jede Vorstellung, dass die
Buddha-Natur etwas Dinghaftes
innerhalb des Menschen ist, das sich entwickeln kann und muss, ist auch aus
Dôgens Sicht unsinnig. Er betont,
dass das berühmte Zitat Gautama Buddhas „Wir alle haben die Buddha-Natur“ nicht
in diesem Sinne falsch verstanden werden darf.
Die Buddha-Natur geht über das Dinghaftes hinaus
An den Anfang des Kapitels
stellt Dôgen die folgenden Worte von Shâkyamuni Buddha:
„Alle
Lebewesen haben vollständig die
Buddha-Natur:
Der Tathâgata weilt (in ihr) andauernd, ohne sich überhaupt zu verändern.“[ii]
Der Tathâgata weilt (in ihr) andauernd, ohne sich überhaupt zu verändern.“[ii]
Nishijima und Cross
erläutern hierzu, dass das entsprechende japanische Wort sowohl „haben“ oder „besitzen“, aber auch „existieren“ bedeuten kann.[iii]
Dôgen interpretiert „haben“
als die Wirklichkeit selbst, also als
die verwirklichte Existenz. Er unterstreicht die
zentrale Bedeutung dieses Zitats für die Lehre und Praxis, er bezeichnet es als
das „Drehen des Dharma-Rades“.
Es sei eine der wichtigsten
Aussagen Buddhas, und Dôgen nennt sie auch das „Löwengebrüll“. Buddhas Worte seien das Gehirn, die Augen und die
Praxis seit circa 2.000 Jahren; sie wurden authentisch über 50 Generationen von
den indischen Meistern bis zu seinem Meister Tendô Nyojô übertragen. Und in der
Tat können wir die Buddha-Natur selbst in der Übungspraxis verwirklichen!
Dôgen verändert dann das
Zitat nach seinem eigenen tiefen Verständnis und ersetzt „haben“ durch
„existieren“: „Alle Lebewesen existieren vollständig als Buddha-Natur.“ Damit
überwindet er die Gefahr, dass die Buddha-Natur nur als eine bestimmte Fähigkeit oder Eigenschaft verstanden
wird, die man haben kann oder auch nicht
haben kann, so wie man zum Beispiel eine besondere musikalische Begabung hat oder
bestimmte erlernte Fähigkeiten besitzt oder nicht. Er unterstreicht die existenzielle
Einheit von Lebewesen und Buddha-Natur, welche die wahre Natur der Lebewesen
ist.