Mittwoch, 29. November 2017

Berg-stilles Lächeln


Für Dôgen ist es wichtig, dass auf Bildern die Rundheit des Mondes sich ganz konkret durch den Körper manifestiert, der auf dem Dharma-Sitz Platz genommen hat. Die symbolischen Gesten der großen Meister, also zum Beispiel das Heben einer Augenbraue, müssten bildlich festgehalten werden, fügt er hinzu und verweist auf die berühmten Worte Bodhidharmas an seine Schülerin und seine Schüler, dass sie seine Haut, sein Fleisch, seine Knochen und sein Mark haben und dass der Schatz des wahren Dharma-Auges im „bergstillen“ Zustand sitzen muss. Wenn das Gesicht lächelnd erstrahlt, gehöre das als Symbol der Befreiung zum runden Mond.[i]

„Wenn diese Bilder sich aber von der Form des Mondes unterscheiden, dann fehlt ihnen das Merkmal der Wirklichkeit, sie lehren nicht den Dharma, sie sind ohne Klang und bildlichen Ausdruck, und sie haben keine wirkliche Funktion.“

Hier charakterisiert Dôgen bildliche Darstellungen, die niemals die Wahrheit der Buddha-Natur entstehen lassen. Zweifellos ist es schwierig, das Erwachen und die Erleuchtung eines Menschen in Form eines Bildes oder eines Freskos wiederzugeben. Aber gerade in der chinesischen und japanischen Malerei und Bildhauerei wurden ganz ungewöhnliche Ausdrucksformen des tiefen inneren Friedens verwirklicht. Ihre Anziehungskraft hält nicht zuletzt aufgrund dieser künstlerischen Darstellung des Buddhismus bis heute an. Und achten Sie auf die Form Ihrer Lehrer und Mitsitzenden!

Dôgen besteht darauf, dass Nâgârjunas bildliche Darstellung als runder Mond solchen Anforderungen genügen muss. Anders ausgedrückt: Der wahre Körper muss in seiner Reinheit und Natürlichkeit gemalt werden, damit er die Wirklichkeit und das Symbol des runden Mondes sein kann.

Die Rundheit ist im Buddhismus auch ein Symbol für den ausgeglichenen Zustand des Zazen und des Lebens sowie für die Wirklichkeit.

Aber eine solche Rundheit darf man nicht allein materiell und oberflächlich verstehen, also nicht der Rundheit etwa einer Münze oder des Reiskuchens gleichsetzen. Dôgen drückt sich so aus:

„Der Körper manifestiert die Rundheit des Mondes, und die Form der Wirklichkeit ist die Form des vollen Mondes.“

Denn: Die Zazen-Praxis im Lotossitz ist der runde Vollmond des Erwachens und der Buddha-Natur.






[i] Kap. 68, ZEN Schatzkammer, Bd. 3, S. 81 ff.: „Das Symbol der seltenen Udumbara-Blume (Udonge)

Freitag, 10. November 2017

Den gemalten Reiskuchen nicht essen


Dôgen besuchte auf seiner Reise nach China viele Klöster und war häufig enttäuscht, dass der wahre Buddhismus an Kraft und Lebendigkeit verloren hatte. Er sah auch das berühmte Bild Nagarjunas in der Form des runden Mondes und sagt glasklar: "Bilder müssen die Wirklichkeit darstellen". Aber welche Wirklichkeit? Das ist die Soheit, das ist die Alltags-Erleuchtung von "Feuerholz tragen und Wasser schöpfen", also weder illusionärer Idealismus noch magerer Materialismus. Deshalb schätze ich selbst den Zen so sehr!

Bedauerlicherweise seien diese Soheit und Wirklichkeit im China der Song-Zeit kaum richtig verstanden und wiedergegeben worden:

Es war für sie unmöglich, (das Geschehen) mit dem Körper zu beschreiben, mit dem Geist zu beschreiben, es im Raum zu beschreiben oder es auf einer Wand darzustellen.“

Und wie steht es heute mit dem Zen und dem Verständnis von Dôgen und Nagarjuna? Nishijima Roshi wurde bei der Frage des wahren Buddhismus in seinen letzten Lebensjahren mit über 90 kämpferisch und sagte mir, dass er gerade auf den Westen setzten würde. Das ist m. E. unser Auftrag.

Aber weiter zu Dôgen: Vergeblich hätten die Menschen mit ihren Pinseln einen runden Kreis wie einen runden Spiegel oberhalb des Sitzes von Nâgârjuna gezeichnet. Diese Darstellung sollte Nâgârjuna zeigen, der sich als die Rundheit des Mondes manifestiert. Dôgen wundert sich darüber, freundlich ausgedrückt, dass keiner seit vielen Jahrhunderten kritisiert hatte, dass solche Zeichnungen oberflächlich seien. Er spricht von einem „Metallsplitter in den Augen der Menschen“, bezeichnet diese Bilder als Pfusch und bedauert sehr, dass dadurch die tiefe spirituelle Bedeutung der Manifestation von Nâgârjunas Körper überhaupt nicht korrekt dargestellt wurde.

Solche minderwertige Malerei beschreibt er treffend als „gemalten Reiskuchen“ – ein Gleichnis dafür, dass die zentrale Botschaft verfehlt wird. Mit dem gemalten Reiskuchen kann man nämlich den eigenen Hunger nicht stillen, dies ist nur mit dem wirklichen Reiskuchen möglich.[i]

Das heißt auch, dass man die Abbildungen der Wirklichkeit nicht mit der Wirklichkeit selbst verwechseln darf. Ein wahres Bildnis Nâgârjunas ist daher gerade nicht das Gleiche wie das kritisierte Bild des Reiskuchens, sondern muss die volle Wirklichkeit des erleuchteten großen Meisters darstellen. Und den digitalen Reiskuchen kann man schon gar nicht essen.

Ohne Frage schätzt Dôgen buddhistische Bilder und Malerei außerordentlich hoch und stellt an sie deshalb klare Qualitätsanforderungen: Zum Beispiel dürfen Bilder niemals vereinfachen oder romantisieren. Er erklärt, dass der Buddha-Dharma gar nicht authentisch übermittelt werden könnte, wenn es keine Bilder und Statuen gäbe, die durch die künstlerische und spirituelle Tiefe sogar oft stärker auf Menschen und ihr Leben einwirken als Sprache und Geschriebenes.






[i] Kap. 40, ZEN Schatzkammer, Bd. 2, S. 133 ff.: „Was bedeutet das Bild eines Reiskuchens? (Gabyô)

Montag, 6. November 2017

Die wahre Form des Körper-Wissens


Dôgen erklärt "knallhart", dass man das „Körper-Wissen“ erweckt haben sollte, um die wahre Form zu sehen. Man darf nicht nur auf die schönen Worte hören und seien sie noch so faszinierend. Er sagt über Menschen, die ihre eigene wahre Natur nicht kennen:

„Sie haben mit ihren Augen niemals“ etwas Ähnliches gesehen wie „den formlosen Zustand des Samâdhi, dessen Gestalt den Vollmond wiedergibt“.

Sie hören nur auf die Worte und können die falschen imponierenden Gesten und den erlernten Ausdruck des Gesichtes nicht vom wahren Buddha-Dharma unterscheiden. Wenn wir das durchschauen, können wir uns vor falschen Lehrern schützen, die uns und unser Vertrauen vielleicht missbrauchen werden, wenn wir von ihnen abhängig geworden sind. Dazu gibt es heute traurige Beispiele!

Dôgen schätzt Meister Kanadeva, den Nachfolger Nagarjunas, sehr und sagt, dass er
ein Würdiger des halben Sitzes und ein führender Meister der Sangha ist, überzeugend und authentisch auf dem halben Sitz des leitenden Meisters.“

Der Hinweis auf den „halben Sitz“ greift die Geschichte auf, in der Gautama Buddha seinem Nachfolger Mahâkâshyapa eben den halben Sitz der Leitung der Sangha anbot und damit zum Ausdruck brachte, dass er im voll vertraue und die Fortsetzung der eigenen Arbeit des wahren Buddhismus übergeben werde. Dôgen bedauert, dass es selbst ernannte Meister gegeben habe, die sich brüsteten, authentische Nachfolger Buddhas zu sein, und allerlei ungenaue Schriften verfassten. Sie würden sogar behaupteten, dass diese von Nâgârjuna selbst geschrieben worden seien.

Hier mein Tipp: Fragen Sie höflich Ihren Lehrer, ob er im Mittleren Weg (MMK) Nagarjunas sattelfest ist. Kann er überzeugend die Leerheit als das "gemeinsames Entstehen in Wechselwirkung" erklären? Denn der Chan- und Zen-Buddhismus haben das MMK Nagarjunas als unbestreitbare Grundlage: Ohne MMK kein Zen, wie mein Lehrer Nishijima Roshi sagte. Und Leerheit ist keineswegs das absolute Nichts, sondern der lebende vernetzte Prozess des wahren Lebens ohne (!) den Glauben an unveränderliche Substanzen und absolute Dogmen. Deshalb ist Kanadeva der authentische Nachfolger Nagarjunas.

Für Dôgen ist die Bedeutung der Buddha-Natur ganz offensichtlich und von transparenter Klarheit. Der Zustand, in dem sich der Körper manifestiert, lehrt die Buddha-Natur klar, eindeutig und vollkommen überzeugend. Die Physis der Buddhas zeigt sich als „geschicktes Mittel“, das im Lotos-Sûtra beschrieben wird.[i] Damit ist gemeint, dass diejenige Art und Weise zu lehren gewählt wird, die bei den jeweiligen Menschen am besten für dem Weg der Befreiung wirksam ist und überzeugt. Sie werden dort abgeholt, wo sie gerade jetzt sind. Sie werden so durch den Lehrer am besten motiviert, ihre Probleme zu überwinden und das Leiden zur Ruhe kommen zu lassen. Viele leiden nämlich, weil sie Leiden mit Nicht-Leiden verwechseln (MMK, Kapitel 23).

Es ist keine Frage, dass die Ausstrahlung und nonverbale Kommunikation eines wahren Lehrers eine große, direkte Kraft hat, die Menschen selbst zu stärken. Allerdings sollten diese dafür offen und aufnahmefähig sein und dürfen nicht nur an den Worten kleben. Und der Lehrer sollte aufgrund eigener Erfahrung Treffendes an die Teilnehmer übermitteln können. Einstudierte großartige Gesten und scheinbar charismatische Verhaltensweisen reichen nicht aus, um die Buddha-Natur physisch und direkt zu offenbaren.

Dann können sich große Augenblicke der Wechselwirkung und Ganzheit ereignen: "Nicht Zwei sondern Einer", wie ein großer Chan-Meister sagte.






[i] Kap. 17, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 125 ff.: „Die Dharma-Blume der Wahrheit dreht die Blume der Dharma-Welt (Hokke-ten-hokke)“