Freitag, 10. November 2017

Den gemalten Reiskuchen nicht essen


Dôgen besuchte auf seiner Reise nach China viele Klöster und war häufig enttäuscht, dass der wahre Buddhismus an Kraft und Lebendigkeit verloren hatte. Er sah auch das berühmte Bild Nagarjunas in der Form des runden Mondes und sagt glasklar: "Bilder müssen die Wirklichkeit darstellen". Aber welche Wirklichkeit? Das ist die Soheit, das ist die Alltags-Erleuchtung von "Feuerholz tragen und Wasser schöpfen", also weder illusionärer Idealismus noch magerer Materialismus. Deshalb schätze ich selbst den Zen so sehr!

Bedauerlicherweise seien diese Soheit und Wirklichkeit im China der Song-Zeit kaum richtig verstanden und wiedergegeben worden:

Es war für sie unmöglich, (das Geschehen) mit dem Körper zu beschreiben, mit dem Geist zu beschreiben, es im Raum zu beschreiben oder es auf einer Wand darzustellen.“

Und wie steht es heute mit dem Zen und dem Verständnis von Dôgen und Nagarjuna? Nishijima Roshi wurde bei der Frage des wahren Buddhismus in seinen letzten Lebensjahren mit über 90 kämpferisch und sagte mir, dass er gerade auf den Westen setzten würde. Das ist m. E. unser Auftrag.

Aber weiter zu Dôgen: Vergeblich hätten die Menschen mit ihren Pinseln einen runden Kreis wie einen runden Spiegel oberhalb des Sitzes von Nâgârjuna gezeichnet. Diese Darstellung sollte Nâgârjuna zeigen, der sich als die Rundheit des Mondes manifestiert. Dôgen wundert sich darüber, freundlich ausgedrückt, dass keiner seit vielen Jahrhunderten kritisiert hatte, dass solche Zeichnungen oberflächlich seien. Er spricht von einem „Metallsplitter in den Augen der Menschen“, bezeichnet diese Bilder als Pfusch und bedauert sehr, dass dadurch die tiefe spirituelle Bedeutung der Manifestation von Nâgârjunas Körper überhaupt nicht korrekt dargestellt wurde.

Solche minderwertige Malerei beschreibt er treffend als „gemalten Reiskuchen“ – ein Gleichnis dafür, dass die zentrale Botschaft verfehlt wird. Mit dem gemalten Reiskuchen kann man nämlich den eigenen Hunger nicht stillen, dies ist nur mit dem wirklichen Reiskuchen möglich.[i]

Das heißt auch, dass man die Abbildungen der Wirklichkeit nicht mit der Wirklichkeit selbst verwechseln darf. Ein wahres Bildnis Nâgârjunas ist daher gerade nicht das Gleiche wie das kritisierte Bild des Reiskuchens, sondern muss die volle Wirklichkeit des erleuchteten großen Meisters darstellen. Und den digitalen Reiskuchen kann man schon gar nicht essen.

Ohne Frage schätzt Dôgen buddhistische Bilder und Malerei außerordentlich hoch und stellt an sie deshalb klare Qualitätsanforderungen: Zum Beispiel dürfen Bilder niemals vereinfachen oder romantisieren. Er erklärt, dass der Buddha-Dharma gar nicht authentisch übermittelt werden könnte, wenn es keine Bilder und Statuen gäbe, die durch die künstlerische und spirituelle Tiefe sogar oft stärker auf Menschen und ihr Leben einwirken als Sprache und Geschriebenes.






[i] Kap. 40, ZEN Schatzkammer, Bd. 2, S. 133 ff.: „Was bedeutet das Bild eines Reiskuchens? (Gabyô)