Samstag, 28. September 2019

Handeln im Jetzt: Klarheit, Power und Entscheidungskraft

(Von Zen-Meister G. W. Nishijima)


Große Erfahrungen und überhaupt das wahre Erleben im Hier und Jetzt finden genau im gegenwärtigen Augenblick statt. Dies hat im Buddha-Dharma eine sehr große Bedeutung, weil wir im gegenwärtigen Augenblick die Wirklichkeit und die Wahrheit selbst erleben und erfahren. Auch das Handeln findet im gegenwärtigen Augenblick statt. Wann denn sonst? Können Sie in der Vergangenheit oder in der Zukunft real handeln?? Sicher nicht. Und so ist es auch ganzheitlich in unserem Leben. Die Augenblicklichkeit des Lebens und des Universums stehen in der Lehre und in der Praxis des Buddhismus im Mittelpunkt. Das Handeln im Augenblick bei der Zazen-Praxis ist mit der ersten Erleuchtung identisch und bedeutet, dass wir den Bodhi-Geist[i] erwecken.

Dōgen sagt hierzu:
„Wer auf des Tathagatas (Buddhas) Schatzkammer des wahren Dharma-Auges und den wunderbaren Geist des Nirvana vertraut, glaubt auch an den Grundsatz der Augenblicklichkeit des Erscheinens und Vergehens aller Dinge.“

Eine solche intuitive Weisheit und Klarsicht übersteigt bei Weitem das übliche verstandesmäßige Denken und intellektuelle Ideen, seien sie auch noch so anspruchsvoll, komplex und scharfsinnig. Diese intuitive Weisheit und die volle Gegenwart und Freiheit des Handelns werden im Buddhismus gelehrt und praktiziert. Dann können wir sagen, dass es uns dann wie „Schuppen von den Augen fällt“ und wir im Einklang mit der Welt und dem Universum handeln und leben.

Wir können uns dann selbst erkennen, wie wir wirklich sind und werden. Dann handeln wir ohne Zögern und Hemmnisse unmittelbar, ethisch richtig und entschieden, so wie es die Situation gerade erfordert.

Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, ist die westliche europäische Philosophie am Endpunkt der alten Kontroverse von Idealismus und Materialismus angelangt und sucht nach neuen Wegen, die nach meinem Verständnis von den großen Meistern des Buddhismus bereits gegangen worden sind. Beispielhaft (für das westliche Verständnis) möchte ich  das Werk des deutschen Philosophen Martin Heidegger „Sein und Zeit“ nennen. Das Handeln im gegenwärtigen Augenblick ist demgegenüber zugleich die Wahrheit und Wirklichkeit, es vollzieht sich hier und jetzt. E

Handeln und Tun ereignen sich in der Ganzheit von Subjekt und Objekt sowie von Körper und Geist. Dadurch werden wir frei und haben ein erfülltes und freudiges Leben. Dies ist die Überwindung des Leidens.

Es ist sicher unbestritten, dass Ethik und Moral im Buddhismus von fundamentaler Bedeutung sind und dass vor allem die Übereinstimmung von Reden, Denken und Handeln gelehrt und erlernt wird.[ii] Hierbei ist die Praxis des Zazen genauso wichtig wie das alltägliche Handeln (Flow) auf dem Buddha-Weg. Aber auch die buddhistische Lehre, die im Shōbōgenzō von Meister Dōgen formuliert wurde, ist unverzichtbar.

Zazen ist die reinste Form des Handelns, und indem wir physisch im halben oder ganzen Lotossitz mit aufrechter Wirbelsäule sitzen, kommt das vegetative Nervensystem automatisch ins Gleichgewicht und zur Ruhe. Dieses geistige und körperliche Gleichgewicht gibt uns Kraft und Gelassenheit, es macht uns handlungsfähig und gesund. Es übersteigt das verstandesmäßige Denken oder die irritierenden Gefühle sowie die Genusssucht. Dieses Gleichgewicht ermöglicht intuitive Klarheit, Weisheit und Entscheidungskraft. Der Buddhismus ist die Verbindung von Lehre und Praxis, und er umfasst das ganze menschliche Leben und Universum




[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 3, S. 312ff.
[ii] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 121ff.

Dienstag, 17. September 2019

Ursachen auf unserem Weg zum Glück und Klima geht uns alle an


(Von G. W. Nishijima, aus meinem Buch "Sternstunden des Buddhismus")




Das Gesetz von Ursache und Wirkung hat im Buddhismus eine zentrale Bedeutung für uns selbst und für andere. Und auch Zen-Meister Dōgen bekennt sich zu dieser Wahrheit. In dem Shōbōgenzō-Kapitel „Tiefes Vertrauen in das Gesetz von Ursache und Wirkung“ kommt dies in aller Klarheit zum Ausdruck.[i]

Diese fundamentale Gesetz legt den Schwerpunkt auf die Verantwortung für das eigene Handeln. Es betrifft zunächst die Lebensphilosophie des Materiellen und der Naturwissenschaft, die im Buddha-Dharma als Teilwirklichkeit geschätzt und anerkannt wird. Auch Meister Dōgen beschreibt in verschiedenen Kapiteln die physische Welt und, wie wir heute sagen würden, die Gesetze der Naturwissenschaft. Der große Wissenszuwachs der modernen Zeit ist ja nicht zuletzt in diesem Bereich entstanden und steht keinesfalls im Gegensatz zur buddhistischen Lehre.
Besonders deutlich wird dies in den Kapiteln des Shōbōgenzō „Das verwirklichte Leben und Universum“, „Das ganze Universum ist eine leuchtende Perle“[ii] und „Die Stimmen des Tales und die Form der Berge“[iii].



Das Gesetz von Ursache und Wirkung gilt im Buddha-Dharma jedoch auch für geistige und emotionale Zusammenhänge und nicht zuletzt für die Ethik und Moral des menschlichen Lebens. Es besagt, dass moralisch schlechte Taten unweigerlich auf den Urheber zurückschlagen, und zwar nach meiner festen Überzeugung noch in diesem Leben. Umgekehrt gilt dies auch für ethisch gutes Handeln, denn uns selbst kommt der „Nutzen“ daraus zugute und wir entkommen dem Leiden.

Das Gesetz von Ursache und Wirkung erklärt die Zusammenhänge im Zeitablauf oder, wie wir sagen, mit dem Verständnis der linearen Zeit. Dies wird auch von Meister Dōgen im Shōbōgenzō beschrieben. Aus dem Gesetz von Ursache und Wirkung gibt es keine Ausnahme. Es macht großen Sinn, wenn wir uns allem die positiven Wirkungen unserer guten Taten für andere Menschen klar zu machen und danach zu handeln. Und beim Handeln sind wir unmittelbar im Augenblick, hier und jetzt.

Yudos Kommentar: "Unser Glück und ein sinnvolles Leben haben wir zu großen Teilen in der Hand. Probleme wird es im immer wieder Leben geben. Aber wie wir unnötiges Leiden vermeiden, das können wir selbst steuern. Und dann verschwinden viele Probleme und deren Leiden. Buddha lehrt heilsames Denken, Handeln und Fühlen zu entwickeln und unheilsames zu vermindern oder besser ganz zu vermeiden. Damit wir das können, brauchen wir Klarheit und Erfahrungen, um das Heilsame entstehen zu lassen und das Unheilsame auszuschalten. Wir dürfen uns nicht von Gier steuern lassen. Deshalb sind die Ursachen für unser Handeln, Denken und Fühlen so außerordentlich wichtig!

Und weiter zur fatalen Schädigung der natürlichen Umwelt-Systeme und der verantwortungslosen Umwelt-Kriminalität: Wichtig ist die Vermeidung. Das Verursacher-Prinzip muss außerdem die Grundlage der Umweltpolitik sein. Die Jugend hat recht: Wer die Umwelt schädigt, muss zur Verantwortung gezogen werden, muss die Schädigung beenden und den Schaden wieder gut machen. Zum Beispiel der unglaubliche  Abgas-Betrug der Autoindustrie, alle haben dabei verloren. Für solche Ziele des Umweltschutzes habe ich fast 30 Jahre gearbeitet. Klima geht uns alle an und Mut zum Umweltschutz: machen Sie mit!"







[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 4, S. 237ff.
[ii] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 62ff.
[iii] ebd., S. 108ff.

Montag, 9. September 2019

Der Schlüssel zu Dogens Meister-Werk Shobogenzo


(Von G. W. Nishijima, aus "Sternstunden des Buddhismus")



"Wir haben einen Schlüssel, um Meister Dōgens Shōbōgenzō wirklich zu verstehen und nicht an scheinbaren Widersprüchen und Paradoxien zu verzweifeln. Dieser Schlüssel erschließt besser den großen Wert dieses Werkes. Ich habe ihn im Laufe meines langen Lebens entwickelt und immer mehr verfeinert. Es handelt sich dabei um die umfassende Lehre der sogenannten vier Sichtweisen oder Lebensphilosophien, die Meister Dōgen in dem Kapitel „Das verwirklichte Leben und Universum“ (Genjō-kōan) beschreibt.[i]

Die volle Wirklichkeit des Lebens und der Welt sind danach weder durch den intellektuellen Verstand noch durch die sinnliche Wahrnehmung allein ganz und vollständig zu erfassen. Denn beide ermöglichen nur Teilsichten und Teilwahrheiten, die durch ihre Einseitigkeit als umfassende Philosophien letztlich für das praktische Leben ungeeignet sind. Sie führen daher zwangsläufig zu verschiedenen Formen des Leidens führen.

Die beiden ersten Lebensphilosophien sind die im Westen vorherrschenden Lehren des Idealismus und Materialismus, des Denkens und der Materie. Gautama Buddha und Meister Dōgen zufolge muss als dritter Bereich das Handeln und Erfahren im gegenwärtigen Augenblick, also im Hier und Jetzt, hinzukommen. Dann können wir die enge Perspektive des Subjekts überschreiten und uns dadurch wesentlich befreien. Bei der Zazen-Praxis und im Alltag eröffnet sich durch das direkte Handeln im Hier und Jetzt eine neue Wirklichkeit, die zum Kern der buddhistischen Lehre gehört.

Die vierte umfassende Lebensphilosophie des Buddhismus ist das Erwachen oder die Erleuchtung, also die Befreiung. Sie enthält integrierend auch die drei ersten genannten Teilbereiche. Das Erwachen geht aber über diese Bereiche hinaus und bildet den „Schlussstein“ des buddhistischen Lehrgebäudes und der Praxis. Wenn die umfassende buddhistische Lehre im Einklang mit der Zazen-Praxis und dem täglichen Handeln steht, nenne ich das die zweite Erleuchtung. Meister Dōgen formuliert dies im Kapitel Genjō-kōan wie folgt:

„Selbst wenn dies alles so ist, fallen die Blüten, während sie geliebt werden, und wuchert das Unkraut, während es nicht geliebt wird.“[ii]


Siehst Du die dritte Katze? Anklicken: Was sie wohl meint.

Damit will er sagen, dass wir über unsere kleinen Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Erwartungen, an die wir uns klammern, hinausgehen müssen. Wir müssen sie als solche erkennen und ihnen die einengende Kraft nehmen, um zur Wahrheit des Buddha-Dharma und des Lebens zu gelangen. Denn diese wirkliche Welt ist so, wie sie ist: rein, ohne Bedauern, kraftvoll und voller Dynamik. Warum sollten wir ihr entfliehen? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit den vier Lebensphilosophien den Schlüssel für die Lehren Gautama Buddhas und Meister Dōgens in der Hand halten und das großartige Werk Shōbōgenzō damit erschließen können."





[i] Sternstunden des Buddhismus, S. 57ff.
[ii] ebd., S. 311ff.