(Von Zen-Meister G. W. Nishijima)
Dōgen sagt hierzu:
„Wer auf des
Tathagatas (Buddhas) Schatzkammer des wahren Dharma-Auges und den wunderbaren
Geist des Nirvana vertraut, glaubt auch an den Grundsatz der Augenblicklichkeit
des Erscheinens und Vergehens aller Dinge.“
Eine solche intuitive Weisheit und Klarsicht übersteigt bei Weitem das
übliche verstandesmäßige Denken und intellektuelle Ideen, seien sie auch noch
so anspruchsvoll, komplex und scharfsinnig. Diese intuitive Weisheit und die
volle Gegenwart und Freiheit des Handelns werden im Buddhismus gelehrt und
praktiziert. Dann können wir sagen, dass es uns dann wie „Schuppen von den Augen
fällt“ und wir im Einklang mit der Welt und dem Universum handeln und leben.
Wir können
uns dann selbst erkennen, wie wir wirklich sind und werden. Dann handeln wir
ohne Zögern und Hemmnisse unmittelbar, ethisch richtig und entschieden, so wie
es die Situation gerade erfordert.
Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, ist die westliche europäische
Philosophie am Endpunkt der alten Kontroverse von Idealismus und Materialismus
angelangt und sucht nach neuen Wegen, die nach meinem Verständnis von den
großen Meistern des Buddhismus bereits gegangen worden sind. Beispielhaft (für das westliche Verständnis) möchte ich das Werk des deutschen Philosophen Martin Heidegger „Sein und
Zeit“ nennen. Das Handeln im gegenwärtigen
Augenblick ist demgegenüber zugleich die Wahrheit und Wirklichkeit, es vollzieht
sich hier und jetzt. E
Handeln und Tun ereignen sich in der Ganzheit von Subjekt und Objekt
sowie von Körper und Geist. Dadurch werden wir frei und haben ein erfülltes und
freudiges Leben. Dies ist die Überwindung des Leidens.
Es ist sicher unbestritten,
dass Ethik und Moral im Buddhismus von fundamentaler Bedeutung sind und dass
vor allem die Übereinstimmung von Reden, Denken und Handeln gelehrt und erlernt
wird.[ii] Hierbei
ist die Praxis des Zazen genauso wichtig wie das alltägliche Handeln (Flow) auf
dem Buddha-Weg. Aber auch die buddhistische Lehre, die im Shōbōgenzō von Meister Dōgen formuliert wurde, ist unverzichtbar.
Zazen ist die reinste Form des Handelns, und indem wir
physisch im halben oder ganzen Lotossitz mit aufrechter Wirbelsäule sitzen,
kommt das vegetative Nervensystem automatisch ins Gleichgewicht und zur Ruhe.
Dieses geistige und körperliche Gleichgewicht gibt uns Kraft und Gelassenheit,
es macht uns handlungsfähig und gesund. Es übersteigt das verstandesmäßige
Denken oder die irritierenden Gefühle sowie die Genusssucht. Dieses
Gleichgewicht ermöglicht intuitive Klarheit, Weisheit und Entscheidungskraft. Der Buddhismus ist die Verbindung von
Lehre und Praxis, und er umfasst das ganze menschliche Leben und Universum
[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren
Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 3, S. 312ff.
[ii] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren
Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 121ff.