Nishijima
Roshi erklärte mir einmal, dass der Buddhismus des Reinen Landes vor allem für die schwer
arbeitenden Menschen sehr wichtig gewesen sei, denn sie hatten kaum Zeit
und keine finanziellen Möglichkeiten, sich intensiver mit der buddhistischen
Lehre und der speziellen Praxis zu beschäftigen.
Ein
Großteil der japanischen Bevölkerung wurde viele Jahrhunderte hindurch ständig
von Existenznot bedroht. Um ihr nacktes Überleben zu sichern, musste die ganze
Familie von morgens bis abends hart arbeiten. Der Glaubens-Buddhismus des
Reinen Landes war leichter mit dem Alltag zu verbinden und verlieh innere Ruhe
und Sicherheit – gerade bei großen Entbehrungen und in Notsituationen. In den
folgenden Jahrhunderten waren die Klöster bereits verhältnismäßig wohlhabend
und verfügten oft über nicht unerheblichen Landbesitz, der zum Beispiel durch
Schenkungen der reichen Oberschicht zustande gekommen war. In den Klöstern gab
es daher wesentlich bessere Bedingungen als für die übrige Bevölkerung, sich
intensiv mit der Lehre und Praxis des Buddhismus zu beschäftigen.
Ähnlich
wie beim praxisnahen Ansatz des Reinen Landes hat sich die deutsche Nonne Ayya Khema intensiv mit der Buddha-Natur
beschäftigt und diese in ihre praxisorientierte Lehre integriert. Sie war zwar
eine Vertreterin des frühen Buddhismus, hielt jedoch die Lehre der Buddha-Natur
für ganz zentral, um den Buddha-Weg gerade in der heutigen Zeit zu gehen.[i]
Von
ihrer Schülerin Traudel Reiß wird sie
mit der folgenden Aussage zitiert:
„Die
Buddha-Natur bedeutet das Erleuchtungsprinzip, das Potential für Erleuchtung,
das Potential der absoluten Wahrheitserkenntnis, das wir alle in uns tragen.“ [ii]
Für
Traudel Reiß und Ayya Khema sind daher Buddha-Natur und das wahre Wesen, das
Erleuchtung und Befreiung erreichen kann, weitgehend identisch. Obgleich Gautama Buddha in seinen Lehrreden die
Buddha-Natur selten explizit erwähnt, ist seine radikal neue Befreiungslehre
mit dem Thema der Buddha-Natur unlösbar verbunden. Denn er lehrte, dass jeder
Mensch erwachen kann, also Erleuchtung erlangen kann – und genau das ist die
Kernaussage zur Buddha-Natur.
Ayya
Khema sieht eine direkte Verbindung zum deutschen Mystiker Meister Eckhart, der von dem „Fünkelein“ des Menschen spricht. Für sie
besteht nicht der geringste Zweifel, dass alle Religionen die zentrale
Kernaussage des Fünkeleins oder der
Buddha-Natur beinhalten. Alle Menschen, welche die absolute Wahrheit gesucht
und gefunden haben, hätten das Gleiche entdeckt:
„Wie
wäre es anders möglich, wie kann es
mehrere absolute Wirklichkeiten geben?“[iii]
Der
Fehler liege darin, dass die verschiedenen Religionen zu oft in ideologisch übersteigerter Weise dazu
neigen, sich voneinander abzugrenzen, und sich letztlich an Äußerlichkeiten und
Ritualen festhalten, ohne den wesentlichen Kern des Gemeinsamen zu sehen. Nach
Buddha und Nagarjuna handelt es sich dabei um Extreme, die keine Wirklichkeiten
besitzen und daher zu Leiden, Hass oder Illusionen führen. Daher lehren beide
den Mittleren Weg, der ganz neue
Kräfte für ein wirklich gelungenes Leben entwickelt.