Sonntag, 30. November 2014

Der Indianer und die zwei Wölfe




Ein alter Indianer erzählte seinem Enkel von einer großen Tragödie und wie sie ihn nach vielen Jahren immer noch beschäftigte.

"Was fühlst Du, wenn du heute darüber sprichst?" fragte der Enkel. 


Der Alte antwortete: "Es ist, als ob zwei Wölfe in meinem Herzen kämpfen. Der eine Wolf ist rachsüchtig und gewalttätig. Der andere ist großmütig und liebevoll." 

Der Enkel fragte: "Welcher Wolf wird den Kampf in deinem Herzen gewinnen?" 

"Der Wolf, den ich füttere!" sagte der Alte.  

 Quelle unbekannt

 

Mittwoch, 26. November 2014

Der Geist erlernt auf natürliche Weise von selbst die Wahrheit !


Besonders bemerkenswert ist die folgender Aussage Dōgen:

„Ihr solltet deshalb fest darauf vertrauen und annehmen, dass dieser Geist sich auf natürliche Weise von selbst daran gewöhnt, die Wahrheit zu erlernen. Dies nennen wir das Erlernen der Wahrheit mit dem Geist.“

In diesen Worten kommt sein tiefes Vertrauen zum Leben im Buddhismus zum Ausdruck. Für ihn handelt es sich um einen natürlichen Lernvorgang, wenn man auf dem Buddha-Weg das Erwachen oder die Erleuchtung und damit Befreiung erlebt. Das ist nichts Aufgezwungenes und durch pure Disziplin Erlerntes, sondern unsere wahre Natur, die sich entfaltet.

Neben der Zazen-Praxis ist das Handeln im Alltag mit den jeweiligen Pflichten und Aufgaben ein wesentlicher Teil des Buddha-Weges: "Erleuchtung ist Feuerholz tragen und Wasser schöpfen"

Dabei darf man sich nicht entmutigen lassen, wenn es Rückschläge gibt oder der Lernprozess „in Stücke zerfällt“, sondern wir sollen vertrauensvoll in den jeweiligen Situationen unseres Lebens nach der Buddha-Lehre handeln. Auch der von Angst gesteuerte Gedanke an den kommenden Tod führt nicht weiter, sondern wirkt meist wie ein Hindernis für das Handeln im gegenwärtigen Augenblick. Denn das Leben gehört dem Leben und nicht dem Tod.

Der Zen-Buddhismus hebt die Einheit mit der uns umgebenden konkreten Realität hervor. Das zeigt sich auch im Dialog zwischen einem großen Landesmeister und einem Mönch, den Dōgen zitiert. Der Mönch fragte den Meister: „Was ist der Geist der ewigen Buddhas?“ Und der Meister antwortete mit dem berühmten Satz:

Die Zäune, die Mauern, die Ziegel und die Kieselsteine.“

Diese Orientierung an den konkreten Gegebenheiten ist nach Dōgens Überzeugung der richtige Weg, um den Geist für die Wahrheit zu schulen und nicht in intellektuelle Spekulationen abzugleiten. Er erläutert hierzu:

„Die Worte sind im Gleichgewicht, der Geist ist im Gleichgewicht, und die Welt ist im Gleichgewicht.“

Damit ist der erwachte Zustand des Handelns im Hier und Jetzt gemeint, der ausführlich im Kapitel „Das verwirklichte Leben und Universum dargestellt wird.

Zum Schluss rät uns Dōgen dringend, die nur übernommenen, erlernten und dadurch verengenden Theorien wieder abzuschütteln und unmittelbar im Gleichgewicht von Körper-und-Geist zu leben und zu handeln.


Mittwoch, 19. November 2014

Tätigen Handeln ist selbst das Erwachen des Bodhi-Geistes


Nach der  buddhistischen Lehre, die seit über 2500 Jahren erprobt ist, kann man die Wahrheit und Befreiung nur dadurch erlernen, dass man sowohl den Geist als auch den Körper schult. Beide gehören nämlich in der Wirklichkeit unauflösbar zusammen und bilden eine Einheit. Der Lehre vom Handeln und Tun kommt im Buddhismus eine sehr große Bedeutung zu, und zum Handeln gehören immer sowohl der Geist als auch der Körper.

Während wir in der westlichen Philosophie den Intellekt und Geist meist völlig losgelöst vom Körper des Menschen behandeln, wird eine solche Trennung im Buddhismus als sinnlos abgelehnt. Wenn Dōgen zunächst den Lernvorgang des Geistes und dann den des Körpers beschreibt, geschieht dies lediglich aus didaktischen Gründen, um die jeweiligen Bereiche möglichst klar herausarbeiten zu können.
Er betont, wie wichtig es ist, den klaren Entschluss für den Buddha-Weg zu fassen. Und er bemerkt hierzu:

„Wenn ihr euch nicht entschließen könnt, die Wahrheit zu erlernen, entfernt sie sich immer mehr von euch.“

Das bedeutet, dass man durch den Entschluss allein zwar noch nicht zur Wahrheit erwacht ist, aber dass man sich ohne eine solche grundsätzliche Entscheidung in seinem Leben immer mehr verirrt und sich zum Beispiel im Materialismus verliert.
Wesentlicher Teil dieses Wahrheitsweges ist ethisches Denken und Handeln. Die Ethik darf nicht im Denken und bei den Ideen stehen bleiben, sondern muss durch das Handeln umgesetzt und im Hier und Jetzt verwirklicht werden. Gleichwohl ist der Entschluss zum ethischen Handeln zunächst im Geist und Willen angesiedelt. Der Entschluss ist der Beginn eines Lebens auf einem neuen Weg.

Dōgen geht auf verschiedene Arten des Geistes ein, die ursprünglich aus der altindischen Buddha-Lehre stammen. Er warnt uns jedoch davor, diese Einteilungen nur rein theoretisch zu verstehen, und fordert uns stattdessen auf:

„Dann erlernt und erforscht ihr es im tätigen Handeln, das selbst das Erwachen des Bodhi-Geistes ist.“

Weiter führt er aus, dass es auf die Gegenwart und den Augenblick beim geistigen Handeln ankommt. Der Lernvorgang im Geist soll dabei den unterscheidenden Intellekt überschreiten. Und man soll sowohl durch das Denken als auch durch das Nicht-Denken üben. Vor allem mit dem Nicht-Denken spricht er zweifellos die Zazen-Praxis an. Außerdem sei die Verbindung vom Meister zum Schüler, der später eventuell selbst Meister wird, von fundamentaler Wichtigkeit, und Dōgen spricht davon, dass bei dieser Verbindung „der Geist durch den Geist lernt“. Der Geist des zukünftigen Meisters wird von dem des vorherigen im direkten ganzheitlichen Kontakt als Lernprozess erfasst und dreht damit das Dharma-Rad.


Dōgens umfassende Vorstellung vom Geist und von der Einheit mit der konkreten Wirklichkeit wird darin deutlich, dass er Berge, Flüsse, die große Erde, Sonne und Mond einbezieht und erklärt, dass sich dies alles je im gegenwärtigen Augenblick realisiert. Er übersteigt dabei die materielle Sichtweise der äußeren Form und auch die Begriffe wie „Berg“ oder „Fluss“. Daher sind Maßangaben und Bezeichnungen wie „innen“ oder „außen“, „groß“ oder „klein“ und dergleichen ebenfalls ungeeignet, um diese Einheit von Geist und konkreter Wirklichkeit zu erfassen.

Donnerstag, 13. November 2014

Leben-und-Tod als Kopf und Schwanz


Dōgen formuliert kurz und prägnant zu unserem Leben hier und jetzt: Es geht ganz einfach um Kommen-und-Gehen in der Praxis, und das ist genau Leben-und-Tod.

„Mit Leben-und-Tod als Kopf und Schwanz kann der wirkliche menschliche Körper einen Salto machen und das Gehirn umwenden. (Das ist der wahre) menschliche Körper, der das ganze Universum in den zehn Richtungen ist.“

Das Denken und der Geist können jäh geändert und gedreht werden, meint Dōgen, wenn die Bodhi-Wahrheit anwesend ist. Wir sind tatsächlich fähig, in unserem Leben einen plötzlichen Salto zu springen, wenn dies erforderlich ist, weil wir dazu auf dem Buddha-Weg die Freiheit gewonnen haben. Wir dürfen nicht den Fehler machen, nur zu denken, dass unser wirklicher menschlicher Körper ganz konkret im Hier und Jetzt handeln würde. Es geht um die Wirklichkeit jenseits des linearen Denkens. Wie die Gehirnforschung heute nachgewiesen hat: nur in einem sehr kleinen Teil unseres Neuronalen Netzes läuft das lineare sog. logische Denken, aber unsere Weisheit und Praxis gehen weit darüber hinaus; und sie sind gut trainierbar.

Der Bezug zum Universum darf genauso wenig dazu führen, dass wir nur diffusen abstrakten Ideen vom Weltall und Universum nachhängen. Dōgen unterstreicht, dass der zitierte Salto und das „Drehen des Gehirns“ genauso konkret sind wie die Größe einer Münze und das Innere eines Atoms. Schwierige Lebensprobleme, die manchmal im Zen als tausend Fuß hohe Mauer bezeichnet werden, sind oft gar nicht so unüberwindlich, wie sie zunächst erscheinen, wenn sie in der Wirklichkeit des Gleichgewichts von Körper-und-Geist tatkräftig behoben werden.

Dann seien sie keine hohen Mauern mehr, sondern würden zu einem Weg, der fast als eben und flach bezeichnet werden könne. Wir sollten die wirklichen Situationen und Zusammenhänge und die wirklichen Eigenschaften der Dinge und Phänomene in der Einheit von Körper-und-Geist genau untersuchen, denn das ist der Weg, die Wahrheit zu erlernen.

In seiner typischen Weise sagt Dōgen schließlich:

„Die Knochen und das Mark des Nicht-Denkens und des nicht Nicht-Denkens existieren (wirklich). Nur wenn wir uns der Idee einer Wirklichkeit, die nur im Gehirn beheimatet ist, entschieden widersetzen, lernen wir die Wahrheit.“

Das sei für alle Dimensionen des Geistes besonders wichtig.


Mittwoch, 5. November 2014

Das Leben hängt nicht vom Tod ab


Der "Tod" alter Zustände, Vorurteile, Abwertungen und alter Fesseln führt laut Dōgen zu einem besseren Leben, zu einem Neuanfang. Dadurch treffen wir das wahre Leben, bevor uns der Tod ereilt:

Das Leben hindert nicht den Tod, und der Tod hindert nicht das Leben.“

Es ist also sinnlos, den Tod zu verdrängen, denn dadurch wird man die Bedrohung durch das eigene Ende nicht los. Wer sich aber permanent panischen Todesgedanken ausliefert, verpasst das Leben genauso. Wenn wir leben, sollten wir das umfassend tun, aktiv handeln und uns ganz dem Augenblick öffnen.

Dōgen unterstreicht, dass gewöhnliche Menschen, welche die buddhistische Wahrheit nicht erlangt haben, weder das Leben noch den Tod wirklich kennen. Der Tod sollte natürlich in das Leben integriert werden. Aber das Leben hängt nicht vom Tod ab und sollte durch das Leben selbst gesteuert werden. In diesem Sinne sagte auch Zen-Meister Engo Kokugon, der etwa 130 Jahre vor Dōgen lebte:

„Das Leben ist die Verwirklichung aller (seiner) Aufgaben und Funktionen.
Der Tod ist die Verwirklichung aller (seiner) Aufgaben und Funktionen.
Sie erfüllen den ganzen Raum.
Der reine, bloße Geist ist immer Augenblick für Augenblick.“[i]

Dōgen fordert uns auf, diese Zeilen sorgfältig zu bedenken und zu analysieren. Sie erscheinen zunächst recht unverständlich und der Vernunft nicht zugänglich. Was bedeuten sie? Die ersten beiden Zeilen sollen die Wirklichkeit von Leben und Tod ungeschminkt, aber auch ohne Panik beschreiben.

Die Funktionen und Aufgaben unseres Lebens sind von unserer Verantwortung und der Ethik des Handelns mit und für andere nicht zu trennen. Esoterische Isolation vom täglichen Leben und der Rückzug in Nischen falsch verstandener Spiritualität und weltfremder Philosophien sind gefährliche Sackgassen im Leben. Sie besitzen keine Dynamik, nur sehr begrenzte Kreativität und führen leicht zum Vertrocknen des Körper-und-Geistes. Aber wir sollen uns auch nicht von der Angst vor dem körperlichen Tod einengen lassen.

Als Tod verstehe ich hier nicht nur den physischen Tod, sondern vor allem das Ende von Täuschungen und den Neuanfang nach Irrtümern und Fehlern. Das ergibt die Voraussetzung für einen Neubeginn, denn nach Shunryu Suzuki ist Zen-Geist genau Anfänger-Geist. Um neu anzufangen, muss man etwas Falsches beenden, das Falsche muss also vertrocknen und sterben.

Wer starr an seinem eigenen Käfig festhält, kann sich nicht entwickeln und nicht den schwierigen aber erfüllenden Weg zur Freiheit finden. Das Universum befindet sich in einem dynamischen Gleichgewicht, und auch unser Leben sollte in einem solchen dynamischen Gleichgewicht ablaufen.

Der zitierte Raum hat im Zen-Buddhismus verschiedene Bedeutungen, die vielfältige Lebensdimensionen wiedergeben. Er ist nach der alten indischen Lehre ein materielles Element, wird aber auch häufig als Symbol für das Gleichgewicht, die Befreiung und sogar die Leerheit verwendet. Er steht damit auch für die Zazen-Praxis, bei der die Gedanken und Emotionen sich auflösen und wir häufig ein umfassendes, intuitives Raumgefühl erleben:

"Zazen ist Nicht-Denken.“[ii]

In der letzten Zeile steht der einfache, ungekünstelte Geist im Mittelpunkt, der auch als nackt und bloß bezeichnet werden kann und sich jäh im Augenblick verwirklicht.





[i] Kap. 41, ZEN Schatzkammer, B. 2, S. 143 ff.: „Das Universum ist dynamisches Handeln (Zenki)
[ii] Nishijima, G. W.; Seggelke, Yudo J.: Die Kraft der ZEN-Meditation. Im Auge des Zen, Bd. 4, S. 36 ff.