Was
ist die Buddha-Natur? Und warum müssen wir überhaupt intensiv und ausdauernd praktizieren,
wenn die Buddha-Natur unser wahres Wesen ist? Das behaupteten damals namhaft
Buddhisten. Diese Fragen waren für Meister Dôgen von existenzieller Bedeutung und wurden zum zentralen Bezugspunkt in seinem Leben.
Er
hatte ein schweres persönliches Schicksal, denn als er erst zwei Jahre alt war,
starb sein Vater; er konnte sich nicht mehr an ihn erinnern. Leider starb auch
seine Mutter, als er erst sieben war. Mit ihr war er sehr eng verbunden – nicht
zuletzt, weil sie wohl nicht mit Dôgens
Vater verheiratet gewesen war und er deshalb nicht als eheliches Kind
angesehen wurde. Seine Mutter förderte ihn sehr, er scheint ein ungewöhnlich
intelligentes und sensibles Kind gewesen zu sein
Es
heißt, dass er bereits in sehr jungen Jahren fließend Chinesisch lesen und
schreiben konnte und in dieser Sprache sogar Gedichte verfasste. Ich vermute,
dass er durch den Tod seiner Mutter unausweichlich mit den existenziellen Fragen des Lebens konfrontiert wurde. Daraus muss
sich auch die eindringliche Suche nach der Erkenntnis über die Buddha-Natur
ergeben haben.
Schon
mit zwölf Jahren trat Dôgen in ein Kloster ein, in dem das Lotos-Sûtra die
wesentliche Grundlage des Buddha-Weges bildete. Man könnte annehmen, dass sich in
dieser Umgebung jemand gefunden hätte, der ihm seine Fragen nach der Buddha-Natur umfassend und zufriedenstellend
beantworten konnte. Dies war aber wohl nicht der Fall.
Als
Mönch befragte er laut Überlieferung die berühmtesten buddhistischen Äbte und
Meister seiner Zeit, er studierte zudem die vorhandene buddhistische Literatur
mit aller Gründlichkeit, aber auf seine Frage nach der Wahrheit der Buddha-Natur erhielt er damals in Japan keine Antwort.
Zu
dieser Zeit kehrte der erste Japaner als Zen-Meister aus China zurück, denn bis
dahin waren der Zen-Buddhismus und vor allem die Zen-Praxis und die einfache
direkte buddhistische Lebensweise des Zen in Japan noch unbekannt gewesen.
Dôgen hoffte nun, die Wahrheit der Buddha-Natur mithilfe des Zen-Buddhismus zu
finden.
Er
beschäftigte sich intensiv mit den neu in Japan gelehrten Kôans des Zen. Schließlich
reifte bei ihm der Plan, selbst nach China zu reisen, um dort bei den großen
Meistern zu erfahren, was die Buddha-Natur sei. Sein damaliger Meister Myozen, der der Rinzai-Linie des Zen
angehörte, entschloss sich, mit ihm zusammen die damals nicht ungefährliche
Schiffsreise nach China zu unternehmen, um dort nach der Wahrheit des Buddha-Weges zu suchen. Leider starb Meister Myozen
während des Aufenthalts in China.
Dôgen
war 25 Jahre alt, als er in China ankam und sich auf die Suche nach einem
Kloster und einem Meister machte, um den Zen-Buddhismus sorgfältig zu erlernen
und das Wesen der Buddha-Natur zu ergründen. Bald musste er jedoch enttäuscht feststellen,
dass in vielen Klöstern in China der
Buddhismus bereits im Niedergang begriffen war. So schwand seine Hoffnung, hier
die Antwort auf seine Fragen zu finden.
Er
war bereits wieder auf dem Heimweg nach Japan – so wird berichtet –, als er ein
Kloster zum zweiten Mal besuchte, das er schon kurz nach seiner Ankunft kennengelernt
hatte. Dort fand er endlich für sich den Meister Tendô Nyojô, der auf ganz
überraschende und verblüffende Weise das mit dem Intellekt nicht zu lösende
Geheimnis der Buddha-Natur klärte.
Allein
durch das Studium der buddhistischen Texte, durch Überlegungen und tiefgründige
Dialoge mit anderen Meistern ist die ureigene Erfahrung des Mysteriums der Buddha-Natur nämlich
nicht zu verstehen, sondern nur in der Einheit von Körper-und-Geist im
lebendigen Strom des Lebens und der Praxis – und nicht zuletzt durch
die
Zazen-Meditation, bei der man Körper und Geist gleichsam „fallen lässt“, das
Bewusstsein also von Denken und Emotionen entleert wird.