Dōgen gibt die berühmte und oft nur halb verstandene Koān-Geschichte vom
Polieren eines Ziegels wieder: Der alte Meister Nangaku besuchte seinen Schüler Baso,
der später selbst ein großer Zen-Meister wurde, als dieser zehn Jahre lang in
einer einfachen Hütte unter oft unwirtlichen Bedingungen praktiziert hatte. Er
fragte seinen Schüler, was er gerade mache, und Baso antwortete:
„Diese Tage
sitzt Baso nur.“
Daraufhin fragte Meister Nangaku:
„Was ist das
Ziel, in Zazen zu sitzen?“
Sein Schüler Baso erwiderte:
„Das Ziel
des Sitzens in Zazen ist, Buddha zu werden.“
Was hätten Sie geantwortet? Ist doch ganz richtig, oder?
Meister Nangaku nahm aber überraschend einen Ziegel und schliff und rieb
ihn an einem Felsen. Als Baso dies sah und hörte, fragte er verwundert, was der
Meister tue. Dieser antwortete:
„Einen Ziegel polieren.“
Der Schüler benutzte dann eine ähnliche Formulierung wie vorher der
Meister und fragte:
„Was ist der
Nutzen, einen Ziegel zu polieren?“
Der Meister antwortete:
„Ich poliere
ihn zu einem Spiegel.“
Erstaunt fragte der Schüler:
„Wie kann
das Polieren eines Ziegels ihn zu einem Spiegel machen?“
Nun antwortete der Meister mit einer berühmten Gegenfrage:
„Wie kann
das Sitzen im Zazen dich zu einem Buddha machen?“
Dōgen warnt davor, dass wir uns bei diesem Kōan mit einfachen und
schnellen Antworten zufriedengeben, die wir vielleicht irgendwo gehört haben
oder schnell "ablassen"! Er schätzte dieses Gespräch zur Lehre des
Buddha-Dharma außerordentlich. In der Tat entwickelte diese Kōan-Geschichte
eine große Kraft im Buddhismus, die sie auch heute noch besitzt. Was würden Sie
antworten?
Durch das direkte Handeln ohne viele Worte wollte der Meister seinem
Schüler zur intuitiven Klarheit von
Körper-und-Geist verhelfen. Der Sinn dieses Kōans liegt vor allem darin,
dass sowohl beim Zazen als auch beim Polieren des Ziegels das Erstreben eines Ergebnisses nicht
maßgeblich ist, sondern der Vorgang und
das Tun selbst. Ohne ausdauerndes Zazen ist es allerdings unmöglich, den
Buddhismus ganzheitlich mit klarem Körper-und-Geist zu erfahren.
Das Handeln im Zazen wird aber nachhaltig gestört, wenn wir mit aller
Anstrengung des Willens das Ziel der Erleuchtung anstreben, denn das
Zazen-Sitzen selbst bedeutet nach Nishijima Roshi nichts anderes, als dass wir
die erste Erleuchtung unmittelbar erfahren und damit Buddha sind.[i] Das
klingt paradox ist es aber überhaupt nicht. Man darf nicht vergessen, dass der
Schüler Baso mit großer Intensität und Eindeutigkeit Zazen praktizierte und
dass er zum Zeitpunkt dieses Gesprächs schon einen weiten Weg im Buddhismus
gegangen war. Durch Zazen erfährt man also den ewigen Spiegel, der als Symbol des umfassenden intuitiven Geistes
zu verstehen ist.
Dōgen sagt, dass es dasselbe ist, einen ewigen Spiegel zu erzeugen und
ein Buddha zu werden. Durch das Handeln und Praktizieren entsteht dieser ewige
Spiegel, also die intuitive Klarheit des Geistes, und dies kann auch durch das Schleifen eines Ziegels geschehen.
Genau das hat in der Kōan-Geschichte der Schüler Baso erkannt, denn ihm wurde schlagartig klar, dass die Zazen-Praxis
selbst das wesentliche Handeln – der ewige Spiegel – ist. So kann man
sagen, dass der materielle Ziegel
durch Meister Nangaku für den Schüler Baso zum spirituellen Spiegel, zum plötzlichen
Türöffner des Erwachens geworden ist und dass durch den Spiegel die Menschen zu
Buddha werden.
Dōgen stellt uns die folgende Frage:
„Wer kann
(wirklich) erkennen, dass es Spiegel gibt, in denen die Ziegel erscheinen,
(wenn) die Ziegel kommen. Und wer kann (wirklich) erkennen, dass es Spiegel
gibt, in denen die Spiegel erscheinen, wenn die Spiegel kommen?“
Der erste Satz bezieht sich
darauf, dass bei Baso die intuitive Weisheit, also der Spiegel des klaren
Geistes, entstanden ist, weil sein Meister den Ziegel poliert hat. Den zweiten
Satz kann man so deuten, dass es sehr selten vorkommt, dass ein klarer,
intuitiver Geist einem anderen genauso klaren Geist begegnet, der ein ewiger
Spiegel ist, und dass sich beide als solche unmittelbar erkennen.