(Niko Schulmeister)
Der Raum hinter dem
Altar des Bergklosters schien uns der geeignete Ort für unsere Sitz-Perioden zu
sein. So dachten wir. Voller Vorfreude und Neugier, auch mit Bewunderung für
den alten, kühlen Kalk-Stein, aus dem das Kloster erbaut worden war, machte ich
mich auf, um die Räumlichkeiten zu entdecken.
Von dem sonnigen
Innenhof führen eine niedrige Tür und ein paar ausgetretene Stufen hinunter in
den gesonderten Bereich hinter dem Altar. Die ganze Kapelle ist so in zwei
Bereiche unterteilt: Das ist die überlieferte Form der Franziskaner-Klöster.
Der eine ist von außen durch den Eingang zugänglich, der andere für die kleine
Schar der Mönche und jetzt für unsere Zen-Gruppe.
Mich erinnerte die
hölzerne Trennung zwischen Gebetsraum der Kapelle und Aufenthaltsraum für die
Mönche an einen Januskopf. Zu beiden Seiten des hölzernen Altars waren
Bildnisse und Schnitzereien Jesu’ und dessen Kreuzigung zu sehen. Dankbar, an
solch einem Ort meine Meditation praktizieren zu dürfen, legte ich mir wie die
anderen mein Kissen für das Zazen zurecht.
Obwohl wir uns in knapp 1000 m Höhe
befanden, waren es im Südtiroler Hochsommer im geschützten Innenhof des Klosters
angenehme 25 Grad. Nachdem wir aber die paar Stufen hinabgestiegen war, merkten
wir die alten kühlen Steine, die Wärme blieb draußen: doch etwas befremdlich.
Eine neue Kälte von unten wurde immer spürbarer und drang auch durch die
sorgfältig zurechtgelegten Decken und Kissen. Meine eine innere Unruhe nahm noch
weiter zu.
Die ersten Sitzperioden
unter dem überlebensgroßen Gekreuzigten waren mühsam. Ein Unbehagen und ein irgendwie
rastloser Geist waren nicht zu unterdrücken. Zunächst dachte ich während des
Sitzens und auch danach, dass dies die wahrscheinlich üblichen Schwierigkeiten
der Eingewöhnung seien. Trotz des Versuchs solche fast drückenden Gedanken ins
innere Gleichgewicht zu bringen, war ich immer froh, nach jeder Sitz-Periode
wieder ans Tageslicht und ins Freie zurückzukehren.: Welch wunderbare Umgebung
und Aussicht auf das weite sommerliche Etsch-Tal.
Zwischenzeitlich graute
es mir davor, dies eine Woche durchhalten zu müssen. Abends bei Tisch
entwickelte sich zwischen uns ein Gespräch, das sich langsam vortastend,
zumeist, auf die Übel in der Welt bezog und mich selbst in eine bleierne
Schwere versetzte. Eine letzte Sitzperiode ließ mich dann müde und abgekämpft
in meine Mönchs-Kammer gehen.
Am nächsten Morgen in
der Frühe erschien Yudo nicht, der nebenan wohnte. Wir warteten nach dem
Frühstück auf ihn, um mit unserem Programm zu beginnen. Kurzerhand entschloss
sich Eberhard-Gensa, Yudo aufzusuchen. Nach einiger Zeit kamen Gensa und Yudo
dann gemeinsam zu uns ins Kloster. Er war übrigens gesundheitlich nach zwei
schweren Operationen noch etwas angeschlagen. Er teilte uns seine Eindrücke des
Vortages mit und bat um gemeinsame Unterstützung, wie wir die Klarheit,
positive Kraft und tiefe Meditation des Zen hier verwirklichen können. Er sagte
uns ohne Umschweife, dass wir etwas Tiefgreifendes, den Geist des Ganzen, ändern
müssten, damit wir uns frei der Meditation hingeben und dem Buddha-Dharma
öffnen könnten.
Das Zusammenkommen an diesem Ort hätte bisher keine Wirkung der
Befreiung und Freude bewirkt, sondern wirkte eher hemmend und beengt. Wir untersuchten,
ob und inwiefern uns das Jahrhunderte alte klösterliche Gemäuer, und
insbesondere der Raum hinter dem Altar, in eine bedrückenden Stimmung brachten,
belasteten und sowohl unser Befinden als auch unseren Geist trübten. Yudo
erzählte, dass er seit Jahren nach Assisi, der Stadt des Franziskus fährt und
dort die Spiritualität der Klarheit, Heiterkeit und tiefen Lebensfreude mit seinem Gedicht "Der Sonnengesang" kennengelernt habe: so wie er den Zen-Buddhismus versteht. Wo sei denn der
Unterschied zwischen einem solchen Christentum und dem Buddhismus?
So beschlossen wir, die
gegebene Situation zu verändern. Ein wichtige Veränderung war die volle
Integration der wunderbaren uns umgebenden Natur in den Tagesablauf. Das war es
doch, warum wir uns vor einiger Zeit entschlossen hatten, an diesem besonderen Ort zusammenzukommen. Schon Buddha hatte
empfohlen, in der Natur und Stille zu meditieren.
Von nun an saßen wir im
Freien, im offenen einfachen und geradezu urigen Innenhof, der viel von den
Mönchen benutzt und geprägt worden war. Nach zügigen gemeinsamen Umräumarbeiten
hatten wir dort unter einem kleinen Vordach genügend Fläche geschaffen, um dort
sitzen und meditieren zu können. Der ohnehin schon reich mit Pflanzen und
Blumen geschmückte Hof und das Leben und Atmen im Hauch der Luftströmungen und in
südlicher Sonne waren einladend und uns bald vertraut. Als das Wetter umschlug
saßen wir bei Regenschauern und Gewittern dort enger beisammen, und waren wirklich
froh, draußen zu sein.
Das Meditations-Gehen des
KinHin zwischen den Sitzperioden praktizierten wir im Garten des Klosters:
barfuß auf Gras und Erde. Eine große alte Linde war unser Freund. Das
vormittägliche Studium führte uns in die Berge, da wir der Natur so nah wie
möglich sein wollten.
Was es genau war, kann
ich nicht sagen, aber das Überwinden des ersten deutlichen Widerstandes durch
gemeinsames Handeln und das sich Öffnen für neue Möglichkeiten und Perspektiven
verwandelten das anfänglich empfundene Unbehagen in großes Glück.
Ich konnte
nicht mehr sagen, ob die offene und grenzenlose Schönheit der uns umgebenden
Natur nun außen oder innen war. Was wollen die Menschen überhaupt mit außen und
innen ausdrücken? Wir hatten den Sinn dafür verloren. Das Erkennen des eigenen Widerstandes,
die bewusste Entscheidung für eine Veränderung und das gemeinsame Handeln waren
im Moment wie ein Samen, der sofort Wurzeln schlägt und weiter in die eigene
Entfaltung führt.
Gemeinsam tief atmend auf einem Berg zu sitzen und dem
Windspiel bei Gewitter zu begegnen war für mich größtes Glück an diesem Ort.