Montag, 15. August 2016

Die Buddha-Natur bei Dôgen (Busshô)


Der japanische Begriff Busshô setzt sich zusammen aus dem Wort butsu, das „Buddha“ bedeutet, und shô, was im Deutschen „Natur“ heißt. Busshô ist gleichbedeutend mit dem Sanskrit-Begriff buddhata und lässt sich übersetzen mit „Buddha-Natur“.

In den meisten buddhistischen Traditionen wurde buddhata als einen Kern oder ein Potenzial und eine Möglichkeit verstanden, die Wahrheit oder das Erwachen zu erlangen. Dabei entstand die Vorstellung, dass es sich quasi um einen „Buddha-Kern“ handelt, der durch gute Taten und gutes Karma wachsen würde und sich so weiterentwickeln könnte. Es gab daher auch die Theorie, dass es eine spezielle Eigenschaft des Menschen sei, die entwickelt werden müsste und in irgendeiner Weise wiedergeboren würde.

Nishijima und Cross erklären jedoch in ihrer Einleitung zu diesem Kapitel des Shôbôgenzô:

„In der Sicht (von Meister Dôgen) ist die Buddha-Natur weder ein Potenzial noch eine natürliche Eigenschaft, sondern ein Zustand oder eine Bedingung von Körper und Geist im gegenwärtigen Augenblick.“[i]

Das heißt nichts anderes, als dass die Buddha-Natur sich im Handeln im Augenblick verwirklicht und keine abstrakte oder spezielle Eigenschaft ist, die zum Beispiel in der Zukunft durch bestimmtes Training realisiert werden kann. Man könne auch nicht sagen, dass die Buddha-Natur der Inhalt vom Körper oder Geist sei.

Jede Vorstellung, dass die Buddha-Natur etwas Dinghaftes innerhalb des Menschen ist, das sich entwickeln kann und muss, ist auch aus Dôgens Sicht unsinnig. Er betont, dass das berühmte Zitat Gautama Buddhas „Wir alle haben die Buddha-Natur“ nicht in diesem Sinne falsch verstanden werden darf.

Die Buddha-Natur geht über das Dinghaftes hinaus
An den Anfang des Kapitels stellt Dôgen die folgenden Worte von Shâkyamuni Buddha:

„Alle Lebewesen haben vollständig die Buddha-Natur:
Der Tathâgata weilt (in ihr) andauernd, ohne sich überhaupt zu verändern.“[ii]

Nishijima und Cross erläutern hierzu, dass das entsprechende japanische Wort sowohl „haben“ oder „besitzen“, aber auch „existieren“ bedeuten kann.[iii]
Dôgen interpretiert „haben“ als die Wirklichkeit selbst, also als die verwirklichte Existenz. Er unterstreicht die zentrale Bedeutung dieses Zitats für die Lehre und Praxis, er bezeichnet es als das „Drehen des Dharma-Rades“.

Es sei eine der wichtigsten Aussagen Buddhas, und Dôgen nennt sie auch das „Löwengebrüll“. Buddhas Worte seien das Gehirn, die Augen und die Praxis seit circa 2.000 Jahren; sie wurden authentisch über 50 Generationen von den indischen Meistern bis zu seinem Meister Tendô Nyojô übertragen. Und in der Tat können wir die Buddha-Natur selbst in der Übungspraxis verwirklichen!

Dôgen verändert dann das Zitat nach seinem eigenen tiefen Verständnis und ersetzt „haben“ durch „existieren“: „Alle Lebewesen existieren vollständig als Buddha-Natur.“ Damit überwindet er die Gefahr, dass die Buddha-Natur nur als eine bestimmte Fähigkeit oder Eigenschaft verstanden wird, die man haben kann oder auch nicht haben kann, so wie man zum Beispiel eine besondere musikalische Begabung hat oder bestimmte erlernte Fähigkeiten besitzt oder nicht. Er unterstreicht die existenzielle Einheit von Lebewesen und Buddha-Natur, welche die wahre Natur der Lebewesen ist.



[i] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 1
[ii] Shobogenzo, englische Fassung, Bd. 2, S. 1
[iii] ebd., Fußnote 1