Über den Willen zur Wahrheit sagt Dōgen:
„Bei dem Streben nach Buddhas Wahrheit sollten wir den Willen zur Wahrheit als das Wichtigste ansehen. Menschen, die wissen, was es mit dem Willen zur Wahrheit auf sich hat, sind (leider) selten. Wir sollten diese (Wahrheit nur) unter solchen Menschen erkunden, die sie klar erkennen.“
Im Zen und im authentischen Buddhismus wird Wahrheit pragmatisch und nicht absolut oder dogmatisch
verstanden: Es geht um das Hier und Jetzt, sehr konkret um Handeln, Denken und
Fühlen. Jeder Mensch, wird nach eigenem Erleben, eigenen Erfahrungen und
eigenem Bedenken vorankommen. Die Lehre und ein Lehrer oder Meister können die
Richtung weisen, fundierte und bewährte Hilfestellungen geben und hoffen, dass
der Funke der Suche nach der Wahrheit überspringt. Dann können eigene Kräfte
und Energien beim Schüler freisetzt und entwickelt werden. Der Wille zur
Wahrheit wird sich auf dem Buddha-Weg immer mehr verfeinern und genauer werden.
Das ist der fortschreitende Lernprozess . Das ist der Kompass, der uns auch bei Sackgassen und Fehlentwicklungen immer
wieder in die richtige Richtung zurückführt. Aber Dōgen sagt nicht, dass diese
Wahrheit ein abgegrenztes intellektuelles oder philosophischen Wissen ist, das
sich nicht mehr weiterentwickelt und quasi dinghaft und endgültig ist. Denn
Philosophie heißt Philosophieren und nicht nur statisches Wissen.
Dōgens Kapitel über den
Willen zur Wahrheit hat also eine direkte Verbindung zum Achtfachen Pfad der
Befreiung und eines heilsamen Lebens. Die Achtsamkeit und Meditations-Praxis
spielen dabei eine ganz wesentliche Rolle. Dōgen selbst hatte auf seiner langen
Suche nach der wahren buddhistischen Lehre in Japan und auch in China viele
Schwierigkeiten zu überwinden, bis er endlich seinen wahren Lehrer gefunden
hatte. Durch die Zazen-Praxis in Wechselwirkung mit der buddhistischen Lehre
fand er schließlich den befreienden Ausweg aus dem Lebenslabyrinth
Er macht unmissverständlich
deutlich, dass nur in dieser unauflösbaren Verbindung von Theorie und Praxis,
von fundierter Lehre und Meditation, wirkungsvoll nach dem authentischen
Buddha-Lehre gesucht werden kann. Auf diesem Weg verändert sich der ganze
Mensch, es kommt zur Transformation der
Persönlichkeit und zu einer neuen Klarheit psychischer und spiritueller
Zustände und Wechselwirkungen.
"Die
Praxis ist nicht durch das Sitzen selbst begrenzt, sondern sie schlägt den
(großen) Raum an und klingt wie das Anschlagen der Glocke, das sich vor und
nach dem Glockenschlag fortsetzt.“
In diesem Gleichnis wird die
Wirkung der Meditation poetisch auf den Punkt gebracht: Wenn wir morgens und
abends meditieren, bleibt die Wirkung am Tag in der Folgezeit erhalten, gibt
Kraft und verleiht uns Klarheit und Handlungsfähigkeit im Alltag. Nishijima
Roshi nennt dies die dauernde Kraft des Zazen:
„Der
Einfluss der Zazen-Praxis ist niemals auf die Zeit begrenzt, in der man
tatsächlich Zazen praktiziert.“
Dōgen rät uns, einen wirklich überzeugenden Menschen und Lehrer zu
suchen, der die Wahrheit des Lebens klar erkannt und sein Leben deutlich danach
eingerichtet hat. Gleichzeitig warnt er vor solchen Lehrern, die zwar
behaupten, dass sie den Willen zur Wahrheit besitzen, aber in Wirklichkeit nur
auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Man erkenne aber nicht immer sofort, ob
jemand tatsächlich den Weg der Wahrheit suche oder es nur vorgebe.
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